rappers.in Hunger Games Vol. 12 - Texte

  • Luigi neeeein :(

    [quote='Newton-','https://forum.rappers.in/index.php?thread/&postID=6247080#post6247080']eine der geilsten Frauenstimmen, die ich bisher gehört habe, lade bitte mehr tracks hoch[/QUOTE]
  • Kapitel Vier – Close Call


    Seit Stunden streife ich durch diese triste Kälte. Mit fortschreitender Stunde nahm die Temperatur immer weiter ab. Und als wäre das nicht genug, tut die stetig dünner werdende Höhenluft ihr Übriges. Ich bin Vieles gewohnt. Vielerorts gewesen. Habe Wüstengegenden kennengelernt. Konträr dazu riesige Städte. Mit Meeren aus Lichtern. Bin auf – auf den ersten Eindruck unbewohnt wirkenden – Inseln gelandet. Durch Dschungel gestreift. Alles für meine Mission. Auch Kälte habe ich kennen gelernt. Vermutlich mehr als mir lieb ist. Daher kommt diese Witterung nur wenig überraschend für mich. Und doch muss ich gestehen, dass der Mantel, den ich eingangs von der Organisation bekommen habe, nicht so sehr wärmt wie ich es erwartet habe. Sollte die Nacht noch kühler werden, benötige ich dringend einen Unterschlupf. Ich hätte auf meine erste Intuition hören sollen. Ich hätte bergab gehen soll. – Immer wieder kreist mir der Gedanke durch den Kopf. Die Umstände machen mir mehr zu schaffen als ich bereit wäre zuzugeben. Ich fixiere den Felsvorsprung knapp einhundert Meter vor mir. Vielleicht hundertfünfzig. Von unten habe ich eine Höhle erkennen können. Leider ist deren Zugang umringt von offensichtlich bröckelnden Felsvorsprüngen begraben unter zentimeterdickem Schnee und Eis. Der Aufstieg dorthin würde beschwerlich sein. Dessen war ich mir bereits bewusst als ich den Entschluss dazu fasste. Aber er ist notwendig. Also kämpfe ich mich Schritt für Schritt über diese schmalen Vorsprünge. Vorsichtig, gewiss. Ein falscher Schritt – einen Moment unkonzentriert und ich würde auf den felsigen Untergrund herabstürzen. Ob mich der Sturz umbringen würde, ist fraglich. Viel eher würde mir die Witterung zu schaffen machen, sollte ich dort liegen bleiben. All diese Bedenken kreisen mir durch den Kopf während ich mich den Weg hinauf kämpfe. Letzten Endes ist das Unterfangen von Erfolg gekrönt und ich stehe vor dem Zugang zur Höhle. Sie scheint nicht sonderlich tief. Doch Schutz für die Nacht bieten sollte sie mir allemal.
    Erleichtert blicke ich in den mittlerweile verdunkelten Himmel. Äußerst ansehnlich. Die Sterne. Der Mond. Und ich meine hinter dem Gebirge Polarlichter gesehen zu haben. In sechshundert Jahren ist mir solch ein Anblick bisher nicht vergönnt gewesen. Der Reiz, sich das aus der Nähe anzuschauen wächst mit jeder Sekunde, doch der schwierige Aufstieg, der hinter mir liegt, bremst mich etwas. Ich setze einige Schritte in die Höhle. Dann packt mich die Neugier allerdings erneut und ich tapse vorsichtig rückwärts wieder zum Eingang. Mehr und mehr strecke ich mich, um einen Blick erhaschen zu können. Dann bricht ein kleines Stück des Felsvorsprungs weg und ich falle. Dank eines katzenartigen Reflexes gelingt es mir den Vorsprung zu fassen, um einen