Interview: Audio88 & Yassin


  • Über längere Zeit hinweg war es relativ still um Audio88 & Yassin. Zwar tauchten hier und da vereinzelte Tracks oder sogar Single-Vinyls auf, aber auf ein komplettes Album mussten Fans beharrlich warten – bis zu diesem Jahr. Denn in Kürze soll ihr "normaler Samt", der Nachfolger des 2010 releasten "Nochmal zwei Herrengedeck, bitte.", erscheinen. Eine erste Kostprobe auf das Release gab es vor einigen Wochen schon einmal mit dem Titel "Köfte und Schnitzel", etwas mehr von der neuen LP durften hingegen die Besucher der Tapefabrik in Wiesbaden hören. Dort präsentierte das etwas unkonventionellere Rapduo nämlich ein paar brandneue Songs aus "Normaler Samt" – Grund genug für uns, Audio88 & Yassin auch gleich noch ein paar Fragen zu stellen.


    rappers.in: Auf dem Track "Die Quadratur des Dreiecks", der im letzten Jahr erschienen ist, hieß es noch: "Wir releasen zwei Jahre nichts – Deutschrap bleibt wack". Wenn ihr euch dessen damals schon bewusst gewesen seid, wieso kam es dann zu keinem Release?


    Yassin: Na ja, wir haben ja diesen Song releast ...


    rappers.in: Das ist ja kein Album.


    Yassin: Also, entschuldige mal, das waren zwei Tracks ... Na ja, okay – der eine war ein Remix. (lacht) Aber es war ein Release!


    Audio88: Ich finde es ganz förderlich für die Musik, wenn nicht jeder Rapper jedes Jahr ein Album und ein Mixtape rausbringt, sondern man sich auch mal Zeit lässt und mit der Musik auseinandersetzt.


    Yassin: Dann darfst du aber nicht uns nennen. (beide lachen)


    Audio88: Die eine Woche nach Polen fahren und da ein Album zusammenrotzen. Nee, wir gehen normal arbeiten und haben beide ein richtiges Leben, abseits von diesem HipHop-Zirkus. Und dann dauert eine Platte einfach länger, da man am Wochenende auch gerne mal fernsieht.


    Yassin: Ich glaube, dazu muss man sagen: Nach dem letzten Album hatten wir schon eine ...


    Audio88: (unterbricht) ... Sinnkrise?


    Yassin: Was heißt "Sinnkrise" ... Ein Jahr lang stand es erst mal außer Frage, dass wir ein neues Album machen. Dann haben wir in Halbjahres-Zyklen, in denen man zusammenhockt und in das Album reinhört, festgestellt, dass wir ein ziemlich gutes Album gemacht haben. Ohne uns jetzt krass loben zu wollen. Gerade auch für unsere Ansprüche – und das setzt einen tatsächlich unter Druck. Man möchte natürlich nicht etwas wesentlich Schlechteres abliefern. Also muss es etwas anderes sein, auch für einen selbst. Denn auch, wenn Andere das positiv sehen und sagen, dass man sich nochmal getoppt hat: Wenn man das selbst nicht so empfindet, kommt es nicht raus. So schätze ich uns jedenfalls ein.


    Audio88: Das zweite Album ist auch nicht die konsequente Fortsetzung vom ersten, sondern eher das erste Album in besser. Jetzt nochmal ein drittes Album zu machen, das genau dieselben Themen abarbeitet und genauso klingt ... Darauf hatten wir einfach keine Lust. Wir mussten uns also erst mal besinnen. Wir haben zwischendurch ja auch andere Projekte gemacht, nur kein gemeinsames Album.


    rappers.in: Ihr habt eben angesprochen, dass ihr "nicht jedes Jahr releasen müsst" – auch, weil ihr beide berufstätig seid. Fühlt ihr euch dennoch unter Druck gesetzt, überhaupt zu releasen? Oder macht ihr konsequent nur dann Musik, wenn ihr Lust und Zeit habt?


