Im Jahr 2014 sieht man sich als eigenständiges Deutschrap-Magazin in einer wahren Dilemmasituation gefangen: Der Markt ist längst übersättigt. Tagtäglich wächst die Szene, ein Ende ist nicht in Sicht – Rapper kommen, aber so wirklich gehen wollen sie nicht, selbst wenn sie's sagen. Comebacks an jeder Ecke. Und nachdem vor einigen Jahren noch sämtliche Plattenfirmen dicht machten, schießen neue Labels langsam wieder aus allen Böden. Vorbei die Zeiten von Aggro Berlin, BOZZ Music und Optik Records – die Ära der Freunde von Niemand, der Azzlackz, der Halunkenbanden und der Banger-Musiker hat unlängst begonnen. Bei einer solchen Vielfalt an neuen Künstlern ist es natürlich nicht ganz so einfach den Überblick zu behalten – was ist wichtig, was könnte noch wichtig werden und was kann man getrost unter den Tisch fallen lassen? In internen Gesprächen kommen sie immer wieder auf – die Fragen, wer sich nun seine Review verdient hat, wer seinen Platz in den "Unknown Kings" kriegen sollte und wer zwar ein guter Künstler ist, aufgrund von Kapazitätenauslastung aber leider keine Plattform von uns geboten bekommt. Und das sind teilweise leider so einige ... Was uns zur Dilemmasituation zurückführt: Allen kann man's in der heutigen Zeit unmöglich Recht machen. Es ist ein wenig wie in "300": eine Hand voll Redakteure sieht sich einer Übermacht an Rappern gegenübergestellt. Deshalb wollen wir mit diesem Special mal einen kleinen Exkurs wagen – abseits der unbekannten Könige und der sowieso schon bekannten Acts ist nämlich nach wie vor ein Haufen aufstrebender Künstler in der Szene unterwegs, die wir euch im Rahmen einiger Kurz-Reviews vorstellen möchten ...
Maskoe – One Man Show
Es mag heutzutage gang und gäbe sein, dass deutsche HipHop-Künstler zu Gast bei TV Total sind – SK Entertainment-Rapper Maskoe kann von sich selbst sagen, dass er einer der allerersten war. Zwar hatte er es im Jahr 2002 eher unfreiwillig in die Sendung von Stefan Raab geschafft, als sich der Entertainer über ein Interview von Maskoe amüsierte, doch letztlich ist immerhin auch schlechte PR gute PR. Mittlerweile ist aus dem leicht aufgedrehten, sprachlich etwas ungeschickten jungen Mann aus Hamburg-Süd ein gestandener Künstler geworden, der nicht einmal mehr auf der Couch von TV Total Platz nehmen müsste, da er seine ganz eigene "One Man Show" hat. Diese beginnt mit knallhartem Sound: Bass und Drums lassen die Boxen erbeben, wenn Maskoe bitterböse Representerzeilen zum Besten gibt. Wer daraufhin jedoch ausschließlich wutentbrannten Straßenrap erwartet, muss sich auf eine Berg- und Talfahrt gefasst machen. Schon der darauffolgende Titeltrack geht nicht nur soundtechnisch in eine komplett andere, deutlich ruhigere Richtung, auch textlich widmet man sich nun eher der nachdenklichen Selbstreflexion, bevor danach wieder aus der Sicht des aufgebrachten "Kanacken aus Deutschland" erzählt wird. Während "Du Hoe" zusammen mit Shako eine überzogen aggressive Abrechnung mit der Ex-Freundin darstellt, wird direkt danach gemeinsam mit Manuellsen die "Ghetto Queen" in den süßesten Tönen besungen. Ob diese extremen Kontraste bewusst gesetzt sind und ob Maskoe absichtlich ein fast schon paradoxes Bild von sich selbst zeichnet, bleibt auch bis zum Ende des Albums unklar. Zumindest lassen sich mit den Features von Eko Fresh und Nneka noch ein paar Highlights auf dem Album finden, die es durchaus hörenswert machen. Denn dass er rappen kann, beweist der Südhamburger immer wieder und auch die Beats von Produzenten wie Farhot, KD-Supier, m3 und Phrequincy One zeigen, dass viel harte Arbeit darin steckt. Doch die inhaltliche Inkonstanz der Figur, die Maskoe teilweise zu mimen scheint, lassen befürchten, dass die "One Man Show" allzu schnell wieder abgesetzt werden könnte.
