Memoiren eines Doktors - Kapitel 9
Noch immer halte ich mich über die Leiche des Mannes gebeugt, den ich mithilfe meines notdürftig zusammen gewerkelten Sprengkörpers ins Jenseits befördert hatte. Vor drei Tagen noch hätten mich die Schuldgefühle nach dieser Tat regelrecht gelähmt. Doch vor drei Tagen hätte ich auch niemals geglaubt, das zu erleben, was ich hier durchmachen musste. Die Arena hat mich verändert. Irgendetwas in mir ist gestorben. Ich bin immer noch in der Lage zu empfinden, das versteht sich von selbst. Aber irgendwie ist es anders. Ich blicke auf diesen leblosen Körper herab und empfinde Nichts für ihn. Ich fühle einfach Nichts. [Moment, ich fühle doch etwas.] Mein Magen knurrt erneut. Ich raffe mich auf und begebe mich zurück zum Baum, unter dem ich mein Lager aufgeschlagen hatte. Das darunter brutzelnde Waschbärenfleisch duftet ausgesprochen köstlich, nachdem ich in den letzten Tagen Nichts als einen Beutel voll Beeren zu essen bekam. Und sehr knusprig sieht es inzwischen auch aus. Ich hätte niemals erwartet, dass ich einen Waschbären essen würde, aber besondere Umstände fordern besonderes Handeln. Und ich muss gestehen, dass er überraschend gut schmeckt.
Vollgegessen lehne ich mich gemütlich an den Baum und streichle mir genüsslich den Bauch. "Das war lecker!" Ich bin kurz vorm Einschlafen als ich einen lauten Knall vernehme. Und dann noch einen und noch einen. Danach dringt weit entfernt lautes Geschrei aus dem Wald. Ich richte mich auf und wandere zur Spitze des Hügels. Viel kann ich nicht erkennen, da die Bäume sich immer noch erhaben über meiner Position befinden. Aber in der Dämmerung kann ich erkennen, dass in verschiedenen Richtungen des Walds Rauch aufsteigt. 'Der Wald brennt. Überall ist Feuer.'
Instinktiv flüchte ich mich zum Bach. Noch ist das Feuer nicht hier. Der Bach ist - mit Ausnahme weniger Stellen - hier nicht besonders tief, aber ausgesprochen breit. Ich überlege eine Weile und eile letztendlich zum Bach. Wo sonst bin ich so sicher, wenn das Feuer naht? Ich bleibe aufrecht stehen, um den Überblick zu behalten. Das Feuer nähert sich tatsächlich. Mit jeder Minute werde ich nervöser. Ich schaue mich um, aber der Rauch kommt aus allen Richtungen. Direkt über mir ist es derweil dunkel geworden und doch ist hier Alles taghell. Keine Fluchtroute. Ich muss hier ausharren und mir etwas überlegen. Ich setze mich und bin etwa hüfttief von Wasser umschlossen. Ich hoffe, das reicht aus. Das Feuer nähert sich weiter - in einem unfassbaren Tempo. Da fällt mir eins ein - ich bin schutzlos. Mein Speer liegt noch etwa dreißig Meter von mir entfernt am Lagerplatz. Das Feuer erreicht den Waldrand, aber das schaffe ich noch. Ich will aufstehen und kniee bereits, als ich von hinten hektisches Plätschern höre und umgestoßen werde.
In dem Moment beugt sich auch schon jemand über mich und wendet offensichtlich all seine Kraft auf, um meinen Kopf unter Wasser zu drücken. Das Wasser war nicht sehr tief und die Steine am Grund des Baches schmerzten weit mehr in meinem Gesicht als der druckvolle Griff in meinem Nacken. Doch allmählich geht mir die Luft aus. Hektisch schlage ich um mich, doch bekomme niemanden zu fassen. Mit letzter Luft bekomme ich einen Stein in die Finger und schlage im Affekt hinter mich. Der Griff löst sich und was auch immer sich noch eben auf meinen Rücken stemmte, bin ich erst einmal los. Ich stütze mich auf und schnappe einen Moment nach Luft. Dann drehe ich mich um und erkenne diese hässliche Ausgeburt von Babsis Lakaien vor mir. Ich scheine ihn mit dem Stein am Kopf getroffen zu haben, denn er blutet ziemlich stark und hält sich die Stirn. Der Kerl ist stark, aber ich bin gerissen. Ich will zu meinem Lager laufen, um meinen Speer zu holen oder zumindest die zweite Granate zu entfachen. Ruckartig springe ich auf und will loslaufen, als ich am Bein gepackt werde. Ich trete mit aller Macht nach dem Ungetüm - wieder und wieder - und schließlich kippt er rückwärts über. Auch ich falle erneut hin, doch springe rasch wieder auf, um an meine Waffen zu gelangen. Doch dieses Biest ist leider ebenso schnell und zerrt mich am Kragen zurück in den Bach.
Überall fliegen kleine glimmende Ascheteilchen herum. Selbst der letzte Baum am Waldrand hat jetzt Feuer gefangen und im Zentrum dieser riesigen Feuerwand kämpfe ich um mein Leben. Von hinten umschlingen mich sein Arme und drücken mir meine Kehle mit immer weiter steigendem Druck zu, doch mit einem geschickt getimeten Sprung bringe ich den Wahnsinnigen aus der Balance und wir geraten beide ins Schlingern. Wir stürzen. Er landet direkt im Bach und sein Griff löst sich. Blitzschnell rolle ich mich von ihm herunter und stürze mich auf ihn. Doch ebenso schnell fangen mich seine Beine ab und schleudern mich mit einem kräftigen Ruck in den Bach zurück. Er agiert zu schnell als dass ich mich wieder aufraffen könnte und so umschließen seine dürren, aber erstaunlich kräftigen Finger meine Gurgel. Ich drückt zu - fester und fester. Ich schlage wild um mich und zappele mit den Beinen, aber Nichts hilft. Es ist aussichtslos. Ich werde immer schwächer. Ich will um Hilfe schreien, aber kann nicht. Ich kann spüren wie sich meine Lunge immer weiter mit Wasser füllt und letzten Endes - gebe ich nach.
Ein letzter Gedanke kursiert mir noch im Kopf herum. Ich denke an meine Familie zurück. Mit letzter Kraft hebe ich meinen rechten Arm - und strecke meinen Mittelfinger aus. "Ich hoffe, Ihr könnt das gerade sehen. Ich hoffe, Ihr seht genau dabei zu. Das ist Eure Schuld. Ihr habt mir das angetan..."
Dann wird es schwarz...
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Auf der ersten Seite ist noch eine Widmung zu finden:
"An meinen guten Freund Marty,
wenn Du das liest, weile ich vermutlich nicht mehr unter Euch. Ich will aber, dass Du weißt, dass Du mir immer der Sohn warst, den ich mir gewünscht habe. Nicht der, den ich hatte. Du warst mir näher als jedes meiner Familienmitglieder. Deshalb sollen meine letzten Worte an Dich gerichtet sein. Bitte mach' etwas aus Deinem Leben. Gründe eine Familie und kümmere Dich gut um sie. Ich werde Dich immer in guter Erinnerung behalten.
In Liebe,
Dein Freund
Emmett Brown"
Diese Worte zieren die Innenseite des Einbands. Die letzten Seiten dieser Memoiren jedoch bleiben für immer leer...