Im Jahr 2014 sieht man sich als eigenständiges Deutschrap-Magazin in einer wahren Dilemmasituation gefangen: Der Markt ist längst übersättigt. Tagtäglich wächst die Szene exponentiell, ein Ende ist nicht in Sicht – Rapper kommen, aber so wirklich gehen wollen sie nicht, selbst wenn sie's sagen. Comebacks an jeder Ecke. Und nachdem vor einigen Jahren noch sämtliche Plattenfirmen dicht machten, schießen neue Labels langsam wieder aus allen Böden. Vorbei die Zeiten von Aggro Berlin, BOZZ Music und Optik Records – die Ära der Freunde von Niemand, der Azzlackz, der Halunkenbanden und der Banger-Musiker hat unlängst begonnen. Bei einer solchen Vielfalt an neuen Künstlern ist es natürlich nicht ganz so einfach den Überblick zu behalten – was ist wichtig, was könnte noch wichtig werden und was kann man getrost unter den Tisch fallen lassen? In internen Gesprächen kommen sie immer wieder auf – die Fragen, wer sich nun seine Review verdient hat, wer seinen Platz in den "Unknown Kings" kriegen sollte und wer zwar ein guter Künstler ist, aufgrund von Kapazitätenauslastung aber leider keine Plattform von uns geboten bekommt. Und das sind teilweise leider so einige ... Was uns zur Dilemmasituation zurückführt: Allen kann man's in der heutigen Zeit unmöglich Recht machen. Es ist ein wenig wie in "300": eine Hand voll Redakteure sieht sich einer Übermacht an Rappern gegenübergestellt. Deshalb wollen wir mit diesem Special mal einen kleinen Exkurs wagen – abseits der unbekannten Könige und der sowieso schon bekannten Acts ist nämlich nach wie vor ein Haufen aufstrebender Künstler in der Szene unterwegs, die wir euch im Rahmen einiger Kurz-Reviews vorstellen möchten ...
Albert Parisien – Coolness
Wenn ein Release den Titel "Coolness" trägt, dann eigentlich nur aus einem von zwei Gründen: Entweder ist das Ganze ironisch gemeint und behandelt eine humoristische Selbstüberschätzung oder der Interpret ds Werkes ist tatsächlich die personifizierte "Coolness". Im Falle von Albert Parisien handelt es sich wohl um einen Mittelweg, denn auf die einen mag die Hälfte des Duos Tasted Wasted einfach nur lächerlich und untalentiert wirken, für die anderen definiert er den Begriff "cool" völlig neu. Bereits mit dem ersten Track des Albums, "140' The Good Life", kann der Hörer die Quintessenzen von Alberts Musik erfassen. Schummrige, sphärische Synthiebeats wabern aus den Boxen, während Parisiens Stimme wie eine Mischung aus schüchterner Zurückhaltung und nasalem Laidback-Flow wirkt und hauptsächlich vom guten Leben und ausgiebigem Drogenkonsum spricht. So erzählt der erste Titel etwa von der Idee des Tasted Wasted-Kollegen Ludwig Altona, dass man mit 140.000 Euro in der Lage wäre, "eine durchgehende Highness von jetzt bis zu deinem Ableben zu gewährleisten". Auf "Kush Killa" wird das "homegrown superskunk" gezüchtet und abgebaut, während für "Boys" Cyndi Laupers "Girls just wanna have fun" in "Boys just wanna smoke blunts" umgedichtet wird. Albert Parisien ist auf "Coolness" sicherlich nicht das Maß aller Dinge, wenn es um ausgefeilte Raptechnik oder die härtesten Beats geht, präsentiert aber ein durchgehend tiefenentspanntes Werk, das nicht nur in sich stimmig, sondern weitestgehend einzigartig ist. Der stellenweise fast schon desinteressiert wirkende Flow, die ruhigen, zurückhaltenden Instrumentals und die seichten, hier und da vielleicht etwas redundanten Textinhalte unterstützen sich gegenseitig und verstärken ihre Wirkung so gekonnt, dass bei aller Ruhe und Entspannung des Werks dennoch jede Menge Eindruck in Kopf und Ohr zurückbleibt. "Coolness" dürfte sicherlich nicht jedermanns Geschmack sein, doch bei Gefallen lädt das Album zum mehrfachen Durchhören ein, weswegen jeder zumindest in das neue Release von Albert Parisien reinschnuppern sollte.
