Ändern sich die Menschen oder bleiben sie so wie sie sind?

  • Ich glaub du zäumst da das Pferd von hinten auf.


    Dass es bestimmte konstante Bedürfnisse im Menschen von Natur aus gibt, ist klar.


    Alle Menschen haben das Bedürfniss nach Nahrung und Schlaf beispielsweise. Die Frage, die du hier offenbar vertiefen willst ist ob es auch von Natur aus ein Bedürfnis nach Macht gibt, oder?


    Meine banale Antwort: Ja, gibt es. Macht bedeutet ja nichts anderes als die Möglichkeit das kriegen zu können was man will.


    Aber sowohl die Art wie Macht erlangt und aufrechterhalten wird (ob durch Gewalt, emotionale Manipulation, rhetorisches Geschick oder intelligente Argumente) als auch deren endgültiger Zweck (In Sicherheit leben zu können, Ruhm oder ein Leben im Paradies) unterscheiden sich von Person zu Person und von Gesellschaft zu Gesellschaft.


    Ob diese endgültigen Ziele jetzt auf einen freien Willen zurückgehen oder nicht, ist nicht relevant für die Frage ob sie sich ändern.

  • Ob diese endgültigen Ziele jetzt auf einen freien Willen zurückgehen oder nicht, ist nicht relevant für die Frage ob sie sich ändern.


    Ich versuch es mal ganz platt auszudrücken: Es geht nicht um Veränderungen an sich, sondern ob sich Elementares oder das Wesen sich verändernder Dinge wandelt. Insofern ist es relevant, ob freier Wille da mitspielt oder nicht, weil freier Wille nicht erlaubt die scheinbar elementaren Dinge in Frage zu stellen.


  • Meine banale Antwort: Ja, gibt es. Macht bedeutet ja nichts anderes als die Möglichkeit das kriegen zu können was man will.


    Das ist schon eine merkwürdige Definition von Macht und ich glaube wir reden hier von der normalen Definition. Deine Art von Macht kann ganz ohne Hierarchie existieren.

  • Das ist schon eine merkwürdige Definition von Macht und ich glaube wir reden hier von der normalen Definition. Deine Art von Macht kann ganz ohne Hierarchie existieren.


    Ein Autor hat die Macht die Welt durch seine Schriften zu verändern. Aktivisten haben die Macht durch demonstrieren andere zum Umdenken zu bewegen. Verbrecher haben die Macht mir mein Handy zu stehlen.


    Das scheint mir so ziemlich die normale Definition von Macht zu sein. Und du hast recht, dafür braucht man keine Hierarchie. In einer Hierarchie haben manche mehr Macht als andere, aber Macht hat trotzdem jeder.
    [MENTION=488629]Fiber[/MENTION]... Was ist denn für dich "das Wesen sich verändernder Dinge"?


  • [MENTION=488629]Fiber[/MENTION]... Was ist denn für dich "das Wesen sich verändernder Dinge"?


    Mein Standpunkt ist ja gerade, dass es sowas nicht gibt, sondern nur metaphysische Phrasendrescherei ist. Nylo meint mit Konstanten doch nicht, dass Gewalt oder Unterdrückung zu jeder Zeit in jeder Gesellschaft quantitativ gleich war und das nicht zumindest in einem gewissen Rahmen beeinflussbar ist. Er ist ja nicht dumm und wenn das so einfach wäre, wäre der Thread gar nicht erst zustande gekommen. Er redet von etwas wesentlich Abstrakterem.

  • Bis du mit Engels um die Ecke gekommen bist, gings hier eigentlich nicht um wesentlich Abstrakteres.


    Dann lies nochmal die (zweit)letzte Frage im Startpost und überleg inwiefern das mit dem Engelszitat zusammenhängt.


  • Inwiefern? Konstruktivismus ist für mich ein Teil des philosophischen Idealismus. Der Idealismus besagt, dass die Realität erst durch den Geist und das Bewusstsein erfahrbar wird, also subjektiv und damit konstruiert ist.


    Idealismus besagt, dass die Realität vom Bewusstsein bestimmt wird. Konstruktivismus besagt, dass die Wirklichkeit vom Bewusstsein bestimmt wird. Die meisten Konstruktivistischen Ansätze sind Materialistischer Natur.

  • Idealismus besagt, dass die Realität vom Bewusstsein bestimmt wird. Konstruktivismus besagt, dass die Wirklichkeit vom Bewusstsein bestimmt wird. Die meisten Konstruktivistischen Ansätze sind Materialistischer Natur.


    Wenn du damit die Unterscheidung zwischen objektiver Realität und subjektiver Wirklichkeit meinst dann spreche ich von Konstruktivismus. Der sozusagen absoluten Idealismus den ich hier versucht habe zu skizzieren kennt keine Realität sondern nur Wirklichkeit bzw. ist Realität wenn sie existent ist schlicht nicht relevant, da sie für den Menschen nicht erfassbar ist. Inwieweit kann objektive Realität denn von dem Bewusstsein bestimmt werden?
    Aber trotzdem wäre doch beide Begriffe nicht gegensätzlich, in der Definition erscheint Idealismus eher als die Steigerung von Konstruktivismus.


    Inwiefern sind konstruktivistische Ansätze denn materialistischer Natur? Der Konstruktivismus doch grade eine Kritik des Materialismus



    Ein Autor hat die Macht die Welt durch seine Schriften zu verändern. Aktivisten haben die Macht durch demonstrieren andere zum Umdenken zu bewegen. Verbrecher haben die Macht mir mein Handy zu stehlen.


