Review: Prezident – Kunst ist eine besitzergreifende Geliebte



  • 01. Shub Niggurath
    02. Schlingpflanzen
    03. Succubus
    04. Chancenverwertung
    05. Signatur
    06. Napposchokolade
    07. Menschenpyramiden
    08. Sechs Kammern
    09. Antimärchen
    10. Tag des Zornes
    11. Zuviel gewusst
    12. Classic Coke
    13. Einerseits gleich feat. Kamikazes
    14. Succubus (Remix)


    Seit einer knappen Dekade dümpelt der Wuppertaler Rapper Prezident nun schon in den trüben Gewässern des deutschen Untergrundes herum und feilt, fernab des Rampenlichts der einschlägigen Magazine, an seinem ganz eigenen Entwurf deutschsprachiger Rapmusik. Nach zwei Alben, zahlreichen Mixtapes und einer handvoll Gastbeiträgen, welche man alle kostenlos auf der Internetseite des Rappers herunterladen kann, erscheint mit "Kunst ist eine besitzergreifende Geliebte" nun das erste Album als physischer Tonträger. Frei nach dem Motto: "Was lange gärt, wird endlich Wut". Die Grundzutaten für seine "ungelenke Kunst" sind über die Jahre stets die gleichen geblieben und so hat er sich mit Whiskeyrap letztlich seine ganz eigene Nische geschaffen, die sich durch eine herausstechende sprachliche Komplexität und inhaltliche Vielschichtigkeit auszeichnet. Sie erstreckt sich von historischen über literarische bis hin zu popkulturellen Referenzen, von einer nihilistischen Weltanschauung über makaberen Galgenhumor bis hin zu einer sehr klassischen HipHop-Sozialisation. Ein wichtiger Referenzpunkt sind wohl die Parallelen Prezidents zum amerikanischen Schriftsteller Charles Bukowski, dessen antiheldenhaftes Alter Ego sich, wie Prezident, neben seinem Hang zu alkoholischen Getränken auch durch unverblümte Beobachtungen der Gesellschaft im Allgemeinen und Frauen im Speziellen auszeichnet. Ein weiteres Merkmal ist die entwaffnende Ehrlichkeit bei der Reflexion des eigenen Schaffens. "Ich bin wie Hunter S. Thompson mit einem Schuss David Lynch und etwas Straight Outta Compton" – diese Zeile aus seinem ersten Album umreißt grob das Spannungsfeld, in dem sich das Kunstwerk Prezidents befindet. So existieren in seiner Diskografie Neufassungen von Gottfried-Benn-Gedichten und RAG-Stücken nebeneinander, ohne in einem Widerspruch zu stehen. Da wird Nietzsche neben Nas zitiert, da steht ein Einspieler aus "Breaking Bad" neben einem Bibelzitat. So findet man es auch nicht weiter verwunderlich, dass der Name des Intros "Shub Niggurath" dem Necromicon H.P. Lovecrafts entnommen ist. Und genauso klingt der Titel auch. Hier wird man auf einem Höllenritt von einem Beat in die dunkle Gedankenwelt Prezidents hinabgetragen.


    "Du wusstest nicht, was Whiskeyrap ist/
    Jetzt sachste: 'Nee, so ham' wir nicht gewettet'/
    Du kanntest meinen Namen nicht/
    Und wusstest nicht, was dich erwartet, jetzt erahnst du es/"
    (Prezident auf "Shub Niggurath")


