01. Gucci Intro
02. D.E.L.U.X.E.
03. Perlen vor die Säue feat. Matteo Capreoli
04. Pandemonium feat. Megaloh
05. Exodus
06. Retro geht so..
07. Uhrgedreht
08. Lokickhihatclap
09. Stalker
10. Hab gehört 2013
11. Testosteron feat. ASD
12. Doitschrap Festival
13. Epos
14. B.I.L.D.S.P.R.A.C.H.E
15. Oink Oink
16. Licht aus
17. Story to tell
18. Hypochondria feat. Ali As
19. Dieter
20. Dschungelbuch feat. Brixx
21. Erste Liebe
22. Samy Anthem
Angesprochen auf Samy Deluxe-Releases der jüngeren Vergangenheit, konnte ein guter Freund von mir nur mit dem Kopf schütteln: "Der Samy ist einfach nicht mehr derselbe wie früher". Eine Beschwerde, mit der sich Künstler im Laufe der Jahre immer wieder konfrontiert sehen. In diesem Fall ist Folgendes der Grund: Samys aktueller Musikstil unterscheidet sich deutlich von Releases um die Jahrtausendwende, was natürlich nicht jedem Rapfan gefällt. Teilweise kann ich das verstehen, Reggaetunes wie auf "Dis wo ich herkomm" oder Autotune im Überfluss von seinem Alter Ego Herr Sorge sind nun mal nicht jedermanns Sache. Ich persönlich begrüße Experimentierfreude, weshalb ich an dieser Stelle geplant hatte, ein brennendes Plädoyer für Künstlerentwicklung und die Überschreitung von Genregrenzen zu halten. Doch offensichtlich ist das nicht nötig. Denn auf "Perlen vor die Säue" lässt sich Sam auf keine außergewöhnlichen Soundexperimente ein, sondern liefert das, was sich viele Fans wahrscheinlich schon lange wünschen: straighten und schnörkellosen Battlerap von Anfang bis Ende. Hören wir doch mal, was der Baus of the Nauf noch im Tank hat. Kann er trotz des Mittelfingers auf dem Cover die Fans der ersten Stunde versöhnlich stimmen?
Beim vorliegenden Tonträger handelt es sich um ein waschechtes Mixtape. Ich hebe das hervor, weil diese Tatsache Segen und Fluch zugleich ist. Segen, weil Samy Sorge unbekümmert wie lange nicht drauflosflowt und seinem Ruf als Ausnahme-MC mehr als gerecht wird. Fluch, weil das Release als ein Sammelsurium an Reimen ohne wirkliches Konzept daherkommt. Es fehlt ein roter Faden, typisch Mixtape eben. Das ist aber nicht unbedingt tragisch, solange der Protagonist mit Wortakrobatik überzeugen kann. Und das kann der Hamburger, was er zumindest in den ersten Minuten unterstreicht. Auf "Gucci Intro" und "D.E.L.U.X.E." wummern tiefe Bässe durch die Boxen und der Rapper reiht die Silben gewohnt geschmeidig aneinander. Bei den hohen bpm-Zahlen des Intros kommt sein ganzes Potenzial zur Geltung, denn so dynamisch und dabei trotzdem auf die Millisekunde genau bringt wohl kaum ein anderer in Deutschland die Wörter auf den Takt.
Handwerklich gibt es nichts zu meckern, aber irgendetwas stimmt doch da mit dem Sound nicht ... Ich drehe die Boxen ordentlich auf und mein Verdacht wird bestätigt: Die Vocals kratzen gewaltig in den Ohren. Boxen noch mal aus- und eingestöpselt, doch das Problem bleibt. Die Vocals übersteuern durchgehend. Nicht auf einem Track, sondern auf dem gesamten Tape. Ich habe dann irgendwann begriffen, dass das durchaus beabsichtigt ist. Wahrscheinlich soll das besonders dreckig und innovativ klingen, Mixtape eben. Tut es aber nicht. Ein Rapper sollte meiner Meinung nach vor allem dann sauber abgemischt werden, wenn er in der Lage ist, so sauber zu spitten wie Mr. Deluxe:
"Kombinier' das Taktgefühl eines Afrikaners mit der Arbeitsmoral eines Japaners/
Der deutschen Zuverlässigkeit und der coolen Lässigkeit eines Jamaikaners/
Bitte ahn das, nur ein paar Bars, bei denen ihr da saßt/
Mund offen wie beim Zahnarzt, was war das?/"
(Samy Deluxe auf "Gucci Intro")
Was Samy technisch zu bieten hat, muss man keinem Rapfan erzählen. Wenn ein Künstler mit solch überzeugenden Grundvoraussetzungen aufwartet, fallen negative Aspekte an einem Tonträger natürlich deutlicher auf. So sind es im Falle von "Perlen vor die Säue" viele kleine Dinge, die den Hörgenuss einschränken. Das Übersteuern habe ich schon angesprochen, aber da gibt es noch wesentlich mehr. Da hätten wir zum einen Afrob. Wie die meisten HipHop-Heads des Landes wünsche auch ich mir sehnlichst ein neues ASD-Release. Afrob versteht es nämlich nach wie vor, die Köpfe zum Nicken und einen frischen Wind in Tracks zu bringen, wie er auf "Testosteron" beweist. Was ich mir allerdings nicht wünsche, ist ein Afrob, der auf sämtlichen Tracks im Hintergrund rumbrüllt und krampfhaft versucht, einen US-Mixtape-Vibe zu erzeugen. Man kennt das ja von Free-Releases aus Übersee: Anstatt entspannt den neuen Produktionen des Artists zu lauschen, wird man permanent von einem DJ belästigt, der belangloses Zeug von sich gibt. Warum muss man sein Mixtape überhaupt hosten lassen? Mir ist das jedenfalls ein Rätsel. Ein weiteres Mysterium ist, warum Samy Deluxe sich dazu entschieden hat, eine ganze Fülle an Beats mit einer Rummelplatz-Sirene zu untermalen. Das ist im Rap zwar Gang und Gebe, aber auf Dauer trotzdem richtig nervig.
