Interview: Hiob & Morlockk Dilemma


  • Nach der Apokalypse kommt der Kapitalismus: Hiob und Morlockk Dilemma veröffentlichen am 28. Februar dieses Jahres nach "Hang zur Dramatik" und "Apokalypse Jetzt" ihr bereits drittes Kollaboalbum unter dem Titel "Kapitalismus Jetzt" über SpokenView. Ende Januar trafen wir die beiden Rapper kurz vor ihrem Auftritt auf der vierten Tapefabrik, um einiges über ihre momentane Zusammenarbeit, die Schwere des Themas "Kapitalismus" und natürlich auch über ihre neue Platte zu erfahren. Und was nach Apokalypse und Kapitalismus folgt, scheint auch schon klar zu sein: der Kannibalismus ... oder zumindest die eigene Religion.


    rappers.in: In eurer Video-Single "Delirium Tremens" rappt ihr in der Hook die Worte: "Unsere Nächte sind Filme". Zu Beginn des Interviews würden wir deshalb gerne von euch wissen, in welcher Art von Film wir euch heute Nacht auf der Tapefabrik antreffen. Könnt ihr uns kurz etwas zum Genre des Streifens und zu euren Rollen darin sagen?


    Morlockk Dilemma: Die Filme, von denen wir da sprechen, laufen eher nach dem Auftritt und nach einem halben Kasten Bier ab – dann kannst du uns nochmal fragen, in welchem Film wir uns befinden. (lacht)


    Hiob: Eigentlich ist es auch so, dass wir, bevor wir auf der Bühne waren, noch relativ professionell sind. Das heißt, wir trinken ein, zwei Bier und machen uns etwas locker. Die Filme fangen eher erst nach der Show an. Und was dann passiert – ob es ein Roadmovie oder ein Horrorfilm wird – stellt sich danach heraus.


    Morlockk Dilemma: Manchmal is' es auch so ein Arztfilm.


    Hiob: Ja. Je nachdem – manchmal fährt man auch in einem Krankenwagen durch die Gegend.


    rappers.in: Je nachdem, was man konsumiert?


    Hiob: Wir sind da relativ straight. Wir trinken halt Bier und das war's.


    rappers.in: Wir würden am Anfang gerne direkt den Titel eures kommenden Albums aufgreifen. "Kapitalismus Jetzt" ist der Nachfolger zu dem vor einigen Jahren erschienenen "Apokalypse Jetzt" – warum kommt der Kapitalismus nach der Apokalypse? Wäre die Reihenfolge andersherum nicht logischer gewesen?


    Morlockk Dilemma: Na ja. Das lässt halt offen, ob die Apokalypse wirklich stattgefunden hat und ob der Kapitalismus nicht sogar schleichend in die Apokalypse driftet. Aber auch wenn die Apokalypse gekommen ist: Es muss ja noch irgendwas danach passieren. Eine der logischen Konsequenzen wäre, dass sich alles nochmal wiederholt und man am Ende da landet, wo man jetzt gerade ist – im pursten Kapitalismus.


    Hiob: Ich glaube, ich würd's in einem Satz zusammenfassen: Der Kapitalismus ist ein Permanent der Apokalypse.


    rappers.in: Auf "Apokalypse Jetzt" habt ihr den Kapitalismus teilweise noch sehr stark angeprangert, auf dem titelgebenden Track "Kapitalismus Jetzt" hingegen wird der Kapitalismus plötzlich verherrlicht, wenn auch mit zwinkerndem Auge. Was steckt dahinter? Wolltet ihr dieses Mal einfach in eine gegensätzliche Rolle schlüpfen?


    Hiob: Ich glaube, dass sich in den vier Jahren, die zwischen "Apokalypse Jetzt" und "Kapitalismus Jetzt" liegen, viel an unserer Situation geändert hat und sich deshalb auch unsere Perspektive verändert hat. Wir zeigen nicht mehr mit dem Zeigefinger auf die anderen, sondern reden mittlerweile mehr über uns als Teil der Gesellschaft und die Widersprüchlichkeiten der Existenz.


