01. Kollegah, Karate Andi & Ssio – Chronik
02. Kollegah – Red Light District Anthem
03. Karate Andi – Human Traffic
04. Genetikk – Selfmader
05. 257ers – Label ohne Sägeblatt
06. Favorite – Muttergefickte Welt
07. Kollegah & Casper – Alarmanlage
08. Kollegah, Karate Andi & Favorite – Selfmade Legion
09. Karate Andi – Nicht verstanden
10. 257ers – Gangsta
11. Kollegah & Farid Bang – Medusa
12. Genetikk – Bunte$ Papier
13. Karate Andi, Favorite & Shneezin – Antimaterie
14. Favorite – Koks, Nutten, Glocks
15. Kollegah – Goldener Ring
16. Genetikk & Marteria – Crank Sinatra
17. 257ers & Karate Andi – Keinen Fick
18. Genetikk – Fresse voller Gold
19. Karate Andi – Es bleibt wie es ist
20. Kollegah – Keine neuen Freunde
21. MontanaMax & Shiml – Silber
Es gibt Alben, die den an sie gestellten Erwartungen niemals entsprechen können, sowohl im Positiven als auch im Negativen. "Chronik III" zählt dazu, ist es doch, als Nachfolger des als Klassiker gehandelten zweiten Teils der Reihe, eines der mit den größten Erwartungen konfrontierten Projekte dieses Jahres, was angesichts der hier versammelten Rapper durchaus nachvollziehbar erscheinen mag. Kollegah, Favorite, 257ers, Genetikk, Karate Andi und Features unter anderem von Casper, Ssio und Farid Bang – nur zwei dieser Rapper konnten nicht in den letzten Jahren die Spitze der deutschen Charts erreichen. Gleichzeitig stellt so viel Erfolg auch auf die Probe: Ruht man sich auf seinen Lorbeeren aus? Können so unterschiedliche Ansätze zu einem stimmigen Gesamtbild vereint werden, scheitert das Ganze als uninspirierte Sammlung von B-Seiten oder können die hohen Erwartungen doch erfüllt werden?
"Jetzt müssen Rapper unter Wellblechen wohn'/
Denn wir teil'n den Kuchen nicht, wir ham' kein Helfersyndrom/
Chronik III ist für euch 'ne schnelle Lektion/
In Demut, Acht-Mann-Armee, Selfmade Legion/"
(Kollegah auf "Selfmade Legion")
Das Wichtigste zuerst: Auf "Chronik III" gibt es keine Überraschungen. Alles, von der ersten Kick-Drum bis zur letzten Line, ist so vorhersehbar, dass es fast schon ein wenig unheimlich ist. Neue Impulse werden nicht gegeben, stattdessen beschränkt man sich darauf, das zu tun, was man ohnehin schon kann. Das ist verständlich und vielleicht sogar die bestmögliche Option, wenn auch auf Dauer ermüdend und sogar langweilig. Karate Andi spielt den gewaltbereiten Drogensüchtigen, Kollegah gibt stilsicher den Boss, die 257ers testen die Grenzen des guten Humors, Favorite ist, nun ja, immer noch ziemlich unbeschreiblich, während Karuzo als einziger mehrere Facetten zeigt. In wechselnden Konstellationen, meistens jedoch Solo, liefern die "Selfmader" meistens zusammenhanglose Zeilen mit sehr unbeständigem Unterhaltungsfaktor ab, wagen sich dabei aber nicht daran, ihre Stile zu einem passenden Ganzen zu verbinden.
"Selfmade! Du hackst dir selber deinen Penis ab/
Selfmade! Das Label ohne Sägeblatt/"
(Shneezin & Slick One auf "Label ohne Sägeblatt")
Zwei von einundzwanzig Tracks gehen ein wenig tiefer: Zum einen zu nennen ist hier Kollegahs "Keine neuen Freunde" über die "Schattenseite des Rapfames/". Der anscheinend ernst gemeinte Versuch eines reflexiven Songs scheitert dann an Lines wie "Viel zu viele Cashflows, wohin mit dem Geld?/", bei denen einem das Mitleid mit dem von schleimenden Neidern umgebenden Boss doch recht schnell wieder vergeht. Der andere Track, "Bunte$ Papier", stammt aus der Feder von Genetikk, und zeichnet glaubhaft, scheinbar autobiografisch, das Leben als Sohn eines brotlosen Künstlers nach, der von zu Hause wegläuft, um Jahre später mit Geld und Erfolg im Gepäck zurückzukehren.
