• 01. Nullkommaneun
    02. Halb Mensch, halb Nase
    03. Mit Herz
    04. Ich fibicke jeden
    05. Pibissstrahlen auf 808 Bässe
    feat. Haftbefehl
    06. Hör dir nicht dieses Lied an
    07. Nur Schimpfen
    08. Kein Bock
    feat. Kalim
    09. GoPro
    10. Lockige Brusthaare
    11. SIM-Karte
    12. Don & Fuß
    feat. Xatar & Samy
    13 Bitte keine Anzeige machen feat. Schwesta Ewa
    14 Nullkommaeins


    Seit 2013 mussten sich Fans des Bonner Rappers SSIO schon wegen eines Nachfolgers des Erfolgsalbums "BB.U.M.SS.N" gedulden, eine für Genreverhältnisse fast biblisch anmutende Zeitspanne. Doch nicht nur die ausgedehnte Arbeitsdauer unterscheidet das neue Release "0,9" schon im Vorfeld von denen der durchschnittlichen Deutschrap-Massenhaltungs-Legehenne, hier ist alles SSI"Bio" (Entschuldigung an dieser Stelle): Genau fünf Videos finden sich im Vorfeld der Albumveröffentlichung auf dem YouTube-Channel des Labels AllesoderNix; statt Promo-Dauerbestrahlung setzt man im Camp auf Qualitätsware. Xatar, Labelboss und Brand-Manger inszenierte hierfür inzwischen drei Musikvideos, die dem Künstler auf den Leib geschneidert sind, vor Kreativität strotzen und damit in Deutschland wohl fast ein Alleinstellungsmerkmal darstellen. Auch der Blick auf die Tracklist lässt die Hoffnungen, die sich nach drei Jahren naturgemäß aufgestaut haben, weiter wachsen – denn statt die neu geschaffene Reichweite zu nutzen, um das Werk mit prominenten Feature-Gästen zuzukleistern, beschränkt sich SSIO, mit Haftbefehl auf eine einzige Zusammenarbeit außerhalb seines Labels. Zudem kann man sich auf den Ausnahmeproduzenten Reaf freuen, der federführend in Sachen Instrumentierung für jede Produktion auf der Platte verantwortlich war. Eine Fülle von solch verheißungsvollen Informationen und Vorgeschmäckern weckt natürlich eine gewisse Erwartungshaltung; kann der Bonner dieser gerecht werden und liefert einen würdigen Nachfolger seines starken Debüt-Releases oder waren die Vorab-Informationen Blendwerk, die eine mäßige Platte verschleiern sollten?


    "Nutte, ich bin der erste Rapper mit Inhalt und Message/
    Es geht um Drogen, Huren und immer um Mecces/
    Rapper machen Ansagen und Absagen/
    Mit Tracks, die klingen, wie schwanzblasende Balladen/
    "
    (SSIO auf "Nullkommaneun")


    Den Rahmen des Albums deutet SSIO schon im Opener "Nullkommaneun" an und eine weitere Bandbreite muss der Vollbluthedonist auch nicht auffahren, um von seiner Kunstfertigkeit überzeugen zu können. Ungehobelt und unnachahmlich unterhaltsam versucht sich der Misanthrop auf 14 Tracks von Menschen und Dingen zu distanzieren, die ihm in irgendeiner Weise auf die Nerven gehen. Ein Herzstück der Platte ist deshalb zweifellos der Titel "Nur schimpfen", auf dem von "Papaya-Sprossen"-Konsumenten bis zum Rapper, der "Migrationssongs und Liebestracks" macht, jeder (der es verdient) sein Fett weg bekommt. Schüsse gegen die Szene sind hier keine Einzelheit, sondern kommen im Vergleich zum Vorgänger in noch höherer Dichte vor, allerdings ohne in ein nerviges Namedropping überzugehen. Entledigen muss sich der Lebemann auch von diversen Liebschaften, die ihm, nach Erfüllung ihrer Plicht, auch postkoital noch zur Last fallen. Dieser Nähe entzieht er sich durch ein Arsenal von Ausreden ("Nach Sex krieg ich Heimweh" – GoPro), Wechseln der "SIM-Karte" und durch das Schaffen zahlreicher Alter Egos. Um sich etwa vor der Polizei, seiner zweiten Nemesis, in Deckung zu bringen, nutzt SSIO gemeinsam mit seinem Bruder im Geiste Xatar die Bonner "Bi-Sprache". Ein Sketch in dieser Lingua bildet den Rahmen ihrer Kooperation "Don und Fuß", wo auch der fast vergessene Samy für Harmonie und Miami-Vice-Flavour sorgt. Zu dieser lässigen Crocket&Tubbs-Atmosphäre bietet Reaf im zweiten Teil der Platte den perfekten Soundtrack: "Lockige Brusthaare" hüpfen zu Golden-Era-Klängen aus dem großzügig aufgeknöpften Hemd und spätestens als die laszive Frauenstimme in "GoPro" erklingt, schwingt der Kopf unaufhaltsam wie eine Abrissbirne.