schlimmeren Sturz zu verhindern. Der Schwung, den ich beim Sturz aufgenommen hatte, katapultiert mich jedoch direkt gegen die Felswand. Ich spüre wie einige meiner Rippen unter der Kraft des Zusammenstoßes mit der Felswand bersten. Die bröckelnde, scharfkantige Felsvorsprung bohrt sich weiter in meine Handfläche. Hektisch greife ich mit der zweiten Hand nach oben und suche eine geeignete Stelle zum Festhalten, doch verfehle. Wieder. Und wieder. Dann besinne ich mich auf meine Ausbildung. Ich habe nicht sechshundert Jahre überlebt, um so abzutreten. – Ich beruhige mich. Mein Körper pendelt sich aus. Bis ich schließlich komplett ruhig dort hängend verharre. Mit einem weiteren beherzten Griff erlange ich den Vorsprung. Die Kälte und die glatte Oberfläche erschweren den Aufstieg jedoch gewaltig.
    Plötzlich umfassen zwei Hände meine Handgelenke. Ein Schreck fährt mir durch die Glieder. In der Höhle war jemand. Und ich hänge hier auf dem Präsentierteller. Doch statt meinen Griff zu lösen, ziehen mich die Hände hoch. Mühsam. Das ist deutlich zu merken. Aber erfolgreich. Letzten Endes gelingt es mir dank der Hilfe, mich auf den Vorsprung zu retten. Dort liegt sie da. Eine grüne Gestalt. Ein Gnom? Ein Kobold? Reflexartig lange ich zu meinem Schwert ehe ich erneut feststelle, dass ich keines bei mir trage. In die Holzkeule, die an seiner Statt dort hängt, habe ich wenig Vertrauen. Ich zögere. Denke nach. Er hat Dir geholfen, Sebastian. Dein Leben gerettet. Du stehst in seiner Schuld. Und zum Dank willst Du ihn umbringen? Was ist mit Deiner Ehre? – Offensichtlich ist mir deutlich anzusehen, dass es in mir arbeitet. Denn der Kobold, der in Verteidigungsstellung gegangen war, lockerte seine verkrampfte Körperhaltung und blickt mich an. Erst auf den zweiten Blick erkenne ich, dass es sich bei der Gestalt tatsächlich um einen Menschen handelt. Er starrt mich an. Ich starre zurück. So harren wir einige Zeit aus. Schließlich rafft er sich auf. “Kalt hier.“ Er packt mich am Arm und beugt sich zu mir herunter. Mit einem unangenehmen Grinsen auf den Lippen legt er meinen Arm um seinen Nacken und schultert mich auf. Ich versuche ihn zu verstehen. Zu durchschauen. Doch diese Grimasse wirft mehr Rätsel als Lösungen auf. Er trägt mich in die letzte Ecke der Höhle und legt mich dort ab. “Du bist verletzt. Zeig her.“ Er fordert mich auf und deutet auf meine Rippen. Irritiert leiste ich seinem Aufruf folge. Nachdem er einen kurzen Blick darauf geworfen hat, wühlt er in seiner Tasche und kramt etwas Verbandszeug heraus. “Wie heißt Du?“, frage ich ihn. Sollte das dieser ominöse Galahad sein, rettet ihn auch mein Ehrgefühl nicht mehr. Er beschmutzt den Namen eines Bruders und das gehört gesühnt. “Ich gebe keine Antworten, wenn gleich sie mir wohlbekannt sind. Meine Fragestellungen tarne ich in Form gewöhnlicher Aussagen . Dennoch ist das Fragezeichen mein Logo. Mein Name ist ein Reim auf den des größten Schurken der deutschen Geschichte. Die Lösung liegt vor Deiner Nase. Wer bin ich?“ – Dass wollte ich doch von ihm wissen? Komischer Kauz…



