Review: Rockstah – Pubertät



  • 01. Pubertät
    02. Echt erkennt echt
    03. Astronaut
    04. V.U.P. Lounge
    05. LOL
    06. Die kleinste Sekte der Welt
    07. Hotel Mama
    08. Auftrag: Verschwende deine Jugend
    09. König Außenseiter
    10. Die brennende Stadt (Ein Weltuntergang Pt. 1)
    11. Der Wal (Ein Weltuntergang Pt. 2)
    12. Superheldenanzug


    Wir befinden uns im Jahr 2014. Rap in Deutschland ist, was Größe und Aufmerksamkeit durch Medien aller Art angeht, seinen Kinderschuhen mittlerweile längst entwachsen. Die Vertreter selbst beschreiben ihre neuesten Werke auch inhaltlich als besonders reif, reden davon, dass sie sich weiterentwickelt haben und sind stets darum bemüht, allzu jugendlich wirkende Images abzulegen. Kurz: Ganz Deutschrap ist vom Wunsch nach dem Erwachsenwerden beseelt. Ganz Deutschrap? Nein! Ein unbeugsamer, junger Mann leistet dem plötzlichen, adulten Verhalten der Szene Widerstand, sieht sich dabei jedoch selbst mit diversen Problematiken konfrontiert. Nachdem das Oberhaupt der Nerdy Terdy Gang nämlich gewisse Schwierigkeiten hatte, auf der Welle um Cro und Konsorten – einen Rahmen, in den er sowieso nie so ganz reingepasst hatte – erfolgreich mitzuschwimmen, wurde es eine Zeit lang ruhiger um ihn und das angekündigte zweite Album. Durch das Signing bei Embassy of Music scheinen die entstandene Probleme nun zwar aus der Welt geschafft, doch das Leben ist für Max Nicolas Nachtsheim, besser bekannt unter dem Künstlernamen Rockstah, noch immer nicht leicht. Denn er steckt mitten in der "Pubertät".


    "Der neue deutsche Teenieschwarm/
    Poppe die Cola Light aus dem Limousinendach/
    Mein Album ist so ein Jahr zu spät/
    Passiert, wenn man aus Coolness nur in Zeitlupe geht/
    "
    (Rockstah auf "Pubertät")


    Auch wenn der Schritt vom Debüt, der doch recht kindischen "Nerdrevolution", hin zur "Pubertät" durchaus einen gewissen Reifeprozess markiert, beweist uns Rockstah auf seinem zweiten Album, dass diese Etappe selbst nur wenig mit tatsächlichem Erwachsenwerden zu tun haben muss. Der Titel des Werks stellt nicht zufällig eine der verwirrendsten und überforderndsten Lebensphasen überhaupt dar, es gilt "Nomen est omen": Laut scheppert uns der donnernde Beat zum Titeltrack samt heruntergepitchter Hook entgegen. Ein zunächst sehr überladenes Soundbild, mit dem wir ohne Vorwarnung konfrontiert werden. Noch bevor man die musische Einleitung verdauen konnte, legt Rockstah textlich direkt nach. Jugendlicher Leichtsinn, Aufmüpfigkeit, Gefühlschaos, (grundloses) Rebellentum, mehr oder minder freiwillige Aus- und Abgrenzung. Die Gefühls- und Gedankenwelt eines Pubertierenden in Kombination mit humorvoller Selbstreflexion und entwaffnender Ehrlichkeit auf Albumlänge. Gespielt ist das juvenile Verhalten und Denken jedoch keineswegs: Kein noch so kindisches Erlebnis wirkt erfunden, keine noch so pubertäre Aussage gestellt. Rockstah ist tatsächlich "der Imagerapper, der sein Image (leider) auch noch lebt" ("Superheldenanzug"), wodurch der rote Faden weder erzwungen noch die Thematik übers Knie gebrochen klingt. Man nimmt ihm die Rebellion im verschlafenen Städtchen seiner Kindheit aus "Echt erkennt echt" ebenso wie das Liebeslied an sein Gamescom-Girl, "Die kleinste Sekte der Welt", vollkommen ab, ohne befürchten zu müssen, das Ganze von einem Berufsjugendlichen vermittelt zu bekommen.


    Viel eher wirkt das Album stellenweise fast schon zu überzeugend frisch und diverse Tracks, vor allem in Hinblick auf die vielen rocklastigen, mit einer Handvoll Phrasendrescherei bestückten Hooks, könnten ebenso gut von der kleinen Schülerband aus dem Jugendzentrum nebenan stammen. Statt tatsächlichem Tiefgang gibt es hier dann fast schon klischeehafte Teenie-Parolen über das Erwachsenwerden und eine reichlich naive Sicht auf die Welt zu hören. Zwar driften pop-rockige Nummern wie "Astronaut" und "Verschwende deine Jugend" dadurch schnell mal in eine sehr kitschige Ecke ab, doch bleiben derartige Makel weit hinter einem fantastischen Soundbild und eingängigen, energiegeladenen Ohrwürmern zurück. Genau hier zeigt sich eines der größten Talente des Rodgauers, aus so gut wie jeder Not problemlos eine Tugend machen zu können. Sein eher bescheidenes Gesangstalent lässt einerseits keinen Zweifel daran, dass jede der vielen gesungenen Hooks durchaus schöner und angenehmer vorgetragen werden könnte, macht andererseits gleichzeitig jedoch spürbar, dass sie genauso quengelig und halbschief klingen muss, wie sie es eben tut. Ähnliches gilt für Rockstahs Flow, welcher auch nicht zwingend eine herausragende Eigenschaft des Künstlers darstellt und teilweise nur wenig bis gar keine Vielfalt sowie technisches Geschick beweist. Doch eben genau aus dieser amateurhaften Natur heraus scheint seine Art zu rappen bestens für die Texte, die er vermitteln möchte, geeignet.


