01. Fröhliche Weltuntergangsmusik
02. Diesassda
03. Zukunft Vorbye – Gedicht
04. Zukunft Vorbye
05. Mobilee
06. Herz gebrochen (Scherben)
07. Lebenlang
08. Los ziehen – Gedicht
09. Finderlohn
10. Frustsong feat. Flo Mega
11. Feiern gehen (Das Leben is' so schön) feat. Marsimoto
12. Idiokratie – Gedicht
13. Idiokratie
14. Amnesie International
15. Du und ich
16. Punkt (Die Welt ist gefi**t) feat. Megaloh
17. Nachtmusik
18. Verschwörungstheorien mit schönen Melodien feat. Cassandra Steen
19. Finale (Wundervolle Welt)
Wer sich im Dezember 2012 keinen Weihnachts-, sondern den Mayakalender an die Wand hängt, weiß, dass die Menschheit das Jahr 2013 nicht erleben wird. Das Ende der Welt vor Augen, mag sich der Ein oder Andere nun schluchzend in die Ecke hocken, alte Fotoalben rauskramen und im Selbstmitleid versinken. Künstler ticken da wohl ein wenig anders. Wieso nicht einfach die Ungunst der Stunde nutzen und das Thema Weltuntergang marketingtechnisch voll ausschöpfen? So macht es zumindest Samy Deluxe, indem er unter dem Pseudonym Herr Sorge, eine Woche vor Ablauf des menschlichen Haltbarkeitsdatums, das Konzeptalbum "Verschwörungstheorien mit schönen Melodien" veröffentlicht. Ist das Experiment gelungen oder hätte Samy sein Alter Ego besser nie auf die Menschheit losgelassen?
Obacht, liebe Samy Deluxe-Fans: Das Klangbild des Herrn Sorge hat rein gar nichts mit bisherigen Alben des Hamburgers gemein. Der Langspieler bewegt sich soundästhetisch irgendwo zwischen Tua, RAF 3.0 und Kid Cudi. Eingängige Synthie-Melodien werden von reichlich Elektrospielereien begleitet. Von hypnotisierend geringen BPM-Zahlen bis zu rasenden Dubstep-Wobbelbass-Passagen ist alles dabei. Insgesamt haben Vitor Soarez, T-Bass, Tobias Tan, Jan van der Toorn und Herr Sorge selbst einen experimentellen Sound kreiert, dessen einzelnen Elemente stimmig ineinander greifen. Inhaltlich lässt sich das Album schnell zusammenfassen: Die Menschheit ist schlecht, Politiker böse und im Grunde genommen ist sowieso alles scheiße. Ja, Herr Sorge ist ein Miesepeter. Aber ein sympathischer. Denn auch, wenn sein permanent gehobener Mittelfinger manchmal etwas plump daherkommt, sorgt ein Gemisch aus Zynismus und "Scheißegal"-Haltung doch für das ein oder andere Schmunzeln. Wenn konstatiert wird, dass die Telefone zwar smart, die Menschen aber umso dümmer seien ("Fröhliche Weltuntergangsmusik"), kann man dem zwar widersprechen – das humoristische Potenzial lässt sich hingegen kaum leugnen. Herr Sorge schafft es immer wieder, prägnante Aussagen pointiert auf den Beat zu packen.
"Es heißt, dass ein Meteor dieses Jahr die Welt hier zerstört/
So was Dummes hab' ich selten gehört/
Auf keinen Fall bevor die Menschen selber hier die Erde zerstören/
Wir haben schon so gut vorgelegt – Ehre wem Ehre gebührt/"
(Herr Sorge auf "Diesassda")
Leider verlieren sich viele gute Textpassagen im eben noch gelobten Klangbild. Zwar passen Elektroeinflüsse und mit Autotune getränkter Singsang gut zusammen, allerdings werden die Texte dadurch auch häufig in den Hintergrund gedrängt. Hinzu kommt, dass sich viele Beats auf der ersten Albumhälfte ähneln und Herr Sorges melodiöser Sprechgesang stellenweise doch arg monoton wirkt. Mit "Mobilee", "Herz gebrochen (Scherben)", "Lebenlang" und "Finderlohn" folgen vier melancholische und vor allem langsame Tracks fast unmittelbar aufeinander. Dadurch entsteht ein beinahe einschläfernder Brei aus Klängen, der ein aufmerksames Studieren der Texte verhindert. Zeitweise ist das aber gar nicht schlimm, denn der notorische Nörgler weiß nicht immer mit guten lyrischen Ideen zu punkten. Wenn er beispielsweise den bösen Herrn Merkel als das Feindbild schlechthin präsentiert, ist das doch eine sehr unkreative Anspielung auf die Kanzlerin der Bundesrepublik. Hinzu kommt, dass die omnipräsente Menschheitskritik aufgrund mangelnder Beweisführung oftmals sehr schwammig ausfällt.
"Die Welt hier ist strohdumm, ich bleib' in der Wohnung/
Und schließ' mich ein bis zum Ende der Zeit/
Und schreib' 'nen neuen Ohrwurm, den ihr dann singt – so dumm/
Denn ihr seid mit dem Text hier gemeint/"
(Herr Sorge auf "Idiokratie")
Textliche Aussetzer dieser Art macht Herr Sorge, wie es der Albumtitel schon andeutet, durch eingängige Refrains wieder wett. Songs wie "Zukunft Vorbye", "Frustsong" oder "Idiokratie" brennen sich schon nach dem ersten Hören ins Gedächtnis. Das Ohwurmpotenzial der "Verschwörungstheorien mit schönen Melodien" ist unbestreitbar. Eine Vielzahl der 19 Anspielstationen lädt zum Kopfnicken ein, ein paar wenige allerdings auch zum Kopfschütteