Im Jahr 2013 sieht man sich als eigenständiges Deutschrap-Magazin in einer wahren Dilemmasituation gefangen: der Markt ist längst übersättigt. Tagtäglich wächst die Szene exponentiell, ein Ende ist nicht in Sicht – Rapper kommen, aber so wirklich gehen wollen sie nicht, selbst wenn sie's sagen. Comebacks an jeder Ecke. Und nachdem vor einigen Jahren noch sämtliche Plattenfirmen dicht machten, schießen neue Labels langsam wieder aus allen Böden. Vorbei die Zeiten von Aggro Berlin, BOZZ Music und Optik Records – die Ära der Freunde von Niemand, der Azzlackz, der Halunkenbanden und der Banger-Musiker hat unlängst begonnen. Bei einer solchen Vielfalt an neuen Künstlern ist es natürlich nicht ganz so einfach, den Überblick zu behalten – was ist wichtig, was könnte noch wichtig werden und was kann man getrost unter den Tisch fallen lassen? In internen Gesprächen kommen sie immer wieder auf – die Fragen, wer sich nun seine Review verdient hat, wer seinen Platz in den "Unknown Kings" kriegen sollte und wer zwar ein guter Künstler ist, aufgrund von Kapazitätenauslastung aber leider keine Plattform von uns geboten bekommt. Und das sind teilweise leider so einige ... Was uns zur Dilemmasituation zurückführt: Allen kann man's in der heutigen Zeit unmöglich Recht machen. Es ist ein wenig wie in "300": eine Hand voll Redakteure sieht sich einer Übermacht an Rappern gegenübergestellt. Deshalb wollen wir mit diesem Special mal einen kleinen Exkurs wagen – abseits der unbekannten Könige und der sowieso schon bekannten Acts ist nämlich nach wie vor ein Haufen aufstrebender Künstler in der Szene unterwegs, die wir euch im Rahmen einiger Kurz-Reviews vorstellen möchten ...
Egoland – Antination
Im Anschluss an ein Rapbattle – egal, welcher Art – gehört es mittlerweile fast schon zum Standard, nach dem Schlagabtausch mindestens einen gemeinsamen Track mit seinem Kontrahenten auf die Beine zu stellen, oder ihn zumindest mal eine Gasthook trällern zu lassen, insofern wir von einem ganzen Turnier reden. In diesem Sinne: Willkommen in Egoland, wo sich die allesamt in der Rap am Mittwoch-Szene aktiven Acts Atzenkalle, Furious und Lucry gefunden und gemeinsam ein komplettes Album namens "Antination" aufgenommen haben. Doch wie beim VBT stellt sich auch hier die Frage: Schafft man es so leicht, dieses Live-Battle-Image abzustreifen und auch auf Albumlänge zu überzeugen? Für "Antination" gilt, aufs Textliche bezogen: ja. Atzenkalle liefert gewohnt gute Lines ab, die dann und wann zum Nachdenken oder Grinsen anregen, während sich Furious und Lucry ebenso von einer lyrisch ansprechenden Seite präsentieren. Allerdings vermag keiner – allen voran Atzenkalle – wirklich mit den Instrumentals zu harmonieren. Liegt eventuell daran, dass man sich nach einer gewissen Zeitspanne einfach zu sehr aufs Acapellarappen konzentriert. Die Beats sind dabei allesamt recht Oldschool-mäßig, mit teilweise fast schon melancholischem Charakter, gehalten ... Was leider auch nicht unbedingt zu den Künstlern passt. Die zeigen sich thematisch zwar von ihrer besten Seite – Gesellschaftskritik und Geschichten aus dem eigenen Leben mit der nötigen Prise Selbstironie gehören ebenso zum Repertoire wie Rap über Rap – mögen aber einfach nicht zu den Beats passen. So bleibt "Antination" ein Album von drei Rappern, die acapella zwar auf ganzer Linie überzeugen können, sich im Berappen von Instrumentals allerdings noch etwas üben müssen.
Persteasy – Lost Tapes
Den Namen Persteasy sollte inzwischen jeder rappers.in-User kennen – immerhin gewann der Kieler Act unsere diesjährige VBT Splash!-Edition und eröffnete im Juli Europas größtes HipHop-Festival. Nach seiner kürzlich erschienenen EP "Roughnecks aufgepasst" ballert Steasy nun noch seine "Lost Tapes" heraus. Dabei handelt es sich um ein Sammelsurium aller Songs, die in den letzten Jahren so nebenbei entstanden sind – alles dabei, von Klassikern wie diverse Kollabotracks mit tausend Mann, die in alten RBA-Zeiten recordet wurden, bis hin zu den neumodernen Titeln, wie beispielsweise dem "Diamonds"-Remix auf dem Rihanna-Beat. Vom Inhalt her gibt's nicht allzu viel Neues zu entdecken: Es wird Arroganz und Battlerap in Höchstform geboten, allerdings ist es unter dem Blickwinkel der Entwicklung des Künstlers interessant, auch nochmal an den Anfang vor ein paar Jahren zurückspulen zu können. Als Featuregäste ebenfalls mit von der Partie sind Weekend, Lance Butters, Djin, Rockstah, Shot, Milo1, Prinz Harry, Sickless und viele mehr. Fazit: Wer Steasy erst im VBT für sich entdeckt hat, sollte sich dieses ganze 40 Anspielpunkte umfassende Tape auf jeden Fall mal herunterladen, um zu schauen, was der Kieler außer Battlen in den letzten Jahren noch so getrieben hat. Für die, die das schon wissen, bietet Steasys "Lost Tapes" wieder mal ein richtig schönes Retrofeeling.