Rapsta – Trapsta
Auch wenn man ihm beim Blick auf seine über 17.000 Likes starke Facebook-Seite keineswegs absprechen kann, dass es Rapsta nicht gerade an Erfolg und Fans mangeln mag, so darf man den Beinamen "das legendäre Mixtape" seines neuen Werks "Trapsta" durchaus mit Vorsicht genießen. Der beim 2009 gegründeten Label MACHT Rap gesignte Künstler selbst scheint indes jedoch absolut davon überzeugt zu sein, dass besagter Titel passend ist und durch ihn als Interpreten vollkommen legitimiert wird. Ohne große Umschweife geht es im ersten Track des Mixtapes darum, dass Rapsta der beste Rapper Deutschlands sei und kein anderer Künstler ihm das Wasser reichen könne. Auch im weiteren Verlauf sind auf dem Werk derartige Aussagen in Hülle und Fülle vorzufinden und so dominieren Texte über Talent, Erfolg, Geld und Frauen die inhaltliche Seite von "Trapsta" deutlich. Egal, ob man im Speziellen dem "Miami Mailand"-Lifestyle frönt, bei dem es hauptsächlich um neue, teure Kleidung und Frauen geht, oder die vielen Vorzüge von genügend "Money" im Allgemeinen dargestellt werden, ist kaum ein Titel gefeit vor großmäuligem Representing. Völlig anders als Rapsta selbst, ist dabei etwa der Beat zu "Money" äußerst zurückhaltend und relativ simpel produziert und dient in erster Linie als Taktvorgabe für die Stimme des Rappers, welche er äußerst gekonnt einzusetzen weiß. Einem eigenständigen Instrument gleich, verstärkt und unterstreicht die Stimme des in Stuttgart lebenden MCs die Beats und zeigt sich facettenreich und vielfältig wie kaum eine zweite hierzulande. Variationsreicher Flow, kräftige, vielschichtige Stimmfarben und überspitzte Betonungen sorgen für ein sehr einzigartiges Klangbild und geben "Trapsta" eine ganz besondere Note. Zwar bedeuten die stimmlichen Spielereien oftmals Probleme bei der Verständlichkeit seiner Texte, allerdings dürfte dies bei den häufig seichten, teils doch redundanten Inhalten, die Rapsta zum Besten gibt, gar nicht so tragisch sein, da es eh gilt, sich vor allem auf den Sound zu konzentrieren. Auch wenn der Titel "das legendäre Mixtape" für "Trapsta" sicherlich mit einem Augenzwinkern gewählt wurde, kommt man doch nicht umhin, dem Mixtape gerade wegen der vielfältigen Klangwelten, in die Rapsta uns einlädt, eine vollkommen eigene Note zuzusprechen.
form/prim – Es gibt ein richtiges Leben im falschen: meins/Il y a peut-être de la vie sur le toit
Während andere Rapper sich wider ihrer Tätigkeit als Wortakrobaten in Interviews oftmals recht wortkarg geben, gestalten sich Gespräche mit form/prim in den meisten Fällen als sehr langatmig und ausführlich. Allein die Frage nach dem Künstlernamen, wird sie von Rapperkollegen teilweise schlicht und ergreifend mit einem Schulterzucken beantwortet, lässt den in Cottenweiler aufgewachsene Künstler ausschweifend von diversen Bedeutungen, Phonetik, Symmetrie und sogar der Form der einzelnen Buchstaben schwärmen. Klar, dass ein solch komplexer Künstler sich nicht damit zufrieden gibt, eine ganz normale EP zu veröffentlichen. Jedes seiner Pseudonyme erhält ein eigenständiges Werk und so präsentiert uns der etwas lautere, forschere form die EP "Es gibt ein richtiges Leben im falschen: meins" und der ruhige, zurückhaltende prim "Il y a peut-être de la vie sur le toit". In Sachen experimenteller Eigenheiten stehen sich die beiden EPs in nichts nach, doch wirken die Tracks von form meist etwas griffiger und handfester als die des Alter Egos. So sind zwar auch hier viele