Special: Kurz-Reviews Januar 2014

  • Im Jahr 2014 sieht man sich als eigenständiges Deutschrap-Magazin in einer wahren Dilemmasituation gefangen: Der Markt ist längst übersättigt. Tagtäglich wächst die Szene exponentiell, ein Ende ist nicht in Sicht – Rapper kommen, aber so wirklich gehen wollen sie nicht, selbst wenn sie's sagen. Comebacks an jeder Ecke. Und nachdem vor einigen Jahren noch sämtliche Plattenfirmen dicht machten, schießen neue Labels langsam wieder aus allen Böden. Vorbei die Zeiten von Aggro Berlin, BOZZ Music und Optik Records – die Ära der Freunde von Niemand, der Azzlackz, der Halunkenbanden und der Banger-Musiker hat unlängst begonnen. Bei einer solchen Vielfalt an neuen Künstlern ist es natürlich nicht ganz so einfach den Überblick zu behalten – was ist wichtig, was könnte noch wichtig werden und was kann man getrost unter den Tisch fallen lassen? In internen Gesprächen kommen sie immer wieder auf – die Fragen, wer sich nun seine Review verdient hat, wer seinen Platz in den "Unknown Kings" kriegen sollte und wer zwar ein guter Künstler ist, aufgrund von Kapazitätenauslastung aber leider keine Plattform von uns geboten bekommt. Und das sind teilweise leider so Einige ... Was uns zur Dilemmasituation zurückführt: Allen kann man's in der heutigen Zeit unmöglich Recht machen. Es ist ein wenig wie in "300": eine Hand voll Redakteure sieht sich einer Übermacht an Rappern gegenübergestellt. Deshalb wollen wir mit diesem Special mal einen kleinen Exkurs wagen – abseits der unbekannten Könige und der sowieso schon bekannten Acts ist nämlich nach wie vor ein Haufen aufstrebender Künstler in der Szene unterwegs, die wir euch im Rahmen einiger Kurz-Reviews vorstellen möchten ...





    Disarstar – Herr meiner Sinne


    Obwohl gerade mal 20 Jahre alt, kann Disarstar bereits auf eine doch recht umfangreiche Diskografie zurückblicken. Sein Erstlingswerk, die "Endstation"-EP, erschien 2010, "Ansichtssache" und "Phase 2" beide 2011 und im Folgejahr gemeinsam mit Tonee Jukeboxx dann "Scheinwelt". Seit dem 15. Dezember 2013 kann diese Liste nun durch das Free-Mixtape "Herr meiner Sinne" ergänzt werden, das mit neun Tracks zuzüglich dreier Bonustitel aufwartet. Auf den ersten Blick wirkt das neue Release fast etwas zu allgemein gehalten – ganz so, als wäre das Konzept dahinter "Für jeden ist was dabei" gewesen. Da wäre "Intro", ein Representertrack mit ordentlich Bass und starkem, aggressivem Flow, "Momentaufnahme", auf dem Disarstar zu leisen Streichtönen über eine gescheiterte Beziehung sinnniert, oder "Bewegung", das sich mit Selbstkritik und "Kopf hoch"-Thematik befasst. Nichts sonderlich Innovatives – und doch gelingt es dem Hamburger, zumindest ein Stück weit, sich vom Durchschnitt abzuheben. Eine kraftvolle Stimme, akkurater Flow und eine durchaus vorhandene lyrische Begabung zeugen von großem Talent und Können. "Neue Welt" kritisiert die Kluft zwischen Arm und Reich, verzichtet jedoch größtenteils auf die hohlen Phrasen, mit denen derartige Lieder sonst so oft gespickt sind. Auf "Irrelevant" und "Immer schon" beweist er sogar ein gewisses Gesangstalent, ohne dass das Ganze erzwungen oder um jeden Preis in die Tracks gepresst wirkt. Die Bonustitel, welche allesamt in Zusammenarbeit mit Tonee Jukeboxx entstanden, sind etwas zu rock-poppig gehalten, wodurch sie nicht nur stark aus dem sonst sehr sanften und ruhigen Klangbild des Mixtapes fallen, sondern zudem auch Disarstars Stärken etwas untergehen lassen. Insgesamt zeigt uns "Herr meiner Sinne" jedoch einen, trotz seines jungen Alters, gestandenen Künstler mit viel Potenzial. Durch beispielsweise einen konkreteren roten Faden in seinem Werk könnte er dieses jedoch noch deutlicher ausschöpfen.





