Special: Kurz-Reviews Februar 2014

  • Im Jahr 2014 sieht man sich als eigenständiges Deutschrap-Magazin in einer wahren Dilemmasituation gefangen: Der Markt ist längst übersättigt. Tagtäglich wächst die Szene exponentiell, ein Ende ist nicht in Sicht – Rapper kommen, aber so wirklich gehen wollen sie nicht, selbst wenn sie's sagen. Comebacks an jeder Ecke. Und nachdem vor einigen Jahren noch sämtliche Plattenfirmen dicht machten, schießen neue Labels langsam wieder aus allen Böden. Vorbei die Zeiten von Aggro Berlin, BOZZ Music und Optik Records – die Ära der Freunde von Niemand, der Azzlackz, der Halunkenbanden und der Banger-Musiker hat unlängst begonnen. Bei einer solchen Vielfalt an neuen Künstlern ist es natürlich nicht ganz so einfach den Überblick zu behalten – was ist wichtig, was könnte noch wichtig werden und was kann man getrost unter den Tisch fallen lassen? In internen Gesprächen kommen sie immer wieder auf – die Fragen, wer sich nun seine Review verdient hat, wer seinen Platz in den "Unknown Kings" kriegen sollte und wer zwar ein guter Künstler ist, aufgrund von Kapazitätenauslastung aber leider keine Plattform von uns geboten bekommt. Und das sind teilweise leider so einige ... Was uns zur Dilemmasituation zurückführt: Allen kann man's in der heutigen Zeit unmöglich Recht machen. Es ist ein wenig wie in "300": eine Hand voll Redakteure sieht sich einer Übermacht an Rappern gegenübergestellt. Deshalb wollen wir mit diesem Special mal einen kleinen Exkurs wagen – abseits der unbekannten Könige und der sowieso schon bekannten Acts ist nämlich nach wie vor ein Haufen aufstrebender Künstler in der Szene unterwegs, die wir euch im Rahmen einiger Kurz-Reviews vorstellen möchten ...





    JAM – Unten


    Das Ziel, sich von ganz unten nach ganz oben kämpfen zu wollen, als roter Faden des Werks. Hauptsächlich harte Beats, auf denen ebenso harte Straßen- und Representerstrophen zum Besten gegeben werden. Gefühltes 50-maliges Wiederholen des Labelnamens und des Titels des kommenden Albums. Selbsternennung zur Stimme der Unterschicht. Grob zusammengefasst wirkt die "Unten"-EP des Offenbachers JAM erstmal wie irgendein weiteres Release irgendeines weiteren Straßenrappers. Sich dieser Tatsache wohl durchaus bewusst, widerspricht der Künstler dem Vorwurf der Austauschbarkeit allerdings schon im ersten Track "Das Regime": "Au Shit, nicht schon wieder ein Nachmacher/ nee, nee, Unikat, Alter, Tatsache/". Und tatsächlich stellt sich JAM als gar nicht so durchschnittlich heraus, wie man zuerst vermutet. Der vom Frankfurter Produzenten Brian Uzna, welcher unter anderem schon mit Celo und Abdi arbeitete, geschaffene Beat surrt scharf vor sich hin, während die Drums, mit denen der Flow des Rappers bestens einhergeht, direkt zum Mitnicken einladen. Seine kräftige, variationsreiche Stimme erlaubt es ihm, sowohl derartige Representingthematiken als auch ruhigere, entspannte Nummern, wie beispielsweise den pianobasierten Titeltrack "Unten", überzeugend zu vermitteln. Dabei kommt JAM größtenteils ohne überspitzte Darstellung des harten Straßenlebens aus und konzentriert sich stattdessen auf die nüchterne Beschreibung eines Lebens, in dem es des Öfteren an Geld und Perspektiven mangelt. Ein überzogenes Gangsterimage sucht man hier also vergebens. Stattdessen gilt es dann eher, über den etwas fragwürdigen Humor von "Lovesong" hinwegzusehen, der sich, wenn auch nicht ganz ernstzunehmend, mit der Gewalt an der (Ex-)Freundin befasst. Inhaltlich etwas schwer verdaulich, bietet der schrecklich schöne, vom Südtiroler Fid Mella produzierte Beat samt Gitarrenzupfen und Plattenknistern zumindest klanglichen Hochgenuss. Zum Abschluss liefert JAM dann mit "Gucken wo ich bleib" noch einen richtigen Ohrwurmtitel, bei dem die Hook schon nach dem ersten Hören mitgerappt werden kann. Abgerundet wird das Ganze sogar noch mit einem eingeschobenen Skit, der herrlich selbstironisch und unterhaltend darstellt, wie der Rapper sich durch seine halbe Kontaktliste telefoniert, um sich irgendwo Geld leihen zu können. Als kostenloser Vorgeschmack auf das kommende Album ist "Unten" das Reinhören definitiv wert und für JAM wohl der erste Schritt auf dem Weg nach oben.