    Morlockk Dilemma: Bei "Apokalypse Jetzt" hatten wir noch eine gewisse Wut auf die Umstände und meinten, dass jetzt irgendwas kommen muss, das alles kaputt macht. Und jetzt, wo die Apokalypse nicht gekommen ist, denken wir eben: Scheiß drauf, stürzen wir uns halt in dieses Partyleben und feiern uns und die Dinge, wie sie sind. Natürlich mit einem doppelten Boden: Du haust auf die Kacke und ziehst dein Konto ins Dispo. Das ist ja auch ein Zustand, der jetzt stattfindet. Damals, zu der Zeit, war ja auch ein wenig der Mindstate "Fuck, das kann doch nicht gut gehen" und parallel die Wirtschaftskrise. Alle haben ein relativ düsteres Bild von der Zukunft gezeichnet und das hat sich zumindest auch in der Gesellschaft in Deutschland verlagert, von wegen: "Bisher ist nichts passiert, dann können wir ja so weitermachen."


    Hiob: Das ist tatsächlich eher eine deutsche Perspektive. Wir leben hier im Schlaraffenland, aber wenn man mal ein bisschen über den Tellerrand schaut, sieht man, was uns auch noch bevorsteht.


    Morlockk Dilemma: Genau. Und das haben wir auch mit diesem doppelten Boden aufgezeigt.


    Hiob: Wir feiern nach dem Motto "Nach uns die Sintflut" und sind irgendwann wahrscheinlich trotzdem am Arsch.


    rappers.in: "Kapitalismus Jetzt" ist euer drittes Kollabo-Album. Wie kam es dazu, dass ihr euch wieder dazu entschieden habt, zusammen ein Album aufzunehmen? Spielt da vielleicht auch die Meinung von Fans mit hinein, die euch am liebsten zusammen auf einer Platte hören?


    Morlockk Dilemma: Also, ich glaube, soweit geht unsere Fanliebe jetzt nicht, dass wir uns da was aufdiktieren lassen. Wenn wir uns jetzt hassen würden oder während "Apokalypse Jetzt" zerstritten hätten, hätten wir nie wieder was gemacht. Aber wir wissen, dass wir auf die Leute da draußen als Team wirken und bisher hat das auch super funktioniert. Bisher waren wir halt zwei Solo-MCs, die sich zusammenfinden. In der Zwischenzeit bin ich aber auch nach Berlin gezogen. Man hat sich viel öfters gesehen, man hatte viel mehr Möglichkeiten, um sich auszutauschen und Gedanken zu machen. Das hat dann dazu geführt, dass wir uns noch mehr als zuvor als Band sehen.


    Hiob: Wir hängen auch so die ganze Zeit miteinander rum und haben viele Auftritte gemacht, obwohl wir grade kein gemeinsames Album hatten. Wir sind also sowieso dauernd irgendwie zusammen, deshalb lag das auf der Hand.


    Morlockk Dilemma: Man hätte uns jetzt nicht überreden müssen, zusammenzuarbeiten.


    rappers.in: Viele Hörer vergleichen euch ganz gerne mal miteinander, weil ihr beide relativ ähnliche Stimmeinsätze habt und auch lyrisch sehr gut miteinander harmoniert. Was sind für euch persönlich die Besonderheiten an den Parts des jeweils anderen?


    Hiob: Ich bezieh' es jetzt mal aufs Album. Da war das Ganze auch irgendwie 'ne Challenge. Wir haben angefangen mit denselben Doublerhymepattern wie auf "Apokalypse Jetzt" – da will ich jetzt auch nicht zu sehr ins Detail gehen, das interessiert kein Schwein. Und dann hat irgendwann einer mit Triplerhymepattern angefangen und daraus wurde ein Battle im Sinne von "Wer bringt den nächsten krasseren Part?". Man wollte immer auf Augenhöhe sein. Und Morlockk hat auf dem Album halt zwei Parts mit so perversen Quadrorhymepattern. Ich glaube, das ist das Besondere. Man hat bestimmt eine Stufe, aber Falko ist technisch noch ein minimales Level höher.


    Morlockk Dilemma: Das hat sich auch über die Jahre hinweg entwickelt, aber grundsätzlich würd' ich sagen, dass das Steckenpferd von Hiob diese lyrische Sprache und dieses Bilderzeichnen ist. Und ich denke, beide Sachen – ich aus der Battlerap-Ecke und er als Poet – haben auch über die Jahre jeweils auf den anderen abgefärbt.


    Hiob: Jeder hat auch was von dem anderen mitgenommen.


    Morlockk Dilemma: Genau. Und bei dem Album haben wir versucht, beide Welten zusammenzubringen – das es technisch interessant ist und lyrisch. Und ich glaube, das ist uns ganz gut gelungen.


    rappers.in: Ihr habt gerade gesagt, dass ihr die Produktionsphase auch ein bisschen als Challenge angesehen habt – ist es dann vorgekommen, dass ihr Parts teilweise verworfen habt, weil ihr die vom anderen gehört habt und es noch besser machen wolltet?