    Yassin: Ich habe schon Druck oder denke zumindest mal an das Releasen, aber diesen Druck nehme ich nicht als Öffentlichkeitsdruck wahr. Es gibt vielmehr bestimmte Personen, die so einen Zustand oder ein Gefühl in mir hervorrufen können. Zum Beispiel, wenn Freunde von uns, die auch Musik machen, auf uns zukommen und meinen: "Kommt mal ausm Arsch." Dann bedeutet mir das was. Oder Leute, bei denen ich weiß, dass sie uns von Anfang an supportet oder schon immer aufm Schirm gehabt haben. Falk zum Beispiel, der uns jedes Mal danach fragt und von dem wir wissen, dass das Ganze für ihn eine Liebhabersache ist. Dann merkt man auch, dass die Musik nicht nur eine Bedeutung für Leute hat, die die CD kaufen und die Lieder toll finden. Für manche ist das Ganze mehr eine Gegenposition zu anderen Dingen. Dann habe ich manchmal das Gefühl, dass das, was wir machen, nicht jeder machen kann und dann ist es vielleicht auch blöd, wenn man nichts macht.


    rappers.in: Dieser Druck kann aber nicht auch durch ständige Fanfragen, wann denn endlich ein neues Album kommt, ausgelöst werden?


    Yassin: Wir haben ja nicht mit dem Ziel, Fans zu bekommen, damit begonnen, Musik zu machen. Wir freuen uns über Leute, die das hören, aber das Ziel war nicht, dass es möglichst viele Leute geben soll, die das hören. Es läuft andersherum: Das musikalische Schaffen hat Auswirkungen auf die Hörerschaft. Jetzt zu sagen, dass die Hörerschaft das musikalische Schaffen bestimmt, ist, glaube ich, zum einen nicht wirklich realisierbar. Und wenn es doch realisierbar ist, dann sieht man zum anderen ja meistens, was dabei rauskommt.


    rappers.in: Jetzt soll ja bald ein neues Album erscheinen: Ihr habt kürzlich "Normaler Samt" angekündigt und auf Facebook geschrieben, dass ihr damit fast fertig seid. Wonach klingt "Normaler Samt"?


    Audio88: So, wie er sich anfühlt. (grinst)


    rappers.in: Aber Samt ist doch ganz kuschelig und weich.


    Yassin: Ja, aber dieser Samt ist normal.


    Audio88: Das macht ja das Album aus.


    Yassin: Das ist wahrscheinlich das Normalste, das wir beide ... ich will jetzt nicht sagen "je geschrieben haben", aber es ist auf jeden Fall sehr normal.


    rappers.in: Ist es das Normalste, das ihr musikalisch je gemacht habt?


    Yassin: Musikalisch nicht, aber textlich.


    rappers.in: Hat es Reime?


    Audio88: Ja. (lacht) Unsere Alben haben immer Reime.


    rappers.in: Darüber haben wir schon mal diskutiert, vor drei Jahren. Eure Alben hatten nämlich nicht immer durchgehend Reime ...


    Audio88: Aber Yassin hat immer Reime!


    Yassin: Immer?! Ich hab' natürlich manchmal bewusst keine Reime oder verschiebe sie. Ich hasse "normale" Reime. Und sag' jetzt mal nicht Haus-Maus als Beispiel, weil das immer genannt wird, aber nehmen wir mal: Bratwürste-Drahtbürste. Das ist rein phonetisch ein durchgängig korrekter Reim. Eigentlich interessiert es mich nicht, was Leute dazu sagen, ob ich nun reime oder nicht. Aber man lernt, glaube ich, schon in der Grundschule oder in der Unterstufe, was ein Jambus ist und so eine Scheiße. Da lernt man auch, dass es unsaubere Reime gibt, die aber trotzdem Reime sind. "Unsauber" ist dann nur ein Adjektiv und keine Bewertung.


    Audio88: Aber von meiner Seite wird mehr gereimt als auf der letzten Platte.


    rappers.in: Aus Spaß an der Reimerei?


    Audio88: Genau, aus Spaß! (alle lachen) Ich habe vorher aus Ernst nicht gereimt und jetzt reime ich eben aus Spaß. (grinst)


    Yassin: Das musst du dir merken!


    Audio88: Wir sind ja noch nicht fertig mit dem Album, das notiere ich mir kurz.


    rappers.in: Wo wir gerade schon bei dieser Reimgeschichte sind: Könnt ihr die Musik von technisch einwandfreien Rappern feiern?


