01. Intro
02. Phantom
03. Vergiss den Rest
04. Schwarze Sonne feat. Prinz Pi & Vega
05. Freunde
06. Bis ich wieder genug hab
07. Gib mir deinen Namen (Evol Pt. 1)
08. Wie neu (Evol Pt. 2)
09. Träumer (Evol Pt. 3)
10. Schweigen
11. Treibsand
12. Letzter Song
13. Endstation
Als ich am Releasedate das Album "Hoch2" einlege, bin ich ehrlich gesagt kein RAF 3.0-Fan. Das ist jedoch keineswegs in dem Sinne gemeint, dass ich seine Musik nicht gut finde, sondern viel eher so zu verstehen, als dass ich mich bisher nur wenig mit ihm auseinandergesetzt hatte. Das Alter Ego von RAF Camora releaste ein Jahr zuvor bereits das Album "RAF 3.0", auf dessen Erfolg basierend große Erwartungen in die nun erschienene Fortsetzung gelegt wurden. Warum genau der gebürtige Österreicher bisher ein wenig an mir vorbeigegangen zu sein scheint, kann ich nicht sagen. Ob ich dieses Versäumnis aufarbeiten möchte, weiß ich vermutlich nach dem Hören des Albums.
"Willkomm'n alle, die mich nicht kenn'/
Ich bin hier so was wie der Dirigent/
Schieß' mit Rosen aus Schrotflinten zu schönen Violinen/
Mein Opus ist vollendet, es möge beginnen/"
(RAF 3.0 auf "Phantom")
Besser könnten die ersten, von Raphael Ragucci gerappten Zeilen des Albums also gar nicht passen. So stellt sich der Mann, den ich bisher kaum kenne, gleich mal als "der Dirigent", sprich der, der den Ton angibt, vor. Ob sich diese leitende Funktion auf "Hoch2" beschränkt oder die ganze Szene gemeint ist, bleibt zunächst offen, doch im Hinblick auf den Sound funktioniert das Dirigenten-Bild auf jeden Fall. Denn "Phantom" donnert mit orchestergleichem Sound samt Pauken und Streichinstrumenten, kombiniert mit Trap-Hi-Hat, aus den Boxen, wird dabei jedoch immer von RAFs Stimme dominiert, egal, ob kraftvoller Rappart oder stimmige Gesangshook. Das "Phantom" ist die Metapher für den allgegenwärtigen Sound des Rappers und seine fortbestehende Wirkung auf Szene und Hörer. Das Bild, dem ich bis dahin so weit zustimmen konnte, dass man auch ohne sich explizit mit RAF beschäftigt zu haben, von einer gewissen Kunstfertigkeit seinerseits ahnt, erfährt nun seine Legitimation in einem energiegeladenen Einstiegstrack.
Was einmal so gut geklappt hat, sollte beim zweiten Mal wohl auch nicht unbedingt zum absoluten Fehlschlag werden. Und so baut sich "Vergiss den Rest" ebenfalls aus leisen, ruhigen Tönen schnell zu einem Euphorie versprühenden Beatfeuerwerk mit Hi-Hat, Streichern, verzerrter E-Gitarre und Dancehall-entliehenen Drums auf. Camoras Alter Ego geht erhobenen Hauptes und unbeirrt an falschen Freunden, Hatern und Neidern vorbei, ohne sie eines Blickes zu würdigen, um sich stattdessen auf jene zu fokussieren, die ihn unterstützen und für das lieben, was er ist: ein talentierter, vielseitiger Musiker. Sein Facettenreichtum manifestiert sich dann auch sogleich in einem, in starkem Kontrast zu den zuvor gehörten Titeln stehenden, leicht melancholischen Beat als Atmosphäre für den Aufgang der "schwarzen Sonne". Obwohl deutlich ruhiger, ist auch hier ein ebenso dichter Klangteppich zu spüren, der durch RAFs Stimme noch an Volumen gewinnt. Beinahe selbstverständlich vereint er archaische Bibelverse mit modernen Endzeitszenarien, was fast so widersprüchlich wirkt, wie die Featuregäste des Tracks zueinander: Prinz Pi, stets darum bemüht, ruhige, lyrische Feingeistigkeiten zum Besten zu geben, gemeinsam mit FvN-Rapper Vega, der seine kampfbereite Ultra-Attitüde mit aggressivem Flow kombiniert. Experimentell, jedoch wohldurchdacht wie seine Features sind auch die Texte des Indipedenza-Rappers. So kann man den darauffolgenden Titel als simple Ode an seine "Freunde" verstehen, wird sich beim zweiten Hören dann aber auch der Tatsache bewusst, dass der gesamte Track ebenso als eine Art Drogenhymne mit Synthie-Beat funktioniert und der Text eine ambivalente Erzählweise beinhaltet, ähnlich derer, welcher sich einst schon Tua auf "MDMA" bediente.
