Review: Mortis – Hollywoodpsychose



  • 01. Wer ist dieser Mortis? feat. Visa Vie
    02. Einmal Sonne
    03. Haus & Boot
    04. Leben ist
    05. Keine/Kontrollverlust
    06. Weltwohnungsskit
    feat. Woody
    07. Guten Morgen Vietnam
    08. Eigentlich
    09. Versager
    10. Renn
    11. Silikon aus Liebe
    12. Letzter Strohhalm
    13. Nie wieder nie


    Es ist gar nicht mal so lange her, da hat uns der zugezogene Berliner vom "goldenen Käfig" erzählt, in dem er gefangen ist. Anfang des Jahres war es, als er bereits die "Hollywoodpsychose" erwähnte, allerdings in Zusammenhang mit seiner Vergangenheit, in der man noch besoffen und oben ohne im Club stand. Jetzt, ein Dreivierteljahr später, geht es erneut und explizit um dieses Thema. Denn Mortis ist mittendrin in seiner "Hollywoodpsychose" und zeigt uns mit diesem Stück Farbfilm die logische Fortsetzung des vorangegangenen Schwarzweißfilms. Dabei sind diese beiden Werke gar nicht die ersten des Fast-Dreißigers, der immerhin bereits zehn Jahre in diesem Business auf dem Buckel hat. Also wer ist denn jetzt eigentlich dieser Mortis?


    "Wer ist dieser Mortis/
    Manchmal guckt er ziemlich seltsam/
    Und tanzt im Club wie deine Eltern/
    Und warum ist er nächtelang wach/
    "
    (Visa Vie auf "Wer ist dieser Mortis?")


    Ach so. Na, da wissen wir ja gleich viel mehr – oder auch nicht. Der Feature-Part der HipHop-Moderatorin Visa Vie ist der einzige auf der gesamten Platte, aber leider auch einer, der nicht unbedingt nötig gewesen wäre. Sonst ist der Track ein sehr schön gewähltes Intro und stellt uns den Interpreten nicht nur ausführlich vor, sondern zollt auch einigen Deutschrap-Größen Respekt. Marc weiß sich auszudrücken und kommt durchweg ehrlich rüber, sodass man gespannt ist, ob diese Realness über 13 Tracks gehalten werden kann. Zumal es in dieser Sparte nicht jeder schafft, die Wiederholungen einzelner Phrasen zu umgehen oder den Hörer dauerhaft zu entertainen.


    Doch dem Lebenskünstler gehen die Worte selten aus – Track für Track blickt man tiefer in seine Stärken, Schwächen und die dunklen Seiten einer schimmernden Hauptstadt. Auch wenn die ein oder andere Hook etwas poppiger wirkt als auf der vorangegangenen EP und teils mehr nach gewolltem "Wir fühlen doch alle das Gleiche" klingt – die einzelnen Strophen sind noch genauso tiefgründig. Allein die Sicht auf den Alltag in der Großstadt als eine Art eigenes Vietnam zieht den Hörer schnell in seinen Bann. Denn bei "Geschrei und Gekläffe, ein Kampfhund bellt" und einem Nachbarn, der erst mal Wasser im "gepanzerten Porsche" (Mortis auf "Guten Morgen Vietnam") besorgt, schwebt einem schnell ein interessantes, kriegsähnliches Szenario in Berlin vor dem inneren Auge. Auch sonst fällt es dem Hörer leicht, den Worten von Morti zu folgen, da dieser immer die richtigen für die einzelnen Thematiken findet. Ob das die reine Selbstreflexion über das Dasein als "Versager" ist oder die Beschreibung, wie verrückt das "Leben ist" – man bekommt hier tatsächlich das eigene kleine Hollywood des Künstlers geboten. Inklusive Cameo-Auftritten in Form von textlichen Hommagen an beispielsweise die Stieber Twins, Torch oder Mach One. Man muss "eigentlich" nur hinhören. Dann bekommt man sogar mit, dass "Keine/Kontrollverlust" – mehr oder weniger – eine Fortsetzung der Geschichte der Verflossenen "Carlotta" von der vorangegangenen EP ist. Solang man sich darauf einlässt, ist dieser Mortis also ein Genie.


