Interview: Sorgenkind


  • Einmal im Jahr taucht es wortwörtlich aus dem Nichts auf: das Sommerloch. Ein Zeitabschnitt, in dem augenscheinlich nicht viel los ist – könnte man zumindest meinen. Doch Eypro-Mitglied Sorgenkind hat sich mit dem Phänomen "Sommerloch" mal etwas genauer auseinandergesetzt und ihm eine komplette EP gewidmet, die seit Juli erhältlich ist. Nachdem wir ihn gemeinsam mit seinen Crewkollegen Djin und Clayne bereits im Frühjahr auf der Tapefabrik trafen, setzten wir uns mit dem Düsseldorfer nun, einige Monate später, noch einmal in einem Einzelgespräch zusammen, um ausführlich über die EP, das nach wie vor anstehende Punkrockalbum und weitere musikalische Themen zu sprechen.


    rappers.in: Du hast kürzlich deine neue EP "Sommerloch" veröffentlicht. Kannst du uns zu Beginn erzählen, woher der Titel kommt und warum du im "Sommerloch" überhaupt eine EP veröffentlichst?


    Sorgenkind: Eigentlich fing alles mit dem Titel-Track "Sommerloch" an. Ich hatte die Idee, dass es eine Phase im Jahr gibt, in der Meldungen wie Krieg komplett verschwiegen werden und es plötzlich nur noch einen Problembären Bruno, eine Killerschildkröte oder Paul, die Krake, gibt. Und ich frage mich: Was passiert da eigentlich, wenn keine Nachrichten darüber geschrieben werden? Einerseits steckt da die Kritik dahinter, dass man darauf achten soll, was sonst so in der Welt passiert, andererseits aber auch etwas Selbstkritik, da ich ja auch im Sommerloch versinke. Als ich den Track geschrieben habe, wurde mir selbst bewusst, dass ich jedes Jahr in diesem Sommerloch gefangen bin. Wenn Splash! ist, interessiert mich zum Beispiel überhaupt nicht, was sonst in der Welt passiert.


    rappers.in: Was glaubst du, warum das so ist? Das konnte man ja auch bei der WM beobachten, als in der Halbzeit dann beiläufig erwähnt wurde, was in Israel passiert ...


    Sorgenkind: Genau! "Deutschland führt 5:0, in Israel ist Krieg und morgen spielt Holland gegen Argentinien". Ich glaube, das passiert, weil der Mensch sich halt gut fühlen und sich nicht mit Dingen belasten will, an denen er indirekt Schuld hat. Das Problem ist auch, dass da kein Statement von deutschen Politikern kommt, weil die in der Zeit auch Urlaub haben oder selbst auf der Tribüne beim Endspiel sitzen. Wenn sich die Medien mehr mit den Themen befassen würden, würde man auch ein krasseres Statement von der Politik erwarten, aber das passiert zu dem Zeitpunkt einfach nicht. Sondern erst, wenn das Sommerloch wieder geschlossen ist.


    rappers.in: Und wenn wir das Sommerloch auf dich beziehen: Hast du das Gefühl, dass du im Sommer auch fauler oder unkreativer bist, was Musik betrifft?


    Sorgenkind: Dieses Sommerloch auf jeden Fall nicht, denn jetzt kam ja die EP raus. (lacht)


    rappers.in: Aber die ist ja nicht im Sommer entstanden.


    Sorgenkind: Nee, das stimmt. Ich hab' im Sommer immer das Gefühl, dass ich jetzt richtig Bock hab', irgendwas rauszubringen. Dann fängt meistens auch im Sommer der Schaffensprozess an. Im Herbst und Winter hab' ich immer so eine kleine Flaute, aber im Frühjahr steigt das wieder an. Ich glaube, das Wetter hat eine große Wirkung auf meine Kreativität und Laune. Es geht ja auch um die Ideen, die man hat. Wenn man im Sommer viel draußen ist und erlebt, sammelt man viele Eindrücke und kann darüber ein Lied schreiben. Wenn man aber im Winter nur zuhause sitzt, fliegen einem keine Ideen durchs geschlossene Fenster zu.


    rappers.in: Ihr habt mit dem Plot ja auch einen Track namens "Präsidentenstrand" gemacht. Ist der im Sommer entstanden oder mehr eine Erinnerung?


