01. Intro
02. Für ewig
03. Löwenzahn feat. Olexesh
04. Vom Frust der Reichen
05. Astronaut feat. Andreas Bourani
06. Ackan feat. Dillon Cooper
07. Zu wahr
08. Knochen und Fleisch
09. Gürtel am Arm
10. Zuhause ist die Welt noch in Ordnung feat. Adel Tawil
11. Selfie
12. So war das
13. Entspannt feat. Tony D
14. Zu Straße
15. Eier feat. Estikay
16. Kreuzreim Skit
17. BumBidiByeBye feat. Adesse
Es ist ja schon fast ein Running-Gag, dass Sido durch wenig innovative Albem-Namen auffällt und als er mit "VI" sein – Ihr werdet es erraten haben – sechsten Langspieler ankündigte, bewies er damit nach Titel wie "Maske", "Ich" und "Ich und meine Maske" Konsequenz. Auch mit seiner Auswahl der Feature-Gäste demonstrierte der Universal-Künstler sein unnachahmliches Talent, Interpreten zusammenzutrommeln, die man in einer ähnlichen Auflistung wohl nie wieder auf einem Cover finden wird. Damit ragt er angenehm aus dem Deutschrap-Inzest-Feature-Sumpf hervor und sorgt für neues Erbmaterial im Genpool. Was kann man also von einem Sido-Album im Jahre 2015 erwarten, beziehungsweise sich erhoffen? Eingängige Hooks, auf gut produzierten Beats mit einer gehörigen Brise Pop-Appeal. Dazu ein routinierter Altmeister, der mit solidem Flow seinen hauseigenen Humor zelebriert und den ein oder anderen Kalenderspruch aus dem Zauselbart zaubert.
Tedros Teclebrhan, mehr Zumutung als Name, erbt von Kurt Krömer die Rolle als Ringsprecher. Sein Auftritt zum Glück kurz genug, um nicht zu stören, überlässt nach wenigen Sekunden dem ersten Track "Für Ewig" das Rampenlicht. Auf einem klassischen Intro, das von schmetterndem BoomBap untermalt wird, nennt der Maskenmann Orte und Stimmungen, die einladen, seiner Musik zu lauschen. Der Schulterschluss mit der eigenen Hörerschaft gelingt, inhaltlich reißt man gewiss keine Bäume aus, aber der primäre Wusch, das Anheizen, gelingt. Die "Löwenzahn"-Metapher aus dem Kurs Kreatives Schreiben I fördert keine erhellenden Erkenntnisse zu Tage. Die schwierige Jugend, ein Dauerbrenner im Themenfundus des Rappers, erhält lediglich durch den Gastbeitrag von Olexesh etwas Würze und mit "Das Leben ist nicht lustig und nicht weich wie Beton" haben wir zumindest den Januar im Tageplaner besetzt. Eine Bürde stellt hier vermutlich die musikalische Untermalung des pfeifenden Synthesizers dar, dessen episches Arrangement nach Größerem dürstet. "Vom Frust der Reichen" ist in meinen Augen einer der schwächsten Albumtitel: First-World-Problems auf höchsten Niveau sind hier das Thema, aber drei Parts konstruierte Belastungssituation aufzuzählen, ist für mich zu stumpf, um als fundierte Kritik wahrgenommen zu werden.
"Denn Sie würden gerne im Geld baden und dabei Pelz tragen/
Am Wochenende Löwen in der dritten Welt jagen/
Sie wollen Golfen gehen mit Michael und Gabi/
Doch die Schläger passen nicht in den Ferrari/"
(Sido auf "Vom Frust der Reichen")
"Astronaut", im Radio inzwischen totgespielt und der bisher größte Charterfolg des 35-Jährigen, erfüllt im Alleingang den Anspruch nach veritablen Hits. Es ist unmöglich, sich dem Andreas Bourani-Refrain komplett zu entziehen. Der Text mag zwar so seicht sein, dass er für Binnenschifffahrt gesperrt ist, doch die Komposition ist derartig eingängig, dass man hier von einem Prototyp für Mainstream-Rap sprechen kann. Alles andere als ein Wohlfühl-Song ist hingegen "Zu wahr", hier prangert Sido die Schattenseite unseres kapitalistischen Systems an, durchaus angebracht, besonders für einen Mann mit seiner Reichweite. Dass er sich allerdings in der Hook mit der Zeile "Alle kehren es unter den Teppich, doch ich trau mich" als Speerspitze des Widerstands, als Erfinder des kritischen Wortes und politischen Raps inszeniert, stößt mir etwas übel auf.
