Special: Kurz-Reviews November 2014

  • Im Jahr 2014 sieht man sich als eigenständiges Deutschrap-Magazin in einer wahren Dilemmasituation gefangen: Der Markt ist längst übersättigt. Tagtäglich wächst die Szene, ein Ende ist nicht in Sicht – Rapper kommen, aber so wirklich gehen wollen sie nicht, selbst wenn sie's sagen. Comebacks an jeder Ecke. Und nachdem vor einigen Jahren noch sämtliche Plattenfirmen dicht machten, schießen neue Labels langsam wieder aus allen Böden. Vorbei die Zeiten von Aggro Berlin, BOZZ Music und Optik Records – die Ära der Freunde von Niemand, der Azzlackz, der Halunkenbanden und der Banger-Musiker hat unlängst begonnen. Bei einer solchen Vielfalt an neuen Künstlern ist es natürlich nicht ganz so einfach den Überblick zu behalten – was ist wichtig, was könnte noch wichtig werden und was kann man getrost unter den Tisch fallen lassen? In internen Gesprächen kommen sie immer wieder auf – die Fragen, wer sich nun seine Review verdient hat, wer seinen Platz in den "Unknown Kings" kriegen sollte und wer zwar ein guter Künstler ist, aufgrund von Kapazitätenauslastung aber leider keine Plattform von uns geboten bekommt. Und das sind teilweise leider so einige ... Was uns zur Dilemmasituation zurückführt: Allen kann man's in der heutigen Zeit unmöglich Recht machen. Es ist ein wenig wie in "300": eine Hand voll Redakteure sieht sich einer Übermacht an Rappern gegenübergestellt. Deshalb wollen wir mit diesem Special mal einen kleinen Exkurs wagen – abseits der unbekannten Könige und der sowieso schon bekannten Acts ist nämlich nach wie vor ein Haufen aufstrebender Künstler in der Szene unterwegs, die wir euch im Rahmen einiger Kurz-Reviews vorstellen möchten ...





    Kex Kuhl – Bartik EP


    "How to shave your beard like a man?" "You don't!" – mit diesem Zitat beginnt die "Bartik EP" von Kex Kuhl. Wer den dichten Haarwuchs im Gesicht des Rappers sieht, weiß, dass sich der Gründer der Bartik-Gang diesen Ratschlag durchaus zu Herzen nimmt. Anders als sein langer und wild wuchernder Bart zeichnet sich die neue EP jedoch eher durch Kürze und Ruhe aus. Denn mit etwas mehr als 20 Minuten Laufzeit und hauptsächlich entspannten Beats wirkt das neue Werk im Vergleich zum im März erschienenen "Make säks not love" zumindest anfangs geradezu leise. Das Intro kommt mit kräftigen Drums und ein paar sphärischen Synthiesounds aus, auf denen Kex Kuhl Representerzeilen zum Besten gibt. "Blickkontakt" vereint oldschooligen Boom bap mit jazzigen Samples, die der Rapper für nachdenkliche Szenekritik nutzt. Wie gewohnt sind besonders die battlelastigen Tracks dabei mit einer großen Anzahl an Punchlines und Vergleichen angereichert, die nicht nur Kex' technische Versiertheit, sondern auch seinen Humor zur Geltung bringen. Auf "Fast 50 Bars" reihen sich Zeilen wie "Ich schrieb' nur 'n paar Bars wie 'n Kellner auf Arbeitssuche" an nahezu absurde Zeilen à la "Denn wirst du für 'nen Slot gebucht, passiert das Ganze zufällig wie 'n Hobbitfuß". Als Sahnehäubchen oben drauf gibt's mit "Fap Fap Fap" noch die Ode an die Selbstbefriedigung und mit "Deko" sowie "Carter" gleich zwei Tracks, die sich den Lieblingsthemen der Bartik-Gang widmen: Alkohol, Partys – und Alkohol. Der Zusammenschluss mit Rockstah und dessen Fanbase zur "Nerdy Terdy Bartik Gäng" fasst dann noch mal alles zusammen und bringt die EP mit dumpfen Drums und kratzigen Samples zu einem amüsanten Abschluss. How to dislike Kex Kuhl? You don't!





    Marz – Hoes. Flows. Kollabos.


