Special: Kurz-Reviews Juli 2014

  • Im Jahr 2014 sieht man sich als eigenständiges Deutschrap-Magazin in einer wahren Dilemmasituation gefangen: Der Markt ist längst übersättigt. Tagtäglich wächst die Szene exponentiell, ein Ende ist nicht in Sicht – Rapper kommen, aber so wirklich gehen wollen sie nicht, selbst wenn sie's sagen. Comebacks an jeder Ecke. Und nachdem vor einigen Jahren noch sämtliche Plattenfirmen dicht machten, schießen neue Labels langsam wieder aus allen Böden. Vorbei die Zeiten von Aggro Berlin, BOZZ Music und Optik Records – die Ära der Freunde von Niemand, der Azzlackz, der Halunkenbanden und der Banger-Musiker hat unlängst begonnen. Bei einer solchen Vielfalt an neuen Künstlern ist es natürlich nicht ganz so einfach den Überblick zu behalten – was ist wichtig, was könnte noch wichtig werden und was kann man getrost unter den Tisch fallen lassen? In internen Gesprächen kommen sie immer wieder auf – die Fragen, wer sich nun seine Review verdient hat, wer seinen Platz in den "Unknown Kings" kriegen sollte und wer zwar ein guter Künstler ist, aufgrund von Kapazitätenauslastung aber leider keine Plattform von uns geboten bekommt. Und das sind teilweise leider so einige ... Was uns zur Dilemmasituation zurückführt: Allen kann man's in der heutigen Zeit unmöglich Recht machen. Es ist ein wenig wie in "300": eine Hand voll Redakteure sieht sich einer Übermacht an Rappern gegenübergestellt. Deshalb wollen wir mit diesem Special mal einen kleinen Exkurs wagen – abseits der unbekannten Könige und der sowieso schon bekannten Acts ist nämlich nach wie vor ein Haufen aufstrebender Künstler in der Szene unterwegs, die wir euch im Rahmen einiger Kurz-Reviews vorstellen möchten ...





    Dr. Jack-Ill & Mr. Right – Die Rückkehr der Becksritter


    Gute Nachrichten, die Becksritter sind wieder da! Wer sie sind? Keine Ahnung. Wo sie waren? Weiß niemand. Wie sich ihr Comeback anhört? Schwer zu sagen. Denn "Die Rückkehr der Becksritter", vertont von Dr. Jack-Ill & Mr. Right, klingt nach einer Mischung aus Cartoon, Comic, Chaos und Charme der alten Schule, aber irgendwie auch ganz anders. Schon in der "Einführung", während derer die beiden Künstler in der Manege neben "feinsten Jungbullen" auftreten, wird klar, dass die gesamte Platte konventions-, vielleicht sogar ein wenig konzeptlos, aber vor allem mit viel Spaß an der Sache entstanden ist. Vom kratzigen Piano-Sample über den Beat mit Big Band-Charakter bis hin zur selbst eingepfiffenen Bridge liefert Dr. Jack-Ill instrumental so ziemlich alles, was man sich vorstellen kann. Mr. Right gibt darauf seine teils absolut wahnwitzigen Gedanken und Weisheiten zum Besten. Zeilen wie "Du rufst Mutter Natur an, ob die Sprache spielen kommen darf, doch Vater Staat legt da ein Veto ein" stehen an der Tagesordnung und werden mit wunderbar spontanem, teilweise an Poetry Slam-Vorträge erinnernden Flow vorgetragen. Thematisch befasst man sich mit dem "Flammenmeer" der Hölle, stimmt die Hymne der Faulen und Unmotivierten auf "Der einzige Anhaltspunkt" an oder erlebt, wie "ein schrecklicher Alptraum" geradezu hörbuchreif vom gescheiterten Kampf gegen die Wackness erzählt. So ganz weiß man nie, wen oder was das Duo denn nun wirklich darstellt, doch klar ist, dass man es irgendwo zwischen Superschurken und -helden der Deutschrapwelt ansiedeln muss und die beiden für den Kampf "gegen verkackte Korbleger, schlechte Freiwürfe und Laktoseintoleranz" sowie "gegen die Verkunstrasung uns'rer Sprachspielwiese" stehen. Dazu gibt es dann noch ein Zitat aus der Batman-Serie der '60er Jahre – Wahnsinn und Genie lagen selten näher beieinander. Auch wenn sich selbst nach dem Hören nicht geklärt hat, von wo und warum die Becksritter zurückgekehrt sind, so muss man doch sagen, dass wir froh sein können, dass sie wieder unter uns weilen und uns mit diesem wunderschönen Werk beschenkt haben.





