Special: Alligatoah


  • In den letzten Monaten ist im Leben von Alligatoah so einiges passiert: Neben dem Top 20-Erfolg, den er mit den Jungs von Trailerpark und dem Bandalbum "Crackstreet Boys 2" feiern konnte, ist er im Rahmen seiner "Überstunden"-Serie zahlreichen Jobs nachgegangen und verdiente sich reichlich "Narben" dazu, um die Frauenwelt zu erobern. Doch nicht nur privat ist aktuell eine hektische Zeit für den Wahlberliner: Seine zweite Soloplatte, "Triebwerke", steht in den Startlöchern und soll natürlich ein würdiger Nachfolger für das 2008 noch über die damalige Labelsparte von rappers.in erschienene Debüt "In Gottes Namen" werden. Passend zum bevorstehenden Release luden wir den Schauspielrapper zum Interview und horchten ihn ein wenig über seine "Triebwerke", die vergangene Tour, geplante Projekte und seine künstlerische Ader aus. Was dabei herausgekommen ist, lest Ihr nun hier. Außerdem haben wir auch gleich noch eine rappers.in-exklusive Premiere für Euch: die Akustik-Version des Titels "Raubkopierah", der in seiner Original-Fassung auf dem Alligatoah-Debütalbum "In Gottes Namen" zu finden ist.


    rappers.in: Du hast in den letzten Monaten ja einige "Überstunden" in verschiedenen Branchen abgeleistet. Abgesehen davon, dass du das natürlich alles nur für ein paar "Narben" gemacht hast – welcher war denn der spaßigste und welcher der nervigste Job?


    Alligatoah: Gute Frage ... Da muss ich erstmal überlegen, was ich alles so gemacht hab', denn man war ja schneller wieder zurück beim Arbeitsamt, als dass man sich richtig hätte einleben können. Ich glaube, musikalisch hab' ich mich hoch über den Wolken als Flugbegleiter am wohlsten gefühlt und mein ästhetischster Arbeitsplatz war die Naturkirche, in der ich Leute im heiligen Bund der Ehe vereint habe. Als Ghostwriter hat's mir nicht besonders gefallen. Wenn ich etwas schreibe, will ich auch gefälligst meine Lorbeeren.


    rappers.in: Kannst du ein kurzes Résumé ziehen? Hat sich das alles letztlich gelohnt oder hättest du auf die Erfahrungen auch verzichten können?


    Alligatoah: Wenn du dem Helden der Geschichte, der sich von Job zu Job gekämpft hat und immer wieder auf die Fresse geflogen ist, die Frage stellst, wirst du dieselbe Antwort erhalten, wie wenn du mich als Musiker fragst, der in zweijähriger Gelegenheitsarbeit die Texte geschrieben, das Konzept entwickelt und die Videos gedreht hat. Ja, es hat sich gelohnt. Nicht, weil ich jetzt am Ende ein vorzeigbares Ergebnis hätte, was ich mir in den Trophäenschrank stellen kann oder sagen könnte, die Aktion hat mir promomäßig so und so viel gebracht, sondern einfach, weil es gemacht werden musste. Wenn ich eine Idee im Kopf habe, die ich für ausreichend überzeugend halte, dann muss sie umgesetzt werden und der Lohn ist ganz einfach, sie gemacht zu haben. In kitschigen US-Serien der 90er haben die Protagonisten am Ende des Tages auch immer irgendetwas gelernt und wenn man aus der "Überstunden"-Reihe eins mitnehmen kann, dann ist es tatsächlich die typische "der Weg ist das Ziel"-Scheiße. Ich will keine Erfahrung missen.


    rappers.in: Trotz der humoristischen Ausführung ist "Narben" sehr gesellschaftskritisch. Es gibt da eine Redewendung, die besagt: "Da weiß man nicht, ob man weinen oder lachen soll." Würdest du sagen, dass das irgendwie auch deine Musik beschreibt?


    Alligatoah: Hehe ... Also, ich lache meistens, aber ich bin auch ein fröhlicher Mensch. Du hast aber treffend beobachtet, dass ich gerne Themen zur Hand nehme, die – wenn man sie mit ein paar anderen Worten wiedergibt und von einem Streicherquartett in Moll begleiten lässt – komplett anders wirken würden. Aber mir als Freund des Gleichgewichts auf der Welt gefällt das nicht, wenn eine Stimmung die Überhand gewinnt, und deshalb muss Farbe ins Bild. Als "Schauspielrapper", wie ich mich selbst zu bezeichnen pflegte, wechselt man ja ständig die Perspektiven und wenn man dann mal in den Köpfen von Diktatoren, Terroristen und Hinterweltlern drin war, ist das alles einfach extrem lustig, wenn man wieder zurück in seinem normalen Kopf ist und merkt, wie gut man es hat, weil man nicht komplett beschränkt ist. Diese humorvolle Erfahrung möchte ich gerne mit Leuten teilen.


    rappers.in: Du hast einmal gesagt, dass ein Album für dich im Gegensatz zu einem Tape immer von einem roten Faden durchzogen ist. In diesem Sinne ist "In Gottes Namen" dein einziges "richtiges" Soloalbum. Wie schaut denn der rote Faden bei "Triebwerke" aus und in welche Rolle schlüpfst du dieses Mal?


