01. September
02. Nougat feat. Illoyal & DJ Jefkoe
03. Trotzdem
04. Laut gedacht feat. Elsta
05. Colonoel Kurtz
Man kann davon halten, was man möchte, doch Fakt ist, dass deutscher Rap mittlerweile eine feste Größe in den obersten Rängen der Charts hierzulande darstellt. Nicht selten erhalten Künstler und Alben, die innerhalb der Szene hohen Absatz finden, allgemein medial große Aufmerksamkeit, welche sich folglich auch in den entsprechenden Hitlisten manifestiert. Zum einen liegt das sicherlich an einer, zumindest teilweise existenten Empfänglichkeit des Otto Normal-Musikhörers gegenüber deutschem Rap, welche sich in den letzten Jahren immer stärker entwickelte, zum anderen an der mehr oder minder beabsichtigten Adaption massentauglicher Elemente und Eigenschaften seitens der Künstler in ihrer Musik. Eine Sparte, die jedoch wohl immer relativ autark von diesen Veränderungen bleiben wird, ist der Untergrundrap. Künstler, bei denen man sich aus den unterschiedlichsten Gründen eine solche mediale Überpräsenz einfach nicht vorstellen kann oder will, egal, ob es nun an der Haltung des ab und an etwas fragwürdigen, kollektiven Musikgeschmacks, der Einstellung des Künstlers selbst, oder schlicht und ergreifend der vorherrschenden Untergrundattitüde scheitert. Beispielhaft hierfür ist etwa Viktor Bertemann alias Prezident, bei dem wohl jeder der genannten Aspekte seinen Teil dazu beiträgt, dass er trotz enormen Talents nie ganz die Aufmerksamkeit erhielt, welche ihm eigentlich zustünde. Der Wuppertaler veröffentlicht demnächst sein drittes Album "Kunst ist eine besitzergreifende Geliebte", lässt zuvor aber noch einmal in Form einer Gratis-EP mit dem Titel "Colonoel Kurtz" von sich hören.
"Was machste so September rum? Ich sach' et dir, nichts machste/
Du sitzt nur da, die Visage eine Gipsmaske/
Kalkweiß und ab und zu ein paar Gesichtsfaxen/
Album auf Repeat – Staub liegt auf der Skiptaste/"
(Prezident auf "September")
Die EP, die in Kollaboration mit dem Produzenten Dubios entstand, beginnt damit, dass Prezident dem Hörer zunächst einmal nahelegt, dass zuvor erwähntes Album im "September" erscheint. Auf dumpfem Dröhnen und hellen Glockenklängen generiert er ein Szenario aus naher Zukunft, bei dem der Hörer seines Albums nach dessen Erscheinen in eine Art Suchtzustand verfällt, unfähig, sich dem Bann der Musik zu entziehen. Vor dem geistigen Auge baut sich die Kulisse eines verfallenden Raumes auf, in dessen Mitte der ausgemergelte Hörer in einer Mischung aus Trance und Rauschzustand immer tiefer in das Album eintaucht. Bereits hier erschließt sich die Quintessenz der EP: teils ruhige, teils verstörende, größtenteils leider immer in einem ähnlichen Klangspekturm befindliche Beats, die als dumpfes, düsteres Fundament für die lyrisch hochwertigen und reimtechnisch ausgefeilten Geflechte dienen, welche Prezident Zeile um Zeile aufbaut. So wird auch mit "Nougat" ein ganz ähnliches Konzept verfolgt, auf dem der Whiskeyrapper gemeinsam mit dem Kölner Illoyal beschreibt, wie monetär lukrativer Rap meist nur durch den Verrat der Kunst an sich entsteht und dadurch in massentauglichem Müll verendet. So, wie sich Dubios' Instrumental hierzu irgendwo in der Schwebe zwischen geruhsamem Boom Bap, verzerrten Gitarrensounds und schrillem Geklirre bewegt, springt auch Illoyals Rappart teilweise innerhalb einer einzigen Zeile von gekonnt auf den Takt gelegten, wohlformulierten Pointen zu den Beat scheinbar vollkommen ignorierenden Ekelbildern – eben ganz so, wie man es von ihm gewohnt ist. Für den zweiten Featuretrack auf der EP wird "laut gedacht", was Elsta, der zwar nicht ganz auf dem Level von Prezident rappt, aber dennoch ähnlich Bildhaftes und Gehaltvolles zum Besten gibt, in gesellschafts- sowie selbstkritische Worte fasst. Dass hierbei einer der "normalsten" Beats der EP Verwendung fand, tut Elstas ruhiger Stimme gut, die auf den sonst teilweise etwas hektisch wirkenden Instrumentals vielleicht zu sehr untergegangen wäre.
