Review: Sickless – Horus



  • 01. Monolith
    02. Jibjob
    03. Dos Pistoleros
    04. Gladiatoren
    feat. Schote
    05. Legoburg
    06. Et Facta Est Lux
    07. Weisses Licht
    08. Gott und die Welt
    09. Placebo
    10. Lethargia
    11. Dämonen
    12. Astronaut


    Es ist bei Weitem nicht das erste Mal, dass der Stuttgarter Rapper Sickless ein Tape herausbringt. Die Liste seiner Publikationen seit 2006 ist nämlich durchaus beträchtlich: Bereits sechs Solo-Releases hat der Schwabe auf dem Buckel, das letzte erschien gerade erst vergangenes Jahr und trug den Titel "Seth". Dieses war wiederum der Vorbote zu dem nun neu erschienenen Album "Horus". Im Gegensatz zu "Seth", welcher in der ägyptischen Mythologie als Gott des Chaos und des Verderbens gilt, soll nun auf "Horus" – der Gott des Himmels und des Lichts – ein wärmeres und ausgereifteres Klangbild geboten werden. In diesem Sinne wollen wir jetzt einmal unter die Lupe nehmen, ob Sickless dieses Ziel erreicht hat, und betrachten, was das Tape sonst noch zu bieten hat.


    "Unser Schicksal ist ein Würfelspiel und Götter sind betrunken/
    Die Verkostung ist misslungen, umsonst/
    Aber sie kotzen voller Ernst auf dein Werk/
    Und wollen trotzdem noch Dessert/
    "
    (Sickless auf "Monolith")


    Direkt beim ersten Durchhören der Platte fallen unweigerlich zwei Dinge auf. Erstens: In diesem Album stecken verdammt viele Hintergedanken und einige ausgeklügelte Konzepte. Als hervorstechende Eigenschaft wäre hier der Aufbau zu nennen, denn das Album beginnt mit "Monolith" sehr ruhig, baut dann über die nächsten Tracks Tempo und Power auf, um dann in der zweiten Hälfte wieder langsamer und melancholischer einen ruhigen Ausklang zu suchen. Zweitens: Sickless scheint ein großer Freund von Thementracks zu sein, denn statt sein Album – wie man es auf zahlreichen anderen Releases finden würde – mit aus Phrasen und Punchlines zusammengeschusterten "Fillertracks" vollzustopfen, besitzt hier so gut wie jeder Track ein übergeordnetes Thema oder Konzept. Neben größeren Metaphern ("Legoburg") oder speziell abgesteckten Themengebieten ("Weisses Licht") ist er in den Tracks auch mal Revolverheld, Gladiator oder Astronaut. Produziert wurde dabei durchgehend von Drum Quixote, dem Hausproduzenten von wirscheissengold, und ebendieser macht seine Aufgabe hier auch großartig, denn er bewältigt hier das Problem, eine thematisch so variantenreiche Platte gebührend vielfältig zu untermalen und dabei trotzdem ein hinreichend eingängiges und einheitliches Soundbild zu schaffen. Dies hat allerdings auch zur Folge, dass es alles andere als leicht ist, die Beats allgemeingültig zu beschreiben, da im Prinzip jeder einzelne von ihnen einen völlig eigenen Sound besitzt. So sind sie bei den deeperen Tracks eher melancholisch und sphärisch, bei den kraftvollen Songs eher treibend und mit Fokus auf den Drums untermalt. "Dos Pistoleros" erhielt beispielsweise einen derartig mitreißenden Wildwest-Sound, dass spätestens die Hook mit eingängiger Trompetenspur zu einem unweigerlichen Kopfnicken führt. Die Instrumentals harmonieren dabei gut mit Sickless' rauer und kehliger Stimme, während er selbst flowlich seine Stärken ausspielen kann. Das heißt genauer, dass alles etwas schneller und sehr druckvoll gerappt ist, wobei man auch seine Routine deutlich heraushören kann. Man spürt während des Albums durchweg die Energie und den Hunger des Rappers und merkt, wie viel Liebe in diesem Album steckt. Dadurch ist ein verdammt starkes Hörbild entstanden, das zwar sehr vielfältig ist, aber dennoch einen gewissen roten Faden aufweisen kann.

