Interview: Antihelden


  • Ein bisschen ruhig wurde es in den letzten Jahren um das Rapduo Antihelden. Zumindest was die Veröffentlichungen betrifft, aber ganz untätig waren Abroo und SirQLate seit ihrem Release "Kein Happy End" im Jahre 2010 definitiv nicht. Was Neues bei den Antihelden ansteht, wie sie mit Soloprojekten untereinander umgehen und wie sie allgemein über die derzeitige HipHop- und Rapszene denken, erfahrt ihr in unserem Interview.


    rappers.in: Euer Rap klingt – vor allem, was die Beats betrifft – sehr Oldschool-lastig. In einem Interview habt ihr gesagt, dass dieser Sound stellenweise im deutschen Rap wieder mehr und mehr zu finden ist. Richtig?


    SirQLate: Ich würde eher "trueschoolig" sagen. Also, eher nach 90er- als nach 80er-Jahre klingend.


    Abroo: Definitiv, aber diese Entwicklung ist ja gut. Wenn Gangster-Rapper jetzt auf Dexter-Beats rappen, finde ich das interessanter als auf die hingenudelten Techno-Sounds. Durch die Blume gesagt: zurück zu den Wurzeln. Außerdem kriegen dann die schlechten Produzenten nichts mehr für ihre Beats und müssen wieder zum Arbeitsamt, eine Umschulung machen. Finde ich geil.


    SirQLate: Oder Figub – hier hat man es bei Celo & Abdi ziemlich deutlich gehört beziehungsweise ist es mir bei diesem einen Remix aufgefallen. Wenn wir jetzt über 90er-Jahre-Einfluss reden und nicht über Oldschool ... Schwesta Ewa hatte ja auch ein Mixtape auf 90er-Jahre-Amibeats, oder?


    Abroo: Zumindest auf einem Sam Sneed-Beat und einem DITC-Ding hab' ich sie mal gehört. Verrückt. Der Trueschool-Strich-Flavor.


    SirQLate: Wenn die "Straßenrapgeneration", die damals noch "nie ein Rapper" war, auf einmal auf DITC-Beats rappt, ist das schon nice.


    rappers.in: Wir würden jetzt gerne wissen, weshalb sich eurer Meinung nach wieder mehr Menschen auf diesen Sound besinnen und ob es etwas ganz Bestimmtes gibt, was ihr an deutschem Rap in der heutigen Zeit vermisst.


    SirQLate: Ich glaube, dass die Phase der Synthiebeats einfach ausgereizt wurde. Man kommt wieder zurück zum "warmen, erdigen" sample-based Sound. Am deutschen Rap vermisse ich eigentlich die Szene, dass sich Rap im nicht-gangstermäßigen Sinn wieder auf der Straße abspielt. Vor dem Haus oder im Park. Rap ist auch Kommunikation und braucht dieses Zwischenmenschliche, keine Videobattles und Internetforen. Ich vermisse Individuen im Rap. Heute gibt es nur Stilgruppen anstelle von Charakteren.


    Abroo: Weshalb sich einige wieder drauf besinnen, weiß ich nicht genau. Aber ich vergleiche Rap ganz gerne mit Sex. Man kennt die Hausmannskost, Stellungen dreckig, aber geil. Wenn man dann mal experimentiert und was Komisches ausprobiert, geht das einige Zeit gut. Aber irgendwann kommt man doch wieder auf das "Normale", Gewohnte, das man immer mag, zurück. Ich vermisse bei vielen Künstlern die Cuts. Die DJs sind ein bisschen vergessen worden. Die werden dann nur angerufen, wenn Live-Gigs anstehen. "Du ... ? Kannst du mitkommen und dann so Fittdefitdefitt-Geräusche machen, wenn ich keine Hook habe?"


    rappers.in: Warum genau wählt ihr dieses Subgenre von Rap, um euch musikalisch auszudrücken?


    SirQLate: Welches Subgenre?


    rappers.in: Mit Subgenre meinen wir den von euch betitelten "Trueschool".


    SirQLate: Ach so, für mich ist das eigentlich kein Subgenre. Wir machen eigentlich klassischen Rap im Sinne der ganzen HipHop-Kultur.


