Review: Chefket – Identitäter



  • 01. Fliegen & Fallen
    02. Identitäter
    03. Was wir sind feat. Marteria
    04. Zeitlupe
    05. Entscheide du feat. MoTrip & Tua
    06. Keine Angst
    07. Made in Germany
    08. Nach vorn feat. Samy Deluxe


    Wer bin ich? Was macht mich aus? Fragen, die eigentlich jeden beschäftigen, meist jedoch nur in zähen Religions- oder Philosophiestunden explizit gestellt werden. Für einen Künstler sind diese Fragen vielleicht sogar von besonderer Wichtigkeit, ist es doch meist mit Lob verbunden, wenn man hört, ein Künstler habe zu sich selbst gefunden. Auf der Suche nach Antworten reist der Berliner Rapper Chefket, wie er sagt, fluchtartig aus der Hauptstadt in die Türkei und verbringt Zeit in der Heimatstadt seiner Mutter. Gewissermaßen eine Reise zu den eigenen Wurzeln, die man gut und gerne als ersten Schritt zur Selbstfindung betrachten kann. Während dieser Atempause vom Großstadtmoloch enstanden die Texte zu seiner neuen Platte "Identitäter".


    Die EP beginnt mit seichten Pianoklängen, welche nach einigen Akkorden durch ein druckvolles, elektroides Drumset ergänzt werden.Chefket selbst versucht sich in der Darstellung eines kollektiven Sittengemäldes: der spätestens seit Caspers "XOXO" (vielleicht ein bisschen zu) oft stilisierten "Generation Maybe". Dieser Stereotyp wurde bereits in zahlreichen Veröffentlichungen der jüngeren Deutschrapgeschichte vertont und wirkt dadurch schon fast idealisiert. So zeichnet auch Chefket ein eher pessimistisches Bild einer Generation der Suchenden, die sich beim Ticker um die Ecke "Harmonie" kaufen und bei scheiß Musik trinken, "bis sie uns gefällt". Das mag zwar dem Lebensalltag seines Umfeldes entsprechen, ist trotzdem ein bisschen plakativ. Passt jedoch zum Zeitgeist, ist außerdem gut gerappt und auch schön gesungen. Wie man es aber wirklich gut macht, beweist er dann ein paar Tracks weiter an der Seite des – völlig zurecht – allseits beliebten Marteria. Wer er selbst ist, zeigt er uns dann auf dem Titeltrack, welcher mit Ska-Einschlag und Ohrwurm-Hook aufwarten kann und den Hörer beeindruckend gereimt und geflowt in Chefkets Jugend entführt.


    "Tausendmal sitzen geblieben, Klausuren schwitzend geschrieben/
    Wenn der Lehrer was gefragt hat, hab' ich nur kritzelnd geschwiegen/
    Oder mir die Langeweile mit Witzen vertrieben/
    Ich hab' die Sechs nicht verdient – gib mir 'ne Sieben!/"
    (Chefket auf "Identitäter")


    Nach dem oben erwähnten Track mit Marteria, zu dem das Video übrigens auf dem diesjährigen Splash!-Festival gedreht wurde, liefert Chefket mit "Zeitlupe" ein recht klassisches Liebeslied. Dort gehen Gesang und Rap eine nahezu perfekte, sehr soulige Symbiose ein – ein Talent, das zwar schwer im Kommen, hierzulande aber nach wie vor rar gesät ist. Leider offenbart dieser Song auch eine der größten Schwächen der EP. Chefket bedient sich sprachlicher Bilder und Metaphern, die im Kontext einfach ausgelutscht wirken. Phrasen wie: "Wenn ich mit dir bin, vergeht die Zeit langsamer, du bringst Licht in mein dunkles Herz aus Stein" überraschen wenig und man hat sie anderswo zu Genüge gehört. Aber gut, bei der Anzahl an Liebesliedern, die ja fast auf jeder deutschen Rapplatte zu hören sind und generell in jeder Form von Musik zum Standardrepertoire gehören, ist es vielleicht schwierig, sprachlich wirklich innovativ zu sein. Aber man kann es ja wenigstens versuchen.


