Review: Real Jay – Macht



  • 01. Intro
    02. Molotov
    feat. R.A.F. & Jonesmann
    03. Toni und Jay feat. Toni der Assi
    04. Kopfterrorist feat. Twin
    05. 911 Pilot
    06. Hallo Schmerz
    07. Fußsoldaten
    08. Zuviel gesehen
    feat. Jonesmann
    09. Nicht allein feat. Jonesmann
    10. Frankfurt in dein Maul feat. Jonesmann
    11. Bis der Mond mit der Sonne tauscht
    12. Fukushima
    13. Ausrastmucke


    Die deutsche Rapszene ist heute vielfältiger als je zuvor und bei der schieren Masse an neuen Künstlern und Releases, welche die Szene Woche um Woche bereichern, ist es nicht immer einfach, einen Überblick über das gesamte Spektrum zu behalten. Vielleicht liegt es aber genau daran, dass man sich dennoch immer wieder neugierig tief in die Szene wagt und nach Rappern sucht, die sich bisher noch nicht so recht etablieren konnten. Rohdiamanten, die vielleicht noch gar nicht vom Rest Deutschlands wahrgenommen werden und auf ihren Feinschliff warten. Aus dem ein oder anderen mag irgendwann vielleicht sogar ein Brillant werden. Irgendwoher aus dem Dunstkreis dieser oder ähnlicher Metaphern stammt wohl auch GeddoBrillianteMusik, der Name des Labels von Real Jay, wobei sich die mehr oder minder korrekte Rechtschreibung einfach mal unter künstlerischer Freiheit verbuchen lässt. Real Jay jedenfalls dürfte zumindest dem ein oder anderen durch Zusammenarbeit mit seinem kleinen Bruder Jonesmann, dessen Label "Echte Musik" und diversen anderen Künstlern aus dem Bereich Frankfurt ein Begriff sein. Ein eigenständiges Release brachte er zuletzt 2008 heraus, sodass nun, knapp sechs Jahre später, auf "Gangstartainment" sein zweites Album "Macht" folgt. Ob der Rapper diese Zeit für einen Feinschliff nutzte und sein Album nun in lupenreiner Brillanz erstrahlt oder sich letztlich nur als billiger Modeschmuck herausstellt, wird sich zeigen.


    "Jetzt ham' die Angst, weil die wissen, dass wir Gott kenn'/
    Das ist FFM, wo der Scheißdreck in den Blocks brennt/
    Kids vor den Cops renn', nix für die Top Ten/
    Ich geb 'n Fick und lass' das beschissene Ott brenn'/
    "
    (Real Jay auf "Molotov")


    Bevor mit "Molotov" die inhaltliche Marschrichtung des Albums vorgegeben wird, bietet das "Intro" einen leider nicht sonderlich aussagekräftigen Einstieg, besteht es doch lediglich aus dem Wort "Revolution", welches pausenlos wiederholt wird. Der Beat, der mit Pauken und Trompeten wohl eine Art epochales Flair erzeugen soll, geht durch dieses Mantra größtenteils unter und leidet auch ansonsten an wirren Scratches und dem Gefühl, dass die diversen musischen Elemente sich nicht so recht einig werden können, welches nun im Vordergrund des Geschehens stehen soll. Ähnlich überladen geht es auf "Molotov" weiter, wobei hier anscheinend versucht wurde, das Problem durch entsprechende Lautstärke zu kompensieren. Ohne Umwege scheppern dem Hörer der surrende Beat und Real Jays heruntergepitchte Stimme laut entgegen. Der Rapper spuckt allerdings nicht nur laute, sondern ebenso große Töne, sodass sich bereits im ersten Part des Albums die inhaltliche Richtung deutlich abzeichnet. Frankfurt ist das härteste Pflaster auf dieser weiten Welt, jeder andere Rapper ist Jay prinzipiell unterlegen und weil die rassistische Gesellschaft ihm einen guten Job verwehrte, verschrieb Real Jay sich der Kriminalität samt Gewalt und Drogen. Recht viel anders sieht das dann auch bei Featurepartner R.A.F. (nein, nicht Camora, sondern ein ebenfalls aus Frankfurt stammender Rapper) nicht aus, dessen Leben irgendwo zwischen Knastaufenthalt und Fitnesscenter stattfindet. Einzig Jonesmann belässt es bei simplem Representer-Inhalt, ohne sich in Richtung Gangster- oder Straßenrap zu bewegen, wodurch zumindest der letzte Part des Tracks ohne vehemente Überspitzung des "Ghettodaseins" auskommt.


