01. Chaostheorie Intro
02. Hals über Kopf
03. Das große Fressen
04. Zierlich
05. Nachbarn
06. Geld feat. JAW
07. Gift
08. Täglich grüßt das Faultier
09. Erna
10. Standby
11. Zeit feat. David Beule
12. Kaltes Wasser
13. Glücklich Unzufrieden feat. Sorgenkind
14. Ruderboot 2012 feat. Sorgenkind
Es ist immer so eine Sache, das Gefühl, das ein melancholisches, von vielen Metaphern getragenes Album überträgt, so in Worte zu fassen, dass es dem Künstler gegenüber gerecht wird. Durch viele kryptische Umschreibungen und einer düsteren Grundstimmung gestaltet sich der Interpretationsraum als nahezu unendlich, weswegen ein gesamtes Werk gerne unter Verdacht des aufgesetzten Pathos gestellt wird. Doch Hand aufs Herz: Ein ganzes Album im Stile des bereits bekannten Tracks "Ruderboot" wäre nun wirklich nicht das, was ich von einem hochtalentierten MC wie Djin hätte hören wollen. Eine LP, deren Songs sich ausschließlich über bedeutungsschwangere Refrains und einen Protagonisten definieren, der "die da oben" verurteilt, "die Kehrseite der Medaille" kennt und von dubiosen Schmerzen spricht – so ist das Album des Düsseldorfers nun wirklich nicht geworden. Vier Jahre arbeitete Djin an "Chaostheorie", welches alles andere als nur der trübe Langspieler ist, der sich am besten zur kalten Jahreszeit verkaufen lässt. Er hat Facetten, Empathie und natürlich ein "Intro":
"So, bitteschön, hier habt ihr's dann/
Ich wollt' ein Album machen vor was-weiß-ich-wie-lang/
[...]
Es ist der gleiche Scheiß wie immer/
Zimmer abgedunkelt, Texte schreiben/
Auskotzen auf Beats über schlechte Zeiten/"
(Djin auf "Chaostheorie Intro")
In ebenjenem "Intro" wird durch "laut und böse – Patrick/ ruhig und müde – Djin" das musikalische Gesamtbild vorgezeichnet. Mit Paranoia, Sozialphobie und Minderwertigkeitskomplexen hadert Djin mit sich selbst auf "Nachbarn". Soziale Isolationsängste sowie die befremdlich wirkenden Mitbewohner machen dem Protagonisten zu schaffen. Untermalt wird das Ganze von einem Instrumental, das man sich in etwa so vorzustellen hat wie die Melodie eines kurz bevorstehenden Höhepunkts in einem Psychothriller. Gut, dass uns JAW und Patrick rechtzeitig abholen, bevor es zu gruselig wird ("Geld"). Recht amüsant eröffnet uns Patrick hier seine Auffassung von "Gender Equality". So bittet man nicht nur die weibliche Couleur zur oralen Befriedigung, sondern auch die männliche – ein wahrer Lanzenbruch für geschlechtliche Gleichberechtigung. Die Kritik an der Käuflichkeit des Einzelnen und allgemein an der des Geldes haben sich Dokta Jotta und das Eypro-Mitglied hier auf die Flagge geschrieben. So humorvoll geht es allerdings nur selten zu. Meist skizziert Djin mit tiefschwarzem Humor ein ironisches Selbstbild, wirkt stellenweise depressiv, genervt, hin und wieder abgestumpft. Sporadisch wird der Zugang durch unpräzise Passagen erschwert. Dieses Manko kann aber durch die mysteriösen, dunklen Klänge und einer insgesamt starken Produktion immer wieder wettgemacht werden. Völlig atypisch für den Habitus eines MCs ist der unverkrampfte Umgang mit den eigenen Unzulänglichkeiten. Djin schreibt, schreibt viel, ist aber nach eigener Aussage nicht gut in Deutsch. Auf "Gift" treibt der Düsseldorfer es schließlich auf die Spitze, indem er all seine persönlichen Schwächen zum Thema macht und sich selbst zum vom Pech geplagten und missglückten Geschöpf erklärt.
