Gerard

Hab's mir jetzt einmal durchgehört, hier also mein erster Eindruck.

So viel kann ich vorwegnehmen: Als "Lissabon" und "Manchmal" bereits veröffentlicht waren und ich auch das Vorgängeralbum "Blur" kannte, hätte ich meine Hand dafür ins Feuer gelegt, dass Gerard das nächste große Ding wird, sowohl musikalisch als auch kommerziell. Nun ja, wer seine Hand für etwas ins Feuer legt, kann sich schnell die Finger verbrennen. Nach den anderen Singles, Previews und dem Splash!-Auftritt war ich dann definitiv nicht mehr so zuversichtlich und jetzt, wo ich das Album gehört hab', kann ich nur sagen, dass meine ersten Erwartungen viel zu hoch waren.

Bevor der Eindruck entsteht, ich würde nur meckern, zunächst das Positive: Klangtechnisch und textlich ist "Blausicht" sicherlich weit über dem Durchschnitt der deutschen Rapalben anzusiedeln. Die HipHop-Presse wird das Album mit Lob überschütten und gar nicht erst daran zu denken, eine Bewertung abzugeben, die nicht im oberen Fünftel liegt. Höchstens das rappers.in-Magazin könnte zu einer 5,5-Mics-Review noch eine weitere, negative Kritik veröffentlichen.
Das Album hat auch seine sehr starken Songs, auf den ersten Eindruck sind es 4. "Lissabon" und "Manchmal" natürlich, "Verschwommen", das in der Album-Version wesentlich eindrucksvoller klingt als in der vorab veröffentlichten Live-Session und "Nichts", das mitunter wirklich sehr bedrückende Zeilen hat, für meinen Geschmack, aber nicht ganz an das vergleichbare "Was bleibt" aus "Blur" rankommt.
"Blausicht" ist sehr einheitlich produziert, was mir gefällt.
Außerdem finde ich nicht, dass es einen absoluten Totalausfall gibt.

Jetzt aber zu den Kritikpunkten. Und nicht falsch verstehen, diese machen das Album für mich nicht schlecht, sondern sorgen einfach dafür, dass es für mich nicht das Meisterwerk ist, das ich mir mal erhoffte.
Gerade auf Albumlänge nerven mich manches etwas. Zum Beispiel benutzt er häufig Sprichwörter und ähnliches und verpackt sie in einen "als"- oder "statt"-Vergleich. Dieses "Momente und Stimmungen an sich genau beschreiben" funktioniert ein Mal, vielleicht auch noch ein zweites Mal, aber daraus die Lyrics für ein halbes Album aufzubauen? Sorgt für mich dafür, dass ich es vielleicht nicht am Stück hören kann.
In das Thema "Ziellosigkeit", das auf dem Album einen großen Stellenwert einnimmt, kann ich mich eigentlich gut hineinversetzen, wirklich gepackt hat es mich dann aber in den seltensten Fällen. Textliche Aussetzer waren für mich auch hin und wieder da: Wieso rappt er auf "Wie neu" kurz über Assi-TV, den Bildungsauftrag usw? Passt für mich nicht rein, wurde auch nicht besonders überzeugend umgesetzt. Was mich dann wirklich richtig gestört hat, war "Gold" mit der Hook "Irgendwann wird es alles, wie es soll" ... Frankfurter "Kopf hoch"-Rap oder was? Nein danke.
Die meisten Produktionen sind zwar einwandfrei, allerdings hätte ich mir ein wenig mehr Ecken und Kanten gewünscht, mehr Spielereien. Angedeutet wird hier und da ja was, wie auf "Alles jetzt", aber dann nur halbgar. Das Format der Songs ist auch sehr "brav", ein paar Songs, die weit über Radiolänge gehen, sich vom üblichen "Part-Hook-Part-Hook"-Schema entfernen und ein wenig abstrakter klingen, hätten sicher nicht geschadet, ganz im Gegenteil. Was die Hooks angeht, bin ich oft auch enttäuscht. Und die zahlreichen Erwähnungen der neuen Medien und technischen Geräte nerven.

Ja, das war mal mein erster Eindruck, vielleicht bestätigt er sich noch, ich hoffe allerdings, dass das Ding noch wächst. Mein Deutschrap-Album des Jahres bleibt vorerst noch "Straccitella now" von Muso, "Hinterland" dürfte es aber wohl ablösen.
Weiß nicht, ob ich's mir als CD kaufen werde. Selbst ich als CD-Käufer per excellence (alleine nächsten Freitag werden es drei CDs werden) überlege mir bei diesem grottenhässlichen Cover, ob ich das überhaupt in den Händen halten will.

Beats in Ordnung, Rest nicht so.