    Audio88: Klar! Morlockk Dilemma. Das ist halt eine Ausnahme, weil er es trotzdem schafft, gute Songs zu schreiben.


    Yassin: Ein Beispiel wäre auch Eminem, bei dem die Songs einfach nur noch Dreck sind. Textlich sind sie zwar manchmal noch immer sehr intelligent und clever, aber musikalisch kann ich mir das nicht mehr geben. Technisch ist es aber so, dass man den Song nochmal hören muss, obwohl er einem im Ohr weh getan hat. Wie der Typ rappt, ist einfach unfassbar! Ich finde, eine wichtige Sache ist, ob man das sauber auf den Takt hinkriegt. Das schaffen viele nicht. Aber bei Eminem ist das einfach immer zu hundert Prozent perfekt.



    rappers.in: Wenn du das jetzt auf Deutschrap beziehst: Da gibt es ja auch einige Technikrapper, die wahnsinnig beliebt sind ...


    Yassin: Ich finde es ja immer gemein, "Technikrapper" zu sagen. Dilemma und Hiob sind zum Beispiel nicht Technik-fixiert – sie sind da zwar sehr präzise und bestimmte Sachen gefallen ihnen auch nicht, wenn es in ihren Augen falsch gemacht wird, aber das ist nicht deren Hauptaugenmerk und das merkt man auch am Inhalt der Texte. Die beiden schreiben meiner Meinung nach die besten Texte in Deutschland.


    Audio88: Ja!


    Yassin: Wenn man auf die Texte hört und die Technik ausblendet, dann nimmt man die Musik auch ganz anders wahr. Sie haben einfach zwei Ebenen drin, was ich auf der einen Seite sehr beneidenswert finde, aber gleichzeitig ist es auch ein Fluch, weil das viele Leute der Technik wegen ablehnen oder sagen, dass sie sich gleich anhören. Und keiner hört dann letztendlich darauf, was sie eigentlich inhaltlich sagen. Ich glaube, man kann sich da auch im Weg stehen, aber das interessiert die beiden gar nicht, denke ich.


    rappers.in: Vielleicht liegt es auch daran, dass sie zum nebenbei Hören recht anstrengend sind.


    Audio88: Das sind wir ja auch.


    Yassin: Unsere Musik soll man auch nicht nebenbei hören. Wir haben auch festgestellt, dass unsere Musik sau anstrengend ist und wir können teilweise nicht verstehen, wie Leute das zum Trinken hören. Wenn ich ein Bier in mich reinschütte, dann will ich doch nicht etwas hören, bei dem ich gleich zu heulen anfange. Allein des Taktgefühls wegen.


    rappers.in: Und was unterscheidet nun "normalen Samt" von den anderen Samt-Sorten?


    Audio88: (grinst) Ich muss sagen, ich habe "Blauer Samt" nie gehört. Und ich habe "Grüner Samt" nie gehört. Also, Letzteres habe ich wirklich nie gehört und von "Blauer Samt" kenne ich halt so zwei, drei Lieder, aber ich bin auch kein großer Torch-Fan. Das kam halt, wie alle unsere Albentitel, aus einer Schnapsidee. Es gibt den blauen und den grünen – und wir machen halt einfach den normalen Samt.


    Yassin: Die Sache ist, dass das ja kein Unsinn ist. Wir wussten: Wenn wir jetzt noch ein Album machen, dann wird das unser Klassiker, den wir neu auflegen, wenn wir 40 werden oder der Klassiker 40 wird – oder auch beides. Wir sind sehr normal und da lag es nah, dass wir den "normalen Samt" machen.


    rappers.in: Findest du denn, dass "Grüner Samt" ein Klassiker ist?


    Yassin: Nein, aber das ist ja Martens Einschätzung. (lacht) Er wird ja einen Grund gehabt haben, wieso er es "Grüner Samt" genannt hat.


    rappers.in: ... Und wieso gibt es dieses Mal kein "Herrengedeck" mehr? Was hat sich mit dem Sprung vom Herrengedeck zum Samt auf musikalischer Ebene bei euch geändert?