    Der etwas sperrige Titel ist aber keineswegs bloße Phrasendrescherei, sondern gibt dem Album einen losen inhaltlichen Rahmen. Sein Verhältnis zum eigenen Schaffen macht er wiederholt zum Inhalt seiner Texte. Diese oftmals destruktive Beziehung zu seiner Kunst wird sehr explizit im Track "Succubus" ausformuliert, in dem er die Hassliebe zur hier personifizierten Kunst und ihren verheerenden Einfluss darstellt. Der Titel "Schlingpflanzen" erweist sich als wahrhaft kafkaesker Storyteller über einen nicht ganz gewöhnlichen Badezimmerputz. Spoilern will hier unbedingt vermieden werden, denn Prezident verleiht dem Genre durch erzählerische Kniffe und gekonnten Spannungsaufbau völlig neue Dimensionen. "Stell dir vor, David Lynch macht jetzt Hörspiele." Wenn Prezident im ersten Song davon spricht, dass er sich ohne das Korsett eines Konzeptsongs am wohlsten fühlt, sind damit Lieder wie "Signatur" und "Chancenverwertung" gemeint. Wenn er frei einen vom Leder lassen kann, mäandriert der Rapper irgendwo zwischen Selbstreflexion, gerappten Binsenweisheiten, Gesellschaftskritik, Battlerap und Anekdoten aus dem Alltag. Dies hat zur Folge, dass zitierwürdige Zeilen nur so aus ihm heraussprudeln und einen reißenden Bewusstseinsstrom erzeugen, der den Hörer fast schon zwangsläufig in seinen Bann zieht. Nichts 16er, hier geht ein Part gerne mal doppelt so lang – und auch strukturelle Konventionen, wie etwa einen Refrain, sucht man hier vergebens. "Stuck und Schnörkel und so'n Quatsch." Aber statt diese fast schon dogmatische Struktur grundlos aufzubrechen, steht dahinter meist eine künstlerische Vision. Und so werden die Strophen oft durch stimmungsvolle Pausen oder Cuts voneinander getrennt. Da verleiht Jay Baez auf "Chancenverwertung" der Jay-Z-Zeile nochmal eine ganz neue Schwere.


    "Wir wollen Versprechungen, wir wollen hektische Schnitte/
    Wir wollen authentische Gesichter vor perfekter Kulisse/
    Es muss glänzen und glitzern und knallen, wichtig erscheinen/
    Es muss uns betreffen, ohne uns betreffen zu müssen/
    Und ich seh', wir fallen/
    Auf den leeren Schein, mehr zu sein, gerne rein/
    "
    (Prezident auf "Signatur")


    Dass er auch geradlinigerem Battlerap gegenüber nicht abgeneigt ist, zeigt Prezident auf dem im Vergleich zum Rest der Platte fast schon seichten "Napposchokolade", welches nach dem ungemütlichen "Signatur" wohl ein wenig Auflockerung bringen soll. Stört ein bisschen die Homogenität des Gesamtproduktes, jedoch beweist der Wuppertaler auch beim auf-die-Kacke-hauen seine Qualitäten. Neben einigen ein wenig überflüssigen Wie-Vergleichen legt der Rapper hier eine einzigartige Art, Punchlines zu formulieren, an den Tag, die fernab vom angesagten Paradigma funktionieren kann und zudem durch kaltschnäuzige Ignoranz begeistert. Mit "Menschenpyramiden" liefert Prezident neben seinen fünf Pfennigen zur ohnehin überflüssigen Authentizitätsdebatte – die sich übrigens jeder mal hinter die Ohren schreiben sollte, der glaubt, diese Diskussion führen zu müssen –, die scharfsinnigste und -züngigste Gesellschaftskritik, die das Genre zur Zeit zu bieten hat. Hier werden mit entlarvender Direktheit die Schattenseiten der Konsumgesellschaft bloßgelegt, die Ohnmacht des modernen Menschen erfasst, aber nicht ohne sich gleichzeitig von benebelten Verschwörungstheoretikern und sonstigen Zivilisationskranken abzugrenzen. Das Stück hinterlässt den Hörer mit der hilflosen Frage Lil Daps: "And the moral of the story – what the fuck's goin' on?"


    "Zivilisierung ist 'ne feine Legierung/
    Zwischen Matrix und den Protokollen der Weisen von Zion/
    Ging dir ein Licht auf, ja schöne Scheiße/
    Jetzt fühlst du dich wie ein Entfesselter im Höhlengleichnis/"
    Immer wenn du herbalized bist/"
    (Prezident auf "Menschenpyramiden")


    Mit "Sechs Kammern" folgt ein weiterer Storyteller um eine Partie Russisch Roulette, der durchaus seine Qualitäten besitzt, jedoch nicht mit Stücken wie etwa "Mise en Abhyme" oder "Schlingpflanzen" mithalten kann. Das liegt wohl vor allem an der Entscheidung, das Zwiegespräch der beiden Spieler ganz alleine zu vertonen. Mit einem Gastrapper wäre dem Text ein größerer Dienst erwiesen worden.
    Da er, für einen Rapper durchaus ungewöhnlich, über eine relativ realistische Selbsteinschätzung verfügt, scheint er nicht zufrieden mit seinem Standing in der Szene, obwohl er in den Texten zu erkennen gibt, dass er sich seines Talentes durchaus bewusst ist. So greift Prezident dieses Motiv wiederholt auf und wirkt manchmal fast ein wenig verbittert, was der im Laufe seiner Diskografie kultivierten, sympathisch-schluderigen Anti-Haltung nicht so gut zu Gesichte steht. Andererseits kann man ihn auch verstehen, den Guten. "Zu lange underrated, langsam langt et halt." Dieser Zorn über die fehlende Anerkennung findet seine konzentrierteste Form in dem von Walter White eingeleiteten "Classic Coke", das in einer beeindruckenden Komplettabrechnung mit der hiesigen Szene ihren Höhepunkt findet. In Sachen Delivery macht dem so schnell keiner was vor.