Der Track "Gürtel am Arm" wirft einige Fragen auf: Steht es nicht inzwischen unter Strafe, seinen lyrischen Sprecher Kevin zu nennen oder wäre es nicht hipper, wenn er beispielsweise von Meth abhängig wäre, statt von dem gar nicht mehr so glänzenden Golden Brown? Die Produktion von Marek Pompetzki, Paul NZA und Cecil Remmler, die sich für einen Großteil der Beats verantwortlich zeigen, ist in dem Heroin-Drama derartig dicht, dass man über die textliche Belanglosigkeiten hinsehen kann. Stimmlich holt Sido hier alles aus sich raus und liefert eine Hook, bei welcher sich der Rezipient fragt, ob es okay ist, einen Text über Drogenmissbrauch derart euphorisch mitzurappen. Durch die Zusammenarbeit mit Tony D versucht sich Sido als Quentin Tarantino: Mit einer ungewöhnlichen Besetzung bringt er die tote Karriere eines ehemals namhaften Akteurs und Weggefährten wieder in Schwung. Die Groteske "Entspannt", in welcher der Damager mit gewohnt wohlklingender Stimme zum Harmonisieren aufruft, gelingt, da der Kontrast zum ruhigeren Albuminterpreten durchaus überzeugt. Der eigene Part von Tony D ist allerdings überflüssig, der ewige Stichwortgeber und Pausenunterhalter schafft es nicht, dem Thema eine weitere Facette zu verleihen. Die minimalistische Instrumentierung ergänzt hier allerdings exzellent den Text, in dem kleinen und größeren Problemen mit Lethargie geantwortet wird.
"Ich hab erst gestern die S-Bahn verpasst/
Zweimal zu spät, mein Chef mahnt mich ab/
Läuft nicht, 'n bisschen Aufbau-Sex bräucht ich jetzt/
Doch ich komm nach Hause und die Frau ist weg/"
(Sido auf "Entspannt")
Am besten ist und war Sido schon immer als Storyteller. Seine Paradedisziplin sind hier nicht tiefschürfende Erzählungen, welche die Weltformel zu entschlüsseln versuchen, sondern triviale, kurzweilige Geschichten, bei welchen er mit seinem Humor punkten kann. Ein solcher Track ist "Selfie", in dem er überspitzt die Probleme eines Prominenten mit aufdringlichen Fans aufgreift. Doch nicht nur der penetrante Souvenirjäger bekommt hier sein Fett weg, der Berliner beweist hier wie gewohnt Selbstironie und mimt den arroganten Star selbst. Der Track "Bilder im Kopf" wirft das Kino mal wieder an: Man sieht einen 35-jährigen, haarigen Mann, der mit einem Fotoalbum auf dem Boden sitzt und versucht, Kindheitserinnerungen in 32 Zeilen zu verpacken. Ach? Der Track heißt "So war das"? Der andere war irgendwie eingängiger.
Fazit:
Etwas überkritisch wirken die vorangegangen Zeilen vielleicht schon, doch einen Sido mit seinem eigenen Selbstverständnis und künstlerischem Anspruch muss man etwas härter anpacken als irgendwelche 0815-Interpreten. An seinen Ambitionen verhebt sich der Berliner gehörig: Um als weltpolitischer Sprecher der Deutschrap-Szene wahrgenommen zu werden, fehlt der Tiefgang hinter seinen Aussagen fast gänzlich. Ihm gelingt es also nicht, neue Erkenntnisse zu vermelden, sondern er handelt nur allgemein verträgliche Schauplätze ab. Man kann den Aussagen kopfnickend zustimmen. Probleme von Reichen sind weniger gravierend als von Armen. Es gibt viel Ungerechtigkeit auf der Welt, doch innovativ ist das nicht. Von den ständigen Rückblicken in seine früheren Tage ist man inzwischen regelrecht genervt, sind doch Titel wie "Selfie", die sich mit der aktuellen Realität auseinandersetzen, deutlich interessanter. Soundtechnisch kann man der Platte hingegen überhaupt nichts vorwerfen: Abwechslungsreich genug, um sich nach einigen Durchläufen nicht komplett abgenutzt zu haben, ohne wirklichen Skip-Track. Zwar fehlen neben "Astronaut" Tracks mit großem Chartpotenzial, doch jeder Titel ist mehr als solide produziert.
(Lennart Gerhardt)
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