    Audio88: Zum einen – was man mal erwähnen sollte –, dass der großartige Torky Tork das komplette Album produziert. Er war vorher noch nie auf unseren Platten zu hören. Torky ist ein sehr guter Freund von uns aus Berlin. Aber was sich vor allem unterscheidet, ist, dass wir auf den anderen Alben eine Themenvielfalt hatten, die hier jetzt nicht mehr da ist.


    Yassin: Die Grundlage des Unterschieds zwischen den Herrengedecken und dem Samt ist, dass sich unsere Einstellung zur Musik, aber auch zu vielen anderen Dingen, einfach geändert hat. Das waren einfach unsere "Coming of Age"-Jahre ...


    Audio88: (unterbricht) Das war unsere "Sturm und Drang"-Zeit!


    Yassin: Ja. Ich war relativ frisch in Berlin angekommen, als wir unsere Herrengedecke gemacht haben, und bin beruflich und finanziell noch herumgeirrt. Ich hatte zu dem Zeitpunkt einfach eine ganz andere Perspektive. Wenn ich mir diese alten Alben mal anhöre, kann ich diese damalige Situation noch nachvollziehen. Aber ich merke auch, dass ich sowas jetzt nicht nochmal hingeschrieben bekomme.


    Audio88: Muss man aber auch nicht nochmal.


    Yassin: Nee, muss man nicht. Aber das Niveau, auf dem man bestimmte Themen verarbeitet hat, überrascht einen dann doch manchmal selbst.


    rappers.in: Ist es eigentlich nicht komisch, wenn man nach Jahren noch mit alten Tracks auftritt?


    Audio88: Ja, es ist komisch, aber es ist auch ein bisschen so, als würdest du deine Kindheitsfotos angucken. Es macht trotzdem Spaß, sich das anzusehen, auch wenn du so nicht mehr aussiehst.


    Yassin: Man spielt ja auch nicht wahllos alles.


    Audio88: Wir haben auch nicht den Anspruch, zeitlose Musik zu machen. Es ist eine Momentaufnahme davon, wie es uns damals ging und was uns bewegt hat. Natürlich sind wir jetzt andere Menschen. Es wäre schlimm, wenn es nicht so wäre. Wenn es danach geht, sollte sich wahrscheinlich jeder Mensch jedes Jahr weiterentwickeln, sodass er sich nicht mehr zu hundert Prozent mit den Liedern identifizieren kann, die er ein Jahr vorher rausgebracht hat. Es gibt schon Lieder, die wir nicht mehr live spielen, weil wir sie nicht mehr so gerne hören und deshalb aus dem Live-Set schmeißen. Aber wenn wir Lieder wie "Nichts" rappen, dann kommen die halt aus einer Zeit, in der wir nichts hatten. Das ist heute nicht mehr so, aber ich habe kein schlechtes Gefühl dabei, das Lied zu spielen.


    rappers.in: Würdet ihr sagen, dass das dann die prägendsten Tracks eurer Karriere sind, die euch auf eurer musikalischen Laufbahn begleitet haben?


    Yassin: Nein. Man ist ja auch stolz auf bestimmte Leistungen. Ich glaube nicht, dass Scorsese sagt, "Taxi Driver" darf nie mehr aufgeführt werden, obwohl er in dem Film wahrscheinlich sehr viele Fehler findet und es heute anders machen würde. Es ist für einen selbst also immer noch schön, wenn man damit auf die Bühne gehen kann, Leute das immer noch gut finden und man merkt, dass man damals schon auf einem Level war, das heute noch funktioniert.


    rappers.in: Schreibt ihr eure Texte eigentlich komplett runter oder sammelt ihr hier und da Zeilen?


    Audio88: Wir schreiben immer durch.


    Yassin: Eigentlich schon. Manchmal hat man natürlich auch spontane Einfälle oder Situationen, die man sammelt.


    rappers.in: Und seid ihr teilweise nach Jahren in der Situation, dass ihr einen Text von euch seht, aber gar nicht begreifen könnt, dass ihr selbst den mal geschrieben habt?


