Seite A:
01. Anfang
02. Arbeit essen Seele auf
03. Mach kaputt
04. MWDEDW
05. Totmacher
Seite B:
01. Der letzte Idiot
02. Fusionbändchen
03. Kirmes
04. In Sekunden
05. Schicksalsschlägereien
06. Ende
Auf der Welt gibt's (fast) nur Idioten. Wer sich schon etwas länger mit der Musik von Audio88 beschäftigt, weiß, dass diese Ansicht gut vom Berliner stammen könnte, ist er doch so etwas wie der Vorzeigemisanthrop unserer Szene. Um das auch noch mal klarzustellen, musste nach dem Beitrag auf Dexters Sommeralbum "Palmen und Freunde" und vor dem sicher noch irgendwann erscheinenden, alles regulierenden Album "Normaler Samt" mit Bruder im Geiste Yassin noch ein Soloalbum her. Wo kommen wir da denn sonst hin? Also wurde sich mit Beatbauer Yannic zusammengesetzt, um dem Hass auf die Menschheit mal wieder freien Lauf zu lassen. Oder doch auch etwas auf sich selbst?
"In Somalia sind fünf D-Mark noch immer viel Geld/
Und man muss nur einmal ein Entwicklungsland erwähnen und gilt als sozial engagiert/
Dabei weiß ich nicht mal genau, wo Somalia liegt/
Vor dem nächsten Gespräch schau' ich auf Wikipedia nach/
[...]
Ich verhalte mich oft wie der letzte Idiot, aber ich will nur nicht auffallen/"
(Audio88 auf "Der letzte Idiot")
Nach gut eineinhalb Minuten Beatgerumpel am "Anfang" beginnt Audio88 so, wie man ihn kennt: zynisch, auf den Punkt gebracht, unmissverständlich. Eine ganze Gesellschaft Nike-Sneaker tragender Menschen beschwert sich über eingestickte Hilferufe in unglaublich billigen Klamotten in einer Welt, in der 100 Gramm Wurst 40 Cent kosten. "Irgendjemand sollte mal was dagegen tun". So treffend, wie die Zeilen auf "Arbeit essen Seele auf" in den Raum geworfen werden, so unnötig ist es, irgendetwas weiter zu interpretieren oder weiterzuspinnen. Auch sonst bekommt jeder, der sich nach außen hin als besonders intelligent, verantwortungsvoll und fortschrittlich wichtig macht, sein Fett weg. Dass die standardisierten Vorstellungen, wie das Leben des Kleinbürgers so abläuft oder abzulaufen hat, von Audio gleichzeitig lächelnd wie traurig betrachtet werden, ist ebenso klar. Man kann natürlich auch sagen, dass er auch nicht wisse, wie es denn besser ginge. Das würde allerdings meiner Meinung nach auch nicht in das Konzept des Albums passen – die Gedanken sollte sich eher jeder selbst machen, denn eine Universallösung gibt es sowieso nicht. Um also wieder zum Rundumschlag zurückzukommen: Auch mit vielen ach so alternativen und engagierten Menschen ist laut "Fusionbändchen" wirklich nicht viel anzufangen.
"Oder zeig der Welt deine subversive Sicht der Dinge/
In Form eines Animal-Liberation-Armyshirts/
Das von einer ganzen Armee kleiner Kinderhände in Sri Lanka vernäht wurde/
Aber mach dir darüber keine Gedanken/
[...]
Natürlich regt es mich auch mehr auf, dass Ben Affleck den neuen Batman spielt, als das, was gerade in Syrien passiert/
Was auch immer da gerade in Syrien passiert/"
(Audio88 auf "Fusionbändchen")
Die Raps von Audio88 kommen wie gewohnt meistens ohne Reime aus. Sein Vortrag reicht dabei von entspannt süffisant bis zu resignierend aggressiv. Füllzeilen bleiben aus – sowohl für sich stehend, als auch im Verbund eines gesamten Songs schafft Audio so eine zum einen dokumentierende, aber vor allem vorwurfsvolle Atmosphäre, die einen vom ersten bis zum letzten Track packt. Großen Anteil daran hat auch Yannic, der schon seit Jahren Beats für den Berliner bastelt. Die Instrumentals sind rumpelig, sphärisch, dunkel, bedrückend und auf irgendeine Weise schön. Einen passenderen Soundteppich für die Ausführungen Audios kann ich mir nicht vorstellen, im Zusammenspiel wird so eine einzigartige Atmosphäre geschaffen. Auch die für sich stehenden Instrumentals tragen ihren Teil dazu bei.
Fazit:
Audio88 hat mit "Der letzte Idiot" einmal mehr seine Ausnahmestellung – gegebenenfalls mit Partner Yassin – im deutschen Rap deutlich gemacht. Mir jedenfalls ist kein weiterer MC bekannt, der mit solcher Prägnanz, solchem Zynismus und gleichzeitig ernsthaft wie ironisch die Missstände anspricht, die er jeden Tag auf der Welt bemerkt. Klar, teils sind es auch einfach nur triviale Dinge, die dem Berliner persönlich nicht passen. Dann muss man zu differenzieren wissen. Einen Gegenvorschlag bei den ernsteren Themen bringt er nicht – muss er aber auch nicht, denn durch die Konzentration auf das Anprangern kann jeder selbst zum Nachdenken angeregt werden. Genau dann wird es vielleicht auch mal unangenehm – wenn man sich von der und der Zeile doch plötzlich angesprochen und ertappt fühlt. Kann er gut, der Audio. Und ich denke fast, ihm geht es beim Hören seiner Tracks ab und an genauso.
(Alexander Hollenhorst)
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