Special: Kurz-Reviews Oktober

  • Im Jahr 2013 sieht man sich als eigenständiges Deutschrap-Magazin in einer wahren Dilemmasituation gefangen: der Markt ist längst übersättigt. Tagtäglich wächst die Szene exponentiell, ein Ende ist nicht in Sicht – Rapper kommen, aber so wirklich gehen wollen sie nicht, selbst wenn sie's sagen. Comebacks an jeder Ecke. Und nachdem vor einigen Jahren noch sämtliche Plattenfirmen dicht machten, schießen neue Labels langsam wieder aus allen Böden. Vorbei die Zeiten von Aggro Berlin, BOZZ Music und Optik Records – die Ära der Freunde von Niemand, der Azzlackz, der Halunkenbanden und der Banger-Musiker hat unlängst begonnen. Bei einer solchen Vielfalt an neuen Künstlern ist es natürlich nicht ganz so einfach, den Überblick zu behalten – was ist wichtig, was könnte noch wichtig werden und was kann man getrost unter den Tisch fallen lassen? In internen Gesprächen kommen sie immer wieder auf – die Fragen, wer sich nun seine Review verdient hat, wer seinen Platz in den "Unknown Kings" kriegen sollte und wer zwar ein guter Künstler ist, aufgrund von Kapazitätenauslastung aber leider keine Plattform von uns geboten bekommt. Und das sind teilweise leider so einige ... Was uns zur Dilemmasituation zurückführt: Allen kann man's in der heutigen Zeit unmöglich Recht machen. Es ist ein wenig wie in "300": eine Hand voll Redakteure sieht sich einer Übermacht an Rappern gegenübergestellt. Deshalb wollen wir mit diesem Special mal einen kleinen Exkurs wagen – abseits der unbekannten Könige und der sowieso schon bekannten Acts ist nämlich nach wie vor ein Haufen aufstrebender Künstler in der Szene unterwegs, die wir euch im Rahmen einiger Kurz-Reviews vorstellen möchten ...





    Toomb – Perspektivenwechsel


    Während die meisten Rapper den Einsatz ihres mehr oder minder vorhandenen, schauspielerischen Könnens auf Musikvideos beschränken, kann Toomb in seiner Vita neben einer ganzen Reihe an VBT-Videos mit einer Rolle in der Verfilmung des Buches "B-Side – wenn das Leben dich f***t!" sowie dem Protagonistenpart in einem HipHop-Musical aufwarten. Auch in seiner Diskografie ist bereits von ein paar EPs und Alben zu lesen, welche er meist als Teil des Duos Complex und Toomb veröffentlichte. Nun wagt sich der Rendsburger an ein erstes großes Soloprojekt mit dem Titel "Perspektivenwechsel". Der Name ist Programm und so schlüpft Toomb in vielen der 13 Lieder in eine Rolle, um aus der Perspektive verschiedener Akteure zu berichten und mit schauspielerischem Geschick zu erzählen. "Atmen, Bluten" etwa handelt vom fatalen Ende einer Beziehung, welches er durch den Mord an seiner Freundin besiegelte, bis Schuld und Verzweiflung ihn letztlich in den Suizid treiben, während sich Toomb auf "Candyman" an die Psychoanalyse eines RTL-Redakteurs wagt und dessen Charakter auf originelle Weise beleuchtet. Wer den Rapper bisher also nur von seinen VBT-Teilnahmen her kannte, wird sich hier nun auch von dessen erzählerischen Fähigkeiten überzeugen lassen können. Meist recht flüssiger Rap sowie schnelle Tempowechsel zeugen dabei sowohl vom lyrischen, als auch vom raptechnischen Geschick Toombs. Textlich wird er auf "Perspektivenwechsel" unter anderem von Partner Complex unterstützt, während für das meist recht düstere, hauptsächlich synthiebasierte Klangbild in erster Linie Daniel Baseline verantwortlich zeichnet. Wer den "Perspektivenwechsel" mit eigenen Augen sehen will, kann getrost einen Blick auf die Website von Complex und Toomb wagen und das Ganze selbst unter die Lupe nehmen.





    Shawn The Savage Kid – Kennen wir uns?