    "So viel Knowledge, spar dir deine Realness-Diskussion/
    Luft für vier am Mikrofon als hätte man Stieber Twins geklont/
    Dope aus Prinzip, fick mal Vorschuss und Käuferschicht/
    Ich bin so HipHop, Alter, Torch wäre stolz auf mich/
    "
    (Mortis auf "Wer ist dieser Mortis?")


    Neben all dem ist Mortis aber auch Produzent. Denn nicht nur textlich hat sich der Wahlberliner beinahe komplett auf sich selbst verlassen, auch bei den Beats wurde er nur durch ein Gitarrenriff von Woody auf dem "Weltwohnungsskit" unterstützt. Wozu auch Hilfe holen für etwas, das man ebenfalls schon eine ganze Weile macht? Die Beats gehen von ruhigen Synthesizerspuren mit hellen, glockenähnlichen Klängen über düstere und vorantreibende Töne bis hin zum Sound der '90er. Letzterer ist aber durch die unterlegten Vocals auf "Versager" doch eher nervig. Das passt einerseits auch nicht so ganz zu dem sonst eher melancholischen Grundtenor, ist andererseits aber eine gewisse Abwechslung auf dem Album. Nebenbei gilt auch bei den Instrumentals: Wer genau hinhört, erkennt die Liebe zum Detail. Bereits auf dem ersten Track kann man ein Sample von "The Doors" erkennen und später fällt dem ein oder anderen sicher auch ein Sample von Biggie auf. So kann Mortis am Ende nicht nur lyrisch überzeugen, sondern auch mit der hörenswerten musikalischen Unterlegung seiner Texte.


    "Sie sagen: 'Morti, du kommst bald in die Charts/
    Damit man für dein Album bezahlt, brauchst du bald 'nen Skandal'/
    Mehr Sex und Gewaltpotenzial/
    Also penetrier' ich *** mit 'nem halbtoten Aal/
    "
    (Mortis auf "Versager")


    Was dem Werk dann aber einen etwas komischen Beigeschmack gibt, ist der große Unterschied zwischen "Hollywoodpsychose" und seinem Vorgängerwerk "Der goldene Käfig". So konnte die EP mit Beats überzeugen, die perfekt die jeweilige Atmosphäre einfingen und dabei relativ minimal gehalten wurden, während die Beats auf dem neuen Album teils nicht ganz passen und stellenweise, wie auf bereits erwähntem "Versager", etwas überladen wirken. Es ist zwar sehr löblich, sein eigenes Album auch beattechnisch selbst zu stemmen, doch dann muss man eine gewisse Abwechslung zwischen den Tracks schaffen – was zwar vor allem durch Gesang versucht wurde, aber nicht so richtig gelang.


    Fazit:
    So kommt gegen Ende trotz textlicher Stärke und gewitzten Wortspielen eine gewisse Eintönigkeit auf – vor allem hinsichtlich des musikalischen Stils, denn ebendieser hat auf dem Album etwas erzwungen Chart-ähnliches. Was aber wiederum zum Gesamtkonzept und dem Albumtitel passt, sodass gerade das auch gewollt sein könnte. Doch immerhin weiß der Hörer am Ende, wer dieser Mortis ist. Er ist hemmungslos, ehrlich, selbstkritisch und verletzlich. Er ist ein Multitalent, das dem Hörer sowohl lyrisch als auch musikalisch Bilder in den Kopf projiziert und ihn in seine eigene kleine "Hollywoodpsychose" entführt. Nur leider hat eben auch Hollywood seine Schattenseiten und nicht jedem wird der diesmal etwas andere Sound gefallen. Es handelt sich nicht mehr um einen düster gehaltenen Schwarz-Weiß-Film, sondern um einen bunten Blockbuster, weswegen ich persönlich lieber wieder zurück in den "goldenen Käfig" gehe. Aber nichtsdestotrotz wird Marc mit diesem ersten Album sicher endlich mehr Aufmerksamkeit bekommen, da er ein starkes Debüt hingelegt hat. Dass er aber durchaus Luft nach oben gehabt hätte, zeigt sich hoffentlich auf noch folgenden Werken.



    Lukas Päckert (FlatDieter)

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