    "Hörst du das? Sie rufen meinen Namen/
    Über Nacht vom Sklaven des Publikums zum Star/
    Exodus, Commodus, die Klinge ist geputzt/
    Alter, last man standing – du musst wissen, was du tust/
    [...]
    Guten Morgen, Morgenstern – guck, wir haben uns lange nicht gesehen/
    Ich hab' noch eine Rechnung zu begleichen, kann ich auf dich zählen?/"
    (Sickless auf "Gladiatoren")

    Nichtsdestotrotz hat das Album auch Schwächen – und hier möchte ich an den eben genannten roten Faden anknüpfen. Auch wenn das Album einen besitzt, sucht man diesen in einigen Tracks leider vergebens, denn Sickless scheint ein wenig darunter zu leiden, in den Lyrics zu viele verschiedene Bereiche abdecken zu wollen. Nehmen wir als Beispiel "Gladiatoren", wobei sich die folgenden Aussagen nicht explizit auf den Song beziehen, sondern sich auf das gesamte Album übertragen lassen: Wie der Name schon vermuten lässt, handelt dieser Track, auf dem auch der einzige Featuregast Schote vertreten ist, davon, dass die beiden Rapper als Kämpfer in einem römischen Kollosseum antreten. Aber gerade am obigen Zitat will ich einmal die Probleme verdeutlichen: Zum einen ist da die Wortwahl, die bei vielen Tracks nicht wirklich an die Themen angepasst wurde. Klar, er muss hier nicht Latein sprechen, um das alte Rom authentisch darzustellen, aber wenn der Track darauf abzielt, die dortige Situation widerzuspiegeln, sollte zumindest auf überflüssige Füllphrasen wie "Alter" oder all zu viele Anglizismen doch verzichtet werden. Wenn Schote dann auf selbigem Track auch noch über Sneaker rappt, halte ich den Bogen spätestens dann für überspannt. Dieses Manko zieht sich durch die gesamte Platte, denn immer wieder kommen Wörter oder Satzschnipsel, die einfach so überhaupt nicht ins Thema oder die angestrebte Atmosphäre passen wollen. Dabei hätten sich die meisten dieser unpassenden Formulierungen vermeiden lassen können, da es mir oft so vorkommt, als wurden sie nur eingebracht, weil sie gut ins Reimschema gepasst haben. Zwar ist es schön und gut, darauf zu achten, aber man spürt in meinen Augen zu oft, dass der Wille, irgendwie noch einen zusätzlichen Reim einzubinden, über eine elegantere Formulierung gegangen ist. Und das stört, denn würde man sie einfach weglassen, wäre die Reimtechnik auf dem Album immer noch grundsolide. Darüber hinaus benutzt Sickless in meinen Augen immer wieder eine sehr diffuse Erzählperspektive: Mal rappt er auktorial, mal aus der Ich-Perspektive, dann spricht er mal "sie", "euch", "sich" oder "dich" an – und all diese Erzählweisen wechseln scheinbar willkürlich. Zur Verdeutlichung: Im Zitat aus "Gladiatoren" spricht er erst den Zuhörer an, dann den Morgenstern, aber beides jeweils in der zweiten Person – und auch das findet sich in so gut wie jedem Song wieder. Vielleicht sind das für sich betrachtet keine argen Makel, aber in der Summe lassen sie die Texte unstrukturiert und überladen wirken und will man wirklich genau auf die Texte achten, wird es dadurch leider sehr anstrengend.

    Fazit:
    Insgesamt bleibt "Horus" unterm Strich ein durchaus starkes Album. Sickless hat eine markante Stimme, die er wirklich zu beherrschen weiß, und rappt auf starken Beats durchweg gekonnt. Das ist auch der Aspekt, in dem Sickless tatsächlich zu 100 Prozent überzeugen kann. Was die Texte angeht, könnte er sich vielleicht ein wenig an den Leitsatz "weniger ist mehr" halten und hier und da mal auf einen Kettenreim oder eine Wortspielerei verzichten, damit er mit seinen Aussagen deutlicher auf den Punkt kommen kann. Denn an und für sich mag ich seine Trackideen sehr, es wird nicht langweilig, und was besonders positiv hervorsticht: Fillertracks gibt es nicht. Insbesondere das halte ich für eine beträchtliche Leistung und eine positive Entwicklung im Vergleich zum Vorgänger "Seth". Desweiteren sind auch interessante Lines keinesfalls Mangelware. Kann er die angesprochenen Mängel nun noch ausbessern, wäre das Tape in meinen Augen wirklich riesig. So bleibt es "nur" ein schönes Album, das sich aber trotzdem keinesfalls verstecken muss. Denn eine große Stärke sollte man am Ende auf jeden Fall noch einmal betonen: "Horus" klingt wirklich großartig.



