Meilensteine: Freundeskreis – Quadratur des Kreises (1997)

  • Rap ist seit über 40 Jahren Teil der Musikgeschichte. Und obgleich diese Zahl im Vergleich zu anderen Musikstilen gering scheint, war die Entwicklung in hohem Maße dynamisch und einflussreich. Wie kaum eine andere Musikrichtung hat das Rap-Genre politische, kulturelle und gesellschaftliche Veränderungen reflektiert und künstlerisch verarbeitet. Ein Verständnis der Vergangenheit ermöglicht daher in besonderem Maße eine differenzierte und facettenreiche Wahrnehmung der heutigen Szene. Im Rahmen dieser Kolumne versuchen wir eine kritische Würdigung herausragender Alben der Rap-Geschichte. Basierend auf einer subjektiven Auswahl, unter Berücksichtigung der Fachliteratur, präsentieren wir euch die unserer Meinung nach prägenden Alben deutschsprachiger Rapmusik. Die Auswahl umfasst Werke, deren Relevanz auf künstlerischer Qualität und/oder Innovation beruht, welche aber auch kommerziell wahrgenommen wurden. Gleichzeitig wurde auf eine Balance der verschiedenen Stilrichtungen geachtet, um einen möglichst ausgewogenen Blick auf die Entwicklung zu ermöglichen. Von jedem Künstler, den wir berücksichtigt haben, wurde jenes Werk ausgewählt, welches unserer Einschätzung nach zu einem Meilenstein geworden ist. Eines wird bei diesem knapp zwanzigjährigen Streifzug durch die Geschichte deutlich: Rap in Deutschland hat eine lehrreiche, kontroverse und sehr spannende Vergangenheit.



    01. Quadratur Des Kreises
    02. Leg Dein Ohr Auf Die Schiene Der Geschichte
    03. Lasst Mich Nicht Alleine
    04. Enfants Terribles International
    feat. Déborah
    05. Letzten Sonntag Bei Donata
    06. A-N-N-A
    07. Nachtrag
    08. Future Mothers
    09. Vorspiel
    10. Baby, Wenn Ich Down Bin
    feat. Theresa J. Burnette
    11. Cross The Tracks feat. Donata Wharton
    12. Wenn Der Vorhang Fällt feat. Wasi
    13. Zwischenteil
    14. Overseas-Übersee
    feat. Afrob
    15. Cassandra & Christina
    16. Telefonterror
    feat. Cassandra Steen
    17. Im Land Der 1210er
    18. Enfants Terribles '96
    19. Easy At Last (Outro)


    1997 kracht leise ein gechillter Rucksack in die Raplandschaft. Gefüllt mit ein paar Menelik-Flyern, einer Flasche Rotwein, einem Tape mit Bob Dylan-Essentials und den Autobiografien von politischen Aktivisten, deren Seiten leicht abgelesen sind und in denen mit den beiliegenden, halb verbrauchten Eddings Tags, Skizzen und Notizen verewigt wurden. Eigentlich wäre damit schon alles gesagt. Eigentlich, denn "Quadratur des Kreises" ist so viel mehr. Und conscious. Doch back to basic: Freundeskreis konnten wahrscheinlich nicht anders klingen und heißen, als sie klangen und hießen. Als Teil der 1993 gegründeten Kolchose ging es schon immer um Loyalität, Freundschaft und Liebe zum Spiel. Neben den Massiven Tönen, den Krähen und später auch Afrob war Herz und Tür auch stets offen für die interaktive Einbeziehung von Graffiti und Breakdance. Wenn schon, dann richtig. Mit einem Background aus Jazz (Philippe Kayser & Don Philippe) und Gesang (Max Herre) wurde bereits von Beginn an auch die musikalische Untermalung und Instrumentierung um Schattierungen bereichert, die man zu jener Zeit nicht auf Rap-Platten fand. Damit das Zwei-Mann-Projekt Agit Jazz auch live richtig kicken konnte, brauchte es allerdings mehr. Mit DJ Friction an den Turntables wurde Agit Jazz zu Maximilian und sein Freundeskreis und später nur noch Freundeskreis.


