Review: Tua – Stevia



  • 01. Stevia
    02. Werbemädchen
    03. Keiner sonst
    04. Der Bettler und das Meer
    05. Hotelbar, 4. Etage
    06. Femme Fatale
    07. Exil (Vergleiche)
    08. Edward Hopper
    09. Pygmalion


    Tua ist und bleibt wohl das vielversprechendste, weil musikalischste Mitglied der Orsons. Dabei darf zwischen Sellout-Vorwürfen im Fahrwasser Cros und unangenehmen Promomoves wie dem anbiedernden Auftritt beim Bundesvision Song Contest nicht vergessen werden, welches Potenzial jedes Mitglied der Schweinebande in sich birgt, auch auf Solopfaden hochwertigen Output zu produzieren. Während Bartek und Kaas ihre Fähigkeiten lediglich vereinzelt aufblitzen lassen, gelingt es Maeckes und Tua seit jeher besser, ihr Talent zu Output zu verdichten, welcher ihren Fähigkeiten entspricht. Bei all ihrer Verschiedenheit war es jedoch stets Tua, der dem Klamauk seiner Bandkollegen mit dem größten Widerwillen begegnete und seine Bandpersona so zum Gegenpol in der Gruppe machte. Auch auf Solopfaden war "dieser Junge" stets irgendwie weit draußen. Während der stereotype Deutschrapper wohl über den großen Teich schielt und seine Idole wahlweise Eminem, Jay-Z, Biggie oder Tupac heißen, lasen sich die von Tua genannten musikalischen Einflüsse stets etwas anders. Da fallen Namen wie Portishead, Burial, Jamie Woon oder James Blake. Dem interessierten Menschen fällt dann mitunter auf: Das kommt ja gar nicht aus Amerika und das ist ja gar keine Rapmusik. Klingt komisch, ist aber so. Und frei nach Eißfeldts zeitlos aktueller Inzest-Zeile klang die Musik Tuas, der übrigens alle Produktionen selbst übernimmt, dann auch ganz anders als der übrige Rap in heimischen Gefilden. Während sein Frühwerk tatsächlich noch äußerst raplastig war und er sich unter anderem als Doubletime-Wunderkind einen Namen machte, lässt sich in seiner Diskografie ein klarer Trend beobachten, der sich von klassischen Rap-Paradigmen entfernt, sei es nun bei den Produktionen oder den Songstrukturen. Während auf dem Vorgänger "Raus" der Fokus ganz klar auf den Instrumentierungen lag und Tua seiner Liebe zu Dubstep Ausdruck verlieh, versucht er auf seiner aktuellen Veröffentlichung "Stevia", vor allem mit seinem Gesang zu überzeugen. Ein Ausdrucksmittel, welches beim Künstler zwar stets präsent war, auf seinen vorherigen Veröffentlichungen aber nur vereinzelt Verwendung fand. Wie das Ganze dann klingt, beschreibt er gleich zu Beginn des Tonträgers:


    "Die Musik, so weich es geht – wie Cocktails in 'ner Hotelbar/"
    (Tua auf "Stevia")


    "Stevia" also. Das musikgewordene Süßungsmittel. Was die Produktionen angeht, ist der Name Programm. Die hektischen Rhythmen eines "Grau" und die wütenden Dubstepabfahrten eines "Raus" weichen hier einem zuckersüßen Post-Dubstep-Elektropop-Gewand, welches wohl das versöhnlichste Klangbild in Tuas bisherigem Schaffen darstellt. Auf dem Opener beispielsweise schmiegen sich ambientartige Synthiespuren sehr dezent an das verschachtelte Drumpattern und räumen dem Gesang Tuas so den nötigen Platz ein. Nur gelegentlich bricht Tua mit dieser musikalischen Zuckerglasur und schafft dadurch aufregende musikalische Kontraste. So wird auf "Keiner sonst" die Hook von wabernden Blechen verschluckt, nur um sich im letzten Durchgang unter Hinzunahme eines Bläsersatzes kraftvoll zu entladen. Musikalisch ist "Stevia" sowieso ganz groß, denn Tua begibt sich auf neue, unbekannte Pfade, was ihm hervorragend gelingt, da die Arrangements zwar reduziert sind, aber zu keiner Zeit langweilig. Er versteht sich außerdem darauf, organische Sounds wie den klassischer Instrumente mit elektronischen Klängen zu verweben, ohne dass es zusammengewürfelt und gekünstelt klingt. Zudem hat Tua seine musikalische Handschrift nicht verloren, seinen Trademark-Sound mit seinen verschachtelten Drumpatterns und seinen orientalisch anmutenden Harmonien.