Weg von den Störfaktoren am Rande, zurück zum eigentlichen Inhalt. Dieser überzeugt immer dann, wenn Sam sich die Mühe macht, uns einen kompletten Track zu schenken. Viele Anspielstationen bieten nämlich leider nur zusammenhangslose 16er, die höchstens von einer provisorischen Hook aus zwei Zeilen zusammengehalten werden. Der Titeltrack "Perlen vor die Säue" und "Dschungelbuch" sind da wohltuende Abwechslungen. Ansonsten macht der Hamburger es sich oft ein wenig einfach. Großteils wirken die Texte wild zusammengewürfelt und die Reime sind auch nicht immer die Gipfel sprachlicher Innovation. So wundert es nicht, dass die Featuregäste Megaloh und Ali As wortgewandter daherkommen als der Baus selbst:
"Der Kopf schmerzt, der Fuß hängt, der Hals juckt, das Knie knackt/
Ich geh' ins Pflegeheim, zieh' jedem seine Medizin ab/
Wetten, ich geh' bald drauf, Zeckenbiss beim Waldlauf/
Hektisch ersetze ich die Ketten mit paar Halskrausen/"
(Ali As auf "Hypochondria")
Wenn es auf "Perlen vor die Säue" einen roten Faden gibt, ist dieser wohl am ehesten mit dem Überbegriff "Stückwerk" zu benennen. Das gilt auch für die Beats. Das Produzententeam aus der KunstWerkStadt – DJ Vito, Dr. Zorn, Tony Brown und Samy Deluxe selbst – haben einige Bretter zusammengeschreinert. "B.I.L.D.S.P.R.A.C.H.E" bietet herrliche Pianoakkorde, "Pandemonium" sorgt dank Boom bap-Sound und Soul für einen HipHop-Hochgenuss. Insgesamt gesehen ist die Beatauswahl aber leider sehr unaufgeräumt und hektisch. Zu starker Einsatz von Synthesizer-Bässen und disharmonische Loops lassen die Tracks unfertig wirken und den Hörer nie zur Ruhe kommen. Dass man sich mit dem Mix (absichtlich) wenig Mühe gegeben hat, erwähnte ich ja schon. Vielleicht hätte Sam seinem Sohnemann mehr Beats anvertrauen sollen, dessen Melodie auf "Exodus" wirkt nämlich verdammt erfrischend. Insgesamt ist das Mixtape aber das genaue Gegenteil – exemplarisch dafür ist "Hab gehört 2013". Wer das Original kennt, wird von dieser Version wohl sehr enttäuscht sein: nerviger Beat, lieblose Lyrics und schwacher Refrain. Ähnlich lassen sich auch die Skip-Kandidaten "Stalker", "Oink Oink" und "Dieter" charakterisieren. Da haben sich Fans der ersten Stunde, aber auch jüngere Fans des Rap-Urgesteins, mit Sicherheit wesentlich mehr versprochen.
Fazit:
Nimmt man alle Kritikpunkte zusammen, ist "Perlen vor die Säue" doch ein arg dürftiges Release. Es umfasst ganze 22 Tracks, von denen mich aber nicht mal die Hälfte überzeugt. Einfallslose Hooks, Texte, die sich teilweise auf Freestyle-Niveau befinden und ein fader Beigeschmack in Form einer semiprofessionellen Soundqualität überdecken die zeitweise grandiosen Flowpassagen. Das Ganze klingt, als hätte DJ Mixwell eine spontane Cypher aufgenommen und lieblos abgemischt. Für kurze Zeit unterhaltsam, aber insgesamt ungeordnet und ohne Langlebigkeit. Nach dem Hören fühle ich mich von einem der Besten seines Fachs betrogen, der Mittelfinger auf dem Cover verstärkt diesen Eindruck zusätzlich. Bleibt nur zu hoffen, dass das angekündigte Soloalbum "Männlich" in eine andere Richtung geht. Ansonsten höre ich mir lieber die Experimente des Herrn Sorge an, auch wenn mein Kumpel mir dann wieder unter die Nase reibt, der Samy sei einfach nicht mehr derselbe wie früher.
Marvin Nix (Woodfellas)
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