    Abroo: Im Grunde genommen, weil man damit aufgewachsen ist und weil einem diese Art auch am meisten am Herzen liegt. Wenn das Sample knistert, sitz' ich beim Schreiben schon mit einem Halbsteifen da und feiere das Instrumental auch ohne meine Raps darauf. Andere rasten aus, wenn der Autotune-Effekt die Katzen der Nachbarschaft aufweckt. Jedem das Seine. Aber ich für meinen Teil muss die Musik immer hören können und nicht nur phasenweise.


    SirQLate: Aber ist das ein Subgenre?


    ProRipper: Na ja, ich würde heutzutage nicht mehr sagen, dass es die Art von Rap gibt. Im Prinzip haben wir da ja ein riesen Angebot: Von diesem "Oldschool-lastigeren" über Gangsterrap und Imagerap bis hin zu dieser "Hipster"-Sparte ist ja irgendwo alles vertreten. "Klassischer Rap" find' ich ganz gut gewählt.


    Abroo: Mir ist bewusst, dass wir nur einen geringen Teil der Rap-Hörer ansprechen, weil sie meistens schon etwas älter sind. Aber das ist vollkommen okay. Ich fänd' es auch seltsam, wenn ich mit 40 noch Musik mache, die nur 13-Jährige hören und kaufen. Oder runterladen. Man entwickelt sich ja auch weiter als Mensch und hat dann irgendwann auch andere Themen. Das finden die Kids zwar langweilig, weil sich damit nicht so schön gegen die Eltern rebellieren lässt, aber das bedienen ja andere Kollegen.


    SirQLate: Sorry, ich komme immer mit Schubladen und Genres teils nicht so hinterher. Ich bin da nicht so auf dem Laufenden. Abroo ist da immer up-to-date, der kennt sich da aus. Ich bin ein Ignorant. (lacht)


    ProRipper: Dieses Schubladen-Denken ist teilweise ja auch nicht so das Wahre.


    Abroo: Ich stand damals auch mit einem NWA-"Fuck the police"-Shirt und fragwürdiger Frisur vor meinen Eltern und Lehrern und wollte furchtbar dolle gegen das System sein. Dabei ist das doch in jeder Generation immer wieder das Gleiche. Vollkommen normal.


    SirQLate: Ich hatte ein "Cop Killer"-Shirt von Bodycount. Immer auf die Polizei – schlimm. Polizeihass war immer der kleinste gemeinsame Nenner. (lacht)


    Abroo: Du Punker!


    rappers.in: Euer aktuelles Pre-Release hört auf den Namen "Piratensender" und ist unseres Wissens nach wie eine Radioshow aufgebaut. Inwiefern handelt es sich denn hierbei um einen "Piratensender"? Was genau stellt letzterer für euch dar?


    SirQLate: Wir haben überlegt, in welchen Kontext wir die Tracks, die in den letzten zweieinhalb Jahren entstanden sind, rüberbringen können. Durch die teils recht großen Abstände zwischen der Entstehung einzelner Songs fehlte dem Ganzen ein gewisser roter Faden. Dann kam die Idee, es als imaginäre Radiosendung zusammenzustellen.


    Abroo: Die Idee eines Piratensenders war damals nur, dass man vorbei am Mainstream der Rotations-Stationen Musik spielt, die sonst nie im Radio laufen würde. Es gab auch mal 1982 einen Film namens "Piratensender Powerplay" mit Thomas Gottschalk und Mike Krüger. Der war übelst kacke, aber lustig. Die sind halt in einem Van durch die Gegend gefahren und haben Piratenradio gemacht und wurden von den Bullen gesucht. Vielleicht sollten wir die Frisuren übernehmen. Und den Van.


    SirQLate: Und die Nasen. Wir fanden es passender, diese Idee als "nur" ein Mixtape rauszuhauen. So haben wir ein nettes Konzept, um die Tracks in einen Kontext zu bringen.


    Abroo: Wir fanden die Idee einfach passend und wollten etwas anderes machen als den Standard-Album-Vorläufer. "Street-Album" ist ein Wort, das man verbieten sollte. Und Mixtapes sollten wirklich nur auf Kassette rauskommen. Daher musste was anderes her. Wir haben uns also quasi nur um die Tonträgerbezeichnung gedrückt und was total mysteriöses, avantgardistisches Neues überlegt. Ironie-Button aus.


    SirQLate: Straßentonträger!


    Abroo: Wehe!


    SirQLate: Und es klingt ein bisschen illegal und verrucht.


    Abroo: Reizvoll!