    Der Autor hätte nur dann diese Macht, wenn er genügend Leser hätte, die seine Texte lesen, verstehen und aneignen. Die Aktivisten hätten die Macht nur dann, wenn ihnen ihre Demonstration staatlich gestattet, wenn sie medial verbreitet und wenn ihre Botschaft ankommen würde und Verbrecher haben die Macht auch nur in gewissen Situationen unter bestimmten Bedingungen, wenn sie eine Gelegenheit zum Raub haben, wenn keine Polizei in der Nähe ist usw.
    Das funktioniert nur im sozialen Kontext und da auch nur über Hierarchie. Macht bedeutet "Macht über" jemanden oder etwas.

  • Wenn du damit die Unterscheidung zwischen objektiver Realität und subjektiver Wirklichkeit meinst dann spreche ich von Konstruktivismus. Der sozusagen absoluten Idealismus den ich hier versucht habe zu skizzieren kennt keine Realität sondern nur Wirklichkeit bzw. ist Realität wenn sie existent ist schlicht nicht relevant, da sie für den Menschen nicht erfassbar ist. Inwieweit kann objektive Realität denn von dem Bewusstsein bestimmt werden?
    Aber trotzdem wäre doch beide Begriffe nicht gegensätzlich, in der Definition erscheint Idealismus eher als die Steigerung von Konstruktivismus.


    Inwiefern sind konstruktivistische Ansätze denn materialistischer Natur? Der Konstruktivismus doch grade eine Kritik des Materialismus


    Objektive Realität kann vom Bewusstsein bestimmt werden, in dem man z.B. davon ausgeht, dass es soetwas wie "Seele" oder allgemein eine "ideele Substanz" gebe. Auch Vorstellungen von Gott und Jenseits sind Idealismus.


    Der Konstruktivismus ist da keine Metaphysik (die ich im Gegensatz zu Fiber übrigens nicht sinnlos finde), sondern Erkenntnistheorie. Ausgehend von einem monistischen Weltbild (sprich: Es gibt nur Materie/klassischer Materialismus) wäre das die Darstellung eines biologischen Reiz-Reaktions-Schemas über die Wahrnehmung von Reizen a la Licht, mechanischen Impulsen etc. die unser Gehirn dann auf komplexe, neuronale Weise in ein Gesamtbild auf unsere Großhirnrinde projiziert.
    Also - beide Strömungen sind natürlich vereinbar, aber es ist weder nötig noch ratsam in einer Diskussion beides gleichzusetzen.

  • Zitat

    Der Autor hätte nur dann diese Macht, wenn er genügend Leser hätte, die seine Texte lesen, verstehen und aneignen. Die Aktivisten hätten die Macht nur dann, wenn ihnen ihre Demonstration staatlich gestattet, wenn sie medial verbreitet und wenn ihre Botschaft ankommen würde und Verbrecher haben die Macht auch nur in gewissen Situationen unter bestimmten Bedingungen, wenn sie eine Gelegenheit zum Raub haben, wenn keine Polizei in der Nähe ist usw.
    Das funktioniert nur im sozialen Kontext und da auch nur über Hierarchie. Macht bedeutet "Macht über" jemanden oder etwas.


    Du denkst also es gibt eine magische Grenze an Lesern, die ein Autor überschreiten muss, damit sein Einfluss als Macht bezeichnen werden kann?


    Wieso? Was ist dein Kriterium für diese Unterscheidung?

  • Du denkst also es gibt eine magische Grenze an Lesern, die ein Autor überschreiten muss, damit sein Einfluss als Macht bezeichnen werden kann?
    Wieso? Was ist dein Kriterium für diese Unterscheidung?


    Nein das nicht. Es geht nur darum, dass auch auf der "untersten" Ebene schon eine Form von Hierarchie auftritt.
    Ein Autor, selbst wenn er wenig Leser hat, übt gewissermaßen Macht auf diese aus und beeinflusst ihr Denken (in deinem Beispiel). Das heißt sie sind passive Empfänger seiner Gedanken, sie haben nicht soviel Einfluss auf ihn, wie er auf sie. Er hat damit mehr Macht als sie, in diesem Sinne, deshalb kann man auch hier schon eine Hierarchie erkennen (also ein Machtungleichgewicht).


    Es kann z.B. ja auch den umgekehrten Fall geben, dass ein Autorso pleite ist, dass er mit seinen Büchern unbedingt Geld machen, sie also verkaufen muss. In diesem Fall hätten eher die Leser Macht über den Autor, da sie im Extremfall sogar bestimmen können, was er schreiben soll. Wenn ein solches Verhältnis eintritt könnte der Autor aber mit seinen Schriften nicht mehr die Welt verändern, da er abhängig von seinen Lesern geworden ist, das Machtverhältnis, also die Hierarchie hätte sich verschoben.



    Objektive Realität kann vom Bewusstsein bestimmt werden, in dem man z.B. davon ausgeht, dass es soetwas wie "Seele" oder allgemein eine "ideele Substanz" gebe. Auch Vorstellungen von Gott und Jenseits sind Idealismus.


    Aber wie kann objektive Realität von einem Bewusstsein bestimmt werden, das doch selbst subjektiv ist? Beim Idealismus denke ich z.B. an Kant, nach dem wir keinen unmittelbaren Zugriff haben auf das "Ding an sich" der objektiven Realität. Diese ist also für uns nicht erfassbar, das was wir erkennen ist jeweils nur subjektive Wirklichkeit.
    Und grade bei Vorstellungen über Gott oder Jenseits können diese doch nie objektiv sein, sondern immer nur subjektiv oder?