    Morlockk Dilemma: Nee. Meistens war es so, dass wir zuerst Beats gebaut und eine Auswahl getroffen haben. Dann gab's eine grobe Richtlinie, was wir darauf schreiben könnten. Und dann hat einer von uns eben einen Part vorgelegt.


    Hiob: Es gab immer einen Part und der andere hat drauf geantwortet.


    Morlockk Dilemma: Das ist für mich auch der Vorteil, wenn man in einem Team arbeitet. Wenn ich jetzt an meine Soloprojekte denke: Du bist zwar natürlich unter dem Druck, dass du dir auch selbst gefallen willst, aber in dem Augenblick, in dem du mit jemand anderem zusammenarbeitest, ist der Druck höher, noch mehr Qualität zu bringen. Es ist eine Herausforderung. Du weißt: Ey, der Dude mit dem du zusammenarbeitest, macht krasses Material und ich kann mich jetzt nicht damit zufriedengeben, irgendeinen 16er zu schreiben. Und ich finde, das hört man und das hat für mich auch den Reiz ausgemacht.


    Hiob: Prost! (stößt mit Morlockk Dilemma an)


    rappers.in: Habt ihr denn auch jeweilige Lieblingslines des anderen und könnt uns kurz eine rezitieren?


    Morlockk Dilemma: Schwierig. Das ist ja alles Kontext-bezogen. Wir haben schon versucht, auch bei den thematischen Sachen mit Punchlines zu schreiben, damit das Ganze interessant bleibt.


    Hiob: (unterbricht) Ich hab' sogar ein paar Lieblingslines! Von diesem ersten Tape, das ich von Dilemma bekommen hab'. Auf "Egoshooter", das ist bis heute meine Lieblingsline geblieben: "Du saugst die Titten deiner Freundin in der Hoffnung, es kommt Milch". Die ist einfach, aber ich find' die bis heute sehr effektiv.


    Morlockk Dilemma: Ich überlege noch, aber ist schwierig. Ist ja immer so eine Sache, wenn man sich was raussucht. Dann stellt man andere Sachen, die auch gut sind, runter. Und das will ich eigentlich nicht.


    Hiob: Meine war gerade auch etwas trivial.


    Morlockk Dilemma: Ja, für einen Punchlinegott wie mich ist die die schlimmste Beleidigung! (lacht) Nee, ich meine: Es gibt in jedem Song auch eine Line, die ich am Ende vor mich hinquassel'. Es ist auch nicht so, dass irgendwas auf einer Line aufbaut und die deshalb hervorsticht, weil alles in einem Kontext ist und jede Line an der richtigen Stelle steht.


    Hiob: Im Idealfall ist jede Line 'ne Punchline.



    rappers.in: Da ihr euch immer gegenseitig Parts vorgelegt habt: Wer hatte denn die beste Trackidee auf dem neuen Album?


    Morlockk Dilemma: Lustigerweise war es so, dass wir bei "Mutterliebe" beide dieselbe Trackidee hatten. Ich wollte die Skizze schon bei "Circus Maximus" bringen, hab' die am Ende aber verworfen. Und er kam dann mit derselben Idee an und meinte: "Lass uns mal einen Track über Rappermütter machen." Das klingt jetzt verrückter, als es ist. (lacht)


    Hiob: Die Idee war, dass wir inzwischen in einem Alter sind, in dem es rechnerisch möglich ist, dass ein Fan vor uns steht, der 14 ist und eine Mutter hat, die ihn mit 18 bekommen hat und die jetzt 32 ist. Das heißt, es könnte wirklich sein, dass wir die Mutter ficken, weißte? (alle lachen)


    Morlockk Dilemma: Ansonsten hatten wir oft eine Grundidee, an der wir dann ein bisschen rumgebastelt haben. Es gab schon Sachen, wo der eine 'ne Idee hatte und der andere drauf geantwortet hat, aber meist war die Findung der Themen eine Zusammenarbeit ... und dann auch ganz viel Battleshit, bei dem man gar keine Themen hat.


    Hiob: Wir hatten teilweise auch einfach Bock auf Rappen.


    rappers.in: Euer Cover erinnert stark an diverse Science-Fiction-Comics und -Filme, von denen ihr auch bekennende Fans seid. Könntet ihr uns kurz erzählen, wie das Ganze entstanden ist und wer dafür verantwortlich ist?