    SirQLate: Ich finde, "verrucht" ist ein tolles Wort!



    rappers.in: Aber kommen wir nochmal auf "Piratensender" zu sprechen. Ihr sagt, dass es dafür keinen roten Faden gab. Vielmehr habt ihr jahrelang Tracks gesammelt, welche nun gemeinsam erscheinen und durch das Radio-Konzept miteinander verbunden werden. Warum habt ihr euch nach eurem letzten Album denn nicht mit Konzept und allem drum und dran an ein neues Album gesetzt? Brauchtet ihr vielleicht auch erst wieder etwas "musikalische Freiheit", die euch in alle Richtungen machen lässt?


    SirQLate: Die Zeit, die liebe Zeit. Wir sind beide beruflich extrem eingespannt. Dann hab' ich ja auch geheiratet, was übrigens unfassbar viel Planungszeit verschlingt! An sich waren wir ja musikalisch nicht untätig, aber eben nicht durchgängig – wir wollten uns dann für ein "Nachfolgealbum" zu "Kein Happy End" mehr Zeit nehmen und direkt hintereinander Tracks schreiben und aufnehmen. Abroo hat ja auch noch ein Soloalbum gemacht, während ich mich ein wenig meinem Steckenpferd, dem Produzieren, gewidmet habe und wir haben noch eine Art EP mit circa zehn bis zwölf Tracks mit einem Produzenten aus Kölle, dem LGP, gemacht, die so gut wie fertig ist und voraussichtlich im Sommer kommt. Also passiert noch einiges und passierte, aber veröffentlicht wird alles erst ab jetzt und demnächst. Unter http://www.sirqlate.com gibt es übrigens ein Beattape von mir for free als Download – hier sind Beats der letzten 15-20 Jahre drauf!


    Abroo: Im Grunde genommen haben wir ja Musik gemacht. Nur eben kein richtiges Album. Die meisten versuchen ja, im Zyklus von neun Monaten ein neues Album rauszuprügeln und haben den Druck, was auf die Beine stellen zu müssen. Den haben wir ja nicht. Wir haben unsere Einkünfte und müssen uns keine Sorgen machen, wie wir die Rechnungen bezahlen. Das ist eigentlich schon Freiheit genug. Durch unsere Jobs und Freundeskreise wird man natürlich auch mal ein bisschen ausgebremst, aber das ist nicht weiter wild. Na ja. Und wenn man mal ehrlich ist, haben wir uns oft auch einfach nur getroffen und getrunken. Blödsinn reden und Spirituosen vernichten ist zwar nicht produktiv, aber macht halt Spaß und konserviert. Wir werden wohl keine Männer, die irgendwann in eine Midlife-Crisis fallen und eine Schwanzverlängerung mit viel PS kaufen oder zurückblicken und sagen: "Mann, hätten wir mal lieber ein, zwei Mal mehr gekotzt und wären auf einem Traktor 9213 Kilometer weit entfernt wach geworden" – ist wirklich schon passiert. Aber ich schweife ab. Fazit: Alles zu seiner Zeit und nur nichts erzwingen. Wenn es läuft, dann läuft's. Inkontinenz-Strategie.


    SirQLate: Das mit dem Alkohol hab' ich verschwiegen ... wie er wieder alles ausplaudern muss. Wir geben uns doch nun wirklich alle Mühe, unsere Whisky-Affinität geheim zu halten. Außer bei Facebook, Instagram und Twitter. (lacht)


    rappers.in: Ihr wart ja nicht immer als Rapduo unterwegs und habt nebenbei, wie eben erwähnt, auch noch Soloprojekte. Inwiefern nehmt ihr auch bei den Soloprojekten des jeweils anderen Einfluss auf das Gesamtwerk?


    SirQLate: Bei Abroos Soloalbum hab' ich einen Beat produziert. Und wenn ich produziere, nimmt das Bild von Abroo, was über meinem Computer hängt, Einfluss auf mein Handeln – no homo.


    Abroo: Q ist auf meinem Soloalbum zwei Mal als Rapper drauf und hat auch für einen Remix mit Audio88 in die Tasten gekloppt. Aber natürlich ist einem auch die Meinung des anderen wichtig. Warte, du hast ein Bild von mir?


    SirQLate: (lacht) Ja, ein furchtbares! Ich habe es auf meine Whiskyflaschen geklebt, um nicht zu viel zu trinken.