    Audio88: Ja, aber wir waren auch oft sehr betrunken, wenn wir geschrieben haben. (grinst)


    Yassin: Es ist dabei nicht so, dass man einen Filmriss hat, aber ich denke, man enthemmt sich stückweise und Assoziationen werden aufgedeckt, auf die man nüchtern vielleicht nicht gekommen wäre. Oder man schreibt etwas, das man gar nicht so gemeint hat, aber nüchtern sieht man dann irgendeine Metaebene darin, die nie so gedacht war und die einen dann überrascht. Das passiert schon häufiger.


    rappers.in: Laut eigenen Angaben wartet ihr nur noch auf das Thomas D.-Feature. Wen findet man denn noch so auf dem Album?


    Audio88: Wenn Leute drauf sind, sind es Freunde von uns.


    Yassin: Es werden nicht so viele drauf sein, aber die, die es sind, haben wir sehr gerne.


    Audio88: Und wenn, dann sind es Leute, die man auf unseren Platten bisher noch nicht gehört hat.


    rappers.in: Im ersten Vorboten auf "Normaler Samt", "Köfte & Schnitzel", differenziert ihr zwischen dem MCeen und "richtiger Musik" und trefft die Aussage, dass "richtige Musik" nicht so gut wie das MCeen sei. Was habt ihr denn genau gegen die Entwicklung "vom MC zum Musiker"?


    Yassin: (zu Audio88 gerichtet) Also das ist ja sein Text!


    Audio88: (zu Yassin gerichtet) Das muss er auch nicht so absegnen.


    Yassin: Wir haben zwar ein Vetorecht bei den Texten des jeweils anderen, aber ...


    Audio88: ... das kam noch nie wirklich zum Einsatz.

    Yassin: Doch, das gab's ein- oder zweimal.


    Audio88: Ah ja, stimmt. Das erwähne ich nicht, war aber auch zu Recht!


    Yassin: Ansonsten sind das schon zwei Meinungen, die vertreten werden, aber eben eine Schnittmenge haben. Das wollte ich nur mal generell sagen, auch für die folgenden Interviews. Was ich geschrieben habe, kommt aus meinem Kopf, und was Audio88 geschrieben hat ...


    Audio88: (unterbricht) ... hat Sentence geschrieben! (beide lachen)


    Yassin: ... größtenteils er geschrieben.


    Audio88: Größtenteils! Die Reime! Nee, das ist falsch interpretiert. Ich habe mich eher über Leute lustig gemacht, die der Meinung sind, wenn sie eine scheiß Gitarre in die Hand nehmen und sich einen Schal umwickeln, plötzlich Musiker zu werden und keine Rapper mehr sein zu müssen. Und sich dann so hochstilisieren, als würden sie mit Bob Dylan surfen. Ich bin jetzt auch 31 und muss mir keinen darauf runterholen, dass ich erwachsen geworden bin und jetzt lieber R.E.M. höre. Es geht auch nicht um eine Live-Band oder darum, dass jemand eine Sample-basierte Platte macht, sich dann eine Liveband sucht und auf die Bühne geht. Ich hab' nichts gegen Livemusik. Was ich ekelhaft finde, ist, wenn Leute acht Rapalben machen und sich dann eine Gitarre nehmen und sagen, dass sie jetzt richtige Musik machen ... Als wäre Rap keine richtige Musik. Das ist ja auch eine Verleumdung von Rap an sich. Nur, weil jetzt jemand ins Studio kommt und Gitarre und Drums einspielt, macht es das nicht mehr zur Musik, als wenn sich ein Torky Tork an die MPC setzt, ein gutes Sample sucht und daraus einen geilen Beat baut.



    rappers.in: Abseits eurer Zusammenarbeit zu zweit hattet ihr vor einiger Zeit auch ein Kollaboprojekt mit Morlockk Dilemma, Hiob und Ecke Prenz unter dem Namen "Die Bestesten" ...


    Yassin: Ach, keine Frage zu den Bestesten. Da kann man dahinter schreiben, dass der Manager von Audio88 und Yassin sagte: "Keine Frage zu den Bestesten."


    rappers.in: Und dann schreiben wir: Manager war gar nicht im Raum.


    Audio88: (lacht) Aber was ist denn das für eine Frage?


    rappers.in: Die Frage ist, ob da in absehbarer Zeit nochmal was kommt.