    Hiob: Das Cover ist von Ink-a-zoid. Das ist ein Grafiker, der in den letzten Jahren sehr viel für uns gearbeitet hat und auch einiges für Berliner Veranstaltungen macht. Über die Idee will ich gar nicht so viel verraten – das ist 'ne Collage aus alten Plattencovern und viel Selbstgezeichnetem.


    Morlockk Dilemma: Es gibt mehrere Säulen, auf denen die Idee fußt. Die eine ist dieser kapitalistische Ansatz, die Ode an den Kapitalismus, wenn man es so will. Auf der anderen Seite sind wir aber auch über die musikalische Ecke rangegangen und haben gesagt: Okay, wir würden gerne das Bild der '70er Jahre auf 2014 zeichnen. Und damit einhergehend gibt es ja diese ganze retrofuturistische Strömung und den Synthesizersound der '70er. Das ist schon der rote Faden, an dem sich die Platte orientiert hat.


    Hiob: Da schlägt sich auch wieder die Brücke zur Thematik, wegen dieser Zukunftsgläubigkeit der '70er Jahre. "Alles wird immer noch besser, der Markt regelt alles". Das ist eigentlich eine Philosophie, die wesentlich älter ist, obwohl sie heute immer noch propagiert wird. Und da ist die Brücke zwischen Thematik und Ästhetik der Beat.


    Morlockk Dilemma: Genau. Und das Cover spielt dann natürlich in Zusammenhang mit dem Library-Sound, den wir da gesamplet haben, eine Rolle. Das Cover-Artwork hat einfach auch eine gewisse Ästhetik. Es soll eigentlich aussehen wie so eine typische Library-Platte aus den '70er Jahren, bei der du als Beatnerd durchdrehst, wenn du sie auf dem Flohmarkt findest.


    rappers.in: Ziehen wir mal einen Vergleich zwischen den Soundbildern aller drei Releases – was sind die Gemeinsamkeiten und Unterschiede? Wie haben sich eure Kollabowerke mit den Jahren verändert, von "Hang zur Dramatik" über "Apokalypse Jetzt" bis hin zu "Kapitalismus Jetzt"?


    Morlockk Dilemma: Jedes ist natürlich ein Spiegel der Zeit, in der man das Album produziert und aufgenommen hat. Deshalb ist es für mich immer schwierig, da einen Vergleich zu ziehen. Ich denk' immer, dass jedes für sich steht.


    Hiob: Ich kann für mich sagen, dass wir uns beim ersten Album halt gerade kennengelernt und zusammengerauft hatten, eine Platte zu machen. Da gibt's für mich noch keinen roten Faden – wir haben uns zusammengeschmissen, jeder hat was eingebracht und am Ende kam so ein Kuddelmuddel raus. Und ich glaube, wir sind von Album zu Album verständlicher geworden. Wenn ich heute "Hang zur Dramatik" höre, wo wir halt richtig schnell hardcore-staccato-flowen, ist das für mich selbst schwer verständlich. Ich denke, dass da viel passiert ist und dass wir hörerfreundlicher geworden sind im Gegensatz zu 2007.


    rappers.in: Würdet ihr diese Hörerfreundlichkeit auch auf die Soundbilder beziehen?


    Morlockk Dilemma: Also, ich würde sagen, dass wir uns weder beat- noch textmäßig hingesetzt und da viel verändert haben. Wir haben gerade bei diesem Album auch einfach Mucke gemacht, auf die wir Bock haben. Da spielt dann auch eine Rolle, was man zu dem Zeitpunkt hört. Das ist natürlich ein anderer Sound, den ich in den letzten zwei Jahren gehört habe, als 2005. Damals gab's halt nur Dipset und da war man noch etwas anti in puncto anderes Soundbild. Aber dieses Mal war es so, dass es in der letzten Zeit sehr viele interessante Amigeschichten gab, mit denen wir uns wohl gefühlt haben. Wir haben Beats gebaut, von denen wir sagen konnten: Das hätte jetzt auch auf der und der Platte sein können.


    Hiob: Bei "Apokalypse Jetzt" haben wir meist einen Drumloop genommen und ein Filmsample drübergehauen. In dem Bereich haben wir uns auf jeden Fall weiterentwickelt. Wir benutzen jetzt fast nur noch Drumkits, haben selbst ein paar Sachen eingespielt und Loops am Start.


    Morlockk Dilemma: Wir haben auch viel mehr Zeit in Arrangements investiert.


    Hiob: Ja, da hat sich auch in der Richtung viel getan. Es wird halt immer detailverliebter.


    rappers.in: Was habt ihr denn so gehört?


    Morlockk Dilemma: Die ganzen 500.000 Alchemist-Alben, die in letzter Zeit rausgekommen sind, zum Beispiel ...


    Hiob: ... oder Action Bronson!


    Morlockk Dilemma: Wir machen zurzeit so viel Werbung für diese Dudes. (lacht)


    Hiob: Die müssten uns langsam mal Geld zahlen!


    Morlockk Dilemma: Eigentlich dieses ganze Camp, das in diesem Alchemist-Umfeld ist und auch aus dieser Prog-Rock-Ecke gesamplet und gediggt hat. Das hört man auf jeden Fall auf dem Album.


    rappers.in: Während der Produktionsphase von "Apokalypse Jetzt" habt ihr noch in zwei verschiedenen Städten, Leipzig und Berlin, gelebt. Heute wohnt ihr beide in Berlin – wie war damals die Arbeitsweise? Habt ihr euch im Studio getroffen oder Parts übers Internet verschickt?


    Hiob: Wir haben uns Beats und Parts über Internet zugeschickt. Dann bin ich meistens nach Leipzig gefahren und wir sind in Morlockks Bude rumgesessen. Auch teilweise in Magdeburg, weil er zu dem Zeitpunkt noch dort studiert hat. Da haben wir uns immer mal wieder in so einer kleinen Plattenbauwohnung getroffen und drei, vier Tage am Album geschraubt. In diesen drei, vier Tagen musste man dann aber auch manchmal fünf Tracks aufnehmen – es war also nicht so, dass man da besonders gechillt war. Alles war wesentlich hektischer als jetzt. Jetzt können wir eben sagen: Okay, wir sehen uns morgen Abend. Ich wohn' inzwischen halt zehn Minuten von ihm weg. Das ist schon ein Unterschied.


    rappers.in: Macht man dann auch automatisch mehr Musik zusammen, wenn man so um die Ecke wohnt?


    Morlockk Dilemma: Man ist wesentlich fokussierter. Damals war es so, dass man viel mehr Arbeitsteilung hatte, weil man sich nicht einfach mal zusammensetzen konnte. Wir haben uns nur getroffen, um alles aufzunehmen. Und dieses Mal konnte man halt sagen: Hiob kommt jetzt vorbei und wir schreiben gemeinsam die Hook oder arbeiten noch was beim Arrangement heraus. Das ging früher nicht so leicht.


    Hiob: Oder man trifft sich halt, schreibt eine Hook und trinkt noch ein Bier.


    Morlockk Dilemma: Genau! (lacht)


    rappers.in: Wie geht es nach dem Kapitalismus für euch weiter? Stehen schon neue Solo-Projekte an oder wird es noch mehr Kollabos geben? Gerade du, Morlockk, hast in letzter Zeit ja sehr viele Kollabo- und weniger Solo-Releases veröffentlicht, beispielsweise mit Sylabil Spill.


    Morlockk Dilemma: Ich denke mal, 2014 steht schon im Zeichen von "Kapitalismus Jetzt". Das Album kommt ja erst raus, dann machen wir 'ne Tour, bringen die Instrumentals nochmal auf Platte und haben ein Remix-Projekt am Start. Das wird so ähnlich wie bei "Apokalypse Jetzt", da werden auch ein paar neue Tracks drauf sein. Und dann gibt's noch so eine Mixtape-Idee, die wir im Hinterkopf haben.


    Hiob: Dieses Jahr sind auf jeden Fall nicht sonderlich große Soloprojekte in Arbeit. Ich find's vor allem interessant, dass es jetzt noch ein Monat bis zum Release hin ist und man schon wieder gefragt wird, was als nächstes kommt. (lacht) Das ist diese schnelllebige Zeit. Wir haben lang an diesem Album gesessen und wenn man im Endeffekt von dieser Idee und dem Funken, der zum ersten Pixel geführt hat, ausgeht, hat das zwei Jahre gedauert.


    Morlockk Dilemma: Man muss halt gucken. Fakt ist: Wir fokussieren uns in diesem Jahr auf jeden Fall mehr auf die Musik. Es wird auch noch ein Label geben, über das wir uns selbst rausbringen, und die Zusammenarbeit wird natürlich intensiver sein als noch zu "Apokalypse Jetzt"-Zeiten.


    Hiob: Wir können jetzt auch schneller releasen, deswegen wird alles entspannter.