    Disarstar – Manege frei (Phase 3)


    Die Veröffentlichung des Mixtapes "Herr meiner Sinne" des Hamburgers Disarstar ist noch kein ganzes Jahr her, da meldet sich dieser auch schon mit dem dritten Teil seiner "Phase"-Reihe wieder zurück. "Manege frei (Phase 3)" ist zwar kein gänzlich neues Werk, sondern eher eine Zusammenfassung des bisherigen Werdegangs des Künstlers, lohnt sich jedoch gerade deswegen vor allem für all jene, die jetzt erst auf ihn aufmerksam werden sollten. Neue Hörer dürfte er in der nächsten Zeit genug finden, hat Disarstar doch erst vor kurzem beim Label Showdown Records unterschrieben, so wie es zuvor schon die vielversprechenden Künstler Mortis und Shawn the Savage Kid taten. Aus dem Jahr 2011 hat Disarstar den aggressiven Representer "Ich bleib mir treu" mit kraftvollem Pianobeat sowie die zwei gesellschaftskritischen Tracks "Ansichtssache", der von sphärischem Samplesound untermalt wird, und "Realität", eine recht ruhige Nummer, im Gepäck. Dass es sich bei seinen kritischen Texten nur selten um die obligatorische Phrasendrescherei handelt, unter der solche Themen oftmals leiden, beweist er etwa auf "Neue Welt" aus dem Jahr 2013, wo er sich mit Wirtschafts- und Bankensystem auseinandersetzt. Seine Fähigkeiten, auch live überzeugen zu können, stellt er mit "One-Take für Facebook" ebenso unter Beweis wie vor wenigen Tagen bei seinem Auftritt auf dem Splash!-Festival. Neben ein paar weiteren alten Titeln wie "Herr meiner Sinne" und "Vergiss mein nicht", die in Form von Remixen neue instrumentale Gewänder erhalten haben, findet sich dann noch der brandneue Titeltrack "Manege frei" auf dem Werk, der mit viel dumpfem Bass und kräftigen Drums durch die Boxen poltert, um dem Hamburger einen geeigneten Klangteppich für seinen energiegeladenen, aggressiven Flow zu liefern. Zwar werden Fans, die Disarstars Musik schon länger verfolgen, nicht allzu viel Neues auf "Manege frei (Phase 3)" finden, doch gerade für diejenigen, die sich bisher noch nicht mit dem Künstler auseinandersetzten, bietet sich hiermit eine Gelegenheit, einen groben Überblick über das Schaffen des Hamburgers zu erhalten.