    Der Konstruktivismus ist da keine Metaphysik (die ich im Gegensatz zu Fiber übrigens nicht sinnlos finde), sondern Erkenntnistheorie. Ausgehend von einem monistischen Weltbild (sprich: Es gibt nur Materie/klassischer Materialismus) wäre das die Darstellung eines biologischen Reiz-Reaktions-Schemas über die Wahrnehmung von Reizen a la Licht, mechanischen Impulsen etc. die unser Gehirn dann auf komplexe, neuronale Weise in ein Gesamtbild auf unsere Großhirnrinde projiziert.


    Genau Konstruktivismus ist Erkenntnistheorie und keine Metaphysik. Aber die Darstellung eines biologischen Reiz-Reaktions Schemas usw. ist doch grade der Materialismus / Realismus, der dem Konstruktivismus entgegensteht, also zumindest den fundamentalen Konstruktivismus oder? Dieser kritisiert doch grade diesen Realismus.
    Viele konstruktivistische Erkenntnistheorien beziehen sich ja vor allem auf die Wahrheit von Sprache und Zeichen und beschäftigen sich mit der "realen" Welt nur sekundär, aber auch deshalb sind die doch grade nicht-materialistisch.


  • Aber wie kann objektive Realität von einem Bewusstsein bestimmt werden, das doch selbst subjektiv ist? Beim Idealismus denke ich z.B. an Kant, nach dem wir keinen unmittelbaren Zugriff haben auf das "Ding an sich" der objektiven Realität. Diese ist also für uns nicht erfassbar, das was wir erkennen ist jeweils nur subjektive Wirklichkeit.
    Und grade bei Vorstellungen über Gott oder Jenseits können diese doch nie objektiv sein, sondern immer nur subjektiv oder?


    Ich hab nicht gesagt, dass man beides nicht irgendwie kombinieren kann. Aber Kant zum Beispiel ging davon aus, dass es objektive, reale Moralvorschriften gibt, an die man sich immer zu halten hat. Er hat sogar welche benannt. JustKantThings.



    Genau Konstruktivismus ist Erkenntnistheorie und keine Metaphysik. Aber die Darstellung eines biologischen Reiz-Reaktions Schemas usw. ist doch grade der Materialismus / Realismus, der dem Konstruktivismus entgegensteht, also zumindest den fundamentalen Konstruktivismus oder? Dieser kritisiert doch grade diesen Realismus.
    Viele konstruktivistische Erkenntnistheorien beziehen sich ja vor allem auf die Wahrheit von Sprache und Zeichen und beschäftigen sich mit der "realen" Welt nur sekundär, aber auch deshalb sind die doch grade nicht-materialistisch.


    Wenn du von einem radikalen Konstruktivismus a la Gabriel sprichst, meinetwegen. Aber der häufigste Vertretene ist eben der gemäßigte, manchmal auch Erlangener Konstruktivismus genannt. Es gibt eine Form von Realität, aber wir haben keinen unmittelbaren Zugriff auf sie. Konstruktivismus ist eine Gegenposition zum naiven Realismus, nicht zum Realismus an sich.

  • Nein das nicht. Es geht nur darum, dass auch auf der "untersten" Ebene schon eine Form von Hierarchie auftritt.
    Ein Autor, selbst wenn er wenig Leser hat, übt gewissermaßen Macht auf diese aus und beeinflusst ihr Denken (in deinem Beispiel). Das heißt sie sind passive Empfänger seiner Gedanken, sie haben nicht soviel Einfluss auf ihn, wie er auf sie. Er hat damit mehr Macht als sie, in diesem Sinne, deshalb kann man auch hier schon eine Hierarchie erkennen (also ein Machtungleichgewicht).


    Wenn man es auf den Kontext beschränkt, dann ja. Es gibt bei jedem Machtverhältnis eine gewisse Hierarchie. Das Ziel von linksgerichteter Politik ist ja diese Hierarchien möglichst flach zu halten, während Rechte eine steile Hierarchie wünschen.


    Ich persönlich würd mich irgendwo in der Mitte sehen. Machtunterschiede wird es allein schon aufgrund von unterschiedlichen Fähigkeiten, Zielen und dem guten alten Zufall in einem freien System immer geben und das ist auch nicht schlimm. Wünschenswert sind sie aber ebenfalls nicht und ein Mindestmaß an Macht sollte jedem zustehen.

  • Aber Kant zum Beispiel ging davon aus, dass es objektive, reale Moralvorschriften gibt, an die man sich immer zu halten hat. Er hat sogar welche benannt.
    Aber der häufigste Vertretene ist eben der gemäßigte, manchmal auch Erlangener Konstruktivismus genannt. Es gibt eine Form von Realität, aber wir haben keinen unmittelbaren Zugriff auf sie. Konstruktivismus ist eine Gegenposition zum naiven Realismus, nicht zum Realismus an sich.


    Ok aber ich hätte angenommen, dass sich objektive Moralvorschriften trotzdem nicht auf die "Welt" also im Sinne einer objektiven Realität (ala Materialismus) beziehen, sie sind ja keine "Dinge", sondern Prinzipien der Vernunft. Auf die kann man dann durch Nutzung der Vernunft zwar kommen und sie auch universalisieren also gewissermaßen objektiv setzen aber dadurch beziehen sie sich ja trotzdem nicht auf die materielle Welt oder?


    Ja bei dem gemäßigten Konstruktivismus habe ich nicht so wirklich den Überblick, weil es da so viele Unterschulen und Richtungen gibt, aber er bezieht sich ja vor allem auf Sprache, Texte, Diskurse usw. oder? Das wären dann aber keine Bestandteile der realen materialien Welt sondern menschliche Sinnsysteme, also selber gesellschaftliche "Konstrukte"
    Oder wie stünde der gemäßigte Konstruktivismus zu der Möglichkeit einer Erkenntnis der realen / materialen Welt? würde mich interessieren...