    #FreeKani

  • JON III


    Die vergangenen 2 Tage vergingen wie im Flug. Kaum hatte Jon den Wald erreicht und durchstreifte ihn auf der Suche nach einem sicheren Unterschlupf, traf er auf 3 weitere Tribute, die ihm ein Platz an ihrem Feuer anboten. Es wäre ehrenlos gewesen, sie anzugreifen und außerdem hätte Jon, ohne Schwert und mit 1:3 in der Unterzahl, bei einem Kampf wohl den Kürzeren gezogen. Er nahm das Angebot daher dankend an und genoss die Wärme des Feuers. Jon schiente seine Finger behelfsmäßig mit den kräftigen Zweigen einer hochgewachsenen Tanne und wusch die blutigen Wunden aus dem vorhergehenden Kampf mit sauberem Schnee aus. Je später es wurde, desto mehr kamen die Gefährten ins plaudern und fingen an, sich gegenseitig Geschichten zu erzählen. Jon selbst gab einige der schaurigsten Erzählungen von jenseits der Mauer zum besten und konnte damit mächtig Eindruck schinden. Am nächsten Tag entschieden sie dennoch wieder getrennte Wege zu gehen und Jon war auch ganz froh darüber. Er war ein Einzelkämpfer und lieber allein.


    Den folgenden Tag und die komplette Nacht verbrachte Jon damit weiter durch den Wald zu streifen. Er konnte ohnehin nicht wirklich schlafen und verbrachte seine Zeit daher lieber mit seinen Gedanken und der Jagd. Die erlegten Hasen nahm Jon aus und briet sie über einem kleinen Feuer. Dabei dachte er an die anderen Tribute seines Distriktes. Blackjack war bereits gefallen, sein Bild war schon vor Tagen am Firnament zu sehen gewesen. Von Tarek Ebene hatte Jon noch nichts gehört. Vielleicht begegnete er ihm eines Tages in der Arena.


    .....



    Jon wurde aus seinen Gedanken gerissen, als er in der Ferne ein dumpfes Husten vernahm. Er blieb stehen und lauschte. Da war es wieder! Langsam und behutsam folgte Jon den lauter werdenden Geräuschen, bis er den Rand des Nadelwalds erreichte. Vor ihm erstreckte sich ein riesiger See. Er war halb zugefroren und vereinzelt konnte Jon kleine und große Eisschollen darauf treiben sehen. Am Ufer saß ein etwas in die Jahre gekommener Mann. Er hatte den Mantel um sich geschlungen und hustete Blut, was ihn allerdings nicht großartig zu stören schien. Als er Jon erblickte, fluchte er sprang er auf und ballte die Fäuste in aggressiver Kampfpose vor seinem Körper. "Was willst du Fremder? Bleib mir fern!". Jon wollte den Mann nicht angreifen. Er sah kräftig aus und seine Miene wirkte hart und entschlossen, dennoch war er deutlich älter als Jon und vermutlich auch nicht so kampferfahren... Und er hustete Blut.


    Ein Kampf schien Jon ungleich und ehrlos. Er wollte gerade zu einer Erklärung ansetzen, als ein dumpfes Knacken, gefolgt von einem lauten Schrei, die kalte Luft durchschnitt. Abrupt fuhr Jon herum und konnte gerade noch erkennen, wie mitten auf dem eisigen See eine Eisscholle kenterte und ein dunkel gekleideter Mann in Uniform halt suchend ins Wasser rutschte. Jon zögerte keinen Moment. Er warf seinen Umhang und die gröbste Kleidung ab, sie würde ihn sonst nur selbst in die Tiefe ziehen. Erstaunt erkannte er, wie der Ältere seinen Mantel abwarf und ohne mit der Wimper zu zucken mit voller Montur in den See sprang. Mit schnellen, kräftigen Armzügen hielt er auf den Ertrinkenden zu. Schnell sprang Jon hinterher. Das Wasser war eiskalt und umhüllte ihn wie eine Rüstung aus schwerem Stahl. Dennoch schwamm und schwamm er, bis er die Eisscholle kurz nach seinem älteren Mitstreiter erreichte. "Schnell, hilf mir! Wir müssen tauchen", hustete dieser. Gemeinsam tauchten sie bis Jon den Fremden schließlich mit seiner gesunden rechten Hand zu fassen bekam, gemeinsam zogen sie den General an die Oberfläche des eisigen Sees und gemeinsam beförderten sie ihn ans sichere Ufer. "Meine Mission...", war das einzigen Lebenszeichen, was Jon von ihm hören konnte. Immer und immer wieder.