    "Vielleicht ist es immer so, wenn sich zwei Menschen viel zu jung verlieben/
    Du bist perfekt, dieser Text ist für dich ungenügend/
    Deswegen hab' ich diesen Track schon zehnmal umgeschrieben/
    'Ne Sekunde mit dir ist für mich wie 'ne Stunde fliegen/"
    (Chefket auf "Zeitlupe")


    Dass die eigene Identität nicht nur aus dem sozialen Umfeld und den eigenen Erfahrungen, sondern möglicherweise auch aus der Nationalität erwächst, ist Gegenstand des Songs "Entscheide du" mit MoTrip (bei dem es schon langsam erschreckend ist, in was für einer Frequenz er qualitativ hochwertige Gastbeiträge abliefert) und Tua (der leider nur in der Hook vertreten ist). Hierbei wird die titelgebende Message schön durch die Tatsache unterstrichen, dass drei Künstler verschiedener Herkunft zusammenarbeiten. One Love eben. "Ursprung, Herkunft und Kultur, wir haben es uns nicht ausgesucht, wohl aber, was wir tun" sind Zeilen, die ein jeder Kleingeist sich zu Herzen nehmen sollte, der sich selbst gerne mal über die Zugehörigkeit zu "seiner" Nation definiert, glaubt, ihr gegenüber irgendeine Verpflichtung zu haben oder sogar chauvinistisches Gedankengut in sich trägt. Komisch nur, dass Chefket einem selbst auf "Made in Germany" versucht, ein schlechtes Gewissen einzureden, weil in Deutschland viel Geld damit verdient wird, Waffen zu produzieren und an andere Länder zu verkaufen. Wenn er dann "wir" sagt und deutsche Waffenhändler meint, widerspricht das der Aussage, die er auf "Entscheide du" zu machen versucht. Überhaupt sind die letzten drei Tracks in meinen Augen die schwächsten der EP. "Keine Angst" ist einer dieser Konzepttracks, die alles bedeuten könnten, aber eben am ehesten wie eine Salve von Zweckreimen klingen. Und der schöne Ansatz von "Nach vorn" wird vom Samy Deluxe-Gastbeitrag leider komplett versaut. So rappt Samy zwar verdammt gut, jedoch ignoriert er das Konzept des Liedes vollkommen und erstickt dessen Potenzial somit im Keim.


    Fazit:
    "Identitäter" bleibt trotz des talentierten Protagonisten und einigen wirklich starken Momenten leider unter den Möglichkeiten. Chefket scheint seine eigene, künstlerische Identität noch nicht so recht gefunden zu haben. So verliert sich der Ansatz eines Konzeptes in lieblosen Features und recht plumper Sozialkritik. An Chefkets Rapfähigkeiten ist absolut nichts auszusetzen und herrausragend wird er dann, wenn er die Grenzen zwischen Gesang und Rap verschwimmen lässt. Dennoch hat man das Gefühl, dass er sein Potenzial nicht zu voller Entfaltung bringen kann. Vielleicht traut er sich nicht so richtig, aber dem Endprodukt fehlt inhaltlich sowie musikalisch eine eigene Handschrift, eine echte künstlerische Identität. Die Beats von Nobodys Face, Haze, Farhot, Q_Cut und Cut Spencer sind zwar allesamt gut produziert und das Klangbild ist vielfältig, doch ingesamt bleiben sie alle recht glatt gebügelt. Es wird nichts gewagt. Dabei darf man jedoch nicht vergessen, dass der Selbstfindungsprozess eines Künstlers frei nach dem Motto "Was lange währt, wird endlich gut" gerne mal etwas länger dauert und "Identitäter" eigentlich nur ein Vorgeschmack auf das große Album sein soll. Und darin steckt viel Potenzial – das hat der Rapper bewiesen.



    (disdi)

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  • FETTES DANKE an euch rappers.in, mir diesen genialen künstler vorzustellen , bzw. mich mal zum reinhören zu animieren ...
    und ein noch FETTERES danke an chefket selbst, danke für die musik, genialer musiker, mach weiter so , wünsch dir viel erfolg in der zukunft :smoke:

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