    Nach unzähligen Jams und ersten Demos wurde im Zuge der ersten großen HipHop-Welle auch der Freundeskreis nach oben gespült. Doch wenn man "Keep it real" in den Mund nimmt, dann unterschreibt man nicht bei jedem x-beliebigen Major mit einem als Vorschuss getarnten Darlehen, sondern bleibt der Heimat treu und signt beim frisch gegründeten FOUR Music-Label der Fantastischen Vier. Dieses "Keep it real" machte sich auch beim ersten Album "Die Quadratur des Kreises" bemerkbar. So wird keiner der Label-Bosse gefeaturet, sondern strikt im Kolchose-Umfeld das Mic hin- und hergereicht. Dass während der Albumproduktion Sékou alias MC Koukou nicht festes Bandmitglied wurde, hielt jedoch nicht davon ab, ihn als Special-Featureartist nicht nur einen 16er droppen zu lassen, sondern gleich mehrfach an prominenter Stelle unterzubringen und ihm mit Afrob einen ganzen Song zu überlassen. Die Quadratur des Kreises ist es wohl, das Ego hinter das Gesamtprodukt zu stellen – besonders im Rap. Zwar mag die Zeit wirtschaftlich und medial für Deutschrapper gesprochen haben, doch den Erfolg damit zu begründen, würde der Sache nicht gerecht. Denn: "Leg dein Ohr auf die Schiene der Geschichte" ist wahrscheinlich der zweitwichtigste Polit-Track nach "Fremd im eigenen Land" und gleichzeitig die beste Beschreibung des State of Mind eines weiter schauenden Anfangzwanzigers zu dieser Zeit, als die Generation X den Einbruch des Wirtschaftsbooms abbekam, auch in seiner jugendlichen Tristesse nicht weiter wusste, aber sich informierte und nicht mehr alles schluckte.


    "Meine Mutter presste, gebahr und liebt mich/
    Trägt mich an der Brust, stillt und wiegt mich/
    Indess 'ne Mutter mit Sohn in Kambodscha den Schuss zu spät sah/
    Er wär' wie ich jetzt dreiundzwanzig/

    (Max Herre auf "Leg dein Ohr auf die Schiene der Geschichte")


    Dazu dieser Wuschelkopf, der das große und unpeinliche Liebeslied ("A-N-N-A") für das Mädchen von der Bushaltestelle schrieb, die Ladies von der Oberstufe genau dort im Herzen abholte und fast im Alleingang Deutschrap zu den Alternative-Puristen brachte. Crossover, so anders und so Sommer. Wo Anfang der Neunziger Cypress Hill Skater und HipHopper zum gemeinsamen Feiern und Durchdrehen brachte, schloss Freundeskreis, nun ja, Freundschaft mit den Gleichgesinnten beim Sit-in im Park deiner Wahl. Alternative, Indies, HipHopper, Gothics – alles war möglich. Diese Tür mag "Lauschgift" von den Fantas bereits aufgetreten haben, doch jetzt wurde in beide Richtungen durchspaziert. Und ordentlich verkauft. Auch die Konzeption des Albums entsprach dem Lebenswandel der breiteren, juvenilen Gesellschaft. Freunde auf den Tracks, Freunde, die alleine Tracks auf dem Album machen, Spoken Word über politische Häftlinge, eine Udo Lindenberg-Coverversion, Deutsch, Englisch, Französisch, Skits, Hits, 1210er, Gitarre, Gesang, Slang, whatever. Als ob man eine wundervolle WG der damaligen Zeit vertont hätte. Freunde kommen, Freunde gehen, Freunde übernachten und irgendwann macht man den Abwasch, während im Hintergrund "Beat Street" läuft. Das ist der Subtext, der "Quadratur des Kreises" von einem bedeutenden Album zu einem unauslöschbaren Meilenstein erhebt.


