unknown Kings: November/Dezember 2014

  • Wer kennt sie nicht? Die Werbung, mit der gefühlte 13 Millionen Amateurrapper in Form von Privatnachrichten in hiesigen Internetforen, Profilkommentaren auf Facebook oder Massenmails im Instant Messenger täglich unschuldige Konsumenten befeuern: "Hey, ich habe mein Album fertiggestellt! Es ist vielseitig, individuell und hebt sich von allen anderen ab." Es wäre schön, wenn jedes Release qualitativ so hochwertig wäre, wie angekündigt, aber bei der Masse an Rappern, die seit Beginn des Internetzeitalters rumgeistern, ist das nahezu unmöglich. Die Folge: Der enttäuschte Raphörer bleibt bei Altbewährtem – da kann er ja (meistens) nichts falsch machen – während viele Releases, die bei weitem mehr Aufmerksamkeit verdienen, in der Masse untergehen. Mit dieser Rubrik haben wir uns das Ziel gesetzt, Releases an die Öffentlichkeit zu bringen, die unserer Meinung nach (!) mehr Aufmerksamkeit verdienen. Hier werden weder die Releases überhypter Internetgrößen zu finden sein noch Marketingspezialisten, die nach ihrem zweiten geschriebenen Text schon ein eigenes Label, eine Webseite mitsamt Promoteam und ein von Papi im Hinterhof gefilmtes Musikvideo besitzen. Es geht ausschließlich um die Qualität der Musik, um das Produkt.





    VersOne & bgs – Die strengsten Eltern der Welt


    "Die strengsten Eltern der Welt" ist so ein klassisches Album aus der Kategorie "Producer-Rapper-Kollaboration". Während VersOne die Beats schraubt, legt bgs seine Lyrics darüber. Dass VersOne als Produzent im Titel zuerst genannt wird, hat dabei durchaus einen Grund: Neben den Raps von bgs erwarten den Hörer häufiger Instrumental-Passagen, die dem Beatbauer den nötigen Raum für seine wunderschönen Boom bap-Instrumentierungen schenken. Wenn sich der MC dann aber einschaltet, gibt es feinsten und frischen Oldschool-Rap über Jazz-Samples, knallende Drums sowie Scratches und Cuts von Chuck Morris und Kallsen. Unter den elf Tracks ein instrumentales Highlight auszumachen, fällt tatsächlich sehr schwer – weil einfach jeder richtig bockt und direkt ins Ohr geht. bgs verfeinert diese Sounds mit seinen Betrachtungen über aktuelle Gesundheits- und Lifestyletrends, gesellschaftliche Entwicklungen oder szeneinterne Trends beziehungsweise Missstände. Das Ganze gibt's in feinster Battlemanier, ehrlich und direkt in die Fresse – zwei echte Realkeeper eben, die sich von Modeerscheinungen und festgesetzten Regeln nicht vereinnahmen lassen. Mit diesem kleinen Album haben bgs & VersOne ihre Funktion als "die strengsten Eltern der Welt" mehr als angemessen erfüllt und Szenekollegen und Fans zumindest ein Stück weit erzogen. Wer sich die LP nicht anhört, sollte für immer auf der stillen Treppe sitzen bleiben.