    Diese Zwischenpositionen sind m.E. nach ohnehin die einzig sinnvoll vertretbaren...man könnte dann ja annehmen, dass sich gemäßigter Realismus und gemäßigter Konstruktivismus irgendwo in der Mitte sehr nahe kommen müssten


    by the way: Ist Gabriel denn radikaler Konstruktivist? Er sagt ja "nur" dass es den großen Gesamtzusammenhang im Sinne einer "Welt" nicht gibt, alle Bestandteile einzelner Sinnsysteme aber schon und man für die Frage nach Existenz immer die Frage der Verortung stellen müsse. Hab sein Buch aber noch nicht gelesen, weiß auch nicht ob ich seine Argumente sinnvoll finde



    Ich persönlich würd mich irgendwo in der Mitte sehen. Machtunterschiede wird es allein schon aufgrund von unterschiedlichen Fähigkeiten, Zielen und dem guten alten Zufall in einem freien System immer geben und das ist auch nicht schlimm. Wünschenswert sind sie aber ebenfalls nicht und ein Mindestmaß an Macht sollte jedem zustehen.


    Jo, gibt ja manche die sagen, dass ein "guter Diktator" oder "guter König" rein theoretisch die beste Form der Regierung wäre, weil er die Macht hätte, seine Pläne auch durchzusetzen und eben nicht eigensinnig handeln würde. Aber die Gegenposition ist, dass Macht den Menschen grundsätzlich schlecht macht, also ihn verleitet, genau das zu tun. Der "gute König" wäre also ein Paradoxon...

  • Aber woran misst du die praktische Relevanz? An den gesellschaftlichen Verhältnissen, der subjektiven Entscheidung und der Geschichte: diese scheinbar feste und unveränderbare "praktische Relevanz", d.h. genau die Fragen, die wir uns selbst im praktischen Leben stellen sind subjektiv und keine absoluten Größen.


    Vor 1000 Jahren wäre eine Ethik universeller Menschenrechte absolut ohne praktische Relevanz gewesen, da sie keinen Bezug zur Realität hat, da die Menschheit als Gesamtheit gar nicht erfassbar war. Mit der Moderne wurde sie jedoch durchaus relevant. Auf der anderen Seite spielen heute philosophische Fragen nach Gott oder einer höheren Instanz eher eine geringere Rolle, während das im Mittelalter anders war.


    Was ich sagen will: Wie kannst du (oder irgendwer) darüber urteilen, ob eine Philosophie von praktischer Relevanz ist? Du kannst diese Relevanz nur aus deiner subjektiven Perspektive heraus beurteilen und bist daher (wie ich und jeder andere Mensch auch) notwendigerweise in deinem Urteil eingeschränkt. Es ist diese Einschränkung des Urteils, die ich versuche dir klarzumachen: Ich plädiere also für mehr Bescheidenheit!
    Das Gesetz, das Massen sich gegenseitig anziehen und die Thermodynamik ist heute ein selbstverständliches Wissen, war aber vor 200 Jahren noch völlig unbekannt. Woher sollen wir wissen, welche Leitsätze und "unveränderliche" Wahrheiten in 200 Jahren existent sind?


    Dass es über die Menschheitsgeschichte hinweg unterschiedliche "Wissenschaften" gegeben hat, bestätigt den Materialismus eher, als dass es ihn in Frage stellt. Aber gerade deswegen ist das keine subjektive Perspektive, sondern eine zwar individuelle Abstraktion, die jedoch aus einer objektiven Realität gezogen wurde. Wie ich bereits sagte, gibt es Dinge, auf die wir keinen Einfluss haben, sondern die außer uns existieren. Beispielsweise hatte die Philosophie in vielen Epochen den Anspruch auf Wissenschaftlichkeit, selbst die Metaphysik in der Antike oder der deutsche Idealismus. Weder Marx noch ich sagen, dass die Philosophie nicht ihre Daseinsberechtigung hatte und sie zu nichts zu gebrauchen war - sie ist schlichtweg überholt, deswegen muss sie zwar negiert, aber nicht verachtet werden. Sieh mal, ich hab doch nicht zu entscheiden, was wissenschaftlich ist und was praktische Relevanz besitzt, das tue ich doch auch gar nicht. Hier liegt der Knackpunkt und das meine ich damit, dass man sich den Materialismus nicht einfach aussucht, er ist ein historisches Ergebnis, welches dazu imstande ist, das zu erklären, was wir zu erklären haben. Nicht ich suche mir aus, womit wir in der Praxis konfrontiert werden, diese Konfrontation ist bereits gegeben, außerhalb von uns und unserem Bewusstsein. Nehmen wir doch wieder das Beispiel mit der Brücke, du selbst zweifelst auch nicht erst die Methodik des Architekten an und befürchtest, dass er vollkommen falsch liegt, weil die Auffassung von Physik sich in 2000 Jahren ändern könnte. Die Sache ist ganz einfach, dass es funktioniert! Wie sich die Wissenschaft im Laufe der nächsten Jahrhunderte verändern wird, ist eine scholastische Frage, Wahrheit oder Wissenschaftlichkeit müssen durch die Praxis bestätigt werden. Ich widerspreche dir doch nicht in dem Punkt, dass sich Wissenschaft vollkommen ändern könnte, selbst wenn ich fundamentale Unterschiede für unwahrscheinlich halte, auch in dem Punkt werde ich dir nicht widersprechen. Und zwar nicht, weil ich dann den Materialismus anzweifeln müsste, sondern weil das kein wirkliches Argument ist - Prophezeiungen fernliegender, zukünftiger Ereignisse sind für die Diskussion nicht relevant, wenn du mir diese neue, bessere wissenschaftliche Methodik nicht jetzt sofort anführst. Denn solange du das nicht tust, gibt es keinen Grund bescheiden zu sein, was das betrifft, und mich somit in der Erfassung der Welt einzuschränken.