    Alligatoah: Richtig. Zumindest bis zum 02.08.2013 ist "In Gottes Namen" mein einziges "richtiges" Soloalbum, aber genau da werde ich mit dem neuen Album anknüpfen. Das große Thema auf meinem letzten Album war der religiöse Fanatismus. "Triebwerke" widmet sich wieder einer Art der Besessenheit und der Leidenschaft, die in Wahnsinn ausarten kann. Wieder ist es ein gigantisches Ur-Thema der Menschheitsgeschichte, für welches Leute in den Krieg zogen und gestorben sind. Wenn man den Albumtitel genauer unter die Lupe nimmt, die Songs "Narben" und "Amnesie" – falls das Video jetzt schon draußen ist – noch ein paar Mal hört, dann eins und eins zusammenzählt, sich flach auf den Boden legt und mit den Fingerspitzen versucht, die Zehen zu berühren, dann könnte man sich denken, welche nahezu spirituelle Macht den Helden in dieser Geschichte ins Verderben treibt. Man braucht jetzt keine Angst zu haben, denn wenn es heißt: "Alligatoah macht ein Liebeslied", dann verändert das Liebeslied nicht Alligatoah, sondern Alligatoah verändert das Liebeslied. Es weht nach wie vor genug terroretischer Wind durch die Äste des neuen Albums.



    rappers.in: Ist "Triebwerke" in dem Fall auch wieder eine in sich abgeschlossene Geschichte?


    Alligatoah: Na ja, "In Gottes Namen" war keine komplett geschlossene Geschichte, sondern auch eine Sammlung von Werken, die sich unter einer Überschrift zusammen binden ließen und sich mit Intro und Outro wie eine Geschichte angefühlt haben. So wird es auch auf "Triebwerke" sein. Es handelt sich aber nicht um ein Rapmusical, wie "Goldfieber", was ja wirklich eine komplett chronologische Geschichte war.


    rappers.in: Stichwort Soundbild: Hast du wieder alles komplett selbst produziert oder dir dieses Mal auch Beats bereitstellen lassen?


    Alligatoah: Auch hier steht das Album in der Tradition von "In Gottes Namen". Es gibt keine Fremdproduktionen.


    rappers.in: Du hast auf "Triebwerke" auch einige prominente Featuregäste geladen – unter anderem den Nummer 1-Rapper Prinz Pi. Soweit wir wissen, behältst du bei solchen Zusammenarbeiten vor allem von den Thematiken her immer ganz gerne die Oberhand. War das in diesem Fall auch wieder so? Wie lief zum Beispiel bei dem Prinz Pi-Feature die Zusammenarbeit ab – war es dir da auch wieder wichtig, die maßgebliche Richtung zu weisen?


    Alligatoah: Zumindest bei Zusammenarbeiten auf meinem Album gebe ich gern das Thema vor und so war es auch hier. Ich fange den Song meistens mit Lücken an und dann überlege ich erst, welchen Kollegen ich mal ganz vorsichtig anfragen könnte, ob er nicht Lust hätte, meinen Song zu bereichern. Mit dem Prinzen habe ich einen echten Glücksgriff gemacht. Jeder, der seine Musik kennt, weiß, dass er lyrisch unglaublich stark ist und diverse Stile mühelos aus dem Ärmel schüttelt. Der Song "Erntedank" hat genau das gebraucht und hier kann man herausfinden, wie es klingt, wenn ein Prinz Pi mit einem Alligatoah-Thema in einen Topf geworfen und umgerührt wird.
    Meine Zwangsneurose, auf meinen Alben alles vorgeben zu müssen, weil die meisten Themen schon bereits stehen, bevor ich den ersten Song aufgenommen habe, bedeutet allerdings nicht, dass ich nicht offen bin, auf einem anderen Release mit der Vorlage eines Kollegen zu arbeiten. Gerade bei meiner Trailerpark-Gang inspiriert man sich viel gegenseitig und das ist ein ganz anderes Arbeiten. Auf "Triebwerke" geht's wieder back to the roots: "Alligatoah sitzt in seinem abgeschlossenen Kinderzimmer und fängt trotzig an zu weinen, wenn jemand anders ihm einen Vorschlag machen will"-Style.


    rappers.in: Apropos Featuregäste: Auch Battleboi Basti wird auf "Triebwerke" mit einem Gaspart vertreten sein. Er ist mit seinem Soloalbum "Pullermatz" gerade erst auf Platz 20 der Charts eingestiegen ... "Triebwerke" ist auch dein erstes Soloalbum, das für die Media-Control-Charts relevant sein wird. Wie optimistisch oder pessimistisch bist du bezüglich des möglichen Einstiegs?