"Nimm 'nen kleinen Schluck, wenn du mit ihr fertig bist/
Und zwei, wenn du noch immer glaubst, die Hoffnung stirbt zuletzt/
Und drei, wenn du glaubst, du hast dich lächerlich gemacht/
Ach, nimm fünf, denn es hat dir ja am Ende nichts gebracht/"
(Prezident auf "Trotzdem")
"Trotzdem" schien für Prezident auf der EP noch genug Platz, um auch im Alleingang eine teilweise Selbstreflexion zu wagen. Hier dient eine verlorene oder verschmähte Liebe als ursprüngliche Motivation für ein Besäufnis, welches den Schmerz lindern soll. Stattdessen aber, fast schon in einem Akt der Selbstgeißelung, schlägt der Trinker den diametralen Gedankenweg ein, sodass ihm jedes weitere Glas nur immer neue Probleme ins Gedächtnis ruft und der nächste Schluck die daraus folgende Konsequenz wird. Dies gipfelt im zweiten Part darin, dass der ruhige, jazzige Beat durch einen aggressiven Loop aus den zwei immer gleichen Klaviertasten und hartem Bass ersetzt wird, was auf Dauer doch etwas nervig wird. Passend dazu wird aus dem teilweise fast selbstmitleidig klingenden Text der Ratschlag Prezidents, jedweden Ratschlägen mit ablehnend nihilistischer Haltung gegenüberzutreten. Innerhalb dieser Disparität widerspricht sich der Text dann gleich noch einmal, wenn er rät, Frauen ebenso wenig zu trauen wie jedem, der schlecht über Frauen spräche, sowie man auch niemandem trauen dürfe, der sich selbst widerspräche. Was hier etwas zu komplex oder verstrickt klingt, spiegelt auf den zweiten Blick in Text und Beat die Wut und Verwirrung wider, welche der Trinker nach all dem eingeflößten Alkohol durchlebt.
Titeltrack und zugleich Ende der EP bildet "Colonoel Kurtz", dessen Name eine Anlehnung an den abtrünnigen Colonel Walter E. Kurtz aus dem Film "Apokalypse Now" ist. So, wie dieser sich gegen etwas wandte, an das er einst glaubte, verdeutlicht Prezident hier noch einmal den szenekritischen Beigeschmack, der der gesamten EP anhaftet, und wettert gegen Rap, wie er ihn heute nur allzu oft vorfindet: ein Lügengeflecht, welches standhält, so lange jeder bereit ist, die Lügen der anderen zu schlucken. Er prangert hohle Phrasendrescherei und inhaltslose Selbstdarstellung, den fragwürdigen Glauben daran, dass die richtige Technik über eine fehlende Botschaft hinwegtäuschen könne und die Unfähigkeit der einzelnen Künstler, zu dem stehen zu können, was sie in ihren Texten sagen, an. Abgerundet wird all dies noch einmal mit dem Hinweis auf das bald erscheinende Album, für das die "Colonoel Kurtz"-EP in jedem Fall als vielversprechende, aussagekräftige Promotion dient.
Fazit:
Genie und Wahnsinn liegen bekanntlich nah beieinander. Im Fall von "Colonoel Kurtz" gilt selbiges wohl auch für angenehm klingende Instrumentalkompositionen und verstörende Beatexperimente, sowie für lyrische Feingeistigkeiten und aberwitzige Reimkonstrukte. Zwischen Filmzitaten von unter anderem Walter White ("Breaking Bad"), Simon Adebisi ("Oz") und Bunk Moreland ("The Wire") wandelt das Werk von Track zu Track auf dem schmalen Grat zwischen Genialität und Wahnwitz, ohne jemals zu sehr in eine Richtung zu driften. Prezident und Dubios haben gemeinsam eine recht kurze, aber trotzdem nicht weniger hörenswerte EP erschaffen, die beispielhaft für die Fähigkeiten des Wuppertalers, seines Producers und der Featuregäste steht. Musikalisch ebenso wie inhaltlich teilweise doch sehr gewagt, aber gerade dadurch nie langweilig, lässt diese EP bereits ahnen, dass das im September erscheinende Album "Kunst ist eine besitzergreifende Geliebte" Beweis dafür sein wird, dass Chartplatzierungen und mediale Wirksamkeit eines Künstlers noch lange nichts über dessen Qualität aussagen.
Wobo Solagl (Daniel Fersch)
[REDBEW]1215 [/REDBEW]
Bewerte diese CD:
[reframe]reviewthread.php?reviewid=1215 [/reframe]
[azlink]Prezident+%26+Dubios+%96+Colonoel+Kurtz [/azlink]