Sinuhe & Daez – Pech & Schwefel
Nachdem der gebürtige Wuppertaler Sinuhe in den letzten Jahren mit zahlreichen Releases von sich hören ließ – darunter einige Soloplatten sowie am Ende gar ein "Best of" mit knapp 50 Tracks – holte er sich für sein neuestes Projekt die Unterstützung von Daez ein. So entstand das Kollabowerk "Pech & Schwefel" – ein klassisches Rapalbum, das zwei sehr verschiedene Stile vereint. Denn während Daez noch ein wenig zurückhaltend am Mic wirkt, packt Sinuhe stets die nötige Aggressivität in seine ohnehin schon druckvolle Stimme mit ein. Allerdings fordert sein Akzent gerade dann auch zu höchster Konzentration auf, um alles Gesagte zu verstehen. Thematisch behandelt "Pech & Schwefel" nichts Neues: Es gibt klassischen Representer- und Battlerap, mit "Police watch us" eine nette Nummer gegen den Staat und das obligatorische "Bruder" richtet sich an den besten Freund. Einen der Höhepunkte der Platte stellt sicher das Feature mit 58Muziker Absztrakkt dar – sowohl der etwas mythische Beat als auch alle drei Parts sind top. Und für Creutzfeld & Jakob-Fans dürfte sich der Download wohl allein schon aufgrund des Lakmann-Parts lohnen. Insgesamt klammern sich Sinuhe und Daez auf "Pech & Schwefel" dennoch zu sehr an klischeehaften Thematiken fest, auch wenn Rapper und Beats auf musikalischer Ebene meist zu überzeugen wissen.
Smoke M – Selbsttherapie
Der Hamburger Rapper Smoke M liefert mit seinem Debütalbum "Selbsttherapie" eine weitere Platte der Kategorie "Menschenfeind" ab. Das heißt: Der Sinn des Lebens wird angezweifelt, weshalb man in exzessiven Drogenrausch verfällt und mit einer "Alles scheißegal"-Haltung "Rap für die Klapse" macht. Dazu noch eine Prise Menschen- und Frauenhass, und fertig ist das neueste Release aus dem Hause I Luv Money, bei dem Smoke M bereits seit Längerem als festes Signing unter Vertrag steht. Wer sich für Thematiken, wie sie schon ein JAW oder Hollywood Hank darbot, begeistern kann, der wird sicher auch an "Selbsttherapie" seine Freude finden. Smoke flowt meist schön aggressiv und drückend über größtenteils düstere Instrumentals und schafft den Balanceakt zwischen Selbsthass ("Geboren um zu sterben") und dem Projizieren von Hass auf die Welt ("Kopf an die Wand!"), driftet dann und wann allerdings noch zu sehr in eins der beiden Extreme ab – zumeist in Form von "Die Welt ist scheiße"-Floskeln. Klar dürfen auch passende Featurebeiträge nicht fehlen: Neben Label-Oberhaupt King Orgasmus One sind auch die No Hope-Kollegen MoH, Pask und Jim Carrol zu hören. Fazit: Wer mit der düsteren Thematik und dem Soundbild etwas anfangen kann, darf auf jeden Fall zuschlagen. Eher freudige Gemüter machen einen Bogen um das Release – für die hat ILM aktuell den neuen Imbiss Bronko-Langspieler im Repertoire.
Bushbayer & Tobi Wan – Böse Ökos
Die beiden Münchner MCs Bushbayer und Tobi Wan sind nicht nur "Böse Ökos", wie der Name ihrer neuesten EP bereits verlauten lässt, sondern auch noch relativ unbekannt – und das zu Unrecht. Denn mit dem gleichnamigen Miniwerk haben sie erst kürzlich sechs abwechslungsreiche Tracks veröffentlicht, bei denen bereits im als Intro fungierenden "Vorurteil" deutlich aufgezeigt wird, dass die Stärke des Duos in der verrückten Aufarbeitung verschiedenster Thematiken liegt, sei es nun das "Tee trinken" auf Partys oder die Aufforderung auf "Hauptbahnhof", einfach mal einen extrem radikalen Lebenswandel zu vollziehen. Dabei sind sowohl die Beats als auch die Texte unglaublich humorvoll und variationsreich. Flowen können Bushbayer und Tobi Wan ebenfalls: perfekt an die Beats angepasst, Monotonie schleicht sich an keiner Stelle ein. Ehrlich: So etwas ist selten im deutschen Rap, denn die beiden bringen nicht nur dann und wann saubere Doubletime-Einlagen, sondern spielen zudem derart raffiniert mit ihrer Stimme und den Höhen und Tiefen, wie man es sonst nur von einem F.R. kennt. "Böse Ökos" ist trotz gerade einmal sechs Tracks thematisch ausgeklügelt, klangbildlich abwechslungsreich und überzeugt auf ganzer Linie. Und das Beste: Free-Download auf Bandcamp. Und los.
Pascal Ambros (ProRipper)