    Schon gegen Ende des letzten Jahres veröffentlichte Marz in Anlehnung an den Westberlin Maskulin-Klassiker "Hoes, Flows, Moneytoes" das kostenlose Mixtape "Hoes. Flows. Tomatoes.". Das Ganze war geprägt von Marz' Liebe zum Sound der '90er Jahre, straightem Boom bap, dem Knacken und Rauschen von Vinylplatten, oldschooligen Samples und den authentischen Texten des Rappers. Während damals jedoch mit Döll nur ein einziger Gast vertreten war, mag die Featureliste des neuen, passend als "Hoes. Flows. Kollabos." betitelten Werks gar kein Ende nehmen. Mit "Black n Proud"-Partner Bonzi Stolle wird darüber philosophiert, ob man nicht "lieber alleine" wäre, mit der Sängerin Vanessa Gentile der Heimatstadt Stuttgart "Danke" gesagt, mit Fatoni bis in den "17. Stock" geflogen und mit Juse Ju Torch auf der "Ü-40 Party" begrüßt. Bei so namenhaften Features will Marz natürlich von Anfang an klar machen: "Ich bezahl' niemand dafür", und gibt die ersten Zeilen auf samplelastigem Golden Era-Sound von Lord Finesse und Cuts von DJ Henster zum Besten. Seine Features zu bezahlen, scheint Marz sowieso nicht nötig zu haben, ist er mit seinen Gästen doch stets auf einer Wellenlänge. Gemeinsam mit Johnny Rakete wird auf "The worst" jede Menge Battle, Representing, Donut- und Drogenkonsum betrieben, während man mit Lakmann und Sickless auf dem knackigen Drumset von "Wer Aaahhh sagt..." die aktuelle Rapszene zerlegt. So sollte sowohl soundtechnisch wie inhaltlich für jeden etwas dabei sein, doch wenn "du frontest...", kriegst du es mit Marz und Edgar Wasser zu tun, was ein wunderschön schwarzhumoriges wie paradoxes Highlight von "Hoes. Flows. Kollabos." darstellt. Selbst jene, die "Hoes. Flows. Tomatoes." bisher nicht gehört haben, sollte die Gästeliste des neuen Werks davon überzeugen, sich das Ganze zumindest einmal zu Gemüte zu führen.





    Nanoo – Sonntagabend


    "Sonntagabend": Zeit zu verdrängen, dass der Montagmorgen zum Greifen nah ist, den Wochenendkater auszukurieren, ein gutes Buch zur Hand zu nehmen oder sich in Ruhe der eigenen Plattensammlung beziehungsweise Musik im Internet zu widmen. Vielleicht stößt man dabei auf Nanoo und dessen neue EP. Auf der thematisiert der aus Aschaffenburg stammende Rapper hauptsächlich sich selbst und alles, was ihn umgibt, was reichlich nachdenkliche wie emotionale, vor allem aber ehrliche Inhalte zu Tage fördert. Der Wasserfall aus Synthieklängen, hinter dem Nanoo seine "MAMA" fragt, warum er sich so anders und isoliert fühlt, und der Track über den fragwürdigen "Traumjob" Rapper wirken im Vergleich zu dem, was im Laufe des "Sonntagabend"s noch geschieht, fast oberflächlich. Denn nachdem Nanoo und Rockstah mit harten Drums und Gitarrenriffs den Untergang der deutschen Rapszene dadurch angekündigt sehen, dass Falk Schacht keine Mütze mehr trägt und die eigenen Fans plötzlich auch Sierra Kidd und eRRdeKa hören, sinkt die Stimmung sowie die Grundatmosphäre der EP gewaltig. "Decke" setzt sich mit einer schwierigen Beziehung auseinander und stellt die wenigen, schönen Momente den vielen negativen Erlebnissen gegenüber und der Blick aus der "Retrospektive" wird zum langatmigen Schweben in leisen Klangsphären. Auch die beiden Bonustitel "American Pie" und "FJORD" behalten die melancholische Atmosphäre bei, während sich Nanoo sehr ehrlich und authentisch mit dem Erwachsenwerden, Beziehungsproblemen und der eigenen Gefühlswelt auseinandersetzt. Dabei schafft er es stets, auf kitschige, weinerliche Texte zu verzichten und baut stattdessen aus seinen Worten und den passenden Beats den entsprechenden Gefühlszustand zu den Inhalten der Tracks auf. Wer sich danach noch immer über so Banales wie den Montagmorgen ärgert, kann sich mit dieser EP immerhin den "Sonntagabend" in die nächste Woche mitnehmen.



    Wobo Solagl (Daniel Fersch)

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