    Durch die harmonische und organische Produktion von Max, Don Philippe und DJ Friction, die leichten Jazz-Einflüsse und die Gesangsparts lockerte Freundeskreis das Korsett des HipHops auf Albumlänge auf und lief nicht Gefahr, stur im 85 bis 93 BPM-Bereich Langeweile aufkommen zu lassen. Die Heads nickten zu "Enfants Terribles International" und "Wenn der Vorhang fällt", "Cross The Tracks" setzte Dich wieder smooth in das Sofa und "im Land der 1210er" bekommt der DJ seinen Platz, den er auf einer HipHop-Scheibe nun mal verdient. Kein "Zu viele Stilmix-Köche verderben den Brei", sondern bestes Gumbo. Zwei Jahre später sollte "Esperanto" den Erfolg wiederholen, jedoch nicht am schwerelosen Flavour von "Quadratur des Kreises" vorbeiziehen. So wie sich der Freundschafts- und Posse-Gedanke von Freundeskreis als roter Faden durch die Band-Geschichte zog, so natürlich erschien auch das Ende. Mit den FK Allstars wurde die Bühne zum Happening, der Soul und Reggae durfte atmen, die Hauptprotagonisten mussten sich nicht in die erste Reihe drängeln, sondern ließen allen Gefährten den Platz zum Scheinen. In der Folge sollte es nur noch zur Live-Reunion für die 10-Jahres-Sause kommen. Ein letzter Track und ein Video mit allen Freunden und Bekannten. That's it.


    DJ Friction baute in der Zukunft seinen hervorragenden Ruf als Plattendreher aus und gilt als einer der renommiertesten HipHop-/Soul-/Funk-DJs Deutschlands. Don Philippe besann sich auf das Produzieren: Filmmusik, auch mal Werbemusik, mal ein Remix, mal die Platten von Laura López Castro, die auf Max Herres Nesola-Label erschienen. So schließt sich der Freundeskreis. Und der gute Max produziert 2002 "Mamani" seiner mittlerweiligen Frau Joy Denalane, schmeißt 2004 ein vollwertiges HipHop-Album auf den Markt, gründet seine eigenes Label Nesola, macht ein Bob Dylaneskes Album und findet 2012 seinen zweiten Solo-Frühling mit dem Bestseller "Hallo Welt!". Die Teilnahme als Juror bei "The Voice of Germany" ist in diesem Fall mehr Anerkennung als Ausverkauf, den man so gerne rufen würde. Doch alle Hater mussten einsehen, dass sein 2013 veröffentlichtes "MTV Unplugged" sowohl klanglich als auch konzeptionell zu den Top-10-Releases dieser Serie weltweit gehört. Und sie waren alle da: die Weggefährten Don Philippe, Afrob, Joy, Gentleman; die etablierten Samy und Patrice – und die neue Garde mit Grace, Megaloh und Tua und, und, und. Die Moderation übernahm Fab Five Freddy – nuff said.



    (Matthias Schädl)



    Meilensteine-Kolumne Teil 1: Die Fantastischen Vier – 4 gewinnt (1992)


    Meilensteine-Kolumne Teil 2: Various Artists – Alte Schule (1993)


    Meilensteine-Kolumne Teil 3: Rödelheim Hartreim Projekt – Direkt aus Rödelheim (1994)


    Meilensteine-Kolumne Teil 4: Advanced Chemistry – Advanced Chemistry (1995)


    Meilensteine-Kolumne Teil 5: Stieber Twins – Fenster zum Hof (1996)


    Meilensteine-Kolumne: Kommentare/Diskussionen/Ideen zur Kolumne

  • War damals mein Einstieg in diesen HipHop-Kosmos. Totgehört und jedes Wort wurde mitgerappt.


    Schön geschriebene Review. Für mich fehlt nur noch die Erwähnung von dem überdopen Tabula Rasa, das zwischen den beiden Alben als Single erschien und einfach zerstört hat. Kann mich nicht erinnern, dass jemals solch ein straighter Banger so hoch chartplatziert war (zu Zeiten, wo Charts noch relevant waren).

  • Zitat

    Original von Otis Driftwood



    Yes, indeed.

    „Schlechtes Benehmen halten die Leute doch nur deswegen für eine Art Vorrecht, weil keiner ihnen aufs Maul haut.“

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