    [COLOR=#0000cd]Wunderschön, intelligent; du liest ein Buch, ich lease ein Benz.[/COLOR]

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  • Ein neuer Freund, zwei neue Tote


    "Wie kannst du sowas essen?"
    Die plötzlichen Worte inmitten der kalten Nacht brachten mich zum sofortigen Erstarren. Seit meinem Wutausbruch waren schon mehr als ein Tag vergangen, in dem ich mich auf die Suche nach anderen Tributen gemacht hab. Derweil hatte ich ein Langschwert gefunden, welches wohl von den Spielleitern in einer Gletscherspalte versteckt wurde. Ich war kein Freund von Schwertern. Sie waren zu schwer und unhandlich für präzise Kampfhandlungen. Doch sie waren definitiv besser als meine puren Fäuste.
    "Ich hab genug Erfahrung mit sowas. Wir haben fast den ganzen Rest des Frischlings verspeist, wen interessiert da noch der Penis? Stell dich nicht so an."
    Sofort duckte ich mich und robbte mich über den kalten Eisboden in Richtung Geräuschquelle. Schon bald entdeckte ich das provisorisch eingerichtete Lager zweiter Tribute, welches sich in einer unauffälligen Gletscherspalte verbarg. Eines der Tribute hielt eine Fackel in der Hand, weshalb ich sein Gesicht ausmachen konnte- es war Theodore Long, ein Tribut von Distrikt 4. Von dem anderen Tribut konnte ich nur ekelhafte Schmatzgeräusche ausmachen.
    "Jedem das seine...", antworte Long seufzend und schaute kurz wachsam aus seinem Versteck, worauf ich mich direkt auf den Boden presste.
    "Hast du was gehört?", vernahm ich die Stimme des anderen Tributes. "Nein. Ich denke wir sind hier sicher genug, die Schräge der Spalte sorgt dafür, dass hier keiner ein Tribut vermuten würde."
    Plötzlich hörte ich ein leises Auftreten eines Fußes, kaum laut genug als das die zwei Tribute es gehört haben könnte. Alamiert drehte ich mich um und fing einen schwachen Schlag ab. Vor mir stand ein weiteres Tribut- alt und schwach, doch seine Augen strahlten eine gewisse Kälte und Intelligenz aus. Doch jetzt wirkte es auch ängstlich. "Hör mir zu", presste ich möglichst leise durch meine Zähne. "Dort unten sind zwei feindliche Tribute. Sie erwarten keinen Angriff. Sie sind in einer Sackgasse. Zumindest eines davon wirkt recht schwach. Sie haben Proviant. Es wäre verdammt dumm jetzt mit mir eine Prügelei anzufangen, wenn wir stattdessen zwei komplett ahnunglose Volltrottel überlisten und ihre Sachen stehlen könnten." Eine gefühlte Ewigkeit schaute Löwenberg- seinen charakteristischen Hut hatte ich mittlerweile erkannt- mich an, bevor er mich losließ. "Hast du einen Plan?", fragte er mit zitternder Stimme. "Einen Plan und ein Langschwert", erwiderte ich und wies auf das Schwert, welches in in der linken Hand hielt und welchem er bis jetzt offenbar keine Beachtung geschenkt hatte. Seine Augen fingen an zu leuchten. "Un um deines Willen würde ich den Anfang machen. Ich könnte dich auf der Stelle töten." "Warum sollte ich dir vertrauen?", erwiderte er. "Du hast keine Alternative." Entmutigt von meiner Antwort schlich sich Löwenberg in die Eishöhle. Einen Moment dachte ich darüber nach, abzuhauen. Doch als mir die Unehrenhaftigkeit dieser Tat bewusst wurde, schlich ich mich ebenfalls die Spalte runter, das Schwert hinter meinem Rücken versteckt. Plötzlich hörte ich die ersten Schläge und Schmerzensschreie aus dem Versteck. "Legat, Eindringling, Eindringling!" Mit einem gewaltigen Sprung landete ich auf dem Grund der Höhle und erblickte den Faustkampf von Long und Löwenberg- auch wenn Löwenberg ein paar Schläge landen konnte, schlug Long schließlich erfolgreich mit seiner Fackel auf ihn ein und verbrannte Teile seines Armes, worauf Löwenberg auf den Boden knallte. Dann erblickte Long mich und versuchte abermals mit der Fackel auf mich einzuschlagen- hinter ihm hatte sich mittlerweile das Tribut Thorsten Legat aus seinem Schlafsack getraut und rannte auf mich zu. Ich wartete, bis beide Ziele nahe genug an mich kamen und entblößte das Schwert hinter meinem Rücken- auch wenn Legat meinem Hieb ausweichen konnte, traf ich Long präzise in die Brust. Legat versuchte nun an mir vorbei zu rennen und den Ausgang der Höhle zu erreichen, was ich jedoch mit geschickten Stich in den Nacken verhindern konnte. Während Legat leblos den Höhlenboden mit seinem Gesicht begrüßte, zuckte Long noch eine Weile unkontrolliert rum, bis er schließlich in seiner Blutlache erstarrte. Ich nahm die Fackel vom Boden und erhitzte das Eis, welches darauf flüssig auf Löwenbergs Wunde tropfte. "Ich lass dich am Leben, doch von nun an trennen sich unsere Wege. Ich lass dir diese Fackel und dieses Paar an Feuersteinen hier. Letzteres befand sich im Rucksack von Legat. Verwende sie klug." Dann stopfte ich ein paar Äpfel und Nüsse aus Legats Rucksack in meine Hosentasche und verließ die Höhle. Löwenberg hatte mir genug gedient, er hatte keinen grausamen Tod verdient.