    Bandcamp-Page von VersOne & bgs – kostenfreier Download





    Geeno – PalmaEP


    Wer schon mal mit der Musik der Mainzer Crew Le Bagage in Berührung gekommen ist, hat zwangsläufig auch von Geeno gehört. Dieser war nämlich bis 2013 Mitglied in besagtem Künstlerkollektiv. Doch mittlerweile wohnt Geeno auf der spanischen Insel Mallorca, hat sein Leben dementsprechend neu ausgerichtet und bestreitet daher auch seine musikalische Reise wieder allein. Und wo diese Reise hingeht, wird bereits im Opener von Geenos "PalmaEP" deutlich: Ein deeper, sehr atmosphärischer Beat, getragen von Pianosounds und der großartigen Gesangsstimme von Miriam Isa, untermalt Geenos vorgetragenen Wunsch danach, "frei sein" zu wollen und Neues zu entdecken. Auch auf dem letzten Track "#flaschenpost" beweist Miriam mit einem ähnlich starken Gastpart ihr Talent, indem sie mit Backing-Vocals die vom MC gerappte zwiespältige Liebeserklärung an seine Heimatstadt Mainz untermalt. Zwischen diesen zwei Eckpfeilern, die die Veränderungen und Sehnsüchte nach der Auswanderung des Rappers in den Mittelpunkt stellen, findet der Hörer auf sieben weiteren Tracks unter anderem die "Ode" an die künstlerische Freiheit oder den auf einen lässigen Golden Era-Beat gedroppten Representer "Back 2 The Boots". Geeno präsentiert sich auf allen Tracks technisch versiert und kann sowohl die gefühlvollen als auch die battlelastigen Inhalte immer passend ausdrücken; der Mix aus melodischen und klassichen Oldschool-Instrumentals mit ihrer durchweg hohen Qualität verstärkt dieses positive Bild zusätzlich. Ein echtes Highlight der EP erwartet einen dann noch mit dem siebenminütigen All Stars-Remix zu "Jazzybelle Bars", auf dem zwei Dutzend Rapper gefeaturet werden – unter ihnen zum Beispiel Phreaky Flave, die Azzis mit Herz oder Born. Wenn sich der musikalische Output nach einem umfassenden Tapetenwechsel immer so anhört, wünsche ich mir – ganz ohne bösen Hintergedanken –, dass Geeno noch länger auf Mallorca bleibt und der "PalmaEP" einen genauso guten Nachfolger schenkt.

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    robzn – Mach doch mal!


    Der Heilbronner robzn ist releasetechnisch wohl das, was man als ziemlich unbeschriebenes Blatt bezeichnen könnte. Mit der "Mach doch mal!"-EP fiel nun jedoch der Startschuss, der nach eigener Aussage "die Rap-Lawine ins Rollen" bringen soll. Und robzn legt gleich zu Beginn richtig los: Auf "Ich bin" präsentiert er sich mit sehr solidem Flow und witzigen, teils offensiven Zeilen auf einem Kopfnicker-Beat von Peet. Diese technische Versiertheit in Form von cleveren Vergleichen, Flowvariationen und abwechslungsreichem Stimmeinsatz liefert der Rapper auch auf den anderen EP-Tracks und kombiniert sie zudem mit inhaltlicher Vielfalt, was die Vermutung aufkommen lässt, dass der Spruch mit der Lawine nicht nur heiße Luft ist. So nimmt er sich auf "Takt" die Leistungsgesellschaft und ihre Belastung für das Individuum zur Brust, betrachtet die inflationäre Nutzung des Kunst-Begriffs sarkastisch-kritisch ("Gunst der Kunst") oder zerpflückt ganz einfach andere Rapper auf "Querfeldein". Unterstützt wird das Ganze durch die ebenfalls abwechslungsreichen Beats, die neben Peet unter anderem auch von Diano Beats und Prototune stammen. Da wechseln sich gekonnt sanftere Drums zu Scratches und E-Gitarren-Sounds ("Rückblick" feat. vrob) mit schnelleren, tanzbaren Synthie-Klängen ("#jung") oder einem Kopfnicker-Beat mit Orgel-Akkorden ("Gunst der Kunst") ab, ohne robzn in den Hintergrund zu drängen. Nach acht Tracks verstummen die Boxen dann und mir kreist nur ein Gedanke durch den Kopf: Alter, starker Start – mach doch mal 'n Album!


