ZitatOriginal von bill trumendous
warum soll ich "stolz" auf etwas sein, für das ich kaum verantwortlich bin? normalerweise ist man stolz auf eigene erbrachte leistungen, warum soll ich "stolz" auf ein land sein, in das ich zufällig hineingeboren wurde? warum soll ich "stolz" auf einen willkürlich festgesetzten bereich sein (anmerkung dazu: in afrika z. b. sind ja teilweise die grenzen willkürlich und von fremden mächten festgelegt worden, was da zum land noch dazugehört und was nicht, hat also mit den geographischen gegebenheiten oder den dort lebenden ethnien wenig zu tun; das gilt aber genau so für europa, imo), ohne überhaupt zu reflektieren, ob mir die gegebenheiten in diesem gebiet überhaupt uneingeschränkt gefallen? sollte ich nicht differenzierter an die sache herangehen? und warum sollte ich meine "liebe" ausgerechnet auf dieses eine, wie gesagt: willkürlich festgelegte gebiet beschränken? was bringt mir das? was ist - in unserem fall - z. b. mit den "deutschen", die im ausland leben? und kann mich diese "liebe" zum eigenen land nicht sogar an der kritischen reflexion gegenüber den politischen prozessen hindern und den willen zu fortschritt und veränderung hemmen? und läuft man nicht stets gefahr, aus nationalistischem bestreben heraus selbstüberschätzung, chauvinismus und faschismus zu entwickeln?
das wären in etwa die fragen, die ich mir stellen würde
Zu 1., da empfehle ich immer gerne das Buch "Haben oder Sein" von Erich Fromm, auch wenn er wahrscheinlich nicht gerade darüber begeistert wäre, wenn es im Zusammenhang mit Nationalstolz erwähnt wird. Aber es eröffnet eine neue Sichtweise, mithin auch eine neue Art zu denken, denn nur auf etwas stolz sein zu können, was man hat, also besitzt, und nicht mehr (auch) auf das, was man ist, hat etwas sehr materialistisches für sich. Bei Interesse verschicke ich auch gerne eine psychologische Studie von Gertraud Hagner-Freymark - Der Stolz, eine Grundeigenschaft der Menschenseele. Dass das seelische Erleben von Stolz in Deutschland verkrüppelt ist, liegt zweifelsohne auch an unserer Vergangenheit.
Zu 2.: Mit Afrika hast Du vollkommen recht, also v.a. in Bezug auf die willkürlich gesetzten Grenzen. Das ist m.E. aber gerade ein Argument für den (auf Abstammung basierenden) Nationalstaat, der dann eben die Grenzen anhand der darin lebenden Völker zieht und nicht so weit führt, dass sich "Brüder und Schwestern" bekriegen, nur weil irgendein Warlord das Recht in "seinem Land" durchsetzen will. Für Europa sehe ich das anders, auch wenn man hier sicher über die ein oder andere Grenzziehung streiten mag.
Zu 3.: Die Deutschen, die im Ausland leben - ich bin mir nicht ganz sicher, was Du damit andeuten willst, aber dadurch, dass Du sie "Deutsche" nennst, implizierst Du ja irgendwo, dass Du eben nicht durch reinen Zuzug die Zugehörigkeit zu einer Nation erwirbst, sondern Deutscher bleibst, wenn Du im Ausland bist (vllt. sogar unabhängig vom Pass?). Zu diesen Menschen kann man durchaus Zugehörigkeit empfinden, und genauso werden die meisten von ihnen immer Deutschland als ihre ursprüngliche Heimat identifizieren. Man mag es auf die schlechte Integration in Deutschland schieben, aber wenn man einen Türken mit deutschen Pass, der hier geboren ist, fragt, woher er denn komme, bekommt man zumeist die Antwort: "Aus der Türkei/ich bin Türke."
Zu 4.: Natürlich kann einen unbedingte Liebe blind werden lassen. Gerade wenn und weil man sein Land liebt, sollte man jedoch wachsam sein für Entwicklungen, die dem Nutzen seines Vaterlandes zuwiderlaufen. Betrachtet man sich dagegen als "Weltbürger", kann es einem relativ egal sein, man mag dann mitunter sogar ganz gleichgültig werden gegenüber der Politik - immerhin ist dann ja Deutschland bloß ein Wirtschaftsstandort, den man - dank bester Fremdsprachenausbildung und durchlässiger Grenzen - jederzeit verlassen kann, wenn es einem nicht mehr passt.
Und was denn Nationalismus bringe: Keinem kann ein Gefühl aufgezwungen werden, und wer es nicht hat, der hat es eben nicht; solange er dieses Vakuum nicht mit Schlechterem füllt, ist das vollkommen in Ordnung. Genauso gut könnte man aber fragen: Was bringt einem die Liebe und das Zugehörigkeitsgefühl zur eignen Familie, die die meisten ja auch bedingungslos lieben? Sie sorgt dafür, dass wir unsere Liebsten schützen, dass wir uns geborgen fühlen können, dass unsere Zukunft gesichert ist, dass wir Erfahrungen und Erbe weitergeben können (und so möglicherweise ein ewiges Leben erreichen?).
Das Axiom, mich verbinde nichts mit einem Bauern in Oberbayern oder einem Nordfriesen etc., halte ich für zu kurz gegriffen. Jeder, der nach langer Zeit im Ausland unter Fremden wieder eine deutsche Stimme gehört hat, wird ein Lied davon singen können. Mich verbindet freilich mit unterschiedlichen Deutschen unterschiedlich viel. Und ich fühle mich meiner Familie, meiner Stadt und meinem Bundesland verbundener als etwa jemandem in Norddeutschland, ja. Aber genauso fühle ich mich doch einem Afrikaner näher als einem Braunbären, obwohl wir alle Säugetiere sind. Dass es unterschiedliche Abstufungen gibt, führt doch nicht zur Negierung aller Gemeinsamkeiten. Ich denke da nur an die deutsche Sprache, die nicht nur eine bloßes Mittel zum Austausch ist, sondern in der wir auch denken (und fühlen?) und die uns deswegen mit anderen Muttersprachlern stark verbindet. Ich denke an gemeinsame Kultur, an eine gemeinsame Mentalität, an gemeinsames Brauchtum und Sitten ...