    "Sie ist der höchste Punkt, der lauteste Jubel und ein Lächeln aus Stahl/"
    (Tua auf "Femme Fatale")


    Der Schritt in Richtung Gesang bringt auch textlich einige Veränderungen mit sich. Die Tatsache, dass ein gesungener Text meist weniger Worte benötigt als ein gerappter, hat zur Folge, dass die Lyrics deutlich kryptischer ausfallen als auf seinen bisherigen Veröffentlichungen. Während beim Rap sehr viel auf den Punkt ausformuliert wird, bietet sich beim Gesang ein Text an, der freier interpretiert werden kann und dessen inhaltliche Ausrichtung dementsprechend bedeutend offener ausfällt. Dieser Schritt ist lobenswert, weil das Resultat etwas Neues mit sich bringt. Jedoch muss an dieser Stelle erwähnt werden, dass Tua zwar ein guter Sänger ist, aber nicht die perfekte Gesangsstimme besitzt. Dass er trotzdem singt, ist grundsätzlich sehr sympathisch, fällt aber trotz alledem auf und bildet damit den einzigen wirklich nennenswerten Kritikpunkt des Tonträgers. Inhaltlich kreist "Stevia" um ein zentrales Motiv: Das Hotel – fast schon ein Klischee, wenn man an den vagabundierenden Künstler denkt – dient hier einerseits als Sinnbild ebendieses Lebenswandels und verortet so die Stellung eines Künstlers in der Gesellschaft als Heimatlosen, der nicht so richtig dazugehören will. Andererseits wird auf "Stevia" das Hotel, diese Zwischenwelt, in der jeder nur auf Durchreise ist, Schauplatz mannigfaltiger sozialer Interaktionen. So geben einem bezeichnende Situationen wie etwa der Smalltalk im Aufzug, die flüchtige Frauenbekanntschaft oder der Cocktailjazz an der "Hotelbar, 4. Etage" ein Gefühl für die bittersüße Realität des "selbstgewählten Exils" eines Künstlers.


    "Ich lieg' weich – Modelbeine nah/
    Nüchtern schrei' ich 'Nein', doch besoffen mein' ich 'Ja'/"
    (Tua auf "Edward Hopper")


    Gegen Ende packt Tua dann auch noch mal den Rapper aus – so ganz scheint es dann doch nicht aus ihm rauszukriegen zu sein. "Edward Hopper" klingt so, wie ich mir einen Kay One oder einen Shindy immer gewünscht habe: arrogante Flows mit differenzierten Inhalten. Während Erstgenannte auf generische Art den "Cash & Hoes"-Rap aus den USA abkupfern, verarbeitet Tua, offensichtlich mit einem reflektierten Kunstbegriff gesegnet, das Thema, ohne dabei die Schattenseiten zu verschweigen und schafft somit eine eigenständige musikalische Vision, bei der es dann nicht heißt: "Klingt wie XY auf deutsch".


    Fazit:
    Mit "Stevia" ist Tua mal wieder eine beeindruckende Werkschau gelungen, die seinen Status als verkanntes Genie wohl noch untermauern dürfte, weil sie einerseits seine musikalische Vielfältigkeit und Versiertheit aufzeigt, ihm aber andererseits wohl keinen Weg in den Mainstream ebnet. Dabei wären die Vorrausetzungen für genau diesen Schritt eigentlich denkbar gut. So wird der Reutlinger vom Cro-Erfolgslabel Chimperator auf der einen Seite protegiert, was grundsätzlich ein gewisses Medienecho erwarten ließe, und auch mit den Orsons verzeichnet er durchaus achtbare Erfolge. Auf der anderen Seite scheinen ihn Medien außerhalb der HipHop-Szene gekonnt zu ignorieren. Da ist ein Intro-Feature das Höchste der Gefühle. Und das ist für einen Künstler, dessen musikalischer Entwurf wahrscheinlich eher für die de:bug geeignet wäre als für rappers.in, sicher ein harter Schlag. Für einen echten Popstar ist die Musik dann aber auch einfach zu spezifisch, zu intim. Und das darf als großes Kompliment verstanden werden.



    (disdi)




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  • Edward Hopper & Keiner Sonst. :thumbup:


    Rest okay, aber nichts was ich mir auf Dauer geben kann, vor allem Pygmalion finde ich schrecklich.

    you son of a bitch, she said, I am
    trying to build a meaningful
    relationship.


    you can't build it with a hammer,
    he said.

  • Um Lakmann sinngemäß zu zitieren:
    Sehr oft entsteht große Kunst, Musik aus großem Leid.
    Der wird privat bestimmt kein Cro sein.


    "Keiner sonst" und "Pygmalion" habsch mir auf YT gegeben.
    Klingt nicht schlecht, muss ich zugeben.

  • Finde es schade, dass man hier nicht das Thema "Pygmalion" eingebracht hat, was ja wohl das wichtigste im roten Faden der Stevia ist.

  • Wirklich schade, dass solche Musik in den Charts noch keinen Platz gefunden hat, Tua ist ein absolutes Genie, das nicht nur alles kann, sondern auch zum richtigen Zeitpunkt an die richtige Stelle setzt. Die EP ist in sich selbst vollkommen stimmig, aber ist halt leider doch an eine gewisse Stimmung gekoppelt und definitiv nichts was man sich 24/7 anhören kann. Trotzdem ist der Sound so unglaublich einzigartig, dass ich auch über die nächsten Jahre hinweg denke, dass es immer wieder seine Berechtigung hat durchgehört zu werden.

  • Zitat

    Original von Qwert
    Alles super produziert, richtig fett, aber Tua ist leider kein guter Sänger.


    Ich find die gesanglichen Teile eigentlich sehr cool.


    Auch sonst kann ich meinen Vorrednern nur zustimmen, großartige EP

    Don’t give yourselves to these unnatural men - machine men with machine minds and machine hearts! You are not machines! You are not cattle! You are men!
    You have the love of humanity in your hearts! You don’t hate! Only the unloved hate - the unloved and the unnatural!

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