    "Stopp ma’, logische Frage:/
    Warum wär' gern jeder deutsche Rapper Tony Montana?/
    Scarface endet doch als Toter, oder?/
    "
    Längst überfällig! (Anmerkung des Autors)
    (Haftbefehl auf "Pibissstrahlen auf 808 Bässe")


    Den Warnhinweis "Bitte nur mit Halskrause anhören" hat Deutschraps-"Supernase" nicht ohne Grund anbringen müssen, da die Beats auf Dauer schleudertraumaähnliche Zustände zur Folge haben können. Besonders der Titel "Mit Herz" erzeugt hier Unwucht in der Nackengegend, denn der Flow, welchen SSIO an den Tag legt, lässt mich sogar die Trinkwasserproblematik in der Dritten Welt vergessen, sodass sich das Haupt ohne jeden Ballast rhythmisch neigt. Ohnehin ist "0,9", was die zerstreuende Wirkung angeht, das wohl beste Album, das ich je in den Händen gehalten habe: Skits, sonst häufig auf Ulk-Niveau eines "Sat.1.-Fun-Freitag" sind hier so organisch in die Tracks verwebt und gut dosiert eingesetzt, dass man sich daran kaum satt hören kann. Seinem Ruf als Possenmacher und Sprücheklopfer wird der Bonner in voller Gänze gerecht, absurde Reimketten gepaart mit ausgeprägten Machismo und einer Portion Augenzwinkern – der Bonner weiß, wie er seine Fans an der frisch polierten Stange hält … no homo. Denn eine Neuausrichtung ist bei dem Zweitling sicher nicht zu erkennen, es ist vielmehr ein Abschleifen alles Überflüssigen. Diese Verfeinerung des eigenen Stils, das Herausstellen der Essenz ist es, was dagegen spricht, dass hier lediglich ein Aufguss des Vorgänger-Albums vorliegt, sondern SSIO vielmehr seine bisherige Perfektion gefunden hat. Dass er Mister 100 Prozent ist, beweist der passionierte Puffgänger nicht zuletzt mit dem abschließenden Track "Nullkommaeins", der als irreales Gedankenspiel ("Was wäre wenn ...") die eigene Großartigkeit in den Reaf-Beat wie eine Marmorplastik meißelt.


    "Was wär’, wenn der Avalon nicht wär’?/
    Würd’ ich immer noch klingen wie ein afghanischer Bär?/
    Eh, Nuttensohn, wärst du ohne deine Homo-Texte/
    Vielleicht ein Rapper, mit dem man gern ein Foto hätte/
    "
    (SSIO auf "Nullkommaeins")


    Fazit:
    Ein absoluter Paukenschlag gleich zu Beginn des Jahres; dem AON-Kreis gehört nach dem ebenfalls sehr guten Plusmacher-Release definitiv die Frühphase des Jahres. Doch "0,9" kann und will mehr als das: Ein von Reaf gezimmertes Beat-Fundament erweist sich als ebenso abwechslungsreich wie stimmig und sorgt dafür, dass die Platte auch noch in etlichen Monaten in den Plattenspielern der Republik rotieren wird. Die aufgrund der Vorab-Tracks geschürte Erwartungshaltung sowie den exzellenten Vorgänger übertrifft SSIO mit seinem zweiten Solo-Album hier spielend: Im direkten Vergleich kommen dem aktuellen Release hier besonders die Straffung der Tracklist sowie die Reduzierung auf einen Produzenten zu Gute. Wahnsinnig unterhaltsam, selbstironisch (ohne ins Lächerliche abzudriften), raptechnische Versiertheit und ein extrem hoher Wiedererkennungswert sind Eigenschaften, die der Bonner in dieser Kombination wohl nahezu exklusiv haben sollte. Außerhalb des Azzlack-Camps ist es wohl auch niemanden gelungen, dass derartig viele Ausdrücke direkt mit dem Künstler assoziiert werden. Mit fast unerhörter Kreativität sorgt der selbstbetitelte "afghanische Bär" für eine Messlatte, an der sich die kommenden Veröffentlichungen des Jahres messen müssen und für eine Spitzenposition in sämtlichen kommenden Jahresrückblicken.


    "SS ist der King of Rap/
    Was für King? Nenn' mich "King Kong", du Nuttensohn/
    "
    (SSIO auf "Ich fibicke jeden")



    Lennart Gerhardt


    [redbew]2005[/redbew]


    Bewerte diese CD:
    [reframe]reviewthread.php?reviewid=2005[/reframe]

  • Top Album und sehr gutes Review, auch wenn ich nen klein bisschen Distanz gut gefunden hätte.

    "Selig sind die Sanftmütigen, denn sie werden das Erdreich besitzen....sie brauchen nur ein paar Waffen" [I]Longinus[/I]
  • fand bb.u.m.ss.n vom gefühl her sogar bisschen besser nach den paar malen in denen ich das album jetzt gehört habe. Finde 6 mics deswegen bisschen zu hoch. album ist aber natürlich trotzdem super

  • Album ist gut, aber haut mich leider nicht vom Hocker, obwohl meine Erwartungen dennoch groß waren.

  • Habe das Album noch nicht gehört, 6/6 überraschen mich allerdings schon.
    Ich meine, SSIO is 'n gouder, aber auf "Spezial Material" und "B.B.U.M.S.N." waren durchaus auch schwache Tracks drauf.
    Die Auskopplungen vom aktuellen Werk wirken schon kuhl...


    "eine für Genreverhältnisse fast biblisch anmutende Zeitspanne."


    Leider. Die heutigen Konsumkids sind durch das Internet derart verwöhnt,
    so manche Erwartungshaltung und Druckmacherei von Seiten sogenannter Fans darf man getrost als "ekelhaft"/ betiteln.

  • Für 6/6 Mics ist das Album musikalisch und beattechnisch entschieden zu einseitig und monoton.
    5/6 hätte ich passender gefunden.

    Jetzt fassen wir uns mal alle gegenseitig an die eigenen Nasen!

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