    Alligatoah: Man muss bedenken, dass meine letzten Soloalben nicht mal annähernd für die Charts relevant waren. Von dem Standpunkt aus betrachtet wäre überhaupt zu charten schon ein Schritt nach vorne. Ich zerbreche mir da aber überhaupt nicht den Kopf drüber. Ich werde versuchen, weiter dieser kitschige Idealist zu bleiben, den all die Resonanz nicht interessiert und dem nur wichtig ist, dass die Musik gehört wird. Jetzt, wo man sein Geld damit verdient, macht es besonders Spaß, Idealist zu sein.


    rappers.in: Als du damals zu Trailerpark gewechselt bist, gab es viele kritische Stimmen, die meinten, dass du nicht wirklich in das Label reinpasst. Wenn man sich "Crackstreet Boys 2" anhört, hast du allerdings einen maßgeblichen Einfluss auf das Gesamtsoundbild genommen. Soweit wir wissen, soll es auch einen dritten Teil geben – laufen da bereits die Arbeiten und wirst du womöglich noch mehr Einfluss auf die Platte nehmen?


    Alligatoah: Während ich noch mit meinem Album beschäftigt bin, habe ich erstmal keinen Kopf für etwas anderes, aber sobald die heiße Phase durch ist, werden wir uns sicherlich alle mal wieder zusammen irgendwo in der Gegend von Barstow, am Rande der Wüste, zusammenfinden und nachdem wir uns gegenseitig die Fotos unserer jeweils acht bis zwölf Kinder gezeigt und über alte Zeiten geplaudert haben, wird die Musik wieder erklingen. Was das Ganze genau ergeben wird und wer wie viel Einfluss nimmt, wissen nur die Fledermäuse, die über unseren Köpfen kreisen.


    rappers.in: Also ist auch nach dem Album noch nichts in Planung oder gibt's da bereits ein neues Projekt, dem du dich gerne widmen würdest?


    Alligatoah: Na ja, doch ... geplant wird vieles im Hause Trailerpark. Meine Ausschweifungen sind lediglich der verzweifelte Versuch, deiner Frage zu entgehen und noch keine streng geheimen Informationen fallen zu lassen. Nach dem Album ist vor dem Album, oder besser: vor den Alben. Wir haben alle noch eine Menge zu erzählen.



    rappers.in: Auf deiner "Im Frühtau zu Berge"-Tour hast du dich öffentlich auf der Bühne an verschiedenen Leinwänden ausgelassen und jedes Mal ein neues Bild gezeichnet – woher kam die Idee für dieses ziemlich spezielle Bühnenprogramm und was hast du so gezeichnet?


    Alligatoah: Gefühle. Ich habe Gefühle gezeichnet. Wer auf den ausverkauften Konzerten war oder die Bilder auf meiner Facebook-Seite gesehen hat, weiß jetzt, dass ich sehr krakelige und wirre Gefühle habe. Aber es geht überhaupt nicht darum, ob man malen kann oder nicht. Die Leinwand-Aktion auf der Tour sowie das Malbuch, das man zur Premium-Box von "Triebwerke" dazubekommt, sind ein Statement für die Liebe zu kreativen Ventilen – ob das jetzt mit dem Pinsel oder dem Mikrofon passiert. So eine Show kann manchmal ganz schön lange dauern und man muss ja auch dafür sorgen, dass einem selbst nicht langweilig wird. Außerdem war ich selbst gespannt, was dabei rauskommen würde, wenn ich während meiner Show zwischen oder mitten in den Songs hin und wieder ein paar Striche auf die Leinwand setze. Und ein Mädchen, welches ich jeden Abend für einen Song am Ende der Show auf die Bühne gebeten habe, konnte sich über ein ganz besonderes Souvenir freuen.


    rappers.in: Worin besteht denn für dich der größte Unterschied, Bilder zu zeichnen oder dich musikalisch auszudrücken?


    Alligatoah: Ich glaube, das Musikalische liegt mir ein bisschen mehr. Das hat aber auch nur mit der Zeit zu tun, die ich mittlerweile damit verbracht habe, Musik zu machen. Hätte ich 2006 nicht mit Rap, sondern mit Malen angefangen, wär ich jetzt vielleicht schon Moderator bei Art Attack ... falls es das noch gibt. Ein Handwerk kann man ja erlernen.


    rappers.in: Man hat immer wieder ein wenig das Gefühl, dass die Leute von dir inzwischen schon pure Kreativität erwarten, gleichzeitig aber auch nie von dir enttäuscht werden. Wie gut kannst du auf Knopfdruck kreativ sein?