    Zitat

    Ich würde hier sagen: Es gibt keine objektive Wahrheit, sondern für den einen Betrachter sind dort drei, für den anderen Betrachter vier. Beide Wahrheiten sind richtig, aber es sind keine objektiven Wahrheiten.


    "Man könnte daraus schlussfolgern: Jede Meinung ist subjektiv, keiner kann die Wahrheit kennen. Wer das dann behauptet, widerspricht sich damit aber selbst. Die beiden Blickwinkel scheinen gegensätzlich zu sein, aber gerade deswegen hilft uns da ein bisschen Dialektik weiter: Die objektive Wahrheit liegt darin, dass beide sich widersprechende Aussagen richtig sind, deren Gegensatz durch die optische Täuschung zusammengehalten wird. Warum ich das als Wahrheit behaupten kann? Im Endeffekt kann sich jeder selbst bestätigen, denn ohne diese Wahrheit zu kennen, würde man die Karikatur gar nicht erst verstehen - und darum geht es, um Verständnis."
    Die Behauptung, dass dort drei Balken liegen, und die Behauptung, dass dort vier liegen, sind beide subjektive Wahrheiten, das ist schon richtig. Aber warum sind es nur subjektive Wahrheiten? Weil es bornierte Blickwinkel sind, die nicht erkennen, dass die gegenüberliegende Meinung genauso richtig sind, wie die eigene. Die "höhere" Wahrheit akzeptiert diese scheinbare Unmöglichkeit und begründet dies mit der optischen Täuschung. Dass du erkennst, dass beide Blickwinkel wahr sind, ist die Erkenntnis einer anderen Wahrheit, welche die subjektiven Auffassungen der Figuren nichtig macht und in den Schatten stellt. Ob die Figuren dazu imstande sind, diese Wahrheit zu erlangen, steht außer Frage - Tatsache ist jedoch, dass sie existiert.


    Zitat

    Was ich versuche zu sagen ist, dass der Idealismus als Philosophie einfach andere Fragen stellt, als der Materialismus. Fragen, die ich für wichtig halte und die den Materialismus ergänzen sollen und können.


    Der Idealismus stellt nur deshalb andere Fragen, weil genau diese vom Materialismus negiert werden. Es geht mal wieder um die praktische Relevanz. Angenommen Hegel wäre auf der richtigen Spur mit dem Weltgeist - wen zur Hölle interessiert das? Sowas liegt außerhalb unseres Anwendungsbereiches. Steht ja oben nochmal genauer.


    Zitat

    Warum sollte ich das nicht tun können und warum solltest du das nicht tun können? Du könntest morgen nackt shoppen gehen und dich komplett anders einkleiden und fortan vegan leben. Menschen treffen diese Entscheidungen.
    Ob sie das aus freiem Willen tun, das ist natürlich nicht beweisbar. Man kann argumentieren, dass sie es aufgrund ihrer Umwelteinflüsse tun, oder dass sie tatsächlich frei sind.


    Ja, wir könnten es tun, aber warum würden wir das überhaupt? Darum geht es doch. Geh doch mal auf meine Argumente ein, anstatt zu behaupten das sei "natürlich nicht beweisbar". Zum freien Willen habe ich mich bereits geäußert, du argumentierst nicht, sondern weichst aus, indem du meine Thesen zwar nicht akzeptierst, aber sie bis jetzt auch nicht in Frage gestellt hast. Ich sage doch nichts dagegen, wenn man anderer Meinung ist und grundsätzlich alles anzweifelt, aber wenn der Zweck Bescheidenheit ist und nicht Erkenntnis oder Synthese, dann bringt das hier alles nichts. Du wirst aus mir keinen Relativisten machen, du hättest aber eine potenzielle Chance mich idealistisch zu prägen, aber du nutzt sie nicht.
    Nochmal zum freien Willen: "[D]as Hauptproblem des Idealismus ist, dass er eine unfundierte Prämisse setzt, nämlich dass das Selbstbewusstsein schon vor der Materie da ist. Sobald man fragt, woher das Selbstbewusstsein kommt, fällt das gesamte idealistische Konstrukt zusammen und gegebenenfalls weicht man mit Metaphysik aus. Es gibt so wenig Anlass das Bewusstsein vorauszusetzen, wie einen Gott vorauszusetzen; die wissenschaftlichen Erkenntnisse lassen uns eher das Gegenteil vermuten. [...] Es gibt zwar Willen und Entscheidungen, aber nicht in dem Sinne, wie es der Idealismus voraussetzt. Materialisten rechtfertigen keine Staatspropaganda oder Unterdrückung. Es geht darum, dass das, was wir als Wille und Entscheidungen bezeichnen, nicht wiederum unserem Willen und unseren Entscheidungen entspringt, weil es schlichtweg nicht möglich ist - wir würden eine endlose Kette von unseren Entscheidungen denken und nie einen endgültigen Ursprung finden. Umgekehrt aber erscheint es dann ziemlich sinnvoll, dass wir nicht geldgierig sein können, ohne dass wir Geld und seine praktischen Funktionen kennen. Es gibt doch diesen schönen Satz: Wir können tun, was wir wollen, aber nicht entscheiden, was wir wollen."
    Wir haben einen Willen und treffen nach ihm Entscheidungen, aber wir treffen sie nicht unter selbst ausgewählten Prämissen, sondern unter bereits gegebenen, in die wir hineingeboren sind. Ich frage mal etwas direkter: Wann hast du dir dein Selbstbewusstsein das letzte Mal ausgesucht und vor allem: nach welchen Maßstäben bist du da vorgegangen?


