Interview: Chefket


  • Lange Zeit war es still um den Heidenheimer Chefket. Doch ganz untätig ist er in all den Jahren nicht gewesen: Projekte im In- und Ausland sowie zahlreiche Toursupporte standen auf seiner To-Do-Liste. Im Sommer 2013 meldet er sich mit seiner neuen EP "Identitäter" zurück und vertont darauf unter anderem gesammelte Erfahrungen und Botschaften der letzten Jahre. Im Interview sprach er mit uns über einige politische Themen, die stellenweise auch auf seiner Platte wiederzufinden sind, aber auch über sein Aufwachsen in Deutschland als Sohn von Immigranten.


    rappers.in: Du hast vor Kurzem deine "Identitäter"-EP veröffentlicht. Diese beinhaltet eine logisch aufgebaute Geschichte, die sich durch den gesamten Handlungsstrang zieht – sowas sieht man ja nicht gerade oft ...


    Chefket: Du hast da die Ordnung in den drei Minuten und dann die Ordnung in der EP. Da ist alles im Einklang. Das versuche ich dann auch konzeptmäßig umzusetzen. Weil es für mich mehr Sinn ergibt. Das stellt auch einfach eine Zeit dar, die ich damit festgehalten habe.


    rappers.in: Der erste Track deiner EP heißt "Fliegen und Fallen". Ist das so? Kann man nur beides? Geht das eine nicht ohne das andere?


    Chefket: Wenn wir mal die Menschheit sehen ... Wir denken, dass wir uns weiterentwickeln. Unser Fortschritt, unsere Technologie und das alles führt dazu, dass wir über alles bestimmen. Wir denken eigentlich alle, dass wir am Fliegen sind. Aber wir sind wie so ein Typ aus den 20ern. Wenn der ein Flugzeug baut und dann springt, dann denkt der auch, dass er am Fliegen ist. Erst wenn der Boden immer näher kommt, merkt er, dass er eigentlich fällt. Ich glaube, dass das beides ist. Wir sind alle am Fallen. Die ganze Welt. Es geht dem Ende zu.


    rappers.in: Hmm ... Ich frage trotzdem einfach mal ganz optimistisch weiter: Du rappst auf dem Song "Zeitlupe" unter anderem immer wieder die Worte "Immer auf der Suche". Was suchst du im Moment am meisten?


    Chefket: Es geht ja irgendwie immer darum, was einen erfüllt. Es gibt verschiedene Bedürfnisse des Menschen. Manche sagen, es seien Liebe, Macht, Ruhm. Ein paar Bedürfnisse werden gestillt. Aber was für welche sind das? Physiologische, wie Durst oder Hunger? Ich merke, dass es mich erfüllt, etwas zu tun, was mir und auch anderen etwas gibt. Ich bin immer auf der Suche nach den richtigen Worten, um Gedanken auszudrücken, auf die ich komme. Das sind keine Sachen, um andere zu erleuchten. Manchmal sind das Sachen, die man eigentlich schon weiß, aber vergessen hat. Dadurch, dass ich dieses Leben führen darf, hab' ich sehr viel Zeit, nachzudenken. Ich suche: den richtigen Beat, die richtigen Worte, die richtige Musik und den richtigen Moment. Okay?


    rappers.in: Sehr schöne Antwort! Das zweite Lied, "Identi ... "


    Chefket:(unterbricht die Frage): Wo bist du denn her?


    rappers.in: Hesse. Ich bin Hesse.


    Chefket: Ich mag ja Hermann Hesse sehr ...



    rappers.in: Danke. Das Thema hatte ich gestern mit einer Freundin. Weil ich eine gebrauchte, wunderschöne Sammelbox mit all seinen Werken in der Hand hatte. Für 55 Euro.


    Chefket: Nur? Für eine Kinokarte mit Popcorn und Cola und so was, da haben wir auch einen Fuffi ausgegeben. Hermann Hesse hat wenigstens was hinterlassen. Was ist denn dein Lieblingsbuch?


    rappers.in: "Demian".


