Special: Kurz-Reviews September 2014

  • Im Jahr 2014 sieht man sich als eigenständiges Deutschrap-Magazin in einer wahren Dilemmasituation gefangen: Der Markt ist längst übersättigt. Tagtäglich wächst die Szene exponentiell, ein Ende ist nicht in Sicht – Rapper kommen, aber so wirklich gehen wollen sie nicht, selbst wenn sie's sagen. Comebacks an jeder Ecke. Und nachdem vor einigen Jahren noch sämtliche Plattenfirmen dicht machten, schießen neue Labels langsam wieder aus allen Böden. Vorbei die Zeiten von Aggro Berlin, BOZZ Music und Optik Records – die Ära der Freunde von Niemand, der Azzlackz, der Halunkenbanden und der Banger-Musiker hat unlängst begonnen. Bei einer solchen Vielfalt an neuen Künstlern ist es natürlich nicht ganz so einfach den Überblick zu behalten – was ist wichtig, was könnte noch wichtig werden und was kann man getrost unter den Tisch fallen lassen? In internen Gesprächen kommen sie immer wieder auf – die Fragen, wer sich nun seine Review verdient hat, wer seinen Platz in den "Unknown Kings" kriegen sollte und wer zwar ein guter Künstler ist, aufgrund von Kapazitätenauslastung aber leider keine Plattform von uns geboten bekommt. Und das sind teilweise leider so einige ... Was uns zur Dilemmasituation zurückführt: Allen kann man's in der heutigen Zeit unmöglich Recht machen. Es ist ein wenig wie in "300": eine Hand voll Redakteure sieht sich einer Übermacht an Rappern gegenübergestellt. Deshalb wollen wir mit diesem Special mal einen kleinen Exkurs wagen – abseits der unbekannten Könige und der sowieso schon bekannten Acts ist nämlich nach wie vor ein Haufen aufstrebender Künstler in der Szene unterwegs, die wir euch im Rahmen einiger Kurz-Reviews vorstellen möchten ...





    Duzoe & Zwiebel – Frank EP


    Als der Film "Donnie Darko" im Jahr 2001 veröffentlicht wurde, betrat mit "Frank", einem mannshohen Wesen im Hasenkostüm, eine Kreatur die Medienlandschaft, die aufgrund ihres abstrusen Aussehens und des dadurch gegebenen hohen Widererkennungswerts sinnbildlich für den gesamten Film stand und bis heute steht. Die Entscheidung von Duzoe und Zwiebel, ebendiese Figur als Maskottchen ihrer EP zu verwenden, scheint nahezu perfekt, sorgen die beiden Rapper doch ebenso wie der Film "Donnie Darko" bei den Fans für große Begeisterung, bei vielen anderen jedoch für Verwirrung und Kopfschütteln. Denn was die zwei Rapper machen, machen sie zweifellos gut, allerdings entspricht es nun mal nicht jedermanns Geschmack. Ob man Gefallen an dem findet, was die Facial Traffic-Mitglieder produzieren, zeigt sich recht schnell, denn im Grunde ist bereits nach dem "Intro" und dem ersten Track der EP "alles gesagt". Auf einem schaurig anmutenden Beat werden bitterböse Wortspiele, pechschwarzer Humor und aggressive Battlezeilen zum Besten gegeben, die technische Umsetzung ist dabei gewohnt gekonnt und einwandfrei. Duzoe und Zwiebel geben meist die unsympathischen, verjunkten Verlierer (die gerade deswegen so sympathisch wirken), während die wunderschön widerliche Attitüde dabei irgendwo zwischen Arroganz und Ignoranz ihr Plätzchen findet – egal, ob die Fans jetzt im Hipster-"Dreieck" springen oder der Sound auf "Weiß nicht" fast schon 257er'eske Züge annimmt. Die Featuregäste bringen zusätzliche Abwechslung in das Werk, fügen sich dabei aber auch problemlos ins Konzept ein, wenn mit Crystal F zusammen einfach auf die Kacke gehauen und "dope Styles" ausgepackt werden, während man mit Mikzn70 Karriereenden und "Sendeschluss" thematisiert. Überraschend in Hinblick auf die restliche EP erweist sich "Alltagslärm" zusammen mit LZA, auf dem sich alle drei Rapper ungewohnt ruhig und nachdenklich zeigen, gerade dadurch aber ein ganz besonderes Highlight der EP geschaffen haben. Alles in allem ist die "Frank EP" von Duzoe und Zwiebel also ein absolutes Muss für FT-Fans, sollte aber durchaus auch den ein oder anderen Hörer überzeugen können, der zuvor wenig mit den Jungs anfangen konnte.





