Special: Kurz-Reviews August 2014

  • Im Jahr 2014 sieht man sich als eigenständiges Deutschrap-Magazin in einer wahren Dilemmasituation gefangen: Der Markt ist längst übersättigt. Tagtäglich wächst die Szene exponentiell, ein Ende ist nicht in Sicht – Rapper kommen, aber so wirklich gehen wollen sie nicht, selbst wenn sie's sagen. Comebacks an jeder Ecke. Und nachdem vor einigen Jahren noch sämtliche Plattenfirmen dicht machten, schießen neue Labels langsam wieder aus allen Böden. Vorbei die Zeiten von Aggro Berlin, BOZZ Music und Optik Records – die Ära der Freunde von Niemand, der Azzlackz, der Halunkenbanden und der Banger-Musiker hat unlängst begonnen. Bei einer solchen Vielfalt an neuen Künstlern ist es natürlich nicht ganz so einfach den Überblick zu behalten – was ist wichtig, was könnte noch wichtig werden und was kann man getrost unter den Tisch fallen lassen? In internen Gesprächen kommen sie immer wieder auf – die Fragen, wer sich nun seine Review verdient hat, wer seinen Platz in den "Unknown Kings" kriegen sollte und wer zwar ein guter Künstler ist, aufgrund von Kapazitätenauslastung aber leider keine Plattform von uns geboten bekommt. Und das sind teilweise leider so einige ... Was uns zur Dilemmasituation zurückführt: Allen kann man's in der heutigen Zeit unmöglich Recht machen. Es ist ein wenig wie in "300": eine Hand voll Redakteure sieht sich einer Übermacht an Rappern gegenübergestellt. Deshalb wollen wir mit diesem Special mal einen kleinen Exkurs wagen – abseits der unbekannten Könige und der sowieso schon bekannten Acts ist nämlich nach wie vor ein Haufen aufstrebender Künstler in der Szene unterwegs, die wir euch im Rahmen einiger Kurz-Reviews vorstellen möchten ...





    Shawn The Savage Kid – Egoprobleme


    Vor etwas mehr als einem Jahr stellten wir Euch an dieser Stelle die "Kennen wir uns?"-EP, das Debüt des Regensburgers Shawn The Savage Kid, vor. Bereits damals zeichnete sich der Rapper durch eine angenehme Stimmfarbe und die Liebe zum Erzählerischen aus. Die EP selbst wirkte allerdings noch ein wenig so, als wolle Shawn einfach endlich eine erste Solo-Platte veröffentlichen, ohne sich dabei allzu viele Gedanken um die Zusammenstellung der Titel zu machen. Die nun erschienene zweite EP hört sich nicht nur musikalisch gereifter an, sie scheint zudem deutlich durchdachter und mit einem festen Konzept versehen, denn jede der sechs Anspielstationen dreht sich in irgendeiner Weise um "Egoprobleme". So malt sich Shawn beispielsweise in verträumt sanften Klängen einmal das Leben als "Schlagerstar" aus, weil man da angeblich noch so richtig Geld machen kann. An anderer Stelle beklagt er unter harten Drums und kräftiger Bassline, wie sein rüpelhafter Alter Ego STSK ihm Probleme bereitet, indem er Shawns Karriere zu jeder Zeit mit extremen Starallüren und fragwürdigem Benehmen schadet. Zwischendurch klont sich der Rapper dann noch selbst, verleiht seinem Klon den Namen "Dolly" und lässt diesen von nun an die Drecksarbeit machen. Zumindest so lange, bis "Dolly" auf einer schrillen Mischung aus gepitchten Vocalsamples und quietschendem Synthiesound Anspruch auf ein eigenes Leben erhebt und Shawn sich mit der Frage konfrontiert sieht, wie er den Klon möglichst schnell wieder los wird. The Savage Kid beweist also erneut sein Storytellingtalent, präsentiert sich diesmal aber auch als geschickter Produzent und steuerte eine Hälfte der Beats der EP selbst bei. Bleibt nur zu hoffen, dass Shawn seine "Egoprobleme" in den Griff kriegt und wir spätestens in einem Jahr erneut eine großartige Fortsetzung geliefert bekommen.