    Yassin: Keine Frage zu den Bestesten. (alle lachen)


    Audio88: Man weiß nie, was geschieht. In Planung ist nichts.


    rappers.in: Wir finden, dass man viel zu wenig Persönliches von euch weiß, da ihr euch teilweise gerne hinter Sarkasmus und Zynismus versteckt. Darum wollen wir jetzt eine kleine Charakterstudie durchführen: Wir finden, dass es einiges über einen Menschen aussagt, wie er seine Sonntage verbringt. Darum darf uns jeder von euch jetzt den Ablauf seines typischen Sonntags beschreiben, vom Aufstehen bis zum Einschlafen.


    Audio88: Ich töte Babyrobben. Jeden scheiß Sonntag. Das ist ein anstrengender Job, aber wenn ich es nicht tun würde, müssten es irgendwelche Immigranten tun.


    rappers.in: Wo sind denn die Babyrobben?


    Audio88: Berlin-Wedding 65.


    rappers.in: Liegen die da auf der Straße?


    Audio88: Da gibt es so eine Halle. Ich hol' die immer ausm Gesundbrunnen. (lacht)


    rappers.in: Und mit was tötest du sie?


    Audio88: Mit meinen Händen. Alles andere ist unmännlich.


    Yassin: Unmenschlich vor allem auch.


    rappers.in: Machst du das alleine oder in einer Gruppe?


    Audio88: Größtenteils alleine, weil viele meiner Freunde auch sonntags sagen, ich solle sie in Ruhe lassen mit dem Scheiß und dass sie chillen, Playstation spielen und kiffen wollen und keinen Bock darauf haben, Babyrobben zu töten. Aber Yassin kam schon einmal mit. Nur ist das nicht so seins. Meine Freundin kommt manchmal mit, die hasst Babyrobben auch.


    rappers.in: Was macht ihr dann, wenn sie tot sind?


    Audio88: Ich mach' mir Sneakers draus.


    rappers.in: Schöne Schuhe! Und du, Yassin?


    Yassin: Ich mache halt das, was man in Berlin so macht: Ich suche schöne Straßen und schöne Läden.


    Audio88: Die dann sonntags für dich öffnen.


    Yassin: Ja, manchmal, gibt so ein paar. Ansonsten ... Wenn ein guter Film im Kino läuft, gehe ich hin. Ich hab' mir letztes Jahr ein Theaterabo geholt, da darf man aber leider nur einmal pro Monat hingehen. Manchmal schmuggel' ich mich noch ein zweites Mal pro Monat hinein. Das mache ich auch gerne sonntags. Und gebe viel Geld aus, jeden Monat so 100 bis 200 Euro ... und das immer sonntags.


    rappers.in: Wir nähern uns dem Ende unseres Interviews. Zum Abschluss würden wir gerne auf eure offensichtliche Antihaltung gegenüber einigen neumodischen Trends kommen, ob in Sachen Deutschrap, Modeerscheinungen oder Verhaltensweisen. Darum dürft ihr jetzt mal etwas Frust abbauen: Welche Trends nerven euch am meisten?


    Audio88: Kindesmissbrauch. (lacht)


    Yassin: Ich weiß ja, worauf gerade angespielt wird. Ich muss sagen, ich hab' mich ein bisschen beruhigt, seit ich nicht mehr in Kreuzberg wohne und auch nicht mehr wirklich im Ghetto, sondern in der Mitte, wo man sich eigentlich allem öffnen muss. Kreuz-Kölln, praktisch. (lacht)


    Audio88: Boah, Alter!


    Yassin: Ich glaube, was mich tatsächlich an Trends stört, ist, dass Leute immer mehr Trends mögen. Man hat das Gefühl, dass schon adaptiert wird, bevor man überhaupt verstanden hat, was es für ein Trend ist. Was war denn da so der letzte?


    Audio88: Twerken?