    Yannik Gölz (Cuttack)


    [REDBEW]1458 [/REDBEW]

    Bewerte diese CD:
    [reframe]reviewthread.php?reviewid=1458 [/reframe]
    [azlink]Sickless+%96+Horus [/azlink]

  • Beste Review die ich bisher auf rappers.in gelesen habe. Ich finde nämlich Deutschraps grösste Schwäche ist irgendwie die Ausführung von komplexen Konzepten: Wenn sich einer da heranwagt, dann hagelt es Stilbrüche. Da fragt man sich, ob Rapper überhaupt je ein Buch gelesen haben. Kommt mir auf jeden Fall so vor, als ob sie das Zeug unüberdacht (wie Cabriolets im Sommer) einfach runterschreiben und nicht das Konzept effektiv inhaltlich, sprachlich und musikalisch durchdenken.


    Nichtsdestotrotz ist dieses Konzeptding Sickless relativ gut gelungen und damit meine ich besser als vielen anderen Rappern. Eine Steigerung wäre dennoch sehr wünschenswert.

  • Sehr schöne Review! :thumbup:


    Album hat mir wirklich sehr geflasht. Beats sind allesamt Krass und Sickless flowt besser als je zuvor. Die Kritik, an den Stilbrüchen in den Konzeptsongs kann ich verstehen, allerdings stört mich das kaum.
    Album hat definitiv mehr Aufmerksamkeit verdient.

    Sündige vor Gott, breche das Inzest-Tabu
    denn HipHop macht uns zu Brüdern - und ich ficke deine Crew"

  • kann mich nur den anderen anschließen....album sehr gut, kritik aber nachvollziehbar

    “We had two bags of grass, seventy-five pellets of mescaline, five sheets of high powered blotter acid, a salt shaker half full of cocaine, and a whole galaxy of multi-colored uppers, downers, screamers, laughers... and also a quart of tequila, a quart of rum, a case of Budweiser, a pint of raw ether and two dozen amyls.
    Not that we needed all that for the trip, but once you get locked into a serious drug collection, the tendency is to push it as far as you can.”

  • hui, voll spät entdeckt!


    vielen dank an den verfasser, für die wirklich fundierte und konstruktive kritik! ich kann alles auf genauste nachvollziehen und finds schön da input für eine weitere steigerung zu bekommen.


    danke an euch alle! freut sehr zu hören!

  • Meiner Meinung nach eins der besten Deutschrapreleases bisher in diesem Jahr.


    Die Review ist gut und nachvollziehbar geschrieben, mich haben die textlichen Patzer aber jetzt nicht so gestört, würd also locker ein Mic mehr geben.


    Ich find besonders die erste Hälfte vom Album grandios, liegt aber halt vorallem auch an den Beats vom Quixoten und Dexter.


    Find's nur kacke, dass man den Remix von Gladiatoren nirgendwo findet. Hab kein Bock mir deswegen die Juice zu kaufen, die gibts hier bei mir sowieso fast nirgendwo zu finden. Prezident, EW und Lucs reizen dann aber halt schon.

  • Zitat

    Original von Sickless
    Noch ein bisschen Geduld dann kommt er online... :)


    Hab mir extra die Juice bestellt, super Teil und quasi alle meine Lieblingsrapper mit drauf :sound: Props, dass du Prezident und Edgar Wasser auf einen Track gebracht hast :thumbup:

  • Dass da noch mal n Feature mit Prezident kommt, war nicht unbedingt abzusehen aber hab es gehofft...auch wenn das erste Feature wohl keiner mehr kennen wird. Oder hat außer mir damals wer die "The Sickth Sense" - EP geladen? :D



    Joa, schöne Review...ob ichs genauso sehen werde wird sich noch zeigen. Noch ist die Platte nicht in meinem Besitz.

  • Sehr gute Review zu einem sehr guten Album !
    Schade dass Sickless noch relativ unbekannt ist, er hätte auf jeden Fall mehr Aufmerksamkeit verdient und ich warte sehnsüchtig immer noch auf das Video von Jib Job(dem besten Lied auf dem Album) <3

Jetzt mitmachen!

Du hast noch kein Benutzerkonto auf unserer Seite? Registriere dich kostenlos und nimm an unserer Community teil!