Auch die hochkarätigen Gäste können wenig nach oben korrigieren. Eine gewisse Abwechslung wird erreicht, doch Casper liefert auf "Alarmanlage" deutlich unter seinem Niveau ab und auch Marteria nimmt man das scheinbar schnell übergestreifte Badboyimage auf "Crank Sinatra" einfach nicht ab. Den Tiefpunkt der Platte garantiert der Farid Bang-Part auf "Medusa" mit seinem gewohnt abgründigen Textniveau, und setzt mit Vergleichen wie "...falsch aussage[n] wie Menschen, die lispeln/" gekonnt Akzente in Richtung Fremdscham.
"Die Welt da draußen sieht dir ähnlich/
Dein Sound klingt weder psychedelisch oder episch/
Wenn du dieses Wort nur noch einmal benutzt/
Gibt es Schläge, versteht sich von selbst, erledigt/"
(Marteria auf "Crank Sinatra")
Dass also inhaltlich meistens keine Meisterleistungen geboten werden, war zu erwarten, da dies schlicht und ergreifend nicht der Anspruch der Selfmade-Rapper ist. Doch ein Künstler, der seine eigenen Ansprüche erfüllt, gerade weil diese beinahe nonexistent sind, ist immer noch kein guter Künstler. Außerdem liegt das textliche Niveau noch einmal unter dem von Selfmade gewohnten Standard. Ob man in der Lage ist, mit Hilfe von Doubletimeparts über regelmäßige inhaltliche Tiefpunkte hinwegzusehen, ist wahrscheinlich eine Frage persönlicher Leidensfähigkeit.
Die Instrumentierung ist das wohl größte Manko an "Chronik III", wobei ich ausdrücklich die von Sikk sehr schön und atmosphärisch produzierten Beats ausnehmen möchte. Die übrigen sind viel zu häufig die aus dem Hause Selfmade gewohnten zahnlosen Bretter, die alle mit ihrer Mischung aus leblosen Synthesizer-Spuren, offensichtlich aus der Retorte stammenden Chören und dreckigen Bässen nach irgendwie misslungenen Hymnen klingen. Die Sounds sind weitgehend minimalistisch arrangiert, wobei auf komplexe Harmonien und überhaupt meistens auf prägnante Melodien verzichtet wird. Zum Schluss will "Chronik III" dann einfach nicht zu Ende gehen, während die Konzentration nach einer Stunde Punchline-Dauerfeuer ohnehin drastisch nachlässt. Die letzten Stücke haben den Genussfaktor einer vierstündigen Wagneroper, fühlen sich mindestens genauso lange an und lassen sehnsüchtig an die versprochene "schnelle Lektion" ("Selfmade Legion") zurückdenken.
Fazit:
Ein gutes Dutzend der erfolgreichsten, wenn auch nicht zwangsläufig der talentiertesten, deutschen Rapper bietet einen enttäuschenden Flickenteppich aus für ihre eigenen Verhältnisse mittelmäßigen Tracks auf weitgehend bedauerlich gebauten Instrumentals ohne Biss. Nach dem Prinzip "Quantität vor Qualität" wird das Ergebnis so lange gestreckt, bis man es sich nur mit bewundernswerter Leidensbereitschaft am Stück anhören kann. Einzelne Lichtblicke sind vorhanden, können aber kaum den Eindruck kaschieren, dass man sich hier seine besten Zeilen für zukünftige Projekte aufgespart hat. Natürlich beherrschen alle Protagonisten ihr Handwerk einwandfrei, was technische Fähigkeiten angeht, aber da es sich hier nicht gerade um Deutschlands unbekannteste Rapper handelt, darf man mehr als eine solide Gesamtleistung erwarten und diese wird hier schlichtweg nicht gebracht. Als würdiger Nachfolger von "Chronik II" ist das offensichtlich nicht geeignet. Verkaufen kann sich dieser Label-Sampler dafür sehr gut, womit für Selfmade Records die Rechnung aufgegangen ist. Ein gewisser Max Liebermann blieb mit dem Zitat "Jede Epoche hat [...] auch die Kunst, die sie verdient" im Gedächtnis der Menschheit hängen und wenn dem wirklich so ist, sagt "Chronik III" nicht viel Gutes über unsere Epoche.
(Rogozhin)
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