    Morlockk Dilemma: Genau. Und dann gucken wir einfach mal. Es gibt schon ein paar Projekte, die wir in der Pipeline haben, aber ich bin auch kein Freund davon, sofort wieder ins Studio zu gehen, sobald ein Ding fertig ist. Sonst wird das wirklich Fließbandarbeit.


    Hiob: Bevor man sich wieder an ein Release setzt, muss erstmal so eine Art mentale Revolution passieren. Wir haben auch 'nen guten Schnitt gemacht – das neue Album hat nicht mehr so viel mit dem letzten zu tun und es wäre auch schön, wenn das nächste wieder irgendwas Neues beinhaltet. Es geht ja auch immer um Entwicklung.



    rappers.in: Gerade bei dir, Hiob, ist das letzte Soloalbum "Drama Konkret" allerdings auch schon drei Jahre her und da könnte man sich eigentlich vorstellen, dass du in dieser Zeit abseits vielleicht an Neuem gearbeitet hast ...


    Hiob: Ja, das kam Ende 2011. Ich hab' Anfang 2012 dann wieder damit angefangen, ganz viele Sachen zu schreiben, vor allem Features. Die sind am Ende teilweise aber gar nicht erschienen. Wir haben auch an diesem Mixtape gearbeitet, das eigentlich schon längst rauskommen sollte, das wurde aber alles nach hinten verschoben. Ich find's aber auch nicht tragisch – das Mixtape wird vielleicht Ende des Jahres erscheinen. Da sind dann ganz viele Leute drauf. Es gibt auch Sachen, die man schon geschrieben hat, die aber auch nur rumliegen, weil das für mich momentan keine Priorität hat. Die Priorität liegt für mich gerade in der Arbeit mit Morlockk, weil das einfach funktioniert. Vielleicht sogar besser als die Sologeschichten.


    rappers.in: Bei dem Release von "Apokalypse Jetzt" war es euch damals wichtig, dass es der Tradition wegen nicht nur auf CD, sondern auch auf Vinyl erscheint. Heutzutage bringen sehr viele deutsche Rapper, die man vielleicht nicht als besonders Oldschool empfindet, ihre Musik auch auf Platte raus. Was sagt ihr dazu und wie genau empfindet ihr das?


    Morlockk Dilemma: Mir ist das egal.


    Hiob: Fakt ist: Mein Album hat sich auf Vinyl nicht schlecht verkauft und ich hab' im Vergleich zur CD das Doppelte an Vinyl verkauft. Ich denke, das ist auch bei uns die Tendenz. Wir machen dieses Mal eine sehr hohe Vinylauflage, weil die Leute keine CDs mehr von uns wollen. Die CDs sind natürlich da und die kann man sich auch kaufen, aber das ist jetzt keine Herzensangelegenheit. Mir wäre es lieber, alle würden sich einen Plattenspieler kaufen und ich glaube, dass der Trend auch dahin geht. Ne CD kann man sich selbst brennen.


    Morlockk Dilemma: Beziehungsweise brennst du dir ja nicht mal mehr CDs, wer macht das schon noch?


    Hiob: Eine CD hat einfach keinen marteriellen Wert mehr für mich.


    Morlockk Dilemma: Wenn ein Release in Amerika rauskommt, das ich feier', zieh' ich mir das auch im Internet runter und wenn's geil ist, kauf' ich es dann auf Platte. Ich hab' jetzt natürlich keinen tragbaren Plattenspieler mit, wenn ich draußen bin, aber das ist einfach ein Großformat, bei dem das Cover wirkt. Von daher ist Vinyl auf jeden Fall auf dem Vormarsch. Wenn andere Leute, von denen man es jetzt nicht erwartet, auch Platten rausbringen, find' ich das cool. So wie CDs rückläufig sind, nehmen Vinyls wieder zu. Das ist halt wirklich ein Format, für das es in den '90ern Kampagnen im Untergrund gab, damit es nicht ausstirbt. Ich war letztens auch im Media Markt und hab' gesehen, dass es da wieder 'ne Vinyl-Ecke gibt.


    Hiob: Ich glaub' einfach, dass man sich dadurch auch ein Stück weit mit dem Künstler identifizieren will. Und wenn du es dir bei iTunes runterlädst, was ist das schon? Einfach unpersönlich. Aber wenn du die Vinyl Zuhause stehen hast und wirklich feierst, was wir machen, ist das doch etwas ganz anderes. Ich hab' mir auch jahrelang alles aus dem Internet gesaugt, aber seitdem ich Platten kaufe, hat Musik für mich einen ganz anderen Wert. Man hat ein Plattenregal, holt die Platte raus, legt sie auf, du hast die Rillen ... Ich weiß nicht, vielleicht ist das auch ein Fetisch.