    "Nerdy Terdy Gang – wir sind fast wie die X-Men/
    Denn deren Anführer ist auch krass behindert/
    Kids meckern laut, weil die Hose viel zu eng ist/
    Aber denk mal nach: Es gibt keinen Superheld in Baggys/
    "
    (Rockstah auf "Superheldenanzug")


    Mehr als gekonnt spielt Rockstah diverse Rollen, stellt unterschiedlichste Facetten der "Pubertät" dar und bietet thematische Vielfalt, ohne sich jemals zu weit vom Grundcharakter des Albums zu entfernen. Zwar riskiert er hier durchaus eine gewisse Redundanz in Hinblick auf immer wiederkehrende "Ich verstehe die Welt um mich herum nicht"-Thematiken, diese kann er meist jedoch entsprechend verpacken. Er schlüpft in den selbstgemachten "Superheldenanzug", um den verträumten Versager zu mimen, dem aus vielerlei Gründen das Comichelden-Dasein verwehrt wird. An anderer Stelle lebt er als ewiger Junggeselle im "Hotel Mama" vom Taschengeld seines Vaters oder vermiest seinen Mitmenschen als übel gelaunter "König Außenseiter" den Tag. Dabei stolziert er auf einem dreckig rockigen Beatbrett wütend durch die Welt, zersticht Fußbälle, bewirft Kinobesucher mit Popcorn und tippt das Ganze der Realness wegen nur mit den Mittelfingern in den Laptop. Das Prinzip, die eigene schlechte Laune an anderen so lange auszulassen, bis man selbst wieder Spaß daran hat, wird instrumental bestens wiedergegeben: Gitarrenriffs schrammen böse über die harten Drums hinweg und werden in der Hook mit einem schrillen Cheerleaderchor abgerundet, sodass das "Mitbuchstabieren" seines Namens hierbei fast schon Pflicht wird.


    Bei einem Album, das so vollgestopft mit knallenden Rockbeats und mitreißenden Hooks ist, überrascht der kurze Ausflug in ruhigere Gefilde extrem und der "Ein Weltuntergang"-Zweiteiler, bestehend aus "Die brennende Stadt" und "Der Wal", wirkt auf den ersten Blick deplatziert. Die zuvor aufgebaute gute, wilde Laune wird durch sanftere Töne für kurze Zeit erschüttert, sodass das insgesamt glatte Soundbild einen leichten Knick bekommt. Zwar bleiben Gitarrensounds und Drums durchaus erhalten, doch brennt die Stadt klanglich wesentlich zurückhaltender und ruhiger, während "Der Wal" langsam und schwerfällig durch einen sphärischen Beat hinabschwebt. Selbstverständlich dient der Wal selbst als Anspielung auf das Buch "Per Anhalter durch die Galaxis", so wie es über das gesamte Album verteilt dutzende von Referenzen, Andeutungen und Hinweisen auf Videospiele, Filme, Comics und dergleichen gibt. Doch nur selten wird ein gesamter Track von so vielen Metaphern und Bildern getragen, wie es bei diesen beiden Titeln der Fall ist. Direkte, spontane Worte und klar strukturierte Beats werden durch eine komplexere Klangwelt und Texte ersetzt, die sich nicht immer sofort erschließen. Rockstah zeigt sich abseits der lauten, wilden Lieder hier ruhig und nachdenklich, so wie es auch im Leben eines Pubertierenden immer wieder Momente gibt, in denen er für sich allein sein muss, sich zurückzieht und nachdenkt. So kurz vor dem Ende des Werks lässt sich hier ein deutlicher Kontrast zum harten, lauten Anfang feststellen und die klangliche sowie inhaltliche Abrundung der "Pubertät" – gleichwohl in Hinblick auf das Album als auch auf die Lebensphase selbst – erkennen, sodass das Konzept dahinter bestens aufgeht und einen großartigen Abschluss findet.


    Fazit:
    Gleich vorweg: Wer wohldurchdachten, technisch ausgefeilten Rap, makellose Gesangshooks und komplexeste Klangbilder sucht, wird auf "Pubertät" wohl ein wenig enttäuscht werden. Wer sich jedoch mit einem Album voll von Ohrwürmern, viel Humor und einem Künstler, der definitiv weiß, wovon er erzählt, zufrieden gibt, dem sei es wärmstens empfohlen. Auf jede Menge rockige Beats rappt Rockstah frei Schnauze von mangelnder Coolness, Außenseitertum sowie der Liebe und dem Hang zum "Nerdsein". Der amateurhafte, weltfremde und unbeholfene Charakter, der ihm und seinen Album innewohnt, überzeugt stets durch seine sympathische Art und einen gesunden Hauch von Peter Pan-Syndrom. Jeder Hörer kann sich und seine eigene Jugend stellenweise textlich nachvollziehbar wiederfinden und sich von absolut gelungenen Liedern rund um den Weg von der Kindheit zum Erwachsenwerden mitreißen lassen. Lasst die anderen ruhig freiwillig alt werden, Rockstah klingt auch in der "Pubertät" schon mehr als reif.



    Wobo Solagl (Daniel Fersch)

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