    Azzis mit Herz – Fluch und Segen


    Vom anatomischen Standpunkt her betrachtet, hat natürlich jeder Mensch, unabhängig von seinem Verhalten und der Art, wie er sich gibt, ein Herz. Was Daniel Sahib und Don Bene mit dem Namen ihres Duos Azzis mit Herz sagen wollen, soll jedoch vor allem andeuten, dass selbst der härteste Hund Grips in der Birne und das Herz am rechten Fleck haben kann, obwohl oder gerade weil er rappt. Für HipHop-Fans und die Szene selbst ist dies allerdings keine wirkliche Neuigkeit, sodass sich die Aussage wohl vor allem an die Leute richtet, die mit Deutschrap zuvor nicht unbedingt etwas anfangen konnten – sei es, weil sie einfach keinen Zugang dazu fanden oder gar von Gangsterrap-Klischees abgeschreckt wurden. Die zwei Frankfurter versuchen jedoch auf ihrem neuen Album "Fluch und Segen", sich mit ihrer Musik so deutlich von hartem Straßen- und Battlerap abzugrenzen, dass ihr Werk letztlich fast schon zu weich wirkt. Technisch funktioniert das Ganze einwandfrei: Ein konstanter Flow mit kraftvoller Stimme, angenehmer, wenn auch teilweise fast etwas zu kitschig anmutender Gesang und klare, gut produzierte Beats verleihen "Fluch und Segen" einen hervorragenden Sound, an dem es im Grunde nichts zu meckern gibt. Vom pianodominierten "Intro" über die Kombination von Geigen und Drums auf "In Zeiten wie diesen" bis hin zum kraftvollen, lauten Sound von "Helden des Alltags" bildet sich ein sauberer Klangteppich, der angenehm anmutet, sich jedoch leider nicht traut, auch mal wirklich hart und böse zu werden. Ein Problem, das sich auch auf thematischer Ebene zeigt, da zwar vielfältige Inhalte erkennbar sind, man sich jedoch nicht aus den "braven" Themen herauswagt. Es gibt Gesellschafts- und Szenekritik, Motivations- und Inspirationstexte in Hülle und Fülle, am Ende bleibt aber das Gefühl, dass außer "pädagogisch wertvoll" nicht viel zum Inhalt zu sagen bleibt. Selbst "Deine Straßen", ein Track, auf dem sich die Azzis mit Herz explizit mit dem Leben auf ebenjenen befassen, klingt letztlich durch einen zu sanften Beat und die etwas unpassende Gesangshook viel weicher als nötig. Die zwei Rapper beherrschen ihr Handwerk technisch zweifelsohne, sollten vielleicht aber auch mal etwas wagen und bedenken, dass nicht nur Azzis ein Herz haben können, sondern auch Musik aus dem Herzen mal ein wenig "assi" klingen darf.