    Belabil – Gemeinsam einsam


    Belabils musikalische Ambitionen und der Titel seines Mixtapes "Gemeinsam einsam" lassen sich wohl am schnellsten durch den Track "Setz die Kopfhörer auf" erklären. Der Krefelder erzählt aus der Perspektive der Musik, wie diese manchmal der einzig verbliebene Begleiter eines Menschen sein kann und man – egal, wie schlecht die Situation aussieht – Trost in ihr findet. Von Anfang an wird klar, dass Rap eine entscheidende Rolle in Belabils Leben spielt und so ist der erste Eindruck, den man von ihm gewinnt, erstmal der eines Fans, der sich dazu entschlossen hat, einfach mal selbst vor dem Mic zu stehen. Dabei orientiert er sich aber nicht nur an deutschem Rap – gerade auch HipHop aus Frankreich beeinflusst ihn stark, was durch viele der Mixtapebeats bestätigt wird, die diversen französischen Künstlern entliehen sind. So bedient sich etwa "Tristesse Untergrundrap" eines Beats von Pejmaxx oder "Narkotik City" am Sound von Boobas "Double Poney", während sich Belabil raptechnisch nicht schlecht, allerdings auch nicht herausragend präsentiert. Mit recht kräftiger Stimme und durchaus vorhandenem Flow, wenn auch stellenweise mit etwas unsauberen Reimen, wagt er sich an Themen wie eben die Liebe zu Rap, jedoch auch an Szene-, Gesellschafts- und Regierungskritik sowie die ein oder andere Story von der Straße heran. Wegen vieler Allgemeinplätze und Phrasen können sich zwar nicht alle Titel behaupten und mancher Track rauscht am Hörer vorbei, ohne dass etwas hängen bleibt, doch im Großen und Ganzen kann das Gesamtwerk zumindest für ein wenig Hörgenuss sorgen und bietet mit immerhin 19 Anspielstationen reichlich Stoff. Als kleines Highlight stellt sich der Track "Harlem" heraus, auf dem Belabil gemeinsam mit dem Frankfurter Credibil über den sanften Immortal Techniques-Beat zu "Harlem Streets" von den harten, gefährlichen Zeiten auf der Straße erzählt. Es ist bei Weitem noch nicht "das" überragende Mixtape, mit dem sich Belabil einen großen Namen in der Szene machen könnte, doch zumindest ein guter Anfang und für den ein oder anderen sicherlich ein Anstoß, mit Belabils Musik "gemeinsam einsam" zu sein.