    Chefket: Ich konnte niemandem erzählen, was ich da gelesen habe, weil es wie eine Traumsequenz war. Du kannst es nicht erzählen. Das ist alles immer so verschachtelt und mittendrin bekommst du eine Belohnung. Wenn du dich durchboxt, bekommst du eine Belohnung.


    rappers.in: Wann hast du es denn zum letzten Mal gelesen?


    Chefket: Ist schon richtig lange her ... zehn Jahre. Aber ich will das unbedingt noch mal lesen.


    rappers.in: Zurück zu dir. Wir waren gerade bei dem titelgebenden Track "Identitäter", der von einem "Täter" spricht – wo ein Täter ist, ist da auch ein Opfer?


    Chefket: Dieses Opferding ist überhaupt nicht Thema. Die Tat muss ja nicht immer was Schlechtes sein.


    rappers.in: Na ja, mein Empfinden ist tatsächlich, dass "Identitäter" und der nachfolgende Track "Was wir sind" mit Marteria denselben Inhalt haben, aber "Identitäter" beleidigter ist. Darin rechtfertigst du dich häufiger und damit bist du selbst ja in einer Situation, auf die man normalerweise keinen Bock hat. Eigentlich will man ja nur sein.


    Chefket: Das hast du genau richtig erkannt. Von der Außenwelt bleibt man aber ja nicht unberührt. Meine Eltern sind aus der Türkei. Ich war der einzige aus dem Kulturkreis in meiner Klasse und ständig war ich Projektionsfläche. Immer wurde ich gefragt und erst dann habe ich mich damit beschäftigt: Was ist kulturell geprägt, was ist genetisch veranlagt, wo ist die Grenze? Ich glaube, dass es für mich etwas einfacher gewesen wäre, wenn ich diesen zusätzlichen Kulturkreis nicht gehabt hätte. Gleichzeitig ist es aber ein Riesengeschenk, dass ich zwischen zwei Welten nicht nur hin- und hergerissen bin, sondern auch in jede Welt Einblicke haben kann. Ich würde das nicht missen wollen. Mir ist aufgefallen, Migrationshintergrund ist immer im Vordergrund und dabei negativ. Da geht es nie um Schweden oder Dänen, sondern du siehst immer einen Typen mit schwarzen Haaren in der Pubertät, der was gegen Schwule sagt, im Hintergrund bedrohliche Mucke. Irgendwann regt's einen einfach auf, dass niemand es anspricht, dass das auch was Gutes ist.


    rappers.in: Aber ist Berlin da nicht einfacher? Kannst du dich hier nicht freimachen?


    Chefket: Sehr viele Kulturen, Subkulturen sind hier vertreten, das ist ja keine Frage. Die Frage ist: Hat man eigentlich Zeit dafür, sich damit auseinanderzusetzen? Ich glaube, viele bleiben unter sich, da muss man auch keine Fragen beantworten, die unbequem sind. Keiner hängt miteinander rum. Ich denke, das liegt daran, dass die Selektion in der vierten Klasse passiert. Da wird bereits über die Zukunft eines Kindes entschieden. Meine Freunde bis dahin haben dann geheiratet und alles und die deutschen Freunde sind eher den Akademiker-Weg gegangen.


    rappers.in: Lässt sich das mit deinen zwei Welten innerhalb der eigenen Identitätsfindung nicht auf viele Menschen runterbrechen? Geht es nicht den meisten Menschen so, wenn sie sich Gedanken machen und selbst hinterfragen?


