Special: Kurz-Reviews Mai 2014

  • Im Jahr 2014 sieht man sich als eigenständiges Deutschrap-Magazin in einer wahren Dilemmasituation gefangen: Der Markt ist längst übersättigt. Tagtäglich wächst die Szene exponentiell, ein Ende ist nicht in Sicht – Rapper kommen, aber so wirklich gehen wollen sie nicht, selbst wenn sie's sagen. Comebacks an jeder Ecke. Und nachdem vor einigen Jahren noch sämtliche Plattenfirmen dicht machten, schießen neue Labels langsam wieder aus allen Böden. Vorbei die Zeiten von Aggro Berlin, BOZZ Music und Optik Records – die Ära der Freunde von Niemand, der Azzlackz, der Halunkenbanden und der Banger-Musiker hat unlängst begonnen. Bei einer solchen Vielfalt an neuen Künstlern ist es natürlich nicht ganz so einfach den Überblick zu behalten – was ist wichtig, was könnte noch wichtig werden und was kann man getrost unter den Tisch fallen lassen? In internen Gesprächen kommen sie immer wieder auf – die Fragen, wer sich nun seine Review verdient hat, wer seinen Platz in den "Unknown Kings" kriegen sollte und wer zwar ein guter Künstler ist, aufgrund von Kapazitätenauslastung aber leider keine Plattform von uns geboten bekommt. Und das sind teilweise leider so einige ... Was uns zur Dilemmasituation zurückführt: Allen kann man's in der heutigen Zeit unmöglich Recht machen. Es ist ein wenig wie in "300": eine Hand voll Redakteure sieht sich einer Übermacht an Rappern gegenübergestellt. Deshalb wollen wir mit diesem Special mal einen kleinen Exkurs wagen – abseits der unbekannten Könige und der sowieso schon bekannten Acts ist nämlich nach wie vor ein Haufen aufstrebender Künstler in der Szene unterwegs, die wir euch im Rahmen einiger Kurz-Reviews vorstellen möchten ...





    Search AKA Pille – Der erleuchtete Wahnsinn 2


    HipHop ist wie Sex – immer besser mit Pille. Zumindest wenn man dem aus Saarlouis stammenden Rapper selbst glauben kann, der sich im Jahre 2014 mehr als fleißig zeigt. Neben der 24 Anspielstationen starken Fortsetzung seines Mixtapes "Der erleuchtete Wahnsinn" veröffentlicht Search AKA Pille mehrere neue Musikvideos und tritt zusätzlich noch in der Battlemania Championsleague von Rap am Mittwoch an. Doch egal, ob im Battle, im Video oder auf dem neuen Mixtape – den "erleuchteten Wahnsinn" verkörpert er in jedem Fall und zu jeder Zeit. Angefangen beim "Newstime Intro", in dem er uns mit hochgepitchter Stimme allerlei Absurditäten über Angela Merkel, die Illuminaten und Cro um die Ohren wirft, über den kraftvollen Flow von "Puppenspieler" auf hartem, dumpfen Bass mit Piano-Sample bis hin zum von Selbstzweifeln und Depressionen geplagten Clown "Pagliacci": Pille gelingt es, unabhängig von Thematik und Soundbild eine ordentliche Prise Verrücktheit und Irrsinn zu verstreuen. Sein energiegeladener Flow wirkt oftmals recht spontan, teilweise fast willkürlich und hält sich gerne mal nicht so ganz exakt an die Taktvorgaben des Beats, verleiht seinen Tracks gerade dadurch jedoch einen sehr frischen, interessanten Charakter. Auch die Featureliste des Mixtapes kann sich sehen lassen, tummeln sich auf ihr doch neben EmGi, mit dem Pille bereits eine EP veröffentlichte, unter anderem auch Drehmoment und das FvN-Signing Timeless. Mit Letzterem hackt und schlachtet sich Pille beispielsweise à la "Jack the Ripper" durch Hater und Neider. Als er feststellt, dass seine Freundin für ihn "wie Musik" sei, schlägt er dann aber wieder völlig andere, deutlich ruhigere Töne an. Pilles sprunghaftes Wesen, das es teilweise schwer macht, seine Tracks stilistisch sowie inhaltlich einzuordnen, fühlt sich auf dem energiegeladenen Sound von "Morning Risin'" mindestens genauso wohl wie auf dem von jazzigen Klangeinflüssen durchzogenen "Silhouette" oder den aus dem "Bahnhofsklo" wabernden Synthiewolken. Wer Gefallen an humorvollem, chaotischen und intelligentem Deutschrap mit vielfältigem Sound und oldschooligen Einflüssen findet, sollte hier unbedingt reinhören.