    Morlockk Dilemma: Aber zum Glück ist es ja nicht so, dass man nur selbst das so sieht. Ich freu' mich auch zum Beispiel, wenn Kids Platten kaufen. Wir sind ja noch aus einer Generation, die das vielleicht mal beim Vater gesehen hat. Man ist mehr oder weniger damit aufgewachsen und es ist nicht total artfremd für einen. Jemand, der 12 oder 13 ist, ist damit nicht groß geworden. Und wenn der dann wiederum sagt, dass Platten cool sind, freu' ich mich wirklich. Dann ist das wirklich ein Comeback des Mediums Vinyl.


    Hiob: Wobei man sich natürlich auch fragen muss, wie lange das so läuft. Es kann auch sein, dass das in zwei, drei Jahren wieder vorbei ist.


    Morlockk Dilemma: Wir wollen hier nichts beschwören! (lacht)


    Hiob: Ist aber auf jeden fall besser, als für jeden gestreamten Track auf Spotify 0,0001 Cent zu bekommen.


    rappers.in: Gibt es noch weitere Traditionen im HipHop-Bereich, die vielleicht irgendwann auf der Strecke blieben und die ihr vermisst?


    Morlockk Dilemma: Breakdance, ganz klar! Wir sind beide große Breakdance-Fans! (alle lachen) Nee, ganz ehrlich: Graffiti existiert mittlerweile beispielsweise völlig parallel, unabhängig von irgendwelchem Rapgedöns. Meine Leute aus Leipzig haben auch schon vor zehn Jahren irgendwelche Technopartys veranstaltet. Die kommen auch immer wieder gerne mal zu irgendwelchen Veranstaltungen, aber ich sehe da diese Vierfaltigkeit von HipHop gar nicht. Schon als ich angefangen habe, Mucke zu machen, waren diese Jams mit Breakdance und Graffiti aufgesetzt und nicht wirklich eine Einheit.


    Hiob: Es funktioniert alles parallel. Du kriegst auch diese Beatbox-Weltmeisterschaften nicht mit, wenn du da nicht hingehst. Diese ganzen Disziplinen existieren eben und haben ihre Nischen. Rap ist da wieder was anderes – Tanz, Graffiti und DJing kannst du wahrscheinlich nicht so gut verkaufen. Aber es gibt genug Leute, die trotzdem gut davon leben können. Aber dass bei den einzelnen Disziplinen irgendeine Abhängigkeit bestehen würde, ist, glaube ich, nicht so.


    Morlockk Dilemma: Ich find's ja cool, wenn Leute das so feiern und sagen, dass sie HipHop in allen vier Elementen representen. Da hab' ich nichts dagegen ...


    Hiob: ... aber es hat wenig mit der Realität zu tun.


    Morlockk Dilemma: Genau, das wollte ich sagen. Manchmal hat das so etwas Gezwungenes und Albernes an sich. HipHop als Wertekultur.


    Hiob: Den Breakdancern und Graffitileuten tust du damit auch keinen Gefallen. Ich kenn' genug Leute, die, wenn ich sie jetzt im Rap einbinden und erwähnen würde, sagen würden: "Was erwähnst du meinen Namen?! Ich will mit eurer Musik gar nichts zu tun haben." Das sind Sachen, die völlig autark funktionieren.


    rappers.in: Wir finden, dass man viel zu wenig Persönliches von euch weiß, da ihr euch teilweise immer gerne hinter Sarkasmus und Zynismus versteckt. Darum wollen wir jetzt erstmals eine kleine Charakterstudie durchführen, mit euch als "Versuchsobjekten". Wir finden, dass es einiges über einen Menschen aussagt, wie er seine Sonntage verbringt. Darum darf uns jeder von euch jetzt mal den Ablauf seines typischen Sonntags beschreiben, vom Aufstehen bis zum Einschlafen!


    Morlockk Dilemma: Total belanglos, eigentlich. Es kommt natürlich immer darauf an, was man am Samstag gemacht hat. Wenn ich da die Korken knallen lasse, verbring' ich den Sonntag halt komplett im Bett, wach' irgendwann um 16, 17 Uhr auf, schaue irgendwelche obskuren YouTube-Dokumentationen, bestell' mir Pizza und kann nicht pennen. Aber wenn wir zum Beispiel samstags 'nen Gig haben, sitzt man Sonntag komplett im Zug, ist verkatert und will nach Hause und duschen. Es gibt bei mir eigentlich nur diese beiden Modi. Ich kann mir jetzt nicht vorstellen, mal an die frische Luft rauszugehen. Das ist überhaupt nicht meins. Sonntag will ich nur rumhängen, keine Jeans anziehen, in Unterhosen Filme gucken und ungesundes Essen essen.