    Abroo: Jetzt steh' ich ja als Arschloch da. Ich hab' nur eure Hochzeitseinladung am Kühlschrank. Aber da schau' ich nur drauf, bevor ich meinen Stoffwechel feature und Energie produziere. Wenn das nichts ist?!


    rappers.in: Kommen wir doch nochmal auf euer Pre-Release zurück. Wenn man sich die Tracklist des Piratensenders mal ansieht, so finden sich viele verschiedene Featuregäste und Producer wieder. Wie kam es zu diesen ganzen Zusammenarbeiten? Und inwiefern beeinflussen Produzenten auch eure textliche Inhalte durch ihre musikalischen "Vorgaben"?


    SirQLate: Im Falle der Tracks mit Kool G Rap und Rugged Man sogar ziemlich stark, hier hatten die Produzenten die Vision vom Konzept. Features kommen bei uns immer per Zufall zustande und bei "Piratensender" waren es meist die Produzenten, die gern einen Track mit den teilnehmenden Artists machen wollten. Rugged Man kenne ich schon etwas länger, er war ja auf meinem Soloalbum "Hoffnung" schon einmal ein Featuregast.


    Abroo: Die meisten Produzenten kennen wir ja persönlich. Von daher ist man immer nur einen Mausklick und zehn Tastaturanschläge von einer Zusammenarbeit entfernt. Die Features sind unterschiedlich zustande gekommen. Manchmal durch Zufall wie bei Rasco, manche sind Freunde und einige Beiträge sind durch die jeweiligen Produzenten entstanden. Manche Beats geben die Themen schon vor. Dann muss man sich nur noch daran setzen und loslegen. Wir beide wechseln uns aber auch gut ab, wenn es darum geht, wer von uns "vorschießt", wie die Rapper sagen.


    SirQLate: Wir haben es auf jeden Fall nie auf Features abgesehen, nach dem Motto: Den müssen wir drauf haben und kaufen ihn ein. Dinge ergeben sich oder nicht. Ich finde übrigens auch, dass viele Produzenten sich öfter mehr einbringen sollten!


    Abroo: Bei den Ami-Features hätte es natürlich auch schief gehen können. Wenn die da plötzlich was von Lebensmittelvergiftungen und Fußpflege rappen oder den Inhalt einer Mikrowellen-Bedienungsanleitung rausballern, dann wären wir im Arsch gewesen. Das sagt man ja dann auch nicht mehr ab. Und bei Kool G Rap wär' es mir auch egal gewesen. Der hätte auch einen Song über Menstruationsbeschwerden machen können. Ich wär' sofort dabei gewesen. Legenden wie er dürfen das.


    rappers.in: "Wo sieht man denn heute noch Kids, die mit Begeisterung rappen?", ist ein Zitat aus der ersten Auskopplung "J. Rambo Flow". Könntet ihr kurz Stellung dazu nehmen, inwiefern euch diese Eigenschaft heutzutage auffällt und wie sehr euch das derzeitige Rap-Business diesbezüglich vielleicht nervt?


    Abroo: Das muss Q beantworten. Ist sein Zitat. Ich geh' schnell rauchen.


    SirQLate: Der Spaß fehlt, es wirkt gezwungen. Künstler sprechen von zu schlechten Chartplatzierungen und von "Ich muss es mit Rap schaffen, Geld zu verdienen" oder es ist schlicht eine Modegeschichte. Man benutzt zwar Rap als Medium, interessiert sich aber nicht für die HipHop-Kultur. Niemand, der in unserer Generation angefangen hat, wollte rappen, um Geld zu verdienen. Wir sind in den 80er-Jahren mit der HipHop-Kultur in Berührung gekommen und haben es als Lebensstil angenommen. Es ging – so blöd es auch klingt – um Spaß, Community, mit Skills cool sein wollen. Ich hab' den Eindruck, dass dieser Spaß verloren gegangen ist. Ich meine einfach den Spaß und die Begeisterung für Rap und HipHop.


    Abroo: Klingt, als wären wir KRS ONE. Alle in einem (Savas-Stimme).


    SirQLate: Der KRS will ja teachen.


    rappers.in: Kommen wir zu einem weiteren Zitat. Das Snippet zum Release zeigt den Satz: "Der Mensch lernt nicht aus Fehlern. Er redet sie sich schön." Beruht dieser Satz auf eurer persönlichen Erfahrung? Kann man ihn gegebenenfalls auch in eine politische Richtung deuten beziehungsweise war auch das euer Ziel?


    Abroo: Auch wieder Q. Ich kann aber nicht schon wieder rauchen. Ich werde einfach einen Häkel-Bart basteln.