    Eljot Quent – Batman ist tot


    "Batman ist tot". Ob Comicfan oder nicht: Jedem ist in etwa klar, was es bedeuten würde, wenn der Dark Knight nicht mehr unter uns wäre und du in Schwierigkeiten steckst. Du musst deine Probleme spontan selbst lösen. Spontanität ist auch in Hinblick auf das neue Werk von Eljot Quent, bestehend aus Scotlen Nard, Müwie und Fogel, das Stichwort, denn "Batman ist tot" klingt, als wäre es während einer Jamsession an einem Wochenende entstanden – und zwar im positiven Sinne. Das Soundbild wirkt locker und gelöst von jeglichen Grenzen, reicht vom jazzigen "Berlin"-Instrumental über den großartigen Sampleflickenteppich "Was ich fühle" bis hin zum rockigen Crossoverbeat von "Feuer". Dazu geben die drei Hamburger vor Energie sprühende Rapparts zum Besten – mal durchdacht und analysierend, mal wild und kampfeslustig. Der Eindruck, man habe sich gegenseitig immer wieder zu neuen Inhalten und Texten inspiriert und die Ideen miteinander erarbeitet, liegt bei einer solchen Vielfalt an Themen, zu der jeder Teil des Trios gelungene Parts beisteuern kann, nahe. "Olaf" Schulz, Bürgermeister von Hamburg, erhält eine ihm gewidmete Ode, mit Blick auf die Vergangenheit stellt man fest, dass früher alles besser und "umgekehrt" war und man spinnt die Ansicht einer paranoiden Gesellschaft: Dass gerade das Unverdächtige besonders verdächtig wirkt, bis zu dem Punkt, wo aus jedem durchschnittlichen Bürger ein "Terrorist" wird. Eljot Quent beweisen mehrfach, dass guter Rap nicht klingen muss, als wäre wochenlang an jeder einzelnen Zeile gefeilt worden, sondern sich gerne auch nach "Frei Schnauze aus dem Bauch raus" anhören darf. So wird dann kurzerhand auch die E-Gitarre und eine stimmige Gesangshook ausgepackt und damit der Club gesprengt, damit die eigene Entourage genug Platz findet, um sich einen gemütlichen Abend mit "Bass und Boom" machen zu können. Sofern der Abend zu sehr ausartet, werden die Pläne von "Morgen" dann eben per klassischem Boom bap auf übermorgen oder gar auf überübermorgen verschoben. Alles in allem haben die Jungs von Eljot Quent Bruce Waynes Beerdigung bestens vertont und sollten unbedingt ausgecheckt werden.





