Special: Kurz-Reviews April 2014

  • Im Jahr 2014 sieht man sich als eigenständiges Deutschrap-Magazin in einer wahren Dilemmasituation gefangen: Der Markt ist längst übersättigt. Tagtäglich wächst die Szene exponentiell, ein Ende ist nicht in Sicht – Rapper kommen, aber so wirklich gehen wollen sie nicht, selbst wenn sie's sagen. Comebacks an jeder Ecke. Und nachdem vor einigen Jahren noch sämtliche Plattenfirmen dicht machten, schießen neue Labels langsam wieder aus allen Böden. Vorbei die Zeiten von Aggro Berlin, BOZZ Music und Optik Records – die Ära der Freunde von Niemand, der Azzlackz, der Halunkenbanden und der Banger-Musiker hat unlängst begonnen. Bei einer solchen Vielfalt an neuen Künstlern ist es natürlich nicht ganz so einfach den Überblick zu behalten – was ist wichtig, was könnte noch wichtig werden und was kann man getrost unter den Tisch fallen lassen? In internen Gesprächen kommen sie immer wieder auf – die Fragen, wer sich nun seine Review verdient hat, wer seinen Platz in den "Unknown Kings" kriegen sollte und wer zwar ein guter Künstler ist, aufgrund von Kapazitätenauslastung aber leider keine Plattform von uns geboten bekommt. Und das sind teilweise leider so einige ... Was uns zur Dilemmasituation zurückführt: Allen kann man's in der heutigen Zeit unmöglich Recht machen. Es ist ein wenig wie in "300": eine Hand voll Redakteure sieht sich einer Übermacht an Rappern gegenübergestellt. Deshalb wollen wir mit diesem Special mal einen kleinen Exkurs wagen – abseits der unbekannten Könige und der sowieso schon bekannten Acts ist nämlich nach wie vor ein Haufen aufstrebender Künstler in der Szene unterwegs, die wir euch im Rahmen einiger Kurz-Reviews vorstellen möchten ...





    Degenhardt – Destroy 2


    Wer etwas über Degenhardt erfahren will, macht sich auf eine lange, tiefgehende und letztlich dennoch recht ergebnislose Reise durch das Internet. So lassen sich einzelne Informationsfetzen und Bruchstücke an Wissen zwar aufspüren – Schlagworte wie die Gruppe "Johnny war ein Tänzer" und das ehemalige Pseudonym "Detlev Disko Degenhardt" finden sich ebenso wie eine Vielzahl an Download-Werken –, doch wirklich zu fassen kriegt man die ominöse Gestalt nie. Das nun erschienene Sequel zu "Destroy" beantwortet ebenfalls nur wenige Fragen zur Identität des Interpreten, stellt im Gegenzug jedoch dutzende weitere selbst. Das "Intro" verbindet die Stimmen spielender Kinder mit dem Sample eines Interviews vom deutschen Liedermacher Franz Josef Degenhardt, in dem er sich zum Thema Underground äußert. Die dort angesprochene Problematik, dass der Untergrund, wenn er nur eine einfache Gegenbewegung bliebe, statt sich eine eigene Identität zu schaffen, letztlich nur ein weiteres Konsumgut wird, scheint hierbei ausschlaggebend für das gesamte Werk zu sein. Denn was hierauf auf sieben Anspielstationen folgt, ist weder massentauglich noch ein schlichtes Anti-Mainstream-Produkt. Vom mit dumpfen Flöten begleiteten "ArbeitenBetenTrinkenTräumen" bis hin zu bewusst disharmonisch platzierten Samples aus Casper- und Chakuza-Werken in "Kunst" und "Toter Punkt" lässt sich nie wirklich erkennen, worauf der Künstler tatsächlich abzielt. Der dunkle Grundton von "Destroy 2" wird nicht nur durch eine Reihe düsterer Beats mit harten Drums geschaffen, sondern ebenso durch Degenhardts tiefe, raue Stimme geprägt, mit welcher er eine Vielzahl verworrener und komplexer Metaphern und Wortbildern erschafft. Der durchschnittliche HipHop-Fan, dem es vor allem um hitverdächtigen Sound und passende Raptechnik geht, sollte von "Destroy 2" wohl gehörigen Abstand nehmen. Jeder, für den Rap aber durchaus mal experimentell, komplex und intelligent sein darf, sollte zumindest einmal in das Werk hineinhören und dann entscheiden, ob er sich auf die Suche nach der schemenhaften Figur Degenhardt machen möchte.