    SirQLate:Würde der Mensch aus Fehlern lernen, wäre die Welt besser als sie ist. Menschen setzen alles in Relationen und versuchen, Dinge schön zu reden, um besser dazustehen. Ich würde den Satz allgemein sehen, sowohl in weltpolitischen Dimensionen als auch für jeden persönlich. Wenn man ehrlich zu sich selbst ist, kennt jeder solche Situationen: Rechtfertigung anstatt einer Lösung. Es ist leichter, sich zu rechtfertigen und Dinge schön zu reden, als ehrlich zu sich zu sein und es vielleicht beim nächsten Mal besser zu machen.



    rappers.in: Eure aktuellen Pressefotos zeigen euch in einer weltuntergangsanmutenden Szene: Ihr beide auf einem Häuserdach inmitten einer brennenden und qualmenden Stadt, beschäftigt damit, der Welt noch etwas vor dem Untergang mitzuteilen. Waren die Fotos auch so gedacht, wie wir sie verstehen? Inwiefern ist die Stimmung der Bilder im Einklang mit der Stimmung des Releases?


    SirQLate: Ich glaube, wir sehen uns gern in einem apokalyptischen Umfeld.


    Abroo: Das war Eisenhüttenstadt im grauen Brandenburg. Da geht es echt ab. Nein. Das Konzept des letzten Albums "Kein Happy End" war ja schon mit diesem Endzeit-Mad-Max-Donnerkuppel-Touch behaftet. Da haben wir eigentlich nur angeknüpft.


    SirQLate: Man wirft uns ja ab und zu eine verbitterte Grundstimmung vor. Vielleicht sind wir zu realistisch, um positiv zu denken. Grundsätzlich bin ich zum Beispiel auch Fan der Cyberpunk-Welt.


    Abroo: Diese beklemmende Stimmung spiegelt ja schon etwas die Situation um uns herum wider. Wenn dann zwei junge Herren ein bisschen illustere Musik spielen, um den Akustik-Zombies in Deutschland wieder ein bisschen Leben einzuhauchen, dann braucht man auch das passende Szenario dazu.


    SirQLate: Düstere Zukunftsvisionen finde ich auch realistischer als eine bunte fröhliche Zukunft


    Abroo: Retro-Emos!


    SirQLate: Cyberpunk-Emos!


    rappers.in: Kommen wir mal zu einer etwas kreativeren Frage: Welche Zeilen des anderen, die auf "Piratensender" vorhanden sind, hättet ihr vor lauter Begeisterung gerne selber geschrieben und warum?


    SirQLate: Als alter Star Wars-Fan muss ich die Line mit "Wie Luke Skywalker, zack, die Rechte verloren" nehmen. Da sind viele sehr geile Lines drauf, aber diese Line ist so simpel und trotzdem so on point. Hammer! Vor allem, weil Abroo schnell noch einmal nachgeguckt hatte, ob es auch wirklich die rechte Hand war.


    Abroo: "Solange kein Weed drin ist, nehme ich kein Blatt vor den Mund". Er umgeht gekonnt den "Wie-Vergleich" und ich fand' es genial und das sage ich ... als Nicht-Kiffer.


    rappers.in: Ihr habt in einem Interview gesagt, dass das neue Album "ein Hauch mehr Politik, ein Hauch mehr Revolution und ein Hauch mehr Mittelfinger" werden soll. Wir finden, dass man diese Ansätze auch beim Artwork und der Singleauskopplung von "Piratensender" bereits sehen kann, zusätzlich wirkt das ganze recht düster und ernst. Warum habt ihr euch entschlossen, in diese Richtung zu gehen? Seht ihr euch dabei auch als eine Art "Gegenpol" zur aktuellen Sunshine-Cro-Musik-Abteilung des deutschen Raps?


    Abroo: Nein.


    SirQLate: Ja.


    Abroo: (lacht)


    SirQLate: Die Richtung ist eigentlich einfach entstanden. Im Ernst: So richtig bewusst war die Richtung nicht. Es hat sich so ergeben. Obwohl wir ja eigentlich nie reine Party-gute-Laune-Alben gemacht haben als Soloartists oder in vorherigen Gruppen.


