Rap ist seit über 40 Jahren Teil der Musikgeschichte. Und obgleich diese Zahl im Vergleich zu anderen Musikstilen gering scheint, war die Entwicklung in hohem Maße dynamisch und einflussreich. Wie kaum eine andere Musikrichtung hat das Rap-Genre politische, kulturelle und gesellschaftliche Veränderungen reflektiert und künstlerisch verarbeitet. Ein Verständnis der Vergangenheit ermöglicht daher in besonderem Maße eine differenzierte und facettenreiche Wahrnehmung der heutigen Szene. Im Rahmen dieser Kolumne versuchen wir eine kritische Würdigung herausragender Alben der Rap-Geschichte. Basierend auf einer subjektiven Auswahl, unter Berücksichtigung der Fachliteratur, präsentieren wir euch die unserer Meinung nach prägenden Alben deutschsprachiger Rapmusik. Die Auswahl umfasst Werke, deren Relevanz auf künstlerischer Qualität und/oder Innovation beruht, welche aber auch kommerziell wahrgenommen wurden. Gleichzeitig wurde auf eine Balance der verschiedenen Stilrichtungen geachtet, um einen möglichst ausgewogenen Blick auf die Entwicklung zu ermöglichen. Von jedem Künstler, den wir berücksichtigt haben, wurde jenes Werk ausgewählt, welches unserer Einschätzung nach zu einem Meilenstein geworden ist. Eines wird bei diesem knapp zwanzigjährigen Streifzug durch die Geschichte deutlich: Rap in Deutschland hat eine lehrreiche, kontroverse und sehr spannende Vergangenheit.
01. Das Boot
02. Hammerhart (Album-Version)
03. Rock on (LP-Version)
04. Liebes Lied
05. Füchse feat. Samy Deluxe
06. Fahr’n
07. Showmaster
08. Geht was
09. Geh bitte
10. Nie nett feat. Das Bo & Ferris MC
11. Mikro in der Hand feat. David P
12. Nicht allein
"Bambule" hat Hamburg endgültig ins Rapgedächtnis der Nation gezimmert. Als Konsens, als Blaupause und als Schmelztiegel des State of Minds der Hansestadt. Samy hatte seine Grüne Brille, die Pferdelunge und den Freestyle, Dendemann den Wortschatz, Fettes Brot die Radio-Hits, Ferris MC den Wahnsinn und Der Tobi & das Bo den Wahnwitz. Die Absoluten Beginner hatten anno '98 alles in Perfektion auf "Bambule" gebündelt. Sie näherten sich Rap wie die meisten Formationen Anfang der Neunziger: Zig Kumpels trafen sich, chillten, freestylten – ein erster fester Kern kristallisiert sich heraus. Die Sprache ist Englisch, man nimmt Demos auf – der feste Kern, der weiterhin fokussiert arbeitet, wird kleiner und zum Schluß bleibt die Stammcrew übrig. Eißfeldt, Denyo, DJ Mad und Platin Martin. Als das Debüt "Flashnizm [Stylopath]" in die Läden kommt, sind die Absoluten Beginner die Beastie Boys des deutschen Raps. Kein Sample zu schräg, keine Dubanleihe zu peinlich, kein Hall zu abstrus und kein Beat, über den man nicht seine juvenil-aufgeweckten Thesen und Tresenwitze schicken könnte. Doch die Beginner sind kein Rip-Off. Die ganze Platte atmet die Luft des Welthafens, die der Reeperbahn und irgendwie auch die von Piraten kurz vor dem Aufbruch. Der Untergrunderfolg gibt ihnen Recht.