    Yassin: Twerken ist ja kein Trend in dem Sinne. Ich finde, dass die Leute nicht mal verstanden haben, dass das zu einer Subkultur gehört, sondern nur denken, dass es eine gewisse Relevanz hat, weil es in der Masse auftritt. Das ist die stupideste Form des Konsums: "Das haben viele Leute, das hat einen gewissen Wert". Wenn das vor 100 Jahren schon so gewesen wäre, dann wäre unsere Welt wahrscheinlich am Ende. Deswegen befürchte ich, dass es in den nächsten Jahrzehnten sehr unangenehm und absurd wird, was diesen blinden Konsum von scheinbar begehrten Objekten angeht. Ich glaube, die Leute wurden noch nie so manipuliert und von Werbung verarscht, dabei war Werbung früher tatsächlich was Neues. Mittlerweile weiß jeder, dass da gelogen wird, und trotzdem ist es einfach, Menschen dazu zu bringen, bestimmte Dinge zu feiern. Egal, was es ist und woher es kommt.


    rappers.in: Findest du es gefährlich, wenn Künstler bei so etwas mitmachen?


    Yassin: Letztendlich gehören die ja dazu. Der Künstler hat selbst die Möglichkeit, zu sagen, dass er kein Werbeobjekt sein will. Wenn er sich dazu entscheidet, eines zu sein, dann ist er eins.


    rappers.in: Zu guter Letzt dürft ihr uns an dieser Stelle noch mitteilen, welche Trends man unbedingt etablieren sollte.


    Audio88: Also, ein Trend muss ja jetzt nicht unbedingt etwas Schlechtes sein. Wenn ein Trend dahin geht, dass sich Menschen bewusster ernähren, ist das ja erst mal nichts Verkehrtes.


    Yassin: Ein Trend ...


    Audio88: (unterbricht) ... ist ja erst mal wertefrei.


    Yassin: Genau. Und vor allem eine beobachtende Bezeichnung. Man kann ja nicht sagen, dass man jetzt einen Trend auslöst oder startet. Das kann man zwar manipulieren oder kontrollieren, aber an sich ist es nur die Beschreibung von einem Phänomen. Das lässt sich immer erst an der Wirkung festmachen. An sich kann man sagen, dass die Leute gebrauchte statt neue Klamotten kaufen sollten, weil es einfach so viele gibt. Wenn die Leute aber zu blöd sind, um einen ästhetischen Trend wahrzunehmen und diesen gebrauchten Look in neu und teurer als die Basics kaufen, dann ist das eine absurde Verkehrung des eigentlich guten Trends. So gesehen kann man Trends eigentlich erst in Etappen beurteilen. Es gibt eben sehr viele Trends, die meiner Meinung nach wahnsinnig früh kommerzialisiert werden, was absolut absurd ist. Ich glaube, man könnte eine antikapitalistische Revolution ausrufen mit sehr viel Öffentlichkeitswirksamkeit und es würde trotzdem ein Unternehmen geben, das es zu einer kapitalistischen Revolution umbenennt. Das ist das, was mich an Trends so stört.


    rappers.in: Und was wäre jetzt der Trend, den ihr etablieren wollen würdet?


    Yassin: Dass die Leute sich nicht mehr jedem Trend anschließen.



    (Florence Bader & Kristina Scheuner)
    (Foto 01 von Tobias Hoffmann, Foto 03 von Thomas von Wittich)

  • auch wenn es eh keine antwort gegeben hätte, warum hast du nicht nach nem zeitraum für das release gefragt? :(


    /edit:


    Zitat

    Original von Corby
    Ich muss ehrlich sagen, dass ich Primatunes RR Flow mindestens genau so scheiße finde wie den von Mooon. Mel ist hier der einzige den ich mir geben kann.


    Dann scheinen Audio88 & Yassin sicher genau deinen Geschmack zu treffen.

  • "Ich glaube, man könnte eine antikapitalistische Revolution ausrufen mit sehr viel Öffentlichkeitswirksamkeit und es würde trotzdem ein Unternehmen geben, das es zu einer kapitalistischen Revolution umbenennt. Das ist das, was mich an Trends so stört."


    wie recht er hat. tolles interview, freu mich auf n neues release von den beiden!

  • Zitat

    Ich glaube, man könnte eine antikapitalistische Revolution ausrufen mit sehr viel Öffentlichkeitswirksamkeit und es würde trotzdem ein Unternehmen geben, das es zu einer kapitalistischen Revolution umbenennt. Das ist das, was mich an Trends so stört.


    so tolle typen. cooles interview.

  • Ich lese immer gerne Interviews von den beiden, gute Antworten, sympathische Typen.


    edit:
    Und natürlich gute Rapper.

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