    Zitat

    Gibt es für dich wirklich kein Beispiel, wo du begründet sagen könntest, dass etwas "gut" oder "schlecht", "richtig" oder "falsch" ist? Irgendwie kann ich das nicht glauben. Das hat ja nichts damit zu tun, dass du "moralisch" begründest, aber jeder politische Mensch folgt doch einer Ethik oder?


    "Ich hab auch Moral und im Kommunismus wird es wahrscheinlich ebenfalls Moral geben, aber das verfehlt den Kern der Sache. Es geht darum, dass, weil moralische Argumente idealistisch bzw. ideologisch sind, da Moral selbst von Umweltfaktoren abhängig ist, hat sowas in einer wissenschaftlichen Argumentation nichts zu suchen." Ich habe Moral, aber ich greife nicht auf moralische Argumente zurück. Welche Schlüsse man aus meinen Thesen zieht, soll jeder selbst entscheiden. Es geht nur noch darum Partei zu ergreifen und welche Seite man sich aussucht, kann der Materialismus nicht vorschreiben - aber er kann erklären, weshalb man sich für eine Seite entscheidet.


    Zitat

    Sonst landet man irgendwann doch im Nihilismus.


    Was hat das denn mit Nihilismus zu tun? Wissenschaft ist das genaue Gegenteil davon, weil sie sich mit greifbaren, für uns relevanten Dingen beschäftigt.


    Zitat

    Aber es geht nicht um Rechtfertigung. Im Gegenteil. Rechtfertigung ist nämlich bereits ethisch, weil sie versucht, etwas als "gut" oder "richtig" zu erklären. Natürlich tut der Materialismus das nicht. Mein Problem damit ist eher, dass er eben den Menschen von der Verantwortung für sein Handeln entbindet. Aber ich denke das ist auch hier das gleiche Problem: Wenn der Mensch keinen freien Willen hat, dann kann er natürlich auch nicht für Verbrechen verantwortlich sein. Wenn alles das Ergebnis von Umweltfaktoren ist, dann gibt es keinen Willen, keine Ethik, keine Moral. [...] Wenn der Mensch aber nicht als Subjekt existiert ist es doch völlig egal, welcher politischen Richtung man folgt, man kann genausogut Nazi wie Kommunist, Rassist wie Kreationist sein, denn all das ändert schließlich nichts an den Verhältnissen.


    Das ist doch genau das, was ich angesprochen habe. Wie kannst du zugeben, dass es mit Rechtfertigung nichts zu tun hat, und im gleichen Atemzug schlussfolgern, dass man für Verbrechen nicht verantwortlich sein kann oder "es doch völlig egal" sei, ob man Faschist oder Kommunist ist? Denn wenn das egal ist, handelt es sich um eine Rechtfertigung. Aber das beabsichtigt Materialismus doch gar nicht, egal ob du das als Rechtfertigung auffasst oder es "aus der Verantwortung ziehen" nennst. Wille, Ethik und Moral sind existent, das wird nirgendwo bestritten. "[N]ur ein Idiot würde den Holocaust rechtfertigen und nur ein herzloser Bastard würde nicht das Geringste dabei empfinden. Ich muss mich erneut wiederholen: Es geht beim Materialismus nicht um Rechtfertigung oder darum, Verantwortung zu negieren. Es geht um die reine Erkenntnis, dass weder die arische Genetik, noch Hitlers Seele von Grund auf "böse" ist. Und der Schluss, den wir daraus ziehen, ist ein ganz anderer als Revisionismus oder Vergebung, es geht um etwas viel Wichtigeres. Anzuerkennen, dass Menschen nicht in dem Sinne Herr ihrer Selbst sind, dass sie sich ihren Willen selbst aussuchen können, heißt nicht zu fordern, dass man jegliche Handlung aus der Verantwortung des Subjekts zieht und von den anderen christliche Barmherzigkeit erwartet. Das wiederum wäre nämlich undialektisch und unmaterialistisch. Materialismus rechtfertigt gar nichts - es ist in Wirklichkeit das genaue Gegenteil, nämlich dass gegebene Umstände nicht unbezweifelbar sind."
    Ich bin Materialist, heißt das jetzt, dass, wenn mich jemand als Fotze bezeichnet, ich sage: "Ok, er hatte ein hartes Leben, ich sollte Verständnis dafür zeigen"? Nein, genau das versuche ich doch deutlich zu machen! Genauso gut lässt sich nämlich meine Faust in seinem Gesicht damit entschuldigen, dass er mit "Fotze" provoziert hat und eine Rückwirkung erwarten muss. Aber das ist gar nicht der Bereich vom Materialismus, die Frage wird auf einer völlig anderen Ebene geklärt, nämlich auf moralischer! Das einzige, was der Materialismus zur Moral sagt, ist, dass sie nicht objektiv und auch nicht Ergebnis eines freien Willens ist.


    Zitat

    Für mich würde dann der Mensch aufhören als Mensch zu existieren, deshalb kann ich diese Sichtweise nicht teilen.


    Deshalb kannst du die die Sichtweise nicht teilen? Weil dadurch deine metaphysische Auffassung vom Menschen verworfen wird? Wir waren gerade noch bei Dogmatismus und inhaltlichen Argumenten.


    Zitat

    Die Frage ist doch eher, warum du Kommunist bist oder überhaupt eine politische Meinung vertrittst, wenn du nicht glaubst, dass die heutigen Kapitalverhältnisse auch Ergebnis der freien Entscheidung der Menschen in der Gesellschaft ist. Denn grade die gilt es doch (meinem politischen Verständnis nach) argumentativ zu verändern.