    "Was soll das Klingelton-Charts-schielende Indie-Gehabe/
    Eure Voting-Armeen bestehen aus Kindersoldaten/"
    (Prezident auf "Classic Coke")


    Wo Charles Bukowski nachts den Werken wie dem "Ring der Nibelungen" von Wagner oder einer Sinfonie von Gustav Mahler lauschte, trinkt ein Prezident wohl zu "Enter the 36 Chambers", "The Infamous" oder "Illmatic". So ist das Soundbild von recht klassischer Machart und wird vor allem durch die düsteren Instrumentals von Epic Infantry bestimmt. Deren Soundentwurf hat jedoch nichts mit den üblichen Crate-Digger-Romantik versprühenden Vertretern der hiesigen Szene zu tun, sondern steht in Tradition des schroffen Minimalismus eines frühen RZA oder eines Havoc. Dies darf dabei keinesfalls negativ aufgefasst werden, denn diesen recht simplen Grundbausteinen wird mit einer Detailverliebtheit begegnet, die dem Ganzen eine sehr eigenständige Note zufügt. Da knarzt es und grollt maschinell aus höllischen Untiefen, da rauscht und scheppert es allerorts und man hört die Aufmerksamkeit, die jedem dieser Versatzstücke gewidmet wird. Vor allem die druckvollen Drumsets erzeugen eine spezielle, wie ich finde typisch deutsche Art von Pathos, sodass der Name der Produzenten Epic Infantry durchaus wörtlich genommen werden kann. Neben den zuvor Genannten steuern auch Bojangelz, den man bereits aus älteren Veröffentlichungen von Prezident kennt, sowie Beat-Manufaktur-Potsdam, DJ Jefkoe und Jay Beaz, der auch für das Mastering verantwortlich war, ihre Instrumentals bei. Trotz verschiedener Produzenten entsteht ein insgesamt runder Sound, dessen Atmosphäre allein durch die Reihenfolge der Lieder ein wenig geschmälert wird.


    Fazit:
    Ob er nun immer das Gleiche macht, denn genau das wird ihm häufig vorgeworfen, oder sein Ding konsequent durchzieht, muss wohl jeder für sich selbst entscheiden. Aber es ist zweifellos erfrischend, mal einen Rapper zu haben, der nicht in irgendeiner Promophase behaupten muss, er klinge wieder wie auf dem ersten Album. Außerdem verdichtet Prezident sein Talent auf der neuen Platte zu seinen bisher besten Leistungen. Seine Musik ist sperrig, komplex und stellenweise nichts anderes als unangenehm. Und sie ist vor allem eines: intensiv. Da ist auch "Kunst ist eine besitzergreifende Geliebte" keine Ausnahme. Jedoch sind es oft genau solche Werke, bei denen man sich zu einer Auseinandersetzung beinahe schon überwinden muss, die einen zutiefst berühren – und Prezident vermag genau das zu bieten und steht damit in Rapdeutschland nahezu allein auf weiter Flur. In seinen stärksten Momenten packt er einen bei der nackten Existenz, erschüttert sie bis ins Mark – und selbst in den schwächeren Momenten ist das Endprodukt zu jeder Zeit auf höchstem Niveau und bleibt im Vergleich auch nach zehn Jahren noch verdammt originell. Eine Qualität, die sich kaum in einer Rezension zusammenfassen lässt. Das alles ist kein easy-listening, nichts für nebenbei und sicherlich nicht jedermanns Sache, aber es lässt sich auch objektiv kaum bestreiten, dass Prezident einer der versiertesten Rapper dieses Landes ist.


    "Prezident, in diesem Land und in dieser Sprache/
    Einer der fünf besten MCs, würd' ich mindestens sagen/"
    (Prezident auf "Classic Coke")



    (disdi)

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