Statt Neid gibt es in Hamburg City Schulterklopfen. Es wird connected, es wird gefeaturet. Der Zusammenschluss wird öffentlich durch das lose Künstlerkollektiv "Mongo Clikke" repräsentiert. Mit Samy Deluxe, Ferris MC, Fünf Sterne Deluxe, Eins Zwo et cetera entsteht neben der "Kolchose" die kreativste Vereinigung für die nächsten Jahre. Hamburg war nicht nur auf der Landkarte, Hamburg rulet. "Bambule" konzentrierte sich auf die Essenz. In der WG. Im Keller. Mit Samples. Das Eindampfen aller Einflüsse und Richtungen. Das Ganze mit Major im Rücken. Dass im Zuge der Vorbereitungen Platin Martin das feste Boot verließ, bedeutete kein Ende der Freundschaft. Wieder kein Neid, keine Wut, sondern "rock on" und Kumpels 4 Life. So offenherzig zeigt sich auch die Platte. Mit zwei ungeplanten Hits für die breite Masse ("Liebes Lied" & "Hammerhart"), mindestens vier weiteren für die kreuzüber-hörende Jugend von damals sowie keinem Ausfall für die Rap-Hardliner war "Bambule" aus dem Stand in den noch jungen Deutschrap-Himmel geschossen. Diese Scheibe konnte überall laufen. Und das tat sie auch: im Jugendheim, im Radio, im Auto, auf der Seitenlinie am Platz beim Eisbeutelbekühlen der geschundenen Knöchel. You name it. "Bambule" hat nicht den Tiefgang von "Quadratur des Kreises", hat nicht die druckvolle Produktion von "Lauschgift", nicht das Vorreitertum von "Advanced Chemistry" und nicht den harten Kopfnick von "Fenster zum Hof". Doch "Bambule" hat seinen ureigenen, unverfälschten und originären Style. Einen Flavour, den es davor nicht gab und den bis dato auch nur die Beginner aufleben lassen können. Geschichte schreibt man nicht ab, Geschichte schreibt man selbst.
"Eine Pfote am Mikro, eine auf den Tasten/
Ein Auge aufs Geschäft, eines im Plattenkasten/
Ein Ohr fürs Rudel, eins für den Gegner/
Ein Tanzbein und ein Arschtreter/"
(Eißfeldt auf "Füchse")
"Bambule" ist derbe, weil die smoothen Beats (großteils von Eißfeldt) eine Stimmung erzeugen, die sowohl zeitlos und ortunabhängig ist, als auch, obwohl auf den ersten Blick widersprüchlich, die damalige Zeit perfekt einfängt und ganz klar nach Hamburg klingt. Nachts um zwei Uhr von der Reeperbahn über das Feld vorm Millerntor-Stadion und durch das Karolinenviertel nach Eimsbüttel zu laufen, dabei den steifen Wind im Frühjahr und Spätherbst zu spüren, den Geschmack von zu viel Rummischgetränken im Mund und den Hoodie bis tief über die Stirn gezogen. "Bambule" könnte kein besserer Soundtrack sein, um sich dabei nicht elend, sondern fresh zu fühlen. Gleichzeitig kann es auch aus einer Frittenbude auf den Landungsbrücken schallen, während man eine Unterhaltung mit einem schnoddrigen Kleinkutterkapitän über die Mode der jungen Dinger führt. Und als ob das nicht schon Kunststück genug wäre, ist es als Sahne auf dem eingelegten Fischfilet egal, ob es 1998, 2014 oder 2030 ist. Textlich wird zwar der Duden nicht neu erfunden, doch wenn Fake-MCs ihre verdiente Breitseite abbekommen, über den einzig wahren Flow (und warum man nur selbst ihn besitzt) referiert wird, das Revier an den Grenzen abgepinkelt und die Sozialkritik weniger den Globus als die enge Gesellschaft betrifft, dann wird das mit nordischem Charme und Augenzwinkern gemacht. Kein Haudrauf, kein Pistole, keine Vernichtungsszenarien, sondern alles streng nach den erlaubten Regeln der heiligen HipHop-Statuten. Und genau diese HipHop-Statuten werden als Basis von "Bambule" mit so viel Inbrunst vertreten, dass diese zwölf Songs in ihrer Schlüssigkeit einen Meilenstein unserer geliebten Kultur darstellen. Der szeneübergreifende Instant-Konsens ist dabei nicht weniger wert als der der Fantas oder Freundeskreis. Für die folgenden fetten Jahre konnten sich Newcomer noch lange auch bei den Beginnern bedanken.