Versunkene Fabrik – Echolot
Es heißt, dass bisher gerade einmal 10 Prozent des Meeres erforscht sind und so ist es kein Wunder, wenn immer wieder neue und aufregende Entdeckungen unter der Wasseroberfläche dieses Planeten gemacht werden. Anfang 2014 beispielsweise tauchte wie aus dem Nichts eine Versunkene Fabrik auf, die nun von jedem Interessierten mit dem eigens hierfür entwickelten "Echolot" untersucht werden kann. Der "Echolot"-Sampler des noch jungen Labels Versunkene Fabrik mag zwar nicht dem Geschmack des durchschnittlichen Unterwasserforschers entsprechen, ist jedem HipHop-Fan aber dringlichst zu empfehlen. Entdecken lassen sich dabei sechs außergewöhnliche Künstler, die nicht nur in der Labelformation, sondern auch jeder für sich vor Kreativität und Talent nur so strotzen. Mit dem "Echolot" machen wir nicht nur Alex Hope aus, der als "verlorener Sohn" berauscht zwischen ironischer Selbstreflexion und melancholischer Lebensbeichte wankt, sondern erspähen auch Koolhy, der mit kratzender Stimme vom "99er" Sommer schwärmt und End, der Falcos Hit "Egoist" auf seine ganz eigene, sehr amüsante Art interpretiert. Devize, der mit seinem äußerst innovativen Sound die Meinung "Einfach kann jeder" vertritt, Snare, der den "Zeiger nach links" dreht und somit noch einmal sein bisheriges Dasein durchlebt und Antifuchs, die sich nicht nur den weiblichen MCs dieses Landes in den Weg stellt, sondern die gesamte Szene mit gezückten Mittelfingern und einem rotzfrechen "Adios" verabschiedet, komplettieren das Team. Neben Solotiteln eines jeden der sechs MCs beinhaltet der Sampler zudem elf weitere Tracks, auf dem sich die Versunkene Fabrik-Künstler in verschiedensten Konstellationen gegenseitig featuren. Bei so vielen, so unterschiedlichen Rappern ist klar, dass der Hörer nicht jedem Style gleich viel abgewinnen kann, doch der Streifzug durch den "Echolot"-Sampler lohnt sich allemal, da der Grund dieses neu entdeckten Label-Ozeans für jedermann reichlich Schätze bereithält.