"Ich habe keine Angst mehr vor Problemen/
Denn meine Freunde komm', um es zu regeln/
Und egal, wie schlecht ihr Ruf ist/
Sie wissen, was jetzt für mich gut ist/"
(RAF 3.0 auf "Freunde")
Unabhängig davon, welche der beiden Möglichkeiten, den Titel zu verstehen, dem Hörer eher liegt, erlauben beide doch einen ähnlichen Blick auf einen bodenständigen Menschen, der ebenso mit Alltagsproblemen behaftet ist und die kleinen Dinge des Lebens genießt wie jeder andere. "Bis ich wieder genug hab" beschreibt die Wünsche und Träume von Erfolg, Reichtum und den Vorzügen einer gewissen Prominenz, welche er hegte, bis er letztlich in ihren Genuss kam – um festzustellen, dass man sich oft nur das wünscht, was man nicht hat. So sehnt RAF sich schnell wieder nach seinem alten, anonymen Dasein und den Glücksmomenten des kleinen Mannes. Wie so oft erfüllen sich Wünsche genau dann, wenn man es am wenigsten erwartet, sodass der Rapper selbst nicht ganz weiß, ob es Zufall oder Schicksal ist, als er der Liebe seines Lebens am U-Bahnhof begegnet. Im Stillen fleht er sie an: "Gib mir deinen Namen", unsicher, ob er die Frau ansprechen soll und singt ihr in Gedanken ein Lied, während er dabei von der perfekten Beziehung träumt. Letztlich wagt er sich doch aus der Bahn, ihr hinterher und spricht sie an, um dann erfreut festzustellen, dass sie HipHop-Fan ist und ihn dementsprechend erkennt. Das Ganze stellt eine direkte Verbindung zum Freundeskreis-Song "A-N-N-A" dar, der hier, wie an anderen Stellen, sehr ähnliche Textzeilen aufweist. Die daraufhin aufgesetzte rosarote Brille lässt RAF seine Alltagssorgen vergessen, er schaltet sein iPhone aus und verbringt Zeit mit der Freundin, um den Akku – sowohl den des Gerätes als auch den eigenen – wieder aufzuladen. Auf einem poppigen Synthie-Beat genießen sie gemeinsam das Leben und alles ist wieder "wie neu".