    Auch im weiteren Verlauf von "Macht" sollte sich Jays kleiner Bruder als Highlight des Albums herausstellen, während die restliche Featureliste nicht so recht zu überzeugen weiß. Der Frankfurter Twin, der in letzter Zeit vor allem an der Seite von Deutschraps selbsternanntem "Erzieher" Toony von sich reden machte, rappt auf "Kopfterrorist" guttural von Gewaltbereitschaft und seinem trainierten Körper, kann abgesehen von diesem Hauch von Aggressivität jedoch nicht sonderlich viel beitragen. Toni der Assi fällt mit seinem Gastbeitrag auf dem – zugegeben passend, jedoch nicht sonderlich kreativ betitelten – Track "Toni und Jay" dann sogar eher negativ auf. In gewohnter Manier wirft er mit von Balkan-Idiomen durchzogenen Zeilen und trotz der Aussage "Integration – ich kann fehlerfrei Deutsch" fragwürdigen Sprachergüssen um sich. Als Außenstehender kann man da oftmals nur aus dem Kontext heraus erahnen, was sich dahinter verbergen könnte, während man sich ansonsten wohl einfach am phonetischen Gesamteindruck erfreuen muss. Jay selbst aber profitiert hörbar von den simplen, minimalen Klängen des Beats und weiß, wenn auch nicht mit sonderlich neuem Inhalt, zumindest mit konstantem Flow zu überzeugen.
    So basieren auch die drei Tracks, die in Zusammenarbeit mit Bruder Jonesmann entstandenen sind, auf ruhigen oder zumindest zurückhaltenden Beats. Diese bieten Real Jays Stimme den Platz, den sie braucht, um nicht von zu vielen Elementen des Instrumentals verschluckt zu werden. "Zuviel gesehen" etwa wird vom dumpfen Bass und hellen Klimpertönen gebildet, über die Jay problemlos hinwegflowen kann, während Jonesmanns sanfte Gesangshook sich relativ gut an den Beat selbst schmiegt. Inhaltlich wird hier wesentlich weniger auf der harten Gangsterschiene gefahren und "Nicht allein" entpuppt sich sogar eher als "Kopf hoch"-Track, der dann fast schon zu sehr in die gegenteilige Richtung rutscht.


    "Und man sieht in deinen Augen diese Angst, aufzufliegen/
    Ich war auch mal drauf, doch bin ausgestiegen/
    Aufgestiegen, denn dieser Rausch war auch 'ne Lüge/
    Schließ jetzt deine Augen, ich schenk' dir Zauberflügel/
    "
    (Real Jay auf "Nicht allein")


    Nach Liedern, die hauptsächlich von Drogen, Gewalt und Real Jays Härte handeln, wirkt das "Verschenken von Zauberflügeln" dermaßen kitschig, dass man nicht weiß, ob man einfach nur diesen Spruch oder alles bisher Gerappte anzweifeln sollte. Noch unpassender scheint da nur die Hook von "Hallo Schmerz" zu sein, auf der Jay sich zu einer Autotune-ähnlichen Gesangseinlage hinreißen lässt. Dies trägt weder zur Festigung seines Images als harter Knochen, noch zum Hörgenuss des Albums bei, sodass sich – vor allem in Hinblick darauf, dass der Track bereits vor etwa drei Jahren auf dem "Ich bin FFM Vol.3"-Sampler veröffentlicht wurde – die Frage stellt, warum der Titel überhaupt den Weg auf "Macht" fand. Ebenso fragwürdig ist auch die musikalische Untermalung von "Fußsoldaten", die mit einem undefinierbaren Rauschen beginnt, welches sich später in der Hook wiederholt und dort dann mit etwas Fantasie als Jubel- oder Kampfgeschrei verstanden werden kann. Als besagtes Gebrüll dann aber plötzlich aufhört und die heruntergepitchte Stimme, die die Hook spricht, mitten im Satz ausfadet, setzt der Beat wieder von vorne ein, was dem Ganzen den Anschein verleiht, die Produktion wäre nur halbherzig oder nicht vollständig beendet worden. Aber auch, wenn sich nicht ganz erschließen lässt, was der Rapper sich dabei gedacht hat, kann man nicht behaupten, dass jedes musikalische Experiment auf "Macht" ein Fehlschlag ist.


    So fällt der sehr schrille Synthie-Elektrosound von "Bis der Mond mit der Sonne tauscht" zwar deutlich aus dem gewohnten Klangbild, scheint jedoch mit Jays Stimme bestens vereinbar. Flowtechnisch zeigt der Rapper sich hier variationsreicher als je zuvor, weswegen man ihm die Effektspielereien in der Hook sogar verzeiht. Zum Abschluss präsentiert "Macht" sich dann noch einmal besonders ambitioniert, obwohl es an der Umsetzung des Ganzen wieder ein wenig scheitert. Der Crossover-Track "Ausrastmucke", der von den aus Obernhain stammenden Red Floor Musicians live eingespielt wurde, scheppert kräftig mit Drums und E-Gitarre aus den Boxen und hätte in Hinblick auf die Energie des Sounds in jedem Fall das Potenzial, seinem Namen gerecht zu werden. Stimmlich hätte Jay hier jedoch ruhig noch eine Schippe drauflegen und mehr Kraft in die Parts sowie die geschriene Hook legen können, um diesem Ende den letzten Schliff zu verleihen.


    Fazit:
    Auch, wenn hier und da durchaus positive Punkte zu finden sind und etwa in musikalischer Hinsicht "Ausrastmucke" oder auf den Flow des Frankfurters bezogene Titel wie "Toni und Jay" glückten, überwiegen die Schwachstellen auf "Macht" doch deutlich. Neben einem äußerst geringen Themenfundus stechen hierbei vor allem die zweifelhafte Produktion von "Fußsoldaten" und die Gesangshook von "Hallo Schmerz" heraus. Insgesamt ist "Macht" ein unterdurchschnittliches Straßenalbum, derer man heutzutage einfach schon zu überdrüssig ist, als dass man sich auf die Höhepunkte des Albums konzentrieren könnte, um über die vielen Tiefpunkte hinwegzusehen. Letztlich lassen sich wohl eher Schleifspuren statt tatsächlicher Feinschliff ausmachen.



    Wobo Solagl (Daniel Fersch)

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