01. Intro feat. Tim Bendzko
02. Märtyrer
03. Es ist wahr / S A zu dem V
04. Zweifel und Bestätigung
05. Limit feat. Alex Prince
06. Matrix
07. 2 The Essence feat. Masta Ace & Tajai
08. Es rappelt im Karton
09. Rap über Rap
10. Summa summarum
11. Neue Namen
12. Anekdote aus Istanbul Skit
13. Lang genug gewartet
Eigentlich hat er uns doch schon alles bewiesen. Kool Savas hat in seiner mittlerweile um die 20 Jahre andauernden Karriere schon viele Facetten präsentiert. Da wäre zum Beispiel Battlerap, mit dem er begonnen hat, gesellschaftlich konträr und politisch unkorrekt zu Anfangszeiten.Zu den zahlreichen weiteren Facetten gesellten sich auf seinem letzten Soloalbum "Aura" zwei weitere. Zum einen scheint Savas Yurderi einen Hang zum Epischen zu haben – seien es Titel ("Aura", "Märtyrer"), seien es atmosphärische Beats oder Zeilen voller Pathos. Mit Xavier Naidoo zusammen bewies der selbsternannte "King of Rap", was er auf "Aura" bereits angedeutet hatte: Hits schreiben kann der mittlerweile 39-Jährige nämlich auch und hat mit XAVAS verdeutlicht, dass große kommerzielle Erfolge und mediale Aufmerksamkeit ebenso Teil seiner langen Karriere sind wie Flowmassaker und das Schlachten von MCs. Was also ist "Märtyrer"? Die Abkehr von einem Weg, der Savas genauso viel Unbehagen bereitete wie er Erfolge und Verkäufe feiern konnte? Das von ihm viel beschriebene "Gegengewicht" zu dem, wie sich deutscher HipHop aktuell präsentiert? Oder hatte einer der erfahrensten Rapper Deutschlands einfach mal wieder Lust, so richtig einen draufzumachen?
Obwohl man es nach mehr als 15 Jahren aktiver Karriere und großer Bekanntheit im deutschsprachigen Raum kaum für möglich gehalten hätte, hat Savas inhaltlich – vor allem im Vergleich zu seinem letzten Album "Gespaltene Persönlichkeit" – mindestens eine Schippe draufgelegt. Die oft kritisierten Wie-Vergleiche sind rarer geworden, wenn auch nicht ganz verschwunden, und enthalten meist zwar nicht das komplizierteste Wortspiel, schaffen jedoch in vielen Fällen passende Bilder, die er selbst wiederum unterstützt: "Und keine Vergleiche, Opfer, das sind Statements" (Kool Savas auf "Neue Namen"). Siehste. Und als wäre es damit nicht genug, ist der Eindruck der Texte selbst ein völlig neuartiger, wie er im Battlerap selten konsequent durchgezogen worden ist. Dass ein fast 40-Jähriger sich nicht mehr groß rebellisch oder politisch unkorrekt wie noch mit Mitte 20 präsentiert, muss hier vorausgesetzt werden. Macht man sich von diesen Erwartungen frei, sind die Inhalte nicht nur erschreckend genau auf den Punkt gebracht, sondern auch reifer und gar argumentativer Natur. Derartiges wurde im Battlerap der letzten Jahre kaum zelebriert, Aufbau einer Aussage über mehrere Zeilen hinweg schien dem Punchline-Prinzip gewichen zu sein. Diese inhaltliche Neuerung gibt der gesamten Performance von Kool Savas einen gehörigen Qualitätsschub.
"Zieh' ne Karte, warte, ich prophezeih' dir die Zukunft/
Hm, am Ende entpuppt sich dein ganzes Leben als Trugschluss/
Jede Entscheidung falsch, jede Zeile verschwendet/
Nur leeres Gesülze, keine Courage, sich zu verändern/"
(Kool Savas auf "Lang genug gewartet")
Dass sich Kool Savas seiner Kritiker bewusst ist und sich deren Äußerungen oft auch zu Herzen nimmt, wird spätestens in der Verarbeitung des Ganzen mit Laas Unltd., der hier mit heruntergepitchter Stimme als "Zweifel" agiert, deutlich – obwohl in den Parts des Interpreten diese Kritik fast ausnahmslos ignoriert oder zumindest abgeblockt wird. Während Laas sich jedoch souverän und erfahren präsentiert, scheint sich Tim Bendzko sichtlich unwohl in seiner Rolle auf dem "Intro" zwischen harten Zeilen und schnellem Rap zu fühlen. Masta Ace und Tajai sei verziehen für eine weitestgehend in der Versenkung verschwindende Perfomance; fehlender Wiedererkennungswert macht den Rap der beiden Eastcoast-Legenden austauschbar. Als Alex Prince, langjährige Wegbegleiterin von Savas, auf "Limit" zu ihrer Gasthook ansetzt, kommt gar der Eindruck eines Hits auf. Doch weit gefehlt: "Der Beat ist ein trojanisches Pferd" verlautet der Protagonist in den Parts und Recht hat er. Denn an radiountauglichen Zeilen ist hier keinesfalls gespart worden. Da kann selbst die größte Ohrwurmhook kommen, doch aggressive Wortwahl in deutschen Radiosendern wird wohl weitestgehend Eminem vorbehalten bleiben.
