01. Ihr Hurensöhne
02. 1999 Pt. I
03. Lass die Affen aus'm Zoo
04. Saudi Arabi Money Rich
05. Ich rolle mit meim Besten
06. Engel im Herz, Teufel im Kopf
07. Russisch Roulette
08. 1999 Pt. II
09. Schmeiß den Gasherd an
10. Azzlackz sterben jung 2
11. Anna Kournikova feat. Miss Platnum
12. Haram Para feat. Kaaris
13. Seele
14. 1999 Pt. III
Haftbefehl ist der wohl polarisierendste Künstler, den die deutsche Raplandschaft in den letzten Jahren hervorgebracht hat. Und einer der besten. Punkt. Dass das viele anscheinend nicht wahr haben wollen, sieht man am ehesten in den Kommentarbereichen diverser sozialer Medien, in denen dem Offenbacher mit einer fast schon fanatischen Inbrunst jegliches Talent abgesprochen wird. Aber hey, irgendwie fühlte sich doch jeder zunächst ein bisschen überrumpelt, wenn er zum ersten Mal einen Part des Kurden hörte. Doch mit der Zeit lernte man ihn zu schätzen, den Guten – und heute ist er aus dem hiesigen Game kaum mehr wegzudenken, hatte er doch einen ungeheuren Einfluss auf das Genre des Straßenraps. "Alles kleine Bushidos bevor er kam" – das trifft die Sache eigentlich ganz gut. Mit seinen bisherigen Alben schaffte es Haftbefehl, sich als Institution zu etablieren, aber der ganz große Wurf war ihm bisher noch nicht gelungen. Doch jetzt, anno 2014, sieht die Sache schon ganz anders aus. Mit einem fetten Majordeal bei Universal in der Tasche lässt Hafti nun sein neustes Werk "Russisch Roulette" auf die Hörerschaft los und hat offenbar Großes vor.
"Von der Straße für die Straße, à la Baba H/
'Kanackis' und 'Blockplatin' waren nur Sparring, Chab/"
(Haftbefehl auf "Ihr Hurensöhne")
Was Haftbefehl schon von Anfang an von Restdeutschland abgehoben hat, war seine einzigartige Delivery. Da wäre seine charakteristische Stimme, die wegen der nasalen Intonation nur noch entrückter wirkt. Hinzu kommt sein ureigener Slang, in dem sowohl hessischer Akzent als auch Englisch, Französisch und weitere Sprachen beziehungsweise fremdsprachige Begriffe ihren Platz finden, sowie ein erstaunliches Gespür für Flowvariationen und ausdrucksstarke Bilder. Darüber hinaus vermag er es als einer der wenigen Künstler, dem Anspruch der Authentizität gerecht zu werden und hat – wenn man sich die Biografie Aykut Anhans mal genauer anschaut – genug Geschichten zu erzählen, bei denen sich das Zuhören lohnt. Im Gegensatz zu einem Großteil seiner Rapkollegen schafft er es zudem, eine Bierernstigkeit zu vermeiden, die bis dato fast schon bezeichnend für den deutschsprachigen Straßenrap war. Dies äußert sich in dem teilweise absurden Humor, der zwischen den Dramen um Drogen, Geld und Gewalt immer wieder aufblitzt. Da lässt er andere Rapper dann auch schon mal in Thrombosestrümpfen für ihn tanzen. Inhaltlich interessanter sind jedoch die Sittengemälde des Frankfurter Rotlicht- und Drogenmilieus und eine Beleuchtung der eigenen Vergangenheit, die in dieser Intensität eine Rückbesinnung auf die Stärken des Debüts "Azzlack Stereotyp" sind. Hierbei schafft Haftbefehl es, seine Anekdoten aus Deutschlands Unterwelt auf eine Art zu präsentieren, die auch die Geschichten eines Biggie Smalls oder Scarface so fesselnd machten. So klingen Konsequenzen wie eine Autodurchsuchung oder ein Knastaufenthalt fast schon beiläufig oder alltäglich, während Aufstieg und Fall des Verbrechers oder der Absturz ins Milieu pathetisch stilisiert werden. Was dabei rauskommt, ist eine Gangstergeschichte, die in ihren besten Momenten dem klassischen Material eines Martin Scorsese in nichts nachsteht.