    Ufo361 – Ihr seid nicht allein


    Seit der Mensch so in etwa begreift, was er da sieht, wenn er in den Nachthimmel blickt, stellt er sich immer wieder die Frage, ob es da draußen noch andere Individuen gibt und ob auf fernen, fremden Planeten nicht vielleicht auch Leben existiert. Und wie in diversen Hollywoodproduktionen zuvor, schwebt nun ein echtes Raumschiff über der Erde. Seine Aufschrift kennzeichnet es als Ufo361 und es verbreitet die Botschaft: "Ihr seid nicht allein". Plötzlich stellt der Mensch fest, dass dieses fremde Leben gar nicht so fremd, sondern ziemlich authentisch und nachvollziehbar ist, denn was Ufo361 von sich gibt, ist ehrlich, unverblümt und vor allem mehr als unterhaltsam. Der erfrischend euphorische Flow des Hoodrich-Rappers hat die nötige Kombination aus Bissigkeit und Spaß an der Sache, um sowohl auf dem böse kratzigen Synthiesound von "U.F.O." als auch auf dem Klaviersound und den dumpfen Drums der 2Pac-Hommage "PAC" zu funktionieren und die entsprechenden Themen zu vermitteln. Themen hat Ufo sowieso reichlich – egal, ob er den "funky" Frauenhelden spielt, als "GanjaBoi" samt Reggaesound dem Graskonsum frönt oder die Lügen und Protzereien anderer Rapper mit "Du hast nix" enttarnt. Die Inhalte erscheinen ähnlich vielfältig wie sein Leben in "Kreuzberg 96" zwischen bestohlenen Touristen und alten Damen, denen über die Straße geholfen wird. Letztlich dreht es sich aber auch bei ihm immer nur um "HipHop" – egal, ob in Sachen Musik oder etwa in Form von Liebe zum Graffiti, einer Obsession, welcher er "seit dem ersten Tag" erlegen ist. Sei es nun textlich oder in Bezug auf die Beats: Ufo361 ist stets unvorhersehbar und variationsreich, aber dennoch exakt und genau auf dem Punkt. Gekrönt wird das Ganze von einer interessanten Attitüde, teils der verschlagene Gauner, teils der sympathische Kumpel, die den Rapper zu einer markanten Person und sein Album zu einem gelungenen Werk macht. "Ihr seid nicht allein" – und darüber könnt Ihr verdammt froh sein, denn das bedeutet, dass Menschen wie Ufo361 Euch auch weiterhin mit Hörgenuss versorgen können.





    Tierstar Andrez – Draussen auf Bewährung


    Seit Anfang des Monats ist Tierstar Andrez "draussen auf Bewährung" und das passende Tape dazu zum kostenlosen Download verfügbar. Und dieser Download ist wärmstens zu empfehlen, denn das erste, was Tierstar mit seiner neuen Freiheit macht, ist, auf ganzer Linie zu überraschen. Angefangen bei der Masse von ganzen 15 Tracks über eine reichhaltigen Featureliste mit Namen wie Main Moe, Rako und Morlockk Dilemma bis hin zu vielseitigen, absolut gelungenen Titeln präsentiert sich der Berliner von seiner besten Seite. Die fast etwas zu ruhigen Anfänge mit recht entspanntem Flow werden schnell durch harten Sound und wütende Texte ersetzt, in denen Straßen- und Gangsterrap die erste Geige spielen. Dennoch finden sich neben der gewohnt hohen Dosis an Ghettoattitüde, zum Beispiel auf "Eine Gang ist eine Gang", "Mein Messer" und "Alle Jahre wieder", auch eine Vielzahl von herausstechenden Liedern wie etwa der autobiografische Titeltrack "Draussen auf Bewährung" oder die ganz private Auseinandersetzung mit ausuferndem Rassismus ("Berliner N-Wort") auf dem Tape wieder. Zusätzlich beweist Tierstar ein Talent für innovative Konzepttracks, wenn er beispielsweise mit unter anderem Morlockk Dilemma die Rolle verschiedenster Waffen einnimmt, die "in der Asservatenkammer" landeten und davon berichten, wie sie zu Gewalt- und Straftaten verwendet wurden, oder filmähnliche Szenarien durchspielt, in denen ihm "eine Berührung reicht", um in einen anderen Körper zu schlüpfen. Kreatives Storytelling und die stellenweise sehr mutige Beatauswahl wie etwa der schrille, hallende Synthiesound von "Eine Berührung reicht" machen das Tape extrem unterhaltsam und spannend, sodass man nur hoffen kann, dass Tierstar möglichst lange in Freiheit bleibt, um seine Talente weiterhin bestens ausüben zu können.



    Wobo Solagl (Daniel Fersch)

  • Zitat

    Original von FenixxBeatz
    Errorkidz von Jinx hätte da aber schon noch reingepasst...


    Würde ich absolut unterschreiben, stünde dafür nicht bereits eine eigenständige Review in den Startlöchern. :D

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