    Hiob: Ich hab' natürlich gerade 'ne andere Situation. Wenn wir 'nen Auftritt hatten, sitz' ich natürlich auch im Zug und bin einfach im Arsch. Aber ich bin generell jemand, der nicht auf Partys geht, wenn er's nicht muss. Ich bin durch diese Rapgeschichte oft genug auf Partys und trinke. Normalerweise sieht das bei mir so aus, dass ich relativ früh aufstehe, tatsächlich mit meiner Frau spazieren gehe, irgendwann gegen 14 Uhr im Fischrestaurant auf der Danzinger Straße bin und da Fisch esse. Dann treffen wir uns mit einem anderen Dude, sie und er rauchen dann was und dann hat meine Freundin gute Laune. Dann gehen wir nach Hause, spielen Scrabble, dann muss ich ins Bett und meistens am Montag arbeiten.


    Morlockk Dilemma: Damit ist der Mythos zerstört. Mit Schwefelqualm sonntags rumorakeln. (lacht)


    rappers.in: Wagen wir zum Abschluss einen Ausblick in die Zukunft: Apokalypse und Kapitalismus hatten wir schon – was wären weitere Übel, mit denen ihr euch vielleicht auseinandersetzen wollt?


    Hiob: Es kommt ja diese Remix-Platte, auf der auch neue Tracks drauf sind und wer weiß, vielleicht wird die auch "Kannibalismus Jetzt" heißen. Der lange Plan für die nächsten fünf Jahre ist außerdem, dass wir unsere eigene Kirche gründen wollen mit unserer eigenen Religion und eigenen Jüngern. Dann verkaufen wir Geräte, bei denen irgendwelche Zeiger ausschlagen, so ein bisschen wie Scientology. Wir wollen Scientology Konkurrenz machen. Das ist der Plan.


    Morlockk Dilemma: Aber wir meinen das auch ernst.


    rappers.in: So wie Kanye West?


    Hiob: Ist Kanye West bei Scientology?


    rappers.in: Nein, aber für ihn wurde eine eigene Religion gegründet.


    Morlockk Dilemma: Ich will eine Sexkirche. (lacht)


    Hiob: Wir hatten schon einige Erweckungsmomente, aber sind noch zu keinem Endergebnis gekommen. Wir müssen, glaube ich, noch öfter Weihrauch zu uns nehmen.



    (Kristina Scheuner & Pascal Ambros)

  • Freue mich ja schon so auf das Album!


    Mal am Rande: ich finde es immer bedauerlich, dass solche Talente noch arbeiten gehen müssen. Klar kann es auch sein, dass die anderweitig arbeiten wollen, aber ganz ehrlich, wenn die echt gut von der Musik leben könnten, würden denke ich die wenigsten freiwillig noch etwas anderes machen außer Musik.


    Vor allem habe ich gerade bei diesen beiden Herren das Gefühl, dass die schon eine große Fanbase haben. Dazu kommt noch, dass gerade Dilemma ja auch recht produktiv ist, seien es Features, Instrumental-LPs oder Alben/EPs, bei einem Independent doch sicherlich mehr hängen bleiben wird, als bei einem Major und vor allem, dass deren Fans eher die Platten kaufen als runterladen.


    Ich verstehe halt nicht, wie ein Bushido heutzutage noch viele Platten verkaufen und davon leben kann, wo doch sicherlich jeder Grundschüler weiß, wo er die Teile illegal runterladen kann und das imo auch tut, da halt in diesem Alter auch nicht so das Geld vorhanden ist.

  • richtig richtig richtig gutes interview. props an den fragensteller.
    die 2 sind einfach super, und die vorfreude auf das album wächst ins unermessliche.

  • Zitat

    Original von L-ectro
    Ich verstehe halt nicht, wie ein Bushido heutzutage noch viele Platten verkaufen und davon leben kann, wo doch sicherlich jeder Grundschüler weiß, wo er die Teile illegal runterladen kann und das imo auch tut, da halt in diesem Alter auch nicht so das Geld vorhanden ist.



    Zitat

    Original von L-ectro
    [...]dass deren Fans eher die Platten kaufen als runterladen. [...]

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