    Sorgenkind: Wir sind seit zwei Jahren regelmäßig an diesem Sandstrand in Düsseldorf. Drei Jahre hab' ich da gewohnt und wusste im ersten nicht einmal, dass wir sowas haben, bis mir davon erzählt wurde. Und da dachte ich mir so: Hallo?! Wir haben 'nen Sandstrand, lass' da mal hingehen! Und irgendwann, als wir auf dem Weg dorthin waren, kam uns so ein reicher Typ entgegen, der den Elias kannte. Der meinte zu uns: "Ihr müsst da hinten in die zweite Bucht gehen, die ist cooler." Da dachten wir uns: Warum? Sitzen da nur reiche Menschen herum? ... Und dann führte eins zum anderen. Das war dann eben der Präsidentenstrand.


    rappers.in: Ihr hattet vor einigen Jahren ja auch so ein Lagerfeuer-Video zu "Ruderboot" ... ist das da entstanden?


    Sorgenkind: Das war am Rhein, aber nicht an der Sandstrandseite, sondern an der Steinseite. Zu dem Zeitpunkt wusste ich auch noch nichts von dem Sandstrand, sonst hätte ich gefragt, warum wir uns denn auf die Steine setzen, wenn auf der anderen Seite Sand ist. (lacht)


    rappers.in: Aber der ist nicht natürlich da, sondern angelegt, oder?


    Sorgenkind: Doch! Es gibt sogar mehrere Sandstrände in Düsseldorf, genau wie in Köln oder Hamburg.



    rappers.in: Kommen wir noch mal auf das Sommerloch zu sprechen: Wie befreist du dich daraus? Möchtest du da überhaupt raus oder gefällt dir der aktuelle Zustand?


    Sorgenkind: Ich möchte auf jeden Fall wissen, dass ich gerade im Sommerloch bin, und nicht denken, dass alles normal ist. Ich will mir darüber bewusst sein, dass irgendwo anders auf der Welt gerade etwas passiert und das nicht ignorieren, sondern nachfragen können. Aber klar, ich versinke auch selbst im Sommerloch – ich seh' kein fern, ich hab' auf Facebook N24 abonniert und bekomm' da meine Nachrichten. Aber N24 steigt ja auch immer voll in dieses Sommerloch mit ein.


    rappers.in: Sprechen wir mal konkret über die EP: Warum hast du kein Album daraus gemacht beziehungsweise die Tracks dafür gesammelt?


    Sorgenkind: Das war von Anfang an als EP gedacht, weil ich im letzten Jahr ja auch ein Quarterback40-Album, also ein Punkrock-Album, gemacht habe. Direkt danach ein ganzes Rapalbum zu machen, wäre am Ende irgendwie hingeklatscht gewesen und darum hab' ich mich dann lieber auf sechs Tracks fokussiert, die Albumqualität haben. Es sollte halt eher ein halbes Album werden ... "EP" ist immer so eine kleine Degradierung. Das klingt so nach: "Ich hab' einen Track gemacht und den Rest bau' ich jetzt drumherum, aber im Prinzip ist das alles Müll und ich will grade nur ein bisschen Geld haben". Ich wollte auf jeden Fall was bringen und hatte eigentlich auch vor, die Songs auf der "Nur wegen Bier hier"-Tour mit 3Plusss zu spielen, aber ... Dann wär' es wirklich hingeklatscht gewesen.


    rappers.in: Wir haben in unserem letzten Eypro-Interview vom Februar darüber gesprochen, dass ihr einen gemeinsamen Sampler machen wollt. Wie ist da denn der Status? Ist der noch in Arbeit oder wurde die Idee inzwischen verworfen?


    Sorgenkind: Nee nee, verworfen wird das nie! (lacht) Wir haben uns zwischenzeitlich auch echt ein paar Mal zusammengesetzt und Gedanken darüber gemacht, aber jetzt hab' ich zum Beispiel eben diese EP gemacht. Und die hatte bei mir oberste Priorität. Patrick (Anm. d. Red.: Djin) arbeitet nebenbei auch noch an seinem Album. Aber sobald wir uns alle gezielt treffen, gucken wir, dass wir einen Track oder eine Idee ausarbeiten. Ein paar Sachen haben wir schon gemacht, aber momentan ist noch nicht die Zeit, in der man einem Eypro-Sampler die oberste Priorität gibt.


    rappers.in: Habt ihr vielleicht auch den Gedanken im Kopf, Musik irgendwann wieder mehr in diesem Crewrahmen zu machen? Momentan macht ja jeder seine eigenen Sachen und entwickelt sich vor allem als Solokünstler.