    Abroo: Also, Gegenpol würde ich nicht sagen. Dann wären wir ein Gegenpol zu vielem. Aber es gibt ja nur zwei Pole. Der Mittelfinger geht eher an Maßstäbe von heute: YouTube-Klicks, Verkaufszahlen und Images. Der Hauch Politik muss sein, weil es sonst niemand tut. Alle sind immer so unpolitisch und werden immer zu Experten, kurz vor den Wahlen. Politisch klingt immer so nach "Frankfurter Allgemeine". Das muss man ja nicht übertreiben. Aber hier und da mal ein paar Fakten einstreuen, bei denen der ein oder andere nachdenken muss, ist schon dope.


    SirQLate: Außerdem rappe ich länger als zum Beispiel Cro lebt. Da wäre es komisch, dazu bewusst einen Gegenpol zu bilden. Wenn man sich beispielsweise Songs meiner Band aus den 90ern anhört [Anm. d. Red.: 'Krisenstab'], war die Richtung auch damals schon ähnlich.


    Abroo: Aber wenn man es genau nimmt, bieten wir eine Alternative zu vielem Unsinnigen und Belanglosen auf dem Markt. Zumindest versuchen wir das mit unseren Alben. Bei "Piratensender" hielt sich das jetzt in Grenzen. Beim nächsten Album gibt es wieder mehr Inhalte. Dazu wird keine Sau seinen Arsch wackeln und keiner eine Lebensweisheit auf seine Gliedmaßen tätowieren. Aber das ist auch gut so. Man soll es pumpen und auch mal den Kopf anschalten. 99 Prozent der Musik ist zwar eigentlich dazu gemacht, dem Alltag zu entfliehen. Aber wir sind keine Fluchthelfer. Bleibt gefälligst bei Verstand und verdummt nicht allzu sehr durch diesen Slang-Kauderwelsch, den ihr von anderen Rappern beigebracht bekommt. Immer wieder schlimm zu sehen, dass keiner mehr einen normalen oder verschachtelten Satz bilden oder sprechen kann. Ist ja auch nicht cool genug. Aber das interessiert niemanden im Bewerbungsgespräch. Ich selbst führe andauernd Bewerbungsgespräche und schlage immer wieder die Hände über dem Kopf zusammen, was da für eine Generation heranwächst. Daran sind Rapper nicht unschuldig.


    rappers.in: Wollt ihr unseren Lesern zu guter Letzt noch etwas sagen?


    Abroo: Ich finde euch atemberaubend schön. Die meisten jedenfalls. Wenn ich ein Kind mit einer Website haben wollen würde, dann wäre es ... ziemlich krank.


    SirQLate: Wir sind keine Vorbilder und wissen nichts besser, wir wollen lediglich auch mal die Welt reflektieren und darauf aufmerksam machen, dass neben "Brudi" und "Kokspartys" einiges mehr passiert, über das man auch ab und zu nachdenken sollte. Außerdem sollte man, wenn man mag, den "Piratensender" kaufen. Liquit Walkers "Unter Wölfen" und Damion Davis' "Querfeldein" sollten auch einen Platz im Plattenregal finden – und mit etwas Glück bekommen Abroo und ich unsere Alkoholprobleme in den Griff! Dann gibt's neue Musik. Und immer dran denken: Wenn alle Stricke reißen, kann dich keiner hängen lassen! Prost.


    Abroo: Also, ich habe ernsthaft rappers.in in meinen Favoriten mit drin. Und schaue immer mal nach, was es so gibt. Den Lesern kann ich nur dumme Binsenweisheiten mit auf den Weg geben. Sowas wie: "Vorbeugen ist besser als auf die Schuhe kotzen", oder: "Wenn dir die Scheiße bis zum Hals steht, hast du es wenigstens schön warm!" Oder: Kauft ihr unsere CD, dann müsst ihr automatisch auch die Platte kaufen." Die gibt es nur in diesem Bund der Tonträger-Ehe! Und wolltet ihr der Grund sein, dass wir die beiden trennen sollen?


    SirQLate: Tonträger-Ehe ist schön. Du bist so rmantisch, Andreas. No homo.


    Abroo: Ach ja, und "pusht" ordentlich – auch wenn Q jetzt nicht weiß, was ich meine.


    SirQLate: Drogen? Du sagst der Jugend, dass sie "pushen" soll?


    Abroo: Ich und Romantik. Pff. Das einzige Herzartige, was ich im Haus habe, ist eine Dose Artischocken.



    (Kristina Scheuner & Pascal Ambros)

Jetzt mitmachen!

Du hast noch kein Benutzerkonto auf unserer Seite? Registriere dich kostenlos und nimm an unserer Community teil!