    Neunfünf – Mondän


    In der Vergangenheit ließ Neunfünf in Form der "Vorstadt Blues"-EP von sich hören, aktuell misst er sich gemeinsam mit BlaDesa und Kayeah als "Brave New World" im Zuge der VBT Splash!-Edition mit anderen Crews. Vor Kurzem veröffentlichte der Stuttgarter eine Sammlung von teilweise bereits erschienenen Tracks, welche den schlichten, aber eleganten Titel "Mondän" trägt. Das herausstechendste Merkmal des Künstlers ist zugleich die größte Hürde, welche der Hörer bei Neunfünf zu überwinden hat: Seine krächzende, kratzige Stimme ist zunächst recht gewöhnungsbedürftig und lässt die einzelnen Lieder so wirken, als müsse der Rapper sich geradezu durch die Beats quälen. Diese sind aber wahnsinnig eingängig und äußerst gekonnt komponiert. "Du und ich" vereint Klaviertöne mit sanften Drums zu einem wabernden Klangvorhang, während Gitarrenriffs und dumpfer Bass dem Lied "Einfach keinen Fick geben" einen tiefenentspannten Grundton verleihen. So fällt es nicht allzu lange schwer, sich Neunfünfs stimmliche Beiträge anzuhören und bereits nach kurzer Eingewöhnungsphase ergibt das Ganze ein widersprüchliches, aber doch irgendwie harmonisches Gesamtbild. Thematisch handelt "Mondän" oft von Freundschaft, Liebe und komplexen Gefühlszuständen, aber auch von Versagensängsten und der Frage, ob Erfolg und Ruhm wirklich erstrebenswert sind. Dabei formuliert der Rapper seine Texte simpel, aber poetisch, wirkt im Gesamteindruck wesentlich stärker als auf einzelne Strophen reduziert und weiß die jeweilige Stimmung hervorragend zu vermitteln. Neben dem Bonus "La La La La" als Einführung in das "Growing Apple Trees"-Projekt, welches Neunfünf gemeinsam mit Nachwuchsmusiker Ethan Taylor geschaffen hat, sind besonders die instrumentalen Einschübe eine angenehme Abwechslung. Egal, ob der experimentelle Remix von Tom Odells Stimme auf "Another Love Interlude" oder "Whiskey on Ice": Das wirkt, als hätte der Künstler die Impressionen einer schummrigen Cocktailbar in musikalischer Form eingefangen – der Stuttgarter weiß auch ohne Einsatz seiner Stimme zu überzeugen. Wer "Mondän" gehört hat, weiß, dass Neunfünf auch unabhängig von der VBT Splash!-Edition 2014 noch eine Zukunft haben wird.





    V.A. – T.I.G.E.R. Vol. 1


    Das Unternehmen MEM Pictures, welches nach eigenen Angaben als Label und Dienstleister für Musik, TV und Film fungiert, veröffentlichte dieser Tage die erste Ausgabe ihrer "T.I.G.E.R."-Reihe. Ausgeschrieben steht der Titel für "The Intelligent German Elite Rapper" und glänzt angeblich mit einigen der talentiertesten deutschen Interpreten. Zumindest scheint mit Ali As ein gewisser Bekanntheitsgrad gegeben zu sein, der ein oder andere kennt Twin durch die Zusammenarbeit mit Toony und African Soulja und von seiner Vergangenheit bei Jonesmanns ehemaligem Label Echte Musik. Ob man diese Leute jetzt aber gleich zu den talentiertesten Vertretern ihrer Musik zählen will, ist wohl eher fraglich. Während Careem aus Villingen auf einem durchschnittlichen Straßenbeat scheinbar nur irgendwelche sich reimenden Wörter aneinanderhängt, klingt die Hook von Geeniuz Gold wie ein simpler Kinderreim: "Jetzt macht Applaus/ sie steh'n vorm Haus/ aus dem Fenster schieß' ich raus/". Obwohl man auf einer Compilation sicher nicht erwarten kann, dass jeder Künstler sich möglichst vielfältig zeigt, ist "T.I.G.E.R. Vol. 1" doch zu sehr aus schlichten Representer-Tracks aufgebaut, die sich qualitativ nur im unteren Durchschnitt befinden. Born, der bereits eine EP zusammen mit Tatwaffe sowie sein Debütalbum veröffentlichte, kann die Compilation mit seinem Titel "Hol mir was ich will" immerhin in Hinblick auf den kraftvollen Beat und energiegeladenen Flow bereichern und Pretty Mo lässt innerhalb seines Parts auf dem gemeinsamen Track mit Ali As und Twin eine ganze Reihe unterhaltsamer Zeilen vom Stapel. Doch damit enden die Highlights tatsächlich schon. Negative Höhepunkte wie der Track von Pasey Wonder überwiegen deutlich und ziehen den Gesamteindruck von "T.I.G.E.R. Vol. 1" drastisch nach unten. Die "T.I.G.E.R."-Reihe mag noch in den Kinderschuhen stecken und so seien einige der groben Schnitzer noch verziehen, doch bis die Compilation ihrem Namen tatsächlich gerecht werden kann, muss sie qualitativ noch mindestens einen Quantensprung hinlegen.