    Kennt ihr Shawn The Savage Kid? Nein? Wenn ihr bisher nichts von dem MC mit namibisch-deutschen Wurzeln gehört habt und auch noch nicht auf sein Video zu "Fußball" gestoßen seid, habt ihr jetzt die Möglichkeit, in die Debüt-EP "Kennen wir uns?" zu schnuppern, die im November mit zwei zusätzlichen Bonustracks in digitaler und sogar Vinylform zu erwerben sein wird. Wiedererkennungswert hat der Regensburger allemal, zeichnet er sich doch durch eine angenehm leichte Stimmfarbe, ein gewisses, gesangliches Talent und detailverliebte Texte aus. "Polizist" etwa erzählt die Geschichte eines übergewichtigen Gesetzeshüters, der die Flucht aus seiner Lebens- und Joblethargie wagt, als er eine Stripperin kennenlernt und sich in sie verliebt. Ohne viele Worte gelingt es Shawn, ein detailiertes Bild der Szenerie und der darin befindlichen Charaktere aufzubauen, während seine leise Gesangshook das Wiederfinden der Lebensfreude beschreibt, ohne übertriebene Euphorie erzwingen zu wollen. Die meist sphärischen, ruhigen Sounds und gelungenen Texte wirken nie aufdringlich und lassen dem Zuhörer stets die Wahl, ob er der erzählten Geschichte folgen oder nur dem angenehmen Klangbild lauschen möchte. Shawn kann auf leisen, raumfüllenden Synthie-/Jazz-Nummern wie "Kennen wir uns?" ebenso wie auf den härteren Synthieklängen von "Clubhass" überzeugen, sodass alle vier Titel der Gratis-EP ein einheitliches, doch zugleich vielfältiges Bild zeichnen. Ein Bild, welches dafür sorgt, dass man den EP-Titel gerne mit einem "Ja" beantwortet.





    Partizan – Atemlos


    Partisanen sind für gewöhnlich Kämpfer, die im Herrschaftsgebiet einer anderen Gewalt handeln. So gesehen passt Andrej Murašovs Künstlername Partizan zunächst also ganz gut, ist er doch ein Rapper, der versucht, sich in einer von anderen Künstlern dominierten Szene wacker zu schlagen. Allerdings würde diese Bezeichnung auf einen Großteil der Deutschrapkünstler zutreffen, sodass der Titel wohl nicht ganz individuell erscheint und einzig ihm zustünde. Für das neue Album Partizans, "Atemlos", gilt Ähnliches: Vieles, was uns der Rapper mit deutsch-slowenisch-russischen Wurzeln zu hören gibt, gab es so oder so ähnlich schon und könnte auch von einer ganzen Reihe anderer Künstler stammen. Weder thematisch, noch flow-, rap- oder beattechnisch scheint das Werk sonderlich innovativ, wobei zumindest hinsichtlich der instrumentalen Auswahl sehr viel Sorgfalt an den Tag gelegt wurde. Schlichte, einfache, aber nichtsdestotrotz gute Beats geben "Atemlos" ein Klangbild, dass ganz ohne Effekthascherei und künstliche Sounds auskommt. Die dafür verantwortlichen Produzenten stammen neben Deutschland auch aus Bosnien, Slowenien und Ungarn, Rap- und Gesangsfeatures sind des Öfteren mit fremdsprachigen Einlagen vertreten, wodurch das Album eine gewisse internationale Note verliehen bekommt. Hätte Partizan diese Note auch als thematischen roten Faden verwendet, könnte die Platte wohl durchaus mehr sein als eine LP, die ihr Potenzial schon im Ansatz zu wenig ausreizt, um sich vom Durchschnitt abheben zu können.



    Wobo Solagl (Daniel Fersch)

  • Perspektivenwechsel ist wirklich ein heftig gutes Ding geworden! Kann mich desert-b nur anschließen und sagen, dass das hier ne nette Rubrik ist. Hörbproben bzw. YT-Links wären in der Tat noch etwas edler, weil gerade bei unbekannten Künstlern will man sich ja dann doch so schnell wie möglich damit auseinandersetzen ohne jetzt noch groß im Internet auf Suche gehen zu müssen!

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