BRKN – Yeah Bitch Yeah
Man nehme den eigenen Namen, streiche alle Vokale und fertig ist der Künstlername. So einfach hat BRKN es sich gemacht, als er aus seinem Vornamen "Berkan" sein Pseudonym bastelte. Genauso einfach hält der Kreuzberger es dann auch mit seiner EP "Yeah Bitch Yeah", die ganz ohne schwermütigen oder zur Perfektion ausproduzierten Sound auskommt, sondern stets sehr einfach und leicht anmutet. Schon der synthielastige Einstieg durchs "Introlude" zeugt davon, dass BRKN Wert auf melodische, poppige Klänge legt, die ebenso wie seine Gesangstexte vor allem ins Ohr gehen sollen. Dass dabei jetzt keine lyrischen Meisterleistungen vollbracht werden, ist verkraftbar und ohnehin nicht das Ziel des Sängers; stattdessen soll dem Hörer spontaner, simpler Hörgenuss verschafft werden. Musikalisch untermalt werden die oftmals humorvollen, recht selbstironischen Texte BRKNs durch eine bunte Mischung aus jazzigen Klanggebilden, instrumentalen Einstreuungen, Synthie-Sounds und ein paar Samples. Das Ganze klingt zwar hier und da noch etwas unkoordiniert, aber die freie, lockere Art des Künstlers nur umso deutlicher unterstreicht. So wird aus der anfänglichen Zubereitung einer "Yum Yum"-Instant-Nudelsuppe plötzlich eine farbenfrohe Kokain-Ode, bei der sich leicht verzerrte E-Gitarren durch wabernde Synthiewolken schummeln, bevor es als "Warm Up" eine Erholungspause gibt, die so unauffällig am Hörer vorbeizieht, dass ihre entspannte, zurückhaltende Art so schnell wieder verklungen ist wie sie einsetzte. "Yeah Bitch Yeah" verzichtet auf Perfektion und Struktur, auch wenn BRKN immer wieder verdeutlicht, dass er mehr kann als die "Musik für Nebenbei", wenn etwa beim Streben nach "Glück" ein prunkvoller Beatteppich ausgebreitet wird, auf dem der Künstler nicht nur sein volles Gesangstalent unter Beweis stellt, sondern sich sogar zu einer kleinen Rapeinlage hinreißen lässt. Dass dies alles noch in den Kinderschuhen steckt, steht außer Frage, doch dank seiner lockeren Art dürfte die noch vorhandenen Mängel für BRKN genauso schnell ausradiert sein wie die Vokale seines Namens.
Cengiz – Türkisch für Fortgeschrittene
"Ihr wolltet immer schon mal jemand', der nicht redet, wie er aussieht? Hier bin ich: der Türke, der Deutsch kann!" – so beginnt die erste Stunde "Türkisch für Fortgeschrittene" mit Kursleiter Cengiz. Wer sich in irgendeiner Weise von Aussagen dieser Art auf den Schlips getreten fühlt, dem sei direkt gesagt: Cengiz darf das. Denn der Rapper aus Bergisch Gladbach bei Köln ist nicht nur von der ersten Sekunde an sympathisch, er hat zudem auch eine mehr als schreckliche Kindheit hinter sich. Kaum war die Nabelschnur ab, zwang ihn sein Vater zum Abitur, obwohl Cengiz doch viel lieber Empfangsmodel bei Hollister wäre. Das nötige Charisma dafür hätte er in jedem Fall, die Energie in seiner Stimme zieht den Hörer problemlos in die vom Gelsenkirchener zRy produzierten Beats hinein, während Cengiz sich seine Lebensweisheiten von der Seele rappt. Humor und Selbstironie stehen hierbei an der Tagesordnung, egal, ob auf "Tut mir Leid Heute nicht" der Türsteher gemimt wird, der kein Problem damit hat, deine Eltern anzurufen, wenn du dich im Club nicht benimmst, oder sich äußerst zynisch über die virale "Mediakraft"-Internetwelt echauffiert wird. Dabei treiben reichlich Bass und Synthiesound die Instrumentals an, während der Rapper Talent und Können unter Beweis stellt. Warum bei so viel Liebe zur Musik der Erfolg bisher ausblieb, ist auch klar: Der antrainierte Bauch, den nur jede Menge Döner und Ayran so formen konnten, passt einfach nicht auf das JUICE-Cover. Schlimm ist das Ganze selbstverständlich nicht, denn der Sprachkurs läuft gut, die Schüler dürfen sich während "Türkisch für Fortgeschrittene" auf reichlich Spaß und Hörgenuss gefasst machen. Sobald sich das alles herumgesprochen hat, wird der Lehrraum bis oben hin mit Fans voll sein und der Rapper kann schon mal den Kurs für Experten planen. Wünschen tut man es dem "Türken, der Deutsch kann" in jedem Fall.
Wobo Solagl (Daniel Fersch)