"Sag mir, wie kannst du bestehen, wenn du kein' Standpunkt bringst/
Tu auf Tier – das erklärt, warum du dich wie 'n Bandwurm windest/"
(Kool Savas auf "Märtyrer")"
Der wohl stärkste Track des Langspielers ist der Titeltrack. Die reimtechnische und taktsichere Meisterleistung des Interpreten selbst befindet sich in beeindruckender Harmonie mit der arienartigen Untermalung von KD Beatz. Flowtechnisch ist generell wieder einmal gewohnt viel richtig gemacht worden: Ob schier endlose Reimketten in "Es rappelt im Karton" oder sauberer Doubletime auf "Zweifel und Bestätigung" – das Handwerk Rap beherrscht Kool Savas auf einem extrem hohen Level. Auch andere Titel erweisen sich als langlebig. "Neue Namen" bietet auf einem orientalisch angehauchten Instrumental von Keano Beats einen der stärksten Texte des Albums und "Es ist wahr / S A zu dem V" liefert auf dem vermutlich untypischsten Beat für einen Battleraptrack eine humorvollere Seite des "Kings of Raps". Auf "2 The Essence" sei schließlich noch einmal bewiesen, wie locker Essah mit seinen amerikanischen Kollegen und Vorbildern Masta Ace und Tajai mithalten kann. Viele Facetten also auch hier: Obwohl der Grundtenor in der Themenwahl stets derselbe ist, unterscheiden sich Instrumentierungen und inhaltliche Herangehensweisen so stark voneinander, dass der Eindruck von Eintönigkeit nahezu nie entsteht. Und dann wäre da noch eine Kurzgeschichte. Ja, Ihr habt richtig gelesen. Zwischen all dem Zerstören von anderen Rappern und dem Rundumschlag durch die deutsche Szene taucht auf einmal diese kleine, aber feine "Anekdote aus Istanbul" auf. Pointiert und ungewohnt sentimental ist es letztlich ein inhaltlicher Cut, der den Bogen zum Cover schlägt. Der persönliche Wert des Ganzen gibt diesem Album einen letzten minimal emotionalen Zusatz ... wenn schon nicht in Rapform, dann eben als kleine Geschichte.
Fazit:
Natürlich ist es eine Mischung aus all den Annahmen zu Beginn, was das neueste Werk von Kool Savas ausmacht. Und dennoch scheint es inhaltlich so viel mehr Bedeutung zu haben, als man auf den ersten Blick zu erkennen vermag. Während sich viele Rapper in Deutschland Anfang und Mitte ihrer dreißiger Lebensjahre umorientieren und eine weitaus sanftere Schiene fahren, ist "Märtyrer" eine Abkehr und somit gleichzeitig eine Abgrenzung von diesem mittlerweile standardisierten Bild des scheinbar erwachsenen Raps, der eine harte Wortwahl meist verbietet und die Fraternisierung mit anderen Künstlern bei der angeblichen Weiterentwicklung einschließt. Ob Savas diese Phase mit "Aura" und "Gespaltene Persönlichkeit" hinter sich hat oder "Märtyrer" lediglich ein inhaltlicher Ausreißer ist, können nur die Zukunft und weitere Langspieler des "King of Raps" zeigen. In beiden Fällen scheinen große Alben dabei herauszukommen. So ist auch das neueste Werk von Kool Savas ein schlüssigeres und erwachseneres Rapalbum, als es viele Kollegen ohne Battlerap versucht haben zu produzieren. "Märtyrer" stellt ohne Zweifel einen Höhepunkt im Deutschrapjahr 2014 dar und ist mit Sicherheit trotz durchwachsener Features eines der stärksten deutschen Battlerapalben der letzten Jahre. Lasst uns diese Review ganz am Anfang beenden, im "Intro": Dort wird, noch bevor der Protagonist einsteigt, Jonny Sarhanis mit seinen Worten zum Ausstieg aus einer Reality-Show eingespielt: "The people clap loud when you win a Grammy. They clap louder when you win an Oscar. But the people clap the loudest when you fall." Kool Savas wird auf seinen lautesten Applaus wohl noch so einige Zeit warten müssen ...
(Max)
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