    Sorgenkind: Eypro ist einfach eine Herzensangelegenheit, aber es prallen zu viele Interessen und verschiedene Umstände aufeinander. Clayne hat einen Vollzeitjob und verdient da sein Geld, Denis (Anm. d. Red.: 3Plusss) ist selbst schon eine Zeit lang vorher durchgestartet – als "Boah ey" draußen war, konntest du den auch nicht mehr aufhalten. Es ist ja auch kein Problem, dass er jetzt aus Eypro draußen ist, er gehört ja immer noch zum Freundeskreis. Aber es ist halt schwierig, all diese Interessen miteinander zu kombinieren. Und wenn man für sich selbst etwas verfolgt, weiß man, wann man etwas macht. Erstmal die Mannschaft zusammentrommeln, ist schwer, weil meistens jeder schon irgendwas anderes vorhat oder arbeiten muss.


    rappers.in: Du hast gerade gesagt, dass Clayne beispielsweise einen Vollzeitjob hat. Was machst du eigentlich beruflich? Als wir uns vor einigen Jahren das letzte Mal darüber unterhalten haben, warst du noch Student ...


    Sorgenkind: Genau. Ich bin auch immer noch Student und werd' immer Student bleiben. (lacht) Das klingt jetzt voll komisch, aber ich mach' gerade nur Musik.


    rappers.in: ... und du kannst davon leben?


    Sorgenkind: Ich kann davon überleben ... Ich möchte das, also wird das jetzt auch gemacht. Es gibt ja auch immer solche Motivationsetappen. Irgendwann kam die Bookinganfrage und ich dachte: Krass, was passiert als Nächstes?! Dann wollte jemand mein Manager werden und ich dachte: Krass, ich werde jetzt gemanagt, dann lass' ich mir jetzt natürlich in den Arsch treten. Denis kümmert sich auch wie ein großer Bruder um mich, obwohl er drei oder vier Jahre jünger ist. (lacht) Der sagt dann immer: "Niko, jetzt wird aber mal gemacht hier, keine Faxen!" Ich hab' auf jeden Fall genügend Motivationspfeiler von allen Seiten, die mir in den Arsch treten und dank denen ich merke, dass da was passiert. Das ist ein Traum. Als ich mich früher in der RBA als Nug angemeldet habe, dachte ich nicht, dass da sowas draus wird.



    rappers.in: Wenn wir gerade schon über dein Management reden, würden wir auch gerne mal über deine aktuelle Labelsituation sprechen. "Sommerloch" ist unseres Wissens nach über kein Label veröffentlicht worden – kannst du uns etwas zu deiner aktuellen Situation sagen?


    Sorgenkind: Aktuell ist es so, dass ich bei keinem Label bin. Das Release jetzt wird über einen Shop vertrieben, die ganze Hintergrundarbeit hat vor allem mein Management gemacht ... und ein bisschen ich. (lacht) So läuft das gerade. Alles andere warte ich mal ab.


    rappers.in: Hast du vor, irgendwann über ein Label zu releasen, wenn du ein Angebot bekommst? Oder findest du, dass es so, wie es momentan läuft, perfekt für dich ist?


    Sorgenkind: Das hängt vom Angebot ab. Wenn ich eines bekomme, bei dem ich merke, dass das wieder ein Schritt nach vorne für mich ist, hätte ich da auf jeden Fall Bock drauf. Aber ich gehe nicht zu irgendeinem Label, nur um zu sagen, dass ich jetzt über ein Label release. Ich finde das auch ein bisschen überbewertet. Entweder bekommst du halt ein cooles Angebot oder nicht, aber ich muss mich jetzt nicht verbiegen.


    rappers.in: Du hast gerade auch erwähnt, dass du vor "Sommerloch" mit Quarterback40 ein Punkrock-Album gemacht hast. Hast du parallel an beiden Projekten gearbeitet oder musste das strikt getrennt werden?