    PS:Damn, jetzt erst die Dummheit einer Fackel in einer Gletscherspalte erkannt, aber die Story steht halt schon. War halt sehr kaltes Feuer...

  • Kapitel Fünf – Eid? Ermessenssache


    Die Nacht war mühsam. Nervraubend. Der grüne Gnom hat mich stundenlang vollgeschwallt ohne jedoch ein vernünftiges Wort herauszubringen. Selten hat es mich so oft in den Fingern gejuckt, mein Schwert zu zücken, um einer Gestalt ein jähes Ende zu bereiten. Doch er stand nicht auf meiner Liste. Zudem hat er mich gerettet. Der Kodex der Bruderschaft gebietet Barmherzigkeit bis meine Schuld beglichen ist. Meine Klinge liegt noch immer daheim und einschätzen konnte ich diesen Zwerg ebenso wenig. In Summe ist es also wahrscheinlich die klügere Entscheidung gewesen, sich zu beherrschen und ihn leben zu lassen. Heute früh ist er dann aufgebrochen. Hat mich zurückgelassen. Wobei – genau genommen verlangte er, dass ich ihn begleite. Zumindest mutmaße ich das. Seine Äußerungen waren äußerst kryptisch. Letzten Endes konnte ich ihn dann allerdings davon überzeugen, allein weiterzuziehen. Vermutlich die klügste Entscheidung seit Gründung der East India Trading Company. Nachdem der Namenlose gegangen war, ruhte ich noch einige Stunden bis die Sonne höher am Himmel stand ehe ich beschloss zur Weiterreise aufzubrechen.
    Seitdem bin ich unterwegs. Der Position der Sonne nach müsste es gerade Nachmittag sein. Schwer einzuschätzen. Unglücklicherweise besitze ich hier kein Stundenglas. Es könnte also sein, dass ich seit vier Stunden durch die kahle Schneewüste stapfe oder erst seit einer halben. Letztendlich ist das allerdings wohl kaum von Bedeutung. Entscheidend ist, dass ich die felsigen Klippen hinter mir gelassen habe. Wie ich das geschafft habe erschließt sich mit selbst fast gar nicht. Doch es ist mir gelungen. Vor mir erstreckt sich lediglich eine weite Schneelandschaft. Zu meiner Linken ragen hohe Gebirgsketten empor. Zu meiner Rechten ebenso. Vor mir bietet sich jedoch ein atemberaubendes Bild wie ich es in meinen Jahrhunderten auf der Erde bisher nie gesehen habe. Eingeschlossen von den Gebirgsketten links und rechts von mir breitet sich ein scheinbar endloses Meer aus. Gesprenkelt von winzigen Miniatureisbergen und kleinen Eisschollen. Dicht darüber harrt die tieforange gefärbte Sonne aus. So dicht über den Horizont, dass es fast den Anschein hat als streckte sie einen Zeh in das eisige Wasser, doch traut sich nicht hinein zu waten. Um sie herum ist der Himmel ebenso orange gefärbt. Faszinierend, welche Naturschauspiele sich in dieser nackten Ödnis präsentieren. Ich bin derart erfasst von diesem Anblick, dass ich einige Momente Alles um mich herum vernachlässige und mich nur darauf konzentriere. Gelegentlich treibt ein Windhauch eine nahezu zierliche kleine Schneewehe vor sich her. Mich überkommt ein Gefühl, das ich längst vergessen glaubte. Die Erfüllung meiner Pflicht rückt schlagartig in den Hintergrund. Stattdessen bade ich mich in