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    Gozpel – Symphatoz


    Bei den Kollegen von Rap am Mittwoch konnte sich Gozpel schnell durchsetzen und das Publikum für sich gewinnen. Um das daraus resultierende Aufsehen ideal zu nutzen und um zu beweisen, dass er auch abseits der Battlebühne abliefern kann, veröffentlichte G.O.Z. nun sein Debütalbum "Symphatoz". Und auf insgesamt 18 Tracks zeigt er dann auch, dass er wirklich mehr drauf hat als einfaches Punchline-Geballer. Der Wunsch nach Selbstverwirklichung "'an dem Tag', an dem wir keine Zweifel haben", findet beispielsweise genauso Platz wie der etwas andere Party-Sauf-Song "Lalala". Dabei überzeugt der Berliner nicht nur mit technischer Versiertheit und Wortwitz, sondern auch durch die abwechslungsreichen Instrumentals, auf die er seine Texte packt. Egal, ob im "Intro" passenderweise Gospelklänge ertönen oder ein Trap-, Boom bap- oder "Gute-Laune-Cro"-Beat im Hintergrund läuft: Gozpel beherrscht sein Handwerk perfekt und dominiert das breite, aber stimmige Soundbild nach Belieben. Aufgelockert wird die Tracklist des Albums durch vier RAM-Runden-Skits, die für Erheiterung sorgen, und die Featurebeiträge von Cence ("Niemand ist perfekt"), Crackaveli ("Mal verliert man mal gewinnt man") und Serk ("Sie weiß es nicht"). Alle Künstler fügen sich gut in das Album ein, wobei der Gastgeber stets den Ton angibt. "Symphathoz" ist nicht nur dem Namen nach eine interessante Selbstpräsentation Gozpels, die definitiv mehr Aufmerksamkeit verdient hat, da für viele Geschmäcker ein passender Sound dabei ist.


    Amazon – zu kaufen





    Beatkid – Spiegelbild EP


    "Heb mal deine Arme hoch, bis zur Atemnot!" – eine simple Aufforderung, die eigentlich schon (fast) alles über die "Spiegelbild EP" von Beatkid sagt. Für den Rapper, den einige vielleicht als Teilnehmer verschiedener Battleformate kennen, steht die Competition im Vordergrund. Deshalb gibt es auf acht Tracks hauptsächlich Representer, feinste Battlelines und Rap über Rap auf die Ohren. Hungrig und energiegeladen geht Beatkid über die Instrumentals und gibt sich dabei selbst Props, schießt gegen die Szene oder lässt statt der Gegner auch mal Frauen "zappeln wie bei Parkinson" ("Heartbreaker"). Die Instrumentierung, für die neben Digital Drama, Fred M8 Beats, Juhdee und Tunezy auch Ceipek und Eko-Stammproduzent Phat Crispy verantwortlich zeichnen, wird dominiert von harten Drums in verschiedenen Geschwindigkeiten sowie diversen Intrumental- und Vocal-Samples. Diese Soundgrundlage unterstreicht die druckvollen Raps des Erfurters. Raptechnisch unterstützt wird dieser lediglich auf einem Track von Ali As, der nicht nur einen richtig guten Part, sondern gemeinsam mit dem Hauptakteur eine echte "Ohrwurmhook" und den meiner Meinung nach besten Track des Releases abliefert. Battlerap-Fans und Kopfnicksportler werden die "Spiegelbild EP" auf jeden Fall feiern und die Arme bis zur "Atemnot" oben lassen.


    Die "Spiegelbild EP" bei uns im Forum




    Du kennst jemanden (oder bist gar selbst der Meinung, dass du jemand bist), der dem Titel "Unknown King" gerecht werden kann? Diese Person hat erst vor Kurzem einen Tonträger oder Freedownload veröffentlicht, der eine Erwähnung in diesem Artikel wert ist? Schick eine Bewerbung mit dem Betreff "Kings – *Künstlername*" bitte ab sofort wieder an [email protected]. Bitte beachtet aber, dass wir nicht auf jede Anfrage persönlich antworten können. Ihr werdet sehen, ob das Release dann letztendlich seinen Platz in dieser Sammlung findet. Viel Erfolg!



    (Sascha Koch)

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