Die folgenden, langsamen Gitarrenklänge lassen ebenso wie sein ruhiger, düsterer Flow sofort bewusst werden, dass die rosa Brille verblasst ist und sich die Beiden wieder nüchtern und klar sehen. Enttäuscht beschreibt er das allmähliche Erlöschen des Feuers zwischen seiner Freundin und ihm, während der Konflikt zwischen den Erwartungen der Vergangenheit und der nüchternen Realität sie lähmt und es unmöglich macht, einen Schlussstrich zu ziehen. RAF gesteht sich ein, dass er nur ein "Träumer" ist und akzeptiert, dass es das Beste sein wird, sie gehen zu lassen, indem er sie gar nicht erst in der U-Bahn anspricht. Der Beat kehrt zu den Klängen von "Gib mir deinen Namen" zurück, sodass dem Zuhörer vollends bewusst wird, dass RAF 3.0 aus drei eigenständigen Titeln ein Gesamtkunstwerk entwickelt hat, welches sowohl textlich als auch musikalisch grandios ausgefeilt und durch diverse Referenzen zu den anderen beiden Titel ineinander verflochten ist. Die Geschichte eines Mannes, der die Liebe rückwärts angeht, indem er die gesamte Beziehung "zerdenkt", bevor sie überhaupt begann, erklärt daraufhin auch den Titel der "Evol-Trilogie". Wobei die Ähnlichkeit des rückwärts geschriebenen Wortes "love" zum englischen "evil", als Verdeutlichung des bösen Endes, einen noch deutlicheren Eindruck davon verleiht, dass RAF aus simpelst wirkenden Zutaten eine vollends ausgewogene und bis ins letzte Detail ausgefeilte Geschichte erschaffen hat.
"Hab' die Füße im Treibsand/
Werd' müde, doch bleib' wach/
Bis sich mein Kopf in tausend Moleküle zerteilt hat/
Ich glaub', ich werd' verrückt, doch gerade fühlt es sich nice an/"
(RAF 3.0 auf "Treibsand")
Zum Ende des Albums wird das Klangbild deutlich ruhiger, düsterer und auch die Thematiken folgen dem Ende der "Evol-Trilogie", indem sie hauptsächlich vom Tod beziehungsweise dem Beenden oder Aufgeben von Dingen handeln. RAF befasst sich etwa mit der Problematik, dass bereits alles gesagt und über so gut wie alles gerappt wurde, sodass es manchmal vielleicht einfach besser wäre, zu "schweigen". Obwohl zum Thema passend, wirkt der Text hier doch etwas inhaltslos und leer, aber durch eine interessante Kombination von Grunge-, Dancehall- und Dubstep-Elementen musikalisch wieder ausgeglichen. "Treibsand" beschreibt auf sehr poetische Weise das Entfernen von Realität und irdischer Existenz, sei es nun durch Tod, Rausch oder andere Gründe, während ein "letzter Song" ertönt, der das Ende einer Begegnung oder eines Konzerts beschreiben kann, doch immer einen gewissen Abschied bedeutet und daher einen Konflikt aus Melancholie und Freude beinhaltet. Doch letztlich muss alles einmal enden und so bildet "Endstation" selbige für "Hoch2". RAF 3.0 resümiert sein Leben: Sein langer Weg, voll von verwinkelten Seitenstraßen und Abzweigungen, führte ihn aber dennoch zu seinem Ziel, das schließlich mit dem Ende dieses Albums erreicht ist.
Fazit:
Mit "Hoch2" hat RAF 3.0 ein Album geschaffen, das seinesgleichen sucht. Geglückte Musikexperimente mit Reggae-, Dubstep- und Grunge-Einflüssen, die bei anderen Künstlern meist eher erzwungen wirken, harmonieren fast wie selbstverständlich und sorgen für ein Klangbild, welches durch ausgefeilte, detailverliebte und wohldurchdachte Texte bis zur Perfektion ausgereizt wird. Von den energiegeladenen Anfängen über den sanften Abstieg durch das vermeintliche Scheitern einer Beziehung bis zu den letzten, ruhigen Tönen umfasst "Hoch2" eine ungemein breite Palette an Sound und Inhalt, die kaum bis keinerlei Makel aufweist und als Einzeltitel ebenso stark wie als Gesamtwerk funktioniert. "Endstation" mag das Ende von "Hoch2" darstellen, bildet für mich jedoch zugleich den Anfang einer Reise, an deren Ende ich den Fauxpas, zuvor relativ wenig Musik von RAF Camora alias RAF 3.0 gehört zu haben, hoffentlich wettmachen kann.
Wobo Solagl (Daniel Fersch)
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