Zwei Jahre später bekam "Bambule" mit "Boombule" das beste Remix-Album, das je ein deutsches Rapalbum gekrönt hat. Die Entscheidung, welche Version von "Bambule" man noch heute auflegt, ist tagesformabhängig und immer richtig. Zum Goldstatus des Albums noch mal 50.000 abgesetzte Einheiten der Remix-Platte können nicht lügen. In der nächsten Zeit und am ersten Zenit der Bandgeschichte ging Eißfeldt zu Jan Delay über und nahm ein viel beachtetes Reggae-Album auf ("Searching for the Jan Soul Rebels"). Denyo blieb dem HipHop vorerst treu und releaset "Minidisco". DJ Mad drehte weiter die Wheels of Steel. Fünf Jahre nach "Bambule" holten die – mittlerweile auch offiziell – "Beginner" zum großen Wurf aus und katapultierten sich selbst mit "Blast Action Heroes" zu Recht auf Platz eins der deutschen Charts. Ein Status Quo, der damals bei Weitem noch nicht an der Tagesordnung war. Anstatt den Erfolg auszuschlachten, machten die Beginner jedoch das, was sie immer ausgemacht hat: Sie blieben sich treu. Und da sie befanden, dass es nicht die Zeit war, eine weitere Platte aufzunehmen, trennten sich die Wege erneut.
Jan Delay fand den Funk, die Nation fand Jan Delay und so schickte er auch seine zwei nächsten Scheiben auf den Sonnenplatz von Media Control sowie seine nasale Stimme auf ausverkaufte Touren quer durch Deutschland. Denyo produzierte eine erfolglose weitere Rapplatte, bevor er einen Ausflug in den Indierock wagte. Den Erfolg von Jan oder den Beginnern konnte er damit nicht erreichen beziehungsweise wiederholen. Er heuerte beim Radio an und brachte auf VOX Schlagersänger und Rapper zur gegenseitigen Songinterpretation zusammen. Nachdem DJ Mad schon Videos für die Beginner als Regisseur realisierte, saß er auch bei Jan Delay und Xavier Naidoo hinter der Kamera. Seine Mixe gehören immer noch zum Besten, was Deutschland zu bieten hat. Mit HipHop im Herzen und "Each One Teach One" im Blut moderiert er mittlerweile seit zwei Jahrzehnten eine wöchentliche Show mit Gästen und qualitätsgeprüften Tracks. Nachdem die Beginner 2012 das Splash! rockten, keimte die erste, auch von der Band geschürte Hoffnung auf, dass ein neues Beginner-Album entsteht. Vorerst hat jedoch Jan den Rock in den Funk gebracht und 2014 sein neuestes Album releaset, das auch noch ausgiebig betourt werden will. Eine Video-Botschaft vom November 2013 stellt jedoch in typischer Beginner-Art klar, dass da noch was kommt. Wollen wir es alle hoffen.
(Matthias Schädl)
Meilensteine-Kolumne Teil 1: Die Fantastischen Vier – 4 gewinnt (1992)
Meilensteine-Kolumne Teil 2: Various Artists – Alte Schule (1993)
Meilensteine-Kolumne Teil 3: Rödelheim Hartreim Projekt – Direkt aus Rödelheim (1994)
Meilensteine-Kolumne Teil 4: Advanced Chemistry – Advanced Chemistry (1995)
Meilensteine-Kolumne Teil 5: Stieber Twins – Fenster zum Hof (1996)
Meilensteine-Kolumne Teil 6: Freundeskreis – Quadratur des Kreises (1997)
Meilensteine-Kolumne Teil 7: Massive Töne – Kopfnicker (1996)
Meilensteine-Kolumne: Kommentare/Diskussionen/Ideen zur Kolumne