    Dramadigs – Bei aller Liebe


    Bereits beim 2012 erschienenen Dramadigs-Debüt sagte sich der interessierte Hörer: "Das muss doch nu wirklich nicht sein". Bei dem neuen Werk des Bremer Producer- und Rapper-Duos geht es ihm "bei aller Liebe" wohl nicht viel anders. Jazz- und Soulsamples wohin man nur blickt, Oldschoolfeeling und Hörgenuss par excellence, Gastbeiträge von so ziemlich allem, was im deutschen Indie-Rap Rang und Namen hat. Vielfalt auf musischer wie textlicher Ebene ist vorprogrammiert. Da säuseln Schaufel und Spaten gemeinsam mit Sonne Ra auf einem Beat, der irgendwo aus einem 80er Jahre-Porno stammen könnte, wunderschön eklig vom "dicken Schlampenarsch", werfen die Sichtexoten Luke&Fil auf entspanntem, sanften Samplesound "Servietten vor die Säue" und analysiert Fatoni per "Schauspielführer" und André 3000-"Forever ever"-Sample die Entwicklung der Gesellschaft ebenso exakt wie nichtssagend. Allem drücken die Dramadigs, auch wenn selbst nur mit einem einzigen Vocalpart und ansonsten nur mit den entsprechenden Beats vertreten, ihren Stempel unverkennbar auf. Stellenweise wirkt das Album zunächst irgendwie lapidar produziert: Loops erscheinen fast zu schlicht, doch sämtliche Tracks sind hervorragend komponiert sowie arrangiert und die jeweiligen Rapper, welche tatsächlich nur die wunderbare Abrundung der fantastischen Instrumentals sind, großartigst in Szene gesetzt. Rauschmittelkonsum reiht sich neben nostalgischen Erinnerungen und zeitgemäßer Szenekritik ein, eingepackt wird das Ganze in die großartigen Klangteppiche des Bremer Duos. Das Ergebnis sind jede Menge gelungener Tracks auf einem Album, das zu keiner Zeit langweilig oder monoton wirkt und immer wieder zu überraschen weiß. Die Dramadigs und ihre Musik sind sicherlich nicht jedermanns Geschmack, doch jeder, der sich auch nur einmal dabei erwischte, beim Hören eines Jazzsamples sanft mit dem Fuß zu wippen, sollte sich diesem Album in einer ruhigen Minute widmen. "Bei aller Liebe", das muss nu wirklich sein!





    MaXXi.P – Dunkler Poet


    Auch wenn es bei dem ein oder anderen Künstler und seinen Werken mehr als gut versteckt zu sein scheint: Irgendwo ist Rap immer auch Poesie. Gerade in "dunkleren" Subgenres, wo nachdenklicher Rap mit okkulten Themen oder düsteren Horrorszenarien kombiniert wird, ist dieser poetische Ansatz oftmals sehr präsent. Maximilian Felipe Puntai, so MaXXi.P bürgerlich, sieht das Ganze wohl ähnlich, nennt er sein neues Werk, welches er zum kostenfreien Download anbietet, doch sicher nicht grundlos "Dunkler Poet". Das Soundbild ist überwiegend finster und behält den "gruseligen" Charakter bei, der bereits durch das "Intro" aufgebaut wird, lässt sich jedoch regelmäßig von anderen Einflüssen auffrischen, die dem Werk ein breites Klangspektrum verleihen. Seine Herangehensweise an unterschiedlichste Thematiken zeugen von der Vielfältigkeit des Hannoveraners, wenn er etwa die zerrissene Gedankenwelt eines von starken psychischen Problemen belasteten Menschen beschreibt oder auf einem Dubstep-Beat davon erzählt, für seine "Traumfrau" – welche er tatsächlich nur in seinen Träumen anzutreffen scheint – in ein künstliches Koma flüchten zu wollen. All dies geschieht technisch äußerst facettenreich und talentiert. Geschickt schlüpft MaXXi.P auf "Schlussstrich" gleichzeitig in die Rollen eines aus Problemverhältnissen stammenden jungen Mannes und eines von Völlerei und Überfluss bedrängten Mädchens, die unterschiedlicher nicht sein könnten, letzten Endes aber dennoch mit denselben Schwierigkeiten in ihren Leben zu kämpfen haben. Stellenweise verfällt der Rapper bei solch tragischen Inhalten jedoch leider zu sehr in textliche Darstellungen und Ausdrucksweisen, die zu stark nach eingefordertem Mitleid klingen oder fast schon klischeehaften Schemata folgen. "Mann mit Sense" etwa handelt vom Tod eines nahestehenden Menschen, besteht fast ausschließlich aus den typischen Phrasen, die bei einer solchen Thematik gedroschen werden, und hat wenig bis gar nichts Individuelles. Auch mit seinem Gesangstalent wagt er sich stellenweise in falsche Richtungen vor, da er zwar durchaus begabt ist und etwa "Medizin" oder dem Titeltrack "Dunkler Poet" mit seiner kräftigen Stimme eine ganz eigene Note verleiht, andernorts aber fast schon zu poppigen Sound erzeugen möchte. MaXXi.P ist ein talentierter Rapper, der auch in Hinblick auf seinen Gesang einiges zu bieten hat, musikalisch trifft er jedoch ab und an leider noch falsche Entscheidungen, die aber keinesfalls davon abhalten sollten, sich das Album zu Gemüte zu führen.



    Wobo Solagl (Daniel Fersch)

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