    Sorgenkind: Das Punkrock-Album ist fertig gemastert, zwei Videos und das WM-Lied kamen ja schon heraus – aber da bin ich auch nicht der Chef. Da sind Elias und Dom die Macher und die überlegen gerade, in was für einem Rahmen man das bringen könnte. Die Arbeiten daran haben sich aber eher mit dem vorherigen Album überschnitten als mit "Sommerloch". Generell kann ich aber nicht zwei Releases gleichzeitig machen, sondern nur nacheinander.


    rappers.in: Ist der Übergang vom Rap zum Punkrock nicht etwas schwierig?


    Sorgenkind: Nee. Punkrock ist für mich einfach was Neues, aber auf jeden Fall gesangsmäßig schwieriger. Bei der HipHop-Geschichte kannst du schon ein wenig die simpleren Melodien nehmen, aber wenn du ein ganzes Album singen musst, musst du schon gucken, dass du nicht die ganze Zeit deine Standard-Harmonien runterträllerst. Aber so klang das am Anfang halt bei mir. Irgendwann kam dann Elias und meinte zu mir: "Das machst du jetzt alles nochmal neu, weil so klingt das kacke." Dafür ist es aber umso einfacher, die Texte zu schreiben. In HipHop-Sprache hat jeder Part so um die vier bis acht Zeilen, da bist du halt schnell fertig.


    rappers.in: Aber du hast ja auch viel weniger Zeilen, um etwas zu erklären. Im Rap hast du beispielsweise allen Platz der Welt, um den Himmel zu erklären, und jeder weiß danach genau, wie er aussieht.


    Sorgenkind: Ja, aber das Problem ist: Wenn du in zwei Zeilen den Himmel erklären kannst, musst du überlegen, was du in den anderen 14 Zeilen schreibst. Das kann sowohl vor- als auch nachteilhaft sein. Ich finde, dass dieses Punkrockding textlich viel leichter ist. Dazu kommt, dass ich ja auch noch Elias und Dom dabei habe. Und Dom ist so ein richtig kranker Kopf, der hat Ideen, das glaubst du nicht. Der ist richtig bekloppt, der kam jeden Tag mit 20 neuen Liederideen. Von den Grundideen her haben die beiden auf jeden Fall mitgeholfen.


    rappers.in: Und was macht dir grundsätzlich mehr Spaß?


    Sorgenkind: Ja ... Rap auf jeden Fall.


    rappers.in: Warum?


    Sorgenkind: Da kann ich eben Rap und Gesang kombinieren. Ich will halt auch beides machen.


    rappers.in: Welche Art von Musik hörst du denn, wenn du in einem solchen Kreativprozess steckst?


    Sorgenkind: Ich hör' eigentlich alles. Aber wenn ich jetzt gezielt Ideen haben will, höre ich nur Beats. Irgendwelche atmosphärischen Sachen, die mich inspirieren. Aber ich verkrampf' mich da nicht auf bestimmte Einflüsse oder sonst was, wo ich mir irgendetwas abkupfern möchte. Ich hör' einfach die Musik, auf die ich Bock habe. Es ist jetzt auch nicht so, dass man bei mir Einflüsse von Releases erkennt, die ich gerade höre. Die Einflüsse sind immer die gleichen gewesen – da bin ich nicht so stimmungsschwankungsgefährdet.


    rappers.in: Zu guter Letzt: Wenn du dir eine Zeit im Deutschrap aussuchen könntest, in der du gerne aufgewachsen wärst: Welche wäre das und warum?


    Sorgenkind: Ich fand die ganze Zeit mit Samy und den Hamburgern schon ganz richtig so. Es ist schön, wenn man ein paar Jahre später wieder Parallelen zu der Zeit, in der man aufgewachsen ist, schließen kann. Ich glaube, ich habe da echt Glück gehabt, in der Zeit aufgewachsen zu sein, mit den alten, noch guten Samy-Sachen und den Beginnern. Es gab zwischendrin halt mal so eine Flaute, da wäre ich ungerne aufgewachsen. Aber die mittleren bis späten '90er waren schon ganz cool.



    (Florence Bader & Kristina Scheuner)

  • Einfach der beste, ich hoffe das der noch mal ihrgendwan mit 3plusss aufschließt.

    +They always expect the Monster. And It's always just some bloke.
    There ain't no monsters. There's no great saving grace.
    No us and them. There's just us. - Hellblazer+

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