    Lea-Won – Lernt mich lieben Vol. 4


    Hand aufs Herz: Habt Ihr Lea-Won schon lieben gelernt? Sollte dies noch nicht der Fall sein, bietet er euch mit dem vierten Teil seiner seit 2006 existenten "Lernt mich lieben"-Reihe nun die Möglichkeit, dies schnellstens zu ändern. Und Ihr werdet Lea-Won definitiv ins Herz schließen, denn was der Münchner mit seiner Sammlung mehr oder minder zusammenhangsloser Tracks abliefert, verdient einfach nur bedingungslose Liebe. Wie schon bei den Vorgängern, entstammen die meisten Beats diversen (Instrumental-)Alben von Producern wie DJ Geraet, JuSoul und Datka und ergeben ein Soundbild, das dem popverwöhnten Fan von auf Hochglanz polierten Plastikbeats ein wenig auf den Magen schlagen wird, während jedem, bei dem es auch mal etwas roher, experimentierfreudiger und kreativer zugehen darf, allein schon die Instrumentals zum vollen Hörgenuss reichen würden. Allerdings bildet dieser Sound "nur" die Unterlage für Lea-Wons Texte, voll von scharf analysierender Szene- und Gesellschaftskritik, intelligentem, konkret formuliertem Rebellentum und intimen, tiefgründigen Selbstreflexionen. Mal vegetiert er gemeinsam mit Antilopen Gang-Member Koljah als "Metropolphantom" in München beziehungsweise Düsseldorf vor sich hin oder beschreibt, wann, wo und wie ihn sein Umfeld "politisiert". Mal tänzelt er gut gelaunt im "Slalom" durchs Leben, dann wiederum hinterfragt er die Ursachen und Auswirkungen in dem Moment, in dem "jemand stirbt". Verpackt ist das Ganze in freiem, spontan wirkendem Flow, der sich weder in irgendwelche Reimstrukturen noch sonstige Schemata pressen lässt, ohne dabei aber erzwungen prätentiös zu wirken. Doch auch, wenn Lea-Wons Rap oftmals zwanglos und locker wirken mag, durchdacht sind die Zeilen allemal. So wird dem Hörer spätestens durch "Ströme", auf dem gemeinsam mit Stanman der Flow selbst zum Thema wird, oder dem Track "Sklave des Reims", auf dem Lea-Won nicht nur die Reime selbst, sondern auch ihre Bedeutung zueinander sowie den Grund ihrer Verwendung hinterfragt, der hochintelligente und kreative Anspruch hinter den Tracks bewusst. Jeder, der sich die 13 Skits und Songs zu Gemüte geführt hat, wird Lea-Won lieben lernen, sollte dies jedoch unter keinen Umständen zugeben, damit er sich gezwungen sieht, uns eine weitere, fünfte Chance geben zu müssen.





    Koree – #UDED


    Die Metapher, welcher zufolge ein noch unbekannter Künstler, ähnlich einem Stück Kohle, unter Druck zum Diamanten wird, erfreut sich gerade im HipHop-Bereich recht großer Beliebtheit, wodurch das Bild selbst mittlerweile relativ ausgelutscht wirkt. Dass der Düsseldorfer Koree dennoch damit spielt, hat einen ganz speziellen Grund. Sein Album "#UDED", was ausgesprochen eben "Unter Druck entstehen Diamanten" bedeutet, wurde von ihm und seinen beiden United Hustlers-Kollegen Kingsize und Alexis Troy innerhalb von nur drei Monaten komplett aus dem Boden gestampft – ein zeitlicher Druck, der aus dem Vorhandenen ein wertvolles Juwel pressen sollte. Die damit erreichte Chartplatzierung (Platz 24) mag sich sicherlich auch durch die Promoaktion von "#UDED" ergeben, bei der Koree durch das YouTube-Format "Releaseday" wöchentlich über die Produktion der Platte berichtete, den allgemeinen Entstehungsprozess eines Albums erklärte und die Zuschauer etwa beim Schreiben der Texte interaktiv teilhaben ließ, denn dem Werk selbst merkt man durchaus an, dass Koree nach ein paar Jahren Pause nicht mehr unbedingt der routinierteste Rapper ist. Obgleich er von Anfang an durchaus "motiviert" wirkt, sind es oftmals eher die Beats, die das Highlight eines Tracks darstellen, während Korees Texte dahinter ein wenig untergehen. So bleibt schon auf der ersten Anspielstation des Albums der kräftige, epochal anmutende Sound im Ohr, während die Aneinanderreihung von motivierenden Phrasen recht schnell wieder vergessen ist. Dabei sind es schon eher die vielen namhaften Featuregäste, deren Rapparts überzeugen können, da Künstler wie Kollegah, RAF Camora, Snaga, Fard und Eko Fresh Koree technisch problemlos in den Schatten stellen. Zumindest auf "1, 2, 3" gemeinsam mit den 257ers fügt sich der Gastgeber bestens in das Konzept und den Sound ein und kann sogar mit relativ schnellem, akkuraten Flow überzeugen. Im Großen und Ganzen ist das "#UDED"-Projekt in Verbindung mit dem "Releaseday"-Format und der gesamten Promotion dahinter durchaus unterhaltsam, der Platte allein hätte es wohl nicht geschadet, wenn man den Druck ein wenig verringert und dafür den Diamanten noch ein wenig geschliffen hätte.



    Wobo Solagl (Daniel Fersch)

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