"Jeder stellt sich unmittelbar in das Bild einer Generation/
Ich würd' heut' gern nicht dazugehör'n – jede Farbe stört/
Es ist Montag, ich hab' meinen Wecker zwar gestellt/
Doch später erst bemerkt: Dieses Hetzen, man, es nervt/
Und ich bin fertig, bevor die Woche wirklich anfängt/"
(Djin auf "Täglich grüßt das Faultier")
Selbst die Übereinkunft mit dem Teufel wirkt auf eine gewisse Weise nicht abgedroschen. "Täglich grüßt das Faultier" und "Das große Fressen" laden dazu ein, sich einfach fallen und die Fantasie Bilder zeichnen zu lassen. Inhaltlich ist Djin auf erstgenanntem Song dem monotonen Tagesablauf überdrüssig und weist erstaunliche Ehrlichkeit sich selbst gegenüber auf. "Der Alkohol bringt nah, dass ich mich selber gern verarsch'" – Selbsterkenntnis ist bekanntlich der ... ach, lassen wir das. Abgegriffene Plattitüden sind definitiv nicht essenziell für "Chaostheorie". Djin schreibt sich die Schmerzen von der Seele, ohne sich dabei in irgendein Genre-typisches Korsett zu zwängen. Nein, Pardon, Djin schreibt nicht, sondern dichtet – spätestens jetzt ist dieses große Wort angebracht. Auf "Erna" beschreibt er die ziellos umherirrende Jugend, die in seiner fiktiven Geschichte durch die vereinsamte, an Krebs leidende Erna repräsentiert wird. Eine ausgefeilte Mischung aus Patrick und Djin. Die selbst gezogene Grenze wird in einem schleichenden Prozess zu einer fließenden. Patrick wird zu Djin, Djin zu Patrick. Einfühlsam, verletzt und wütend zugleich. Es ist die Suche nach Identität und nach sich selbst, die mit der Hoffnung verbunden ist, aus der persönlichen Lethargie auszubrechen. "Zierlich" wird untermalt von einem Instrumental, das mit weiten Synthieflächen und klatschenden Claps die Stimme des Düsseldorfers perfekt betont und Kennern Peet an den Reglern verrät. Jener Track beinhaltet Djins bereits bekannte Suche, deren Ziel unbekannt ist, sowie seine bizarre Beziehung, die sich als etwas kompliziert erweist. Ebenfalls Produktionen angenommen haben sich die Jungs von Der Plot und Neodisco, die ohne Ausfälle ein vortreffliches musikalisches Gewand maßgeschneidert haben.
Fazit:
Dass Djin schon vor seinem VBT-Sieg 2010 eher dem melancholischeren Genre zugeneigt war, ist vielen fremd. Der rege Vergleich mit den Battle-Runden des Düsseldorfers ist deshalb nicht selten mit einer großen Verwunderung, wenn nicht gar Enttäuschung verbunden. Jedoch ist die Reduktion auf ein Internet-Turnier einem so vielschichtigen MC wie Djin in keinster Weise würdig. "Chaostheorie" erzählt Geschichten, malt Bilder und illustriert das Innenleben eines Menschen, der auf der Suche ist. Midlife Crisis ist in diesem Zusammenhang ein gern verwendetes Anhängsel und wahrscheinlich auch hier gar nicht mal so unzutreffend. Djins "Chaostheorie" umfasst überwiegend den Verdruss über persönliche Fehler, die Sympathie mit Leidensgenossen und Dauerreflexion. Vieles kann man dem Langspieler abgewinnen, wenn man einen Zugang zu ihm findet und sich in den Beschreibungen einer aus Patricks Sicht verkommenen Welt vielleicht auch selbst wiederfindet. So gestaltet sich die neueste LP des Düsseldorfers als kleines, sehr, sehr hörenswertes Highlight am Jahresende.
(Die Robbe)
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