    Chefket: Ja, auf jeden Fall. Ich sehe das ja auch in der Kleinstadt, aus der ich komme. Die, die jetzt in Berlin sind, sind die, die immer Sonderlinge waren. Weil die Freaks hier ja nicht so auffallen. Das andere darf man aber auch nicht verurteilen. Ich will da nicht sagen: "Die sind alle dumm." Medien machen sehr viel kaputt. Ich kenne in meinem Umfeld niemanden, bei dem es so ist, wie die Medien es erzählen.



    rappers.in: Du sagst auf deiner EP auch, dass du "zu viel nachdenkst". Kann man Dinge kaputtdenken?


    Chefket: Ja, zerdenken kann man sehr viel. Das Problem wäre die Folge, dass man keine Emotionen zeigt. Die Vernunft – dafür ist der Mensch nicht da. Wir sind alle zwar vernunftbegabt, aber dafür ist der Mensch nicht da.


    rappers.in: Der Track "Entscheide du" stellt deine Zugehörigkeit ebenfalls in den Mittelpunkt ...


    Chefket: Es spricht auch noch mal ein paar Sachen an, wie: "Woher kommst du denn?" – "Aus Heidenheim" – "Nein, nein, wo kommst du wirklich her?" ... Dieses "woher kommst du wirklich" ist "Du gehörst hier nicht her". Aber das merken die Leute nicht. Leute erwarten dann auch immer eine exotische Geschichte, wie mein Vater meine Mutter mit Datteln beworfen hat. Manchmal werde ich dann patzig und drehe das um. "Dein Cousin? Deine Schwester?" Und dann heißt es auch manchmal: "Stehst du nicht zu deinen Wurzeln?" – doch, klar ... ich mag Heidenheim!

    rappers.in: Dazu passt in gewisser Weise auch der Track "Keine Angst" ... Keine Angst, du selbst zu sein?

    Chefket: "Keine Angst" ist auch mehr Poetry und das habe ich oft auf Poetry Slams gebracht. Es ist stark erkennbar, wie groß die Macht des Wortes ist. Da habe ich alles auf den Punkt gebracht. Ich hab' bestimmt immer noch Ängste, aber das ist etwas, was uns selber nur bremst. Manchmal ist das auch unnötig.


    rappers.in: Auf "Made in Germany" fällt unter anderem der Vorwurf an die Regierung, "Brot und Spiele" zu betreiben. Wie geht es dir denn damit, dich nach den Aufständen in der Türkei als Betroffener über zwei Regierungen aufregen zu können?

    Chefket: Wenn mein Vater jetzt von einem Polizisten umgeschlagen worden wäre, dann wäre das natürlich noch krasser. Aber zum Glück ist meiner Familie nichts passiert. Man darf halt nicht die kleinen Dinge immer so thematisieren, wie zum Beispiel kein Alkohol auf der Straße. Das darf man in New York auch nicht und da ist nicht die Rede von Islamisierung. Da geht es eher um die Schulen, Moscheen, an Tankstellen nach 22 Uhr Alkoholverbot zu haben. Die Leute übertreiben ein wenig in ihren Reaktionen. Aber was die Polizeigewalt angeht: sehr gefährlich. Weil die Armee sich immer drum gekümmert hat, das Gleichgewicht zu halten. Und jetzt ist es aber so, dass sehr viele Generäle im Gefängnis sitzen und die Frage ist: Wie viel von der alten Garde ist noch in der Armee? Wie viele würden den Befehlen folgen?


    rappers.in: Dein Releasedate fiel zeitlich ja noch in die mediale Berichterstattung über die Aufstände in der Türkei. Wie fühlt sich das an, mit der Platte Alltagspolitik zu betreiben?


    Chefket: Ich hab' das nie so im Zusammenhang gesehen. Ich glaube, das ist allgemein ein Thema. Identität betrifft jeden. Das ist ja etwas, was nie endet. Durch die Tätigkeit wird man geprägt. Nach dem ersten Album, das hat mich positiv geprägt. Dieses Album wird auch wieder dazu führen, dass ich mich verändern werde. Ich werde ja auch inspiriert von Gesprächen mit Leuten ... Darauf bin ich eher gespannt.



    (Jasmin N. Weidner)

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