    Alligatoah: Früher ging das gar nicht. Mittlerweile habe ich mir, glaube ich, ein Grundlevel angeeigenet, was fast immer abrufbar ist, so, wie wenn ich jetzt hier mit dir im Interview sitze. Da muss ich ja auch spontane Kreativität an den Start bringen, um den ganzen Blödsinn hier zu sagen. Wenn's an die wirklich eingemachten Dinge geht, wie zum Beispiel einen Song zu schreiben über ein Thema, was mir sehr am Herzen liegt, dann ist Zeitdruck tatsächlich die kalte Dusche, die die Erektion zum Schwinden bringt. Die wirklich guten Dinge müssen reifen, bevor man sie ernten kann. Für die Zeilen, die meine bekanntesten Songs tragen und auszeichnen, habe ich mich nicht hingesetzt und nachgedacht, sondern die sind plötzlich und unerklärlich gekommen. Wenn es dafür einen Knopf gäbe, wäre mein Leben um einiges leichter, aber das wäre ja wie cheaten und man will sich ja freuen, wenn man wieder Glück hatte und einen großen, roten Apfel vom Ideenbaum gepflückt hat.


    rappers.in: Wie lange kannst du dann mitunter an einem Track sitzen? Welcher war denn die, nennen wir's mal, größte "Kopfgeburt"?


    Alligatoah: Ich weiß das im Nachhinein immer nicht mehr so genau. Man sitzt ja nicht durchgehend dran, sondern denkt manchmal auch ein paar Wochen nicht an ein Lied und schreibt dann irgendwann weiter. Ich erinnere mich daran, dass zum Beispiel die ersten Zeilen für "Meine Band" ein Jahr vor der Vollendung des Songs aufgeschrieben wurden. Aber da war natürlich auch sehr viel Leerlauf dazwischen. Ich schätze mal, dass ich mit einem normalen Album-Song von "Triebwerke" durchschnittlich etwa zwei Monate schwanger war. Aber da hatte ich dann natürlich parallel dazu mehrere Babys im Bauch.


    rappers.in: Man könnte dich in gewisser Weise schon als eine Art "Allroundtalent" beschreiben. Aber gibt es denn auch etwas, das du überhaupt nicht kannst?


    Alligatoah: Och, ich kann eine Menge Sachen nicht. Zufälligerweise ist mir gerade heute wieder bewusst geworden, wie schlecht ich in Konsolenspielen bin. Immer, wenn irgendwas mit Controller gespielt wird, bin ich raus. Ich hatte nie dieses Feingefühl im Daumen, um diesen Stick zu dirigieren. Aber ich besaß auch nie eine Konsole und wenn, dann habe ich nur am PC gezockt. Das ist halt wieder der Punkt, dass man schlecht in Dingen ist, die man selten bis nie gemacht hat. Wahrscheinlich bin ich auch schlecht im Skispringen. Ich würde trotzdem einen "Ich kann am besten"-Teil darüber machen.


    rappers.in: Eine letzte Frage hätten wir noch: Kannst du uns bitte ein gutes Staubsauger-Modell empfehlen und sagen, was man damit so alles anstellen kann? Die Teile scheinen ja vielfältig einsetzbar zu sein ...


    Alligatoah: Ha ... Ich empfehle gelb als Farbe! Die setzt sich besonders gut auf grünem Waldboden ab. Modelle kenn' ich nicht. Nur die Farbe ist entscheidend. (schreit) Nur die Farbe!


    rappers.in: Die letzten Worte gehören dir – möchtest du noch jemanden grüßen oder etwas loswerden?


    Alligatoah: Ich wollte noch kurz Up zuwinken, wo ich schon mal wieder hier auf seiner Seite zu lesen bin. Gemütlich hast du's hier wie eh und je! Alle anderen sollten sich meine Videos angucken und dann für sich selbst entscheiden, ob sie sich das Album zulegen, denn ihr seid befreite, aufgeklärte Menschen des 21. Jahrhunderts und müsst euch von niemandem etwas befehlen lassen.



    Hier haben wir zusätzlich und exklusiv auf rappers.in schon einmal die Akustik-Version des Alligatoah-Klassikers "Raubkopierah" für Euch, die auf der Bonus-Disc "Stromausfall" der Premium-Edition von "Triebwerke" enthalten sein wird:


    [youtube]NAyp_NilRvE[/youtube]



    Pascal Ambros (ProRipper)
    (Fotos von Norman Zoo)

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