    Drehmoment – Pffh – die Vorhut


    "Pffh" – so gut wie immer die passende Antwort, wenn es darum geht, absolutes Desinteresse oder sogar Verachtung gegenüber etwas auszudrücken. Nun ist es auch der Titel des neuesten, kostenlosen Werks von Drehmoment. Der Saarländer machte bisher vor allem durch die erfolgreiche Teilnahme an einem von Spax ausgeschriebenen Wettbewerb sowie den damit verbundenen Featuretrack, Live-Auftritten gemeinsam mit Gentleman und als Vorgruppe von F.R. auf sich aufmerksam. Während er sich ansonsten besonders durch recht nachdenkliche, gefühlsbetonte Lieder auszeichnet, schlägt er mit "Pffh – die Vorhut" nun einen aggressiveren, kampflustigen Weg ein. Das Mixtape, das sogar einen eigenen Video-Teaser hat, schildert, wie alle negativen Eindrücke und Einflüsse aus der Gesellschaft, den Medien und der Rapszene plötzlich aus Drehmoment herausbrechen und in Form von neun Tracks verarbeitet werden. Die musikalische Bandbreite fällt hierbei relativ groß aus und reicht von der düsteren, brummenden Atmosphäre von "Volume up" bis zum energiegeladenen, euphorischen Beat zu "Das hier geht raus", bei dem der Bass einem nur so um die Ohren schmettert. Drehmoment rappt meist sehr ruhig, sorgt mit viel Energie in der Stimme jedoch dafür, dass alle Tracks des Mixtapes nach vorne gehen. Auf "Mukke" versucht er sich sogar überaus erfolgreich an einem deutlich schnelleren Flow, ohne an Ausdrucksstärke oder Inhalt zu verlieren. Textlich stets sehr kritisch und nachdenklich, gelingt es dem Rapper, einen inhaltlichen roten Faden durch das Werk zu ziehen, ohne in langweilige oder klischeehafte Aussagen zu verfallen, während die Beats durchweg kraftvoll und passend sind. Der Titel "Neonrot" ist ein kleines Schmuckstück des Mixtapes und eine Hommage an den KKS-Klassiker "Neongelb" samt ähnlichem Beat und Flow. Auch wenn Drehmoments Version selbstverständlich nicht an das Original heranreicht, ist der Track nichtsdestotrotz absolut gelungen und äußerst unterhaltsam. Drehmoment entlockt seinen Hörern mit dem neuen Werk deutlich mehr als nur ein gelangweiltes "Pffh" und lässt auf mehr von ihm im Laufe des Jahres hoffen.





    Luk&Fil – Brot ist essbares Holz


    Als das rheinland-pfälzische Label Sichtexot im November 2012 das Debüt von Knowsum und Loki aka Luk&Fil mit dem Namen "All that glitter ain't soul" veröffentlichte, war dieses binnen zwei Wochen schon wieder vergriffen – vollkommen zurecht. Das zweite Werk der beiden Rapper dürfte ähnlichen Anklang bei den Hörern finden, zumal "Brot ist essbares Holz" noch eine ganze Ecke besser klingt als der Vorgänger. Konzentrierter und fokussierter, aber das Grundprinzip haben die beiden beibehalten. Oldschool-, Boom bap- und samplelastige Beats samt dem Knacken und Rauschen des Vinyls bilden das vorherrschende Klangbild, auf dem Luk&Fil zynische, vor schwarzem Humor triefende und vor allem wohldurchdachte Zeilen zum Besten geben, denen es zu keinem Zeitpunkt an der nötigen Prise Battleattitüde fehlt. "Solange Brot noch essbares Botox ist/ wird der Brotaufstrich zu Kot in deinem Gesicht". Texte, die irgendwo zwischen surrealem Traum und analytischer Beobachtung hängen. Vielseitigkeit ist hier das Maß aller Dinge. Zwischen Referenzen zu Flying Lotus und Hildegard Knef wird selbst den Feministinnen gestattet, darüber zu lachen, dass die Muse gebitchslapped wird. Zwischen spitzzüngigen Feingeistigkeiten und intelligenten Aussagen über und gegen die deutsche Rapszene surrt eine schaurigschön verzerrte Version des Titellieds der Serie "Malcolm in the middle" durch den Gehörgang. Die Liebe zur Musik und die Liebe zum Detail sind jedem Beat und jedem Text deutlich anzuhören. Und auch die Gastbeiträge der Sichtexot-Kollegen eloQuent und Tufu sind ebenso überaus passend und sehr gut gewählt wie Dramadigs und SML-Mitglied Mio Mao als Featuregäste. "Brot ist essbares Holz" steht "All that glitter ain't soul" in Nichts nach und legt sogar noch einmal eine Schippe an Genialität und Hörgenuss drauf. Wer jetzt nicht zugreift, darf sich nicht wundern, wenn das Teil in ein paar Tagen nicht mehr verfügbar ist.



    Wobo Solagl (Daniel Fersch)

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