    Jizz Fizz – Holy Moly


    Der Ausruf "Holy Moly" lässt sich so in etwa mit "Heiliger Strohsack!" oder "Heiliger Bimbam!" ins Deutsche übersetzen. Tatsächlich beschreibt dies dann wohl recht gut die Reaktion der Hörer auf das, was sie auf der Debüt-EP von Jizz Fizz zu hören kriegen. Der 24-jährige Münchner steht beim Independent-Label "Chi Lobi" (was so viel wie "kein Geld" bedeutet) unter Vertrag und verkörpert in seinen Liedern eine humorvolle Symbiose aus Patrick Bateman und "Ren and Stimpy". Auf Beats, die irgendwo zwischen Karnevalsatmosphäre und sphärischem Future-Sound schweben, sich aber auch gerne mal ganz schlicht auf eine Handvoll Drums reduzieren lassen, treibt der Rapper seine Horror-Cartoon-Komödie mit guter Laune, einer ordentlichen Prise Selbstironie und extrem lockerem Flow voran. So beschreibt Jizz zum Beispiel auf einem Beat, der einfach so vor sich hinklimpert, wie er in einem Reagenzglas gezüchtet, von Geheimbehörden ausgebildet und versteckt wurde, irgendwann jedoch fliehen konnte und nun als personifiziertes "Opium für's Volk", einer Art Messias, dem die Menschen aufgrund seiner Worte folgen, durch das Land streift – oder er verstümmelt sich als Hauptattraktion einer "Freakshow" sukzessiv selbst. "Der Mai ist gekommen" klingt wie das Baby einer Blaskapelle mit einem Drumkit und bietet einen langsamen, ruhigen Klangteppich, auf dem Jizz zum Frauenschwarm avanciert, der ebenso gemächlich wie das Instrumental vor sich hinflowt. Trotz seines extremen Variations- und Facettenreichtums behält der Rapper stets seine ganz eigene Art bei und so kann er das "Großstadttheater" zwischen nüchterner Gesellschaftsanalyse und humorvoller Klischeedarstellung ebenso überzeugend spielen, wie er auf der bedrohlichen Atmosphäre des donnernden Synthiesounds von "Feuer" eine Art Teufelsbeschwörung vollziehen kann. Wer Freude an Rapmusik hat, die sich und die Menschen um sich herum nicht ganz so ernst nimmt und gerne auch mal absurde und groteske Wege einschlägt, ohne seinen Humor zu verlieren, erhält mit Jizz Fizz und "Holy Moly" ein Gesamtpaket an Vielfalt und Talent.



    Wobo Solagl (Daniel Fersch)

  • Hab auf bandcamp.com zwar keinen Cent für Mondän dagelassen, wäre aber bereit nach eurem Auftritt als Opener beim Splash jedem von euch 'n Bier für lau zu geben. :D
    EP+Instrumentals sind übrigens sau gelungen :thumbup:
    Nur rätsel ich wie schon bei den Splash-Runden woher enu an die ganzen Vintage- und "Random"-Bilder, wenn man sie so nennen kann, kommt.

  • Zitat

    Original von NichtBaXX
    Hab auf bandcamp.com zwar keinen Cent für Mondän dagelassen, wäre aber bereit nach eurem Auftritt als Opener beim Splash jedem von euch 'n Bier für lau zu geben. :D
    EP+Instrumentals sind übrigens sau gelungen :thumbup:
    Nur rätsel ich wie schon bei den Splash-Runden woher enu an die ganzen Vintage- und "Random"-Bilder, wenn man sie so nennen kann, kommt.


    Merci!
    Ja sehr schön, dann bleibt zu hoffen, dass das mit dem Splash! auch klappt :thumbup:


    Und zu den Bildern:
    nicht nur du. Nicht nur du!

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