    Aytee – Cyberjunk


    Anfang des letzten Monats durften wir Euch bereits das Video zum Track "Affengene" des Rappers Aytee aus Kronau exklusiv auf rappers.in vorstellen. Nun folgt die damals bereits angekündigte EP "Cyberjunk" über das Independent-Label Trotzdem Records. Mit den wummernden Bässen und den harten Drums des von Drogen durchzogenen Representers "Affengene" noch im Ohr, geht man also durchaus mit gewissen Erwartungen an das Free-Download-Werk des Rappers heran, wird zunächst allerdings fast ein wenig enttäuscht. Die EP selbst fängt relativ leise und ruhig an, mit einem sphärischer Synthieteppich, auf dem Aytee etwas monoton, aber sehr kontrolliert zu rappen beginnt. Und auch wenn das Ganze nicht unbedingt schlecht klingt, hofft man darauf, dass es sich nur um eine Art Ruhe vor dem Sturm handelt, bevor der MC so richtig loslegt. Nachdem "Ich zu sein ..." immerhin etwas lauter und härter klingt und Aytee davon erzählt hat, dass er irgendwie nur so zufällig zum Rappen kam, da er sich darüber unklar war, wer er selbst denn überhaupt wäre, gibt er als "Pizzakurier" dann endlich einmal richtig Gas. Gemeinsam mit Feature- und Labelpartner Aze liefert er eine fast schon melodische Gesangshook und ein paar deftige Battlelines frei Haus – und nähert sich damit schon deutlich dem, was man von "Affengene" kannte. Als man dann noch gemeinsam mit furB eine fremde Party gecrasht und alles zerlegt hat, "bis der Hurensohn tot is'", und gemeinsam mit dem in NRW lebenden Donzen bewiesen wurde, dass man sein Handwerk wirklich beherrscht und akkuraten Flow mit intelligenten, selbst- und gesellschaftskritischen Texten zum Besten geben kann, geht es ans Eingemachte. Während der Großteil der EP, abgesehen von dem ein oder anderen Drumkit, ansonsten relativ ruhig klingt, stellt sich "Terminator" mit einem Gastauftritt der Mason Family als rockig-krachendes Synthie-Dubstep-Brett heraus. Bitterböse Zeilen und aggressiver, schneller Flow mit ordentlich Biss werden von allen drei Künstlern nur so in den Beat gehämmert und donnern gemeinsam mit voller Wucht aus den Boxen. Spätestens danach sind die fast schon zu leisen Anfänge vergessen und es besteht kein Zweifel mehr an Aytees Talent. Obendrauf gibt es dann noch eine Hand voll Bonustracks für all jene, die gleich noch mehr von dem Kronauer hören und nicht erst auf das nächste rappers.in-Exclusive warten wollen.





    Kyan – Kyankali Formel


    Einen Newcomer kann man Kyan wahrlich nicht nennen, befasst er sich doch seit gut zehn Jahren mit deutschem Rap und dem Schreiben seiner Texte. Ein eigenes Album gab es vom gebürtigen Kieler bisher allerdings nicht. Erst jetzt, da er sich gemeinsam mit seinem Produzenten Max Vol, der wie Kyan mittlerweile auch in Hamburg lebt, aus den tiefen seines Chemielabors wagt, keimt Hoffnung für eine Solo-Diskografie auf. "Ich hab' die Formel und sie ist tödlich", kündigt Kyan sein Werk an und redet dabei von seiner ganz eigenen "Kyankali Formel", mit welcher er die Tracks anfertigt, die er nun über das Indie-Label Boom Klack veröffentlichen will. "Die Formel" selbst klingt zunächst nach einer sehr schnellen Synthie-Nummer, die stark von Kyans melodiösem Flow getragen wird. Gekonnt setzt er seine Stimme auf vielfältige Weise ein, wenn er mal nachdenklich und persönlich, mal representing- oder battlelastig wird, wobei Sound und Style immer ein wenig wichtiger als der Inhalt scheinen. Man hört den Liedern des Rappers durchaus den Anspruch des Kunstmachens an, sodass die Metapher der "Kaligrafie" für die Texte und die Kunst, die er selbst erschafft, bestens passt. Kyan stellt sich als einen passionierten Künstler dar, der sich mit einer Flasche Rotwein in seinem Atelier verkriecht und auf den Kuss der Muse wartet oder beschreibt, wie ihn Sorgen und Probleme in die"Insomnia", die Schlaflosigkeit, treiben. Jedoch lässt sich der Künstler weder von privaten Problemen noch von der Regierung "unten halten", wie er technisch versiert und mit schnellem Flow erklärt, wenn es um die Themen Staats- und Polizeigewalt sowie Überwachung und Unterdrückung geht. Die ein oder andere autotune-artige Hook des Albums könnte durchaus überhört werden, da sie auf Titeln wie "Kieler", auf dem der Rapper sich und seine Heimat präsentiert, fast schon störend wirkt. So auch, wenn es um das "Geben und Nehmen" sowie um die damit verbundene Undankbarkeit oder um "schlechtes Karma" geht, wo zwar der sehr melodische Charakter unterstrichen, dem Hörgenuss allerdings ein wenig Abbruch getan wird. Alles in allem ist das Album mit seinen 16 Anspielstationen sehr auf guten, melodischen Sound ausgelegt und zeigt, dass die in zehn Jahren Forschung entwickelte "Kyankali Formel" durchaus aufgeht.



    Wobo Solagl (Daniel Fersch)

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