einer seltsamen Selbstzufriedenheit. Für einen Moment scheint das, was da draußen lauert, völlig egal zu sein. Plötzlich durchbricht ein Schrei die Stille. Dumpf. Entfernt. Und doch lockt er mich. Bedächtig folge ich den Rufen. Bis ich sie letztlich als Hilferufe identifizieren kann. Die Stimme klingt hell. Hilflos. Wie die eines kleinen Kindes. Ich gehe schneller. Und schneller. Und noch schneller. Bis ich schließlich renne. Hinter einem kleinen Vorsprung sehe ich es dann schließlich. Eine kleine zusammengekauerte Gestalt hockt auf einer Eisscholle und droht abzutreiben. Noch scheint die Scholle verkantet an einem Eisberg, doch wenn ich zu lange warte, trägt die Strömung sie weiter heraus. Am Ufer läuft ein junger Bursche hektisch auf und ab und führt offensichtlich Selbstgespräche. Gelegentlich unterbricht er seine Monologe, um dem Kind etwas zuzurufen. Dann erblickt er mich. “Komm her. Wir müssen ihn an Land ziehen. Sonst wird er da draußen ertrinken und erfrieren“, ruft er mir aus der Ferne zu. Ich eile zu ihm. Halte Ausschau nach Möglichkeiten, dem kleinen Jungen auf der Eisscholle zu helfen. Doch gibt es keine Möglichkeit an ihn heranzukommen, ohne selbst in das Wasser zu springen. Und bei den Temperaturen würde das ziemlich sicher meinen Tod bedeuten. Was also tun? Gemeinsam mit dem Jungen haste ich das Ufer auf und wieder ab. Der Bursche wird immer lauter. “Wir müssen ihm helfen! Mach doch endlich was!“ – Immer wieder redet er auf mich ein. Bis er in seiner Frustration schließlich nach mir greift und mir auf den Brustkorb schlägt. Meine angeschlagenen Rippen schmerzen noch immer. Dann kommt mir die Idee. “Ich weiß wie wir ihn herausziehen können.“ Der Junge schaut mir verdutzt in die Augen. “Komm mit.“ Wenige Augenblicke zuvor hatte ich einige Meter weiter eine halblose Eisscholle entdeckt. So schnell ich kann renne ich auf sie zu. Dort angelangt warte ich einen Augenblick und lege meinen Mantel ab. “Was tust Du? Was hast Du vor? Was soll das werden?“ Immer und immer wieder stellt mir der Junge dieselben Fragen. Woraufhin ich immer wieder nur ein “Augenblick“erwidere. Nach dem Mantel lege ich auch meine Uniform ab und schließlich mein Hemd. Nun stehe ich da. Meinen von Narben gezeichneten Oberkörper gänzlich entblößt. Der eisige Wind sticht nun genauso auf meiner nackten Haut wie in meiner Lunge. “Du willst doch da nicht reinspringen?!“ – Der Bursche blickt mich ungläubig an. “Halt das“, raune ich ihm in ruhiger Stimmlage zu und beginne, den Verband, den der rätselhaft Gnom mir neulich Nacht umgebunden hatte, zu entfernen. Ein Ende knote ich mir um meinen Oberkörper. Das Andere reiche ich dem Jungen. Dann trete ich auf die halb gelöste Eisscholle, auf der ich meine Kleidung deponiert hatte und beginne auf den Rand zu treten. Sie löst sich nicht. Ich trete weiter drauf ein und stampfe. Nichts passiert. Die Ruhe des Jungen auf der Eisscholle werden immer kläglicher. Die des Jungen hier hingegen zusehends energischer. “Was hast Du vor?!