    Dr. Lucs – Den Frauen gewidmet


    Damit eine EP zwar kompakt, aber dennoch vielfältig sein kann, ist es für den Künstler ratsam, sich einen Rahmen dafür auszudenken und das Werk einem speziellen Konzept oder einer bestimmten Thematik zu widmen. Dr. Lucs ließ sich hierbei nicht gerade lumpen und wählte direkt eines der komplexesten und facettenreichsten Themengebiete überhaupt aus. Das Erstlingswerk des wirscheissengold-Rappers ist "den Frauen gewidmet" und beschenkt das schöne Geschlecht mit elf Titeln inklusive kurzer Skit-Einlagen. Allerdings befasst er sich darauf nicht ausschließlich mit dem weiblichen Kosmos, sondern findet noch die ein oder andere wichtige Geschichte, von der er uns berichten muss. So beschreibt er etwa auf dem fast schon nervig fiesen Beat von "Fundament" den aktuellen Stand seiner Karriere oder erzählt zum dumpfen Gedudel von "Ich fahr' Auto schnell" von den waghalsigen Fahrmanövern, an denen er sich seit Erhalt des Führerscheins versucht. Wenn er dann aber mal zum Thema Frau findet, kombiniert er battleraptypische Phrasen mit klischeehaften Komplimenten zu einer fadenscheinigen Liebeserklärung an die "Battle Bitch" und gibt "irgendeine doofe Gesangshook" zum Besten oder befasst sich auf seichten Klängen, die direkt aus irgendeinem billigen "Pornofilm" stammen könnten, mit der bunten Welt der Internetpornografie samt kurzer Acapellaversion des Ganzen. All das verpackt Lucs nicht nur in humorvolle, ironieschwangere Texte und klebrig-schönen Singsang, sondern würzt an den richtigen Stellen noch mit gekonntem, schauspielerischem Stimmeinsatz, wodurch man sich zu Weilen gar an einen frühen Alligatoah erinnert fühlt. Tatsächlich findet der 20-jährige Frauenversteher bei alledem sogar noch Platz für ein paar ernste, nachdenklichere Worte, so dass er mit dem WSG-Kollegen Sickless auf "Reise" über die Zeit des Erwachsenwerdens und die damit verbundene Aufbruchsstimmung philosophiert und "Tag ein, Tag aus" Das W beim Kampf gegen Stress und Hektik unterstützt. Lucs' erste EP mag zwar "den Frauen gewidmet" sein, kann allerdings jedem Geschlecht nur wärmstens empfohlen werden.