"Manschetten von Hermés am Anzug von Versace/
Ich roll' im Jaguar bei Nacht durch Frankfurts Straßen/
Hauptbahnhof, Chabo, rotes Licht am Seytan/
In der Luft riechst du Crack, H und ekelhaften Döner/"
(Haftbefehl auf "Azzlackz sterben jung 2")
Einen nicht zu unterschätzenden Teil zur Atmosphäre und Wucht des Albums tragen die Produktionen bei. Was deutschsprachigen Gangsterrap angeht, konnten ihm da sowieso höchstens die eigenen Labelkollegen das Wasser reichen. Schon auf "Azzlack Stereotyp" bewies Hafti einen guten Riecher für Beats, die sein prägnantes Organ passend unterstützen und ihm genügend Raum zur eigenen Entfaltung geben, aber was ihm hier von Bazzazian alias Benny Blanco, Farhot, B. sowie Therapy 2093 & Fantomn als Klangteppich kredenzt wird, lässt die Sonny Blacks dieses Spiels vor Neid erblassen. Produktionen wie "Lass die Affen aus'm Zoo" und "Ich rolle mit meim Besten" oder "Engel im Herz, Teufel im Kopf" bewegen sich zweifelsohne auf internationalem Topniveau. Und ja, das heißt was in Rapdeutschland. Stilistisch wird sich hier an den üblichen Institutionen orientiert – und so klingt das Album nach den bedrohlichen Bässen der französischen Banlieues, nach den treibenden 808s der Südstaaten und nach der stumpfen Kälte der Ostküste Amerikas. Eine ähnliche Philosophie verfolgt auch das Label Top Dawg Entertainment aus dem sonnigen Kalifornien, nämlich mit einem Potpourri an verschiedenen Einflüssen einen Sound zu kreieren, der sich sowohl vor der Vergangenheit verbeugt als auch den Fortschritt feiert und so ungemein interessant ist, ohne unter dem Druck zu stehen, radikale Neuerungen zu bringen. Dasselbe Kunststück gelingt auch den Produzenten, die hinter "Russisch Roulette" stehen – und da ist es dann vielleicht gar nicht mehr so verwunderlich, dass "1999 Pt. II" schon sehr nach Kendricks "The Art of Peer Pressure" klingt. Allein gegen Ende des Tonträgers schaltet das Album einen Gang runter und liefert mit "Anna Kournikova" an der Seite von Miss Platnum eine Autotune-Abfahrt erster Güte ab, die zwar nett anzuhören ist, sich aber nicht so recht ins Gesamtbild des Albums einfügen will.
Fazit:
Zwar hat Haftbefehl mit "Russisch Roulette" nicht – wie angekündigt – etwas völlig Eigenes geschaffen, aber dennoch setzt er in seiner Nische mit diesem Banlieue-Ghettohybrid neue Maßstäbe. Zudem ist "Russisch Roulette" sein konsequentestes und kohärentestes Album geworden. Während die beiden Vorgänger nicht ohne Lückenfüller auskamen (und "Azzlack Stereotyp" von einem gewissen Chaker verhunzt wurde), stimmt bei "Russisch Roulette" fast alles. Die Produktionen sind durchweg überzeugend, linguistisch ist das Straßenesperanto des Azzlack-Oberhauptes sowieso ein Fest – und was er flowtechnisch vom Leder lässt, ist nach wie vor ganz weit vorne. Wenn man genau hinhört, verliert das Album im letzten Drittel etwas an Präsenzkraft, steht gerade im nationalen Vergleich jedoch immer noch allein auf weiter Flur. Wie bedeutend das Album jetzt schon ist, kann man bereits an der medialen Rezeption ablesen. Wenn Feuilleton, HipHop-Medien und Privatfernsehen eine inhaltliche Schnittmenge besitzen, bei der es tatsächlich einmal um die Musik geht, dann mag das schon was heißen. "Dadash, gib ihm den Klassiker!"
(disdi)
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