experimentellere Beats, mal synthie-, mal samplelastig, als musische Untermalung zu hören, doch wirken sie nicht annährend so unstet und wirr wie die Instrumentals, auf denen prim rappt. Sofern man das, was prim veranstaltet, denn tatsächlich "auf" dem Beat rappen nennen möchte, da dieser Takt und Harmonie in den meisten Fällen eher ignoriert und seinen ganz eigenen Rhytmus gegen den der Musik kämpfen lässt. Auf "Es war dann hell" bewegt prim sich dann sogar fast in Richtung Schlaflied, wenn er seine mehr oder minder vorhandenen Gesangskünste zum Besten gibt. Während das Soundbild hier ruhiger und melancholischer wirkt und Inhalte oft durch Metaphern verschleiert sind, setzt form auf mehr Lockerheit, Witz und direkte Aussagen. Von intelligenten, humorvollen Spitzen gegen Szene und Gesellschaft bis hin zu völlig absurden Zeilen und schön schief geträllerten Hooks präsentiert form so ziemlich alles, was man auf einer durchschnittlichen Rapplatte nicht finden wird. Weder form noch prim sind leichte Kost und für die meisten Hörer wohl mehr als gewöhnungsbedürftig und zu komplex, doch gerade deshalb wirklich großartig, einzigartig und jedem, für den Rap auch gerne mal aus dem Durchschnittsraster fallen darf, absolut zu empfehlen.
MC Prisma – Breakdance im Scherbenhaufen
Von Dezember 2012 bis Januar 2013 tourte Savas mit diversen anderen HipHop-Größen in Form der "Warum rappst du?"-Tour durchs Land, bei der unbekannte MCs die Chance bekommen sollten, ihr Können in einem Battle unter Beweis zu stellen. Als die Tour am 30. Dezember in Freiburg Halt machte, wagte sich ein junger Freiburger namens MC Prisma auf die Bühne, um gegen den erfahrenen Battlerapper Tierstar anzutreten. Auch wenn Prisma damals relativ chancenlos gegen seinen Kontrahenten war, ließ er sich von dieser Niederlage nicht den Mut nehmen. Ganz im Gegenteil: Mittlerweile tänzelt der 20-Jährige leichtfüßig über den Scherbenhaufen von damals, "Breakdance im Scherbenhaufen" quasi. Mit gleichnamiger EP im Gepäck meldet sich der Rapper nun wieder zu Wort und präsentiert sich auf 12 Anspielstationen in Bestform. Prisma zeigt sich talentiert und fähig, flowt ebenso problemlos über samplelastigen Sound wie sanfte Pianoklänge und kratzenden Boom bap. Tadellos bringt er unterschiedlichste Themengebiete zur Sprache und baut verschiedene Stimmungen innerhalb seiner Tracks auf. Egal, ob er dabei auf "Strecko" von seiner Heimat und den dort lebenden Menschen rappt oder auf "Selbstzerstörer" nachdenklich und selbstkritisch auf seine Vergangenheit blickt. Ehrlich und nachvollziehbar erzeugt er mit gekonntem Storytelling interessante Geschichten, ohne überzogene Images vertreten zu müssen, kann jedoch, wie etwa im Falle des Titeltracks "Breakdance im Scherbenhaufen", auch durchaus eine härtere Gangart einlegen. Auf den harten, scheppernden Drums wirft er mit bissigen Battlerapzeilen um sich, die ihn nicht nur von einer ganz anderen Seite zeigen, als etwa auf ruhigen Klängen von "Durchs Land", sondern auch die Frage offen lassen, wie ein Rematch zwischen ihm und Tierstar wohl ausgehen könnte. In jedem Fall präsentiert MC Prisma mit der EP "Breakdance im Scherbenhaufen" ein kompaktes Bündel vom nachdenklichen Storytelling bis hin zum grimmigen Battlerap und zeigt sich sowohl inhaltlich wie auch in Hinblick auf das Soundbild vielfältig und vielschichtig. Auf die Frage "Warum rappst du?" dürfte der Freiburger in jedem Fall mit "Weil ich's kann" antworten.
Wobo Solagl (Daniel Fersch)