    Wie stellst du dir denn eine Revolution vor? Denkst du etwa, dass ich die Leute davon überzeugen will, dass ihre freie Entscheidung falsch war, damit wir dann Hand in Hand den Kommunismus einführen? Eine Revolution erfolgt nicht durch Argumente und der Kommunismus wird nicht durch Podiumsdiskussionen erreicht, sondern ist das Ergebnis einer gewalttätigen Phase.

  • Dass es über die Menschheitsgeschichte hinweg unterschiedliche "Wissenschaften" gegeben hat, bestätigt den Materialismus eher, als dass es ihn in Frage stellt. Aber gerade deswegen ist das keine subjektive Perspektive, sondern eine zwar individuelle Abstraktion, die jedoch aus einer objektiven Realität gezogen wurde. Wie ich bereits sagte, gibt es Dinge, auf die wir keinen Einfluss haben, sondern die außer uns existieren.


    Ich stimme dir zu, eben weil ich kein Hegelianer oder radikaler Idealist bin.
    Das bedeutet aber doch nicht, dass es ausschließlich Dinge außer uns gibt, auf die wir keinen Einfluss haben und die dementsprechend diese rätselhafte "objektive Realität" bilden sollen, die - wenn ich dich und den Materialismus richtig verstanden habe - unser ganzes Dasein, unser Leben, unser Handeln und auch unser Bewusstsein bestimmt.


    Sieh mal, ich hab doch nicht zu entscheiden, was wissenschaftlich ist und was praktische Relevanz besitzt, das tue ich doch auch gar nicht.


    Naja also wenn du schreibst

    Die Sache ist die, selbst wenn es in Wahrheit eine mystische, himmlische Kraft wäre, die sich in Energie oder halt in Anziehung ausdrückt, selbst wenn es einen göttlichen Schöpfer geben sollte, spielt es trotzdem überhaupt keine Rolle, weil es für unser Dasein keine praktische Relevanz besitzt. Wissenschaft soll uns Antworten auf Fragen geben, die wir uns im praktischen Leben stellen.


    dann würden dir sehr religiöse Leute zweifellos widersprechen, da sie offenbar eine andere Sichtweise dazu haben und die Frage nach einem göttlichen Schöpfer für sie auch von praktischer Relevanz ist.
    Ich sage doch nur, dass du deine subjektive und marxistische Perspektive nicht als objektive sich zwangsweise aus dem Materialismus herleitende Sichtweise darstellen kannst.
    Ich will dich nicht zum Relativist "bekehren", aber du kannst doch nicht jede deiner Meinung nach vom marxistischen Materialismus abweichende Perspektive damit zurückweisen, dass derjenige, der diese Meinung vertritt einfach (noch) nicht die objektive Realität um ihn erkannt hätte.


    Das mit der Brücke ist ein schönes Beispiel: Für Person a) stellt sie einfach eine Brücke dar, die funktioniert, weil man mit einem Wagen drüberfahren kann. Person b) plant aber in den nächsten Jahren, diese Brücke regelmäßig mit LKWs zu befahren, um einen auf der anderen Seite liegenen Betrieb zu beliefern und zweifelt daher die Tragfähigkeit der Brücke - sprich ihre Funktion - an. Für Person c) ist die Brücke keine Brücke, sondern nur ein ärgerliches Hindernis, denn sie ist hier öfter auf dem Fluss unterwegs und muss zum Passieren der Brücke immer darauf achten, dass das Boot nicht zu hoch ist. Und Person d) plant eine Flucht aus einem Gefängnis auf der anderen Seite der Brücke und sieht daher im Sprengen dieser Brücke eine Chance, den Fluchtweg zeitweise zu versperren...die Funktionalität der Brücke liegt dann für sie gerade darin, dass sie in ihrer Funktionalität zerstört wird. Und Person e) ist Reptilienforscher und sieht die Brücke vor allem als einen hervorragenden Brut- und Nistplatz für seltene Eidechsenarten. Ob die Brücke nun funktioniert oder nicht funktioniert kann für all diese Leute höchst unterschiedlich beantwortet werden, obwohl es die "objektiv" gleiche Brücke ist.
    Ich will dir doch nur zu verstehen geben, dass deine Perspektive eben keine objektive Realität erfassen kann, da sie zwangsweise subjektiv ist. Es gibt daher nicht die Erfassung der Welt, sondern nur eine subjektive Erfassung der Welt und daher ist man zu Bescheidenheit gezwungen.


    Darum geht es doch. Geh doch mal auf meine Argumente ein, anstatt zu behaupten das sei "natürlich nicht beweisbar".


    Wie soll ich denn darauf eingehen?
    Lass uns das Ganze doch noch einmal beispielhaft runterbrechen: Ich sage, wenn ich morgens Wurst statt Marmelade auf meinem Brötchen esse, ist das meine freie Entscheidung und mein eigener Wille. Du sagst, das sei nicht mein Wille, sondern ich würde diese Entscheidung überhaupt erst treffen können, weil ich aufgrund meiner Umstände dahingehend beeinflusst wäre. Es käme mir nur so vor, als sei dies meine freie Entscheidung und mein freier Wille.
    Wie kann man da für die eine oder die andere Seite argumentieren? Entweder man glaubt an einen freien Willen, oder man glaubt nicht an einen freien Willen. Weder das eine noch das andere lässt sich beweisen, oder überseh ich da was?


    Es geht darum, dass, weil moralische Argumente idealistisch bzw. ideologisch sind, da Moral selbst von Umweltfaktoren abhängig ist, hat sowas in einer wissenschaftlichen Argumentation nichts zu suchen


    Heißt das, moralische Argumente unterscheiden sich von der Moral? Inwiefern ist eine "Moral", die sich nicht über moralische Argumente äußerst denn eine Moral bzw. wie äußert diese sich?
    Wiederum ein Beispiel:
    Meine Moral sagt, einen anderen Menschen zu töten ist moralisch falsch. Dementsprechend würde ich in einer politischen Debatte zur Todesstrafe gegen diese argumentieren und zwar mit moralischen Argumenten (Menschenwürde und so). Ich könnte jetzt natürlich auch sagen, ich habe eine für mich geltende Moral aber die geht nur mich was an und ich kommuniziere sie nicht und argumentiere nicht mit ihr. Das wäre dann wohl eher so etwas wie ein Gewissen. Trotzdem äußert sich diese Moral dann, nämlich wenn ich einen anderen Menschen töte würde ich mittels meines Gewissens mit mir selbst moralisch argumentieren. Also auch da würde die Moral wieder zur Anwendung kommen.
    Ansonsten weiß ich leider nicht (ehrlich), was du damit meinst, wenn du sagst, du hast eine Moral aber greifst nicht auf moralische Argumente zurück.



    Ich bin Materialist, heißt das jetzt, dass, wenn mich jemand als Fotze bezeichnet, ich sage: "Ok, er hatte ein hartes Leben, ich sollte Verständnis dafür zeigen"? Nein, genau das versuche ich doch deutlich zu machen! Genauso gut lässt sich nämlich meine Faust in seinem Gesicht damit entschuldigen, dass er mit "Fotze" provoziert hat und eine Rückwirkung erwarten muss. Aber das ist gar nicht der Bereich vom Materialismus, die Frage wird auf einer völlig anderen Ebene geklärt, nämlich auf moralischer! Das einzige, was der Materialismus zur Moral sagt, ist, dass sie nicht objektiv und auch nicht Ergebnis eines freien Willens ist.


    Aber hättest du auf "Fotze" nicht auch damit reagieren können, ihn zu ignorieren, mit den Schultern zu zucken, oder eine Beleidigung zurückwerfen können. Ist die Faust in seinem Gesicht dann nicht vor allem Ergebnis der Entscheidung deines Willens? Oder ist eine Faust im Gesicht die objektive und reale berechnbare Rückwirkung auf das Wort "Fotze"?
    Klar weiß ich, was du meinst. Es stimmt ja, der Materialismus fragt halt einfach andere Fragen als der Idealismus. Und ich finde die Fragen des Idealismus eben spannender oder mindestens genauso spannend.


    Denn wenn das egal ist, handelt es sich um eine Rechtfertigung.


    Nein, etwas das egal ist, kann man nicht rechtfertigen.
    Man rechtfertigt nur etwas, das man für "richtig" (recht) hält. Darin selbst findet sich bereits die Moral von Recht oder Unrecht. Du könntest deinen Faustschlag ins Gesicht also mit der Beleidigung "Fotze" rechtfertigen.
    Du könntest aber nicht den Regen rechtfertigen, weil deine Entscheidungen, dein Wille, dein Handeln für die Frage, ob es regnet oder nicht, völlig egal sind. (außer natürlich du hältst den Regen für eine moralisch-richtige Instanz und ein Gottesgeschenk und nicht einfach nur für ein "moralisch neutrales" Natureregnis, aber dann wärst du ja idealistisch-moralischer als ich :hut:)


    Deshalb kannst du die die Sichtweise nicht teilen? Weil dadurch deine metaphysische Auffassung vom Menschen verworfen wird? Wir waren gerade noch bei Dogmatismus und inhaltlichen Argumenten.


    Genau und in der Kernfrage zwischen Idealismus und Materialismus gibt es keine inhaltlich-objektiven Argumente. Es ist daher eine Begründung, warum mir persönlich eine zumindest nicht rein materialistische Sichtweise plausibler erscheint, warum ich also daran glaube, dass es so etwas wie einen freien Willen geben muss. Nicht objektiv, rein subjektiv.


    Wie stellst du dir denn eine Revolution vor? Denkst du etwa, dass ich die Leute davon überzeugen will, dass ihre freie Entscheidung falsch war, damit wir dann Hand in Hand den Kommunismus einführen? Eine Revolution erfolgt nicht durch Argumente und der Kommunismus wird nicht durch Podiumsdiskussionen erreicht, sondern ist das Ergebnis einer gewalttätigen Phase.


    Aber wodurch wird diese gewalttätige Phase denn eingeleitet? Doch durch eine Änderung der Sichtweise der Menschen, die die ungerechten Verhältnisse erkennen und sich angesichts dieser Verhältnisse erheben oder empfänglich werden für eine "Revolution", die sie dann ja schließlich auch selbst bilden müssen. Wenn eine gewalttätige Revolution stattfindet, ohne dass die Menschen davon "überzeugt" sind dann wird sie kaum eine anhaltende Veränderung hervorbringen. Wäre das dann überhaupt eine Revolution? Naja, wäre jedenfalls wohl off topic... :rolleyes:


  • Ansonsten weiß ich leider nicht (ehrlich), was du damit meinst, wenn du sagst, du hast eine Moral aber greifst nicht auf moralische Argumente zurück.


    Jeder hat gewisse moralische Vorstellungen, aber diese gelten eben nur für dich bzw. deinesgleichen. Wenn du also mit jemand disputierst gibt es schon genügend Hürden wie Sprache(ganz böse sind Homonyme) und Klärung der Faktenlage, aber Moral macht eine Diskussion relativ hinfällig, da bei verschiedenen moralischen Ansichten das selbe Ding anders gewertet wird.
    Du kannst wegen deiner Moral für eine Position sein, aber du musst diese Position nicht deshalb mit moralischen Argumenten verteidigen, sondern kannst es auch auf einer sachlichen Ebene tun.

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