“, brüllt er mich an. “Festhalten. Schnauze halten.“ Ich deute auf den Verband in seiner Hand. Allmählich beginnt der Bursche mich zu nerven. Mit jeder Sekunde fröstelt es mich mehr. Ich blicke auf meinen Mantel. Starre ihn einige Sekunden an. Dann bemerke ich meine Keule, die darunter hervorlugt. Das ist es. – Ich nehme den Knüppel zur Hand und ramme ihn in die Spalte zwischen dem Ufer und der Eisscholle. Mit all meiner Kraft zerre ich daran. Meine Rippen schmerzen. Mit jedem Zug etwas mehr. Doch schließlich lockert sich die Scholle etwas. Das Eis bröckelt weiter. Und schließlich löst sich die Scholle komplett. Die Strömung ergreift mich recht schnell und ich treibe auf die Scholle zu, auf der der Junge noch immer wehleidig um Hilfe ruft. Meine Scholle ist winzig. Doch sie sollte für zwei reichen. Die Kälte macht mir allmählich stark zu schaffen. Frierend streife ich mir meine Uniform und den Mantel wieder über. “Halt mich gut fast, Bursche!“, brülle ich dem Jungen am Ufer zu. Er nickt wortlos. Endlich ist er ruhig.
    In den Minuten, in denen ich dort vor mich hintreibe, frage ich mich immer wieder wieso ich das eigentlich mache. Wieso ich dieses Risiko eingehe. Was ist, wenn der Junge am Ufer mich loslässt und ich dann abtreibe? Was, wenn der Junge auf der Scholle mich ins Wasser wirft und ich ertrinke, erfriere oder Schlimmeres? Dann poltert es kurz und eine kleine Erschütterung reißt mich tatsächlich beinahe von meiner Scholle. Ich habe den Jungen erreicht, doch aufgrund des Stoßes bei der Kollision hat sich seine Scholle gelöst und droht abzutreiben. “Komm rüber. Schnell!“ Ich reiche ihm meine Hand. Mit einem Satz hüpft er auf meine Scholle. Sie bietet kaum genug Platz für uns beide. Im Eiltempo treibt die andere Scholle ab. So weit draußen scheint die Strömung enorm stark zu sein. “Zieh! Zieh! Zieh!“, brülle ich dem Jungen am Ufer zu. Er nickt und setzt sein komplettes Gewicht ein, um unsere Scholle zurück an Land zu ziehen. Es ist offensichtlich, dass er der Strömung kaum gewachsen ist. Doch Stück für Stück gelingt es ihm, uns Richtung Ufer zu ziehen. Mit jedem zurückgelegten Meter lässt die Strömung nach. Doch zeitgleich schwinden seine Kräfte auch sichtlich. Knapp zwei Meter vor dem Ufer fällt er schließlich auf seine Knie. Doch er lässt den zum Tau umfunktionierten Verband nicht los. Gut, dass der Verband so belastbar ist. – Der Junge zerrt mit aller Kraft, doch die Erschöpfung steht ihm ins Gesicht geschrieben. Zentimeter für Zentimeter zieht es uns zurück auf das offene Meer. Intuitiv greife ich den Jungen auf meiner Scholle und hebe ihn hoch. Meine Rippen schmerzen. Mit einer hektischen Bewegung schleudere ich ihn Richtung Ufer. Sichtlich erschrocken schreit er los und fuchtelt wild um sich. “Nein, nein, nein, nein, nein, nein!“ Doch in diesem Augenblick fliegt er bereits durch die Luft und landet – dem Schwarzwasser sei Dank – wohlbehalten auf dem Festland. Die ruckhafte Bewegung während des Wurfes jedoch hat meine Scholle weiter herausgetragen. Zu weit als dass ich die Distanz mit einem Sprung überbrücken könnte. Den Jungen verlassen die Kräfte. Erschöpft lässt er den Verband los und bricht um Atem ringend zusammen. In dem Moment, in dem ich das bemerke, kreist mir nur noch ein Gedanke im Kopf herum. Das war es dann, Sebastian. Innerlich mache ich meinen Frieden und bereite mich auf meinen bevorstehenden Tod vor. Ich hätte am Ufer bleiben sollen. Mein Auftrag ist somit wohl fehlgeschlagen. Sollte ich jemals gefunden werden, dann wohl eher von einem Eisbären oder einem Wal. Hier draußen endet mal wohl eher als Nahrung denn eine angemessen Beisetzung in der Gruft der Bruderschaft zu erhalten. Da fällt sie mir ins Blickfeld. Als der kleine Junge nach meinem Wurf am Ufer gelandet ist, hat sich eine winzige Eisscholle gelöst. Ohne zu überlegen sammle ich all meine verbliebenen Kräfte und hole zum Sprung aus. Mit einem Satz erlange ich die andere Scholle und mit einem weiteren kann ich mich geradeso an das Ufer retten. Ich pralle mit dem Rippen an die feste Eiskante. Meine Füße hängen im Wasser. Die beiden am Ufer springen beide auf und mobilisieren ihre letzten Reserven, um mich an Land zu ziehen. Mit Erfolg. Erschöpft liegen wir alle drei nebeneinander dort und blicken in den Himmel. Wortlos. Nach wenigen Augenblicken schauen wir uns gegenseitig an. Keinem von uns kommt auch nur ein Wort über die Lippen. Und dann bricht es aus uns heraus. Lauthals beginnen wir drei zu lachen. Ich schätze, keiner von uns weiß wirklich, wieso. Vermutlich ist es die Erleichterung. Der Schmerz meiner Rippen wird immer schlimmer, doch ich kann das Lachen einfach nicht unterdrücken.
    Der ältere Junge, der uns an Land gezogen hatte, hält eine Faust in die Luft. Dann hält er sie mir hin. Irritiert blicke ich ihn an. “Klopf ab.“ – Ich blicke meine Hand an. “Wozu auch immer das gut sein soll.“ – Ich forme sie zur Faust und tippe mit meiner Faust gegen seine. “Ist ein Zeichen des Vertrauens“, erwidert er. Ich nicke. Dann drehe ich mich um und schaue, ob es dem anderen Jungen gut geht. Erst jetzt bemerke ich etwas ganz Entscheidendes. Der Junge ist gar kein Junge. Er sieht aus wie eine der Kreaturen, auf die die Bruderschaft Jagd macht. Freilich etwas harmloser. Eher wie eine Kartoffel. Doch eins ist er sicher nicht. Menschlich. Meine Gesichtszüge müssen schlagartig entgleist sein, denn die Dankbarkeit im Blick des Kartoffeljungen weicht ebenfalls Entsetzen. Panisch greife ich nach meiner Holzkeule, doch der Schmerz in meinem Brustkorb ist derart immens, dass meine Kräfte schlagartig weichen. Kraftlos lasse ich mich zurück auf den Rücken rollen. “Ach, scheiß drauf.“ Mehr kommt mir nicht über die Lippen. Der Kartoffeljunge wirkt sichtlich erleichtert. “Danke“, flüstert er kaum hörbar vor sich hin. Schwerfällig atmet er vor Erschöpfung aus und wiederholt das noch einmal. “Danke….“



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