    Johnny Rakete – Per Anhalter durch die Galaxis


    Wer "per Anhalter durch die Galaxis" reisen will, nutzt dafür am besten ein Raumschiff oder eine Rakete. Im vorliegenden Fall eben Johnny Rakete. Während der in Fürth lebende MC zuletzt noch "Broke aber dope" war, rauscht er auf der neuen EP nun quer durch den Kosmos. Zusammen mit seinem Co-Piloten Hawk One aus Berlin, der sämtliche Beats produzierte, werden auf dem Weg durchs All sieben verschiedene Stationen angesteuert. Das Ziel der Reise? Hörgenuss! Und davon lässt sich auf dieser EP reichlich finden. Neben den obligatorischen Anspielungen auf das gleichnamige Buch beziehungsweise den Film "Per Anhalter durch die Galaxis" gibt es '90er Jahre-Sound, gepaart mit tiefenentspanntem Flow in Hülle und Fülle. Von der Ode an die eigene Faulheit ("Ab und zu") mit jazzigem Klimperbeat bis hin zur Boom bap-lastigen Auseinandersetzung mit der mangelnden Dankbarkeit und Zufriedenheit der Leute auf "Danke für den Fisch": Johnny beherrscht sein Handwerk so unbeschwert und locker, dass das Universum nur so am Hörer vorbeirauscht, während er dem Franken lauscht. Denn auch das ist ein durchaus wichtiger Aspekt der Platte: Einfach mal runterkommen, in der Musik versinken, wahlweise ein wenig Gras konsumieren und sich Zeit für das eigene Wohlbefinden nehmen. Dem "Kritiker" kann der Rapper nur noch vorwerfen, dass dieser ihm nichts vorzuwerfen hat. Und dass die Antwort auf die Frage aller Fragen die "42" ist, weiß mittlerweile jedes Kind. Irgendwo ist dann auch noch Platz für das ein oder andere "Zwischending", bei dem Hawk One im Alleingang beweisen darf, was er kann – und so zwei großartige Instrumentals zum Besten gibt. Gute 20 Minuten Beats, die immer wieder gerne mit dem Oldschoolfeeling liebäugeln, und Texte über Bier, Gras, Rap und einen entspannten Lebensstil lassen den Trip durch den Raum mit Lichtgeschwindigkeit vergehen und laden direkt zum zweiten, dritten und vierten Durchhören der EP ein. Ein Kurztrip, den absolut jeder antreten sollte.





    Criz – Totgesagte leben länger


    Das Sprichwort "Totgesagte leben länger" ist nicht nur der Titel des Debütalbums von Criz – es könnte stellenweise auch das Motto seiner Karriere sein, wurde es nach dem Ende des Labels Echte Musik doch erst einmal ruhiger um den Frankfurter. Nach dem Signing bei Ambivalenz Music scheint er sich nun wieder Gehör verschaffen zu wollen und kündigte den Nachfolger seines Mixtapes "HDV / Nordwestfrequenz" und das erste Album an, wovon Letzteres nun releast wurde. Beim Hören des Werks liegt die Vermutung nahe, dass die selbst auferlegte Schaffenspause eine Art Ruhe vor dem Sturm war, denn bereits das "Intro" baut sich aus einer düsteren Atmosphäre hin zu einem epochalen Beat auf, wenngleich die eingescratchten Schlagworte und Textzeilen erst mal keinen wirklich tiefgehenden Inhalt liefern. Der Frankfurter mag nicht der technisch versierteste MC sein, kann mit seiner kräftigen Stimme und dem ruhigen, konzentrierten Flow jedoch zumindest Geschichten und Erlebnisse darstellen. So beweist Criz im Laufe des Albums zwar durchaus, dass er fähig ist, Aussage und Message in seine Tracks zu packen und erzählt davon, wie seine Liebe zu Rap entstand und dass er in Hinblick auf die Entwicklung seines Werdegangs "nichts bereut" oder kämpft gemeinsam mit Celo & Abdi im "Vollkontakt". Doch sind es vor allem die großartigen Instrumentals, die dem Album einen starken Pluspunkt verschaffen. Das Produzententeam C&S Productions, das bereits für und mit Leuten wie Azad, Jonesmann und Chakuza arbeitete, zeichnet hierbei für einen Großteil verantwortlich, lässt harte, rockige Elemente mit HipHop-Sound verschmelzen und erschafft so eine ganze Reihe sehr energiegeladener Beats. Criz' kraftvolle, düstere Stimme kommt auf diesen Klangteppichen bestens zur Geltung und wird durch passende Gesangshooks von Jonesmann, Marcella McCrae und CJ Taylor klanglich abgerundet. Einzig die Zusammenarbeit mit dem Rockmusiker Philip Eschenbach auf "Slum Thug Millionär" fällt hierbei etwas aus dem Rahmen, da der Plan, dem "Kopf hoch"-Track eine stark euphorische Hook zu verleihen, irgendwie nicht so ganz aufgehen mag. Letztlich kann dieses kleine Manko dem klanglich hervorragenden Album jedoch nichts anhaben und so ist es der Karriere von Criz zu wünschen, dass sie nach der Ruhepause nun etwas langlebiger zeigt.



    Wobo Solagl (Daniel Fersch)

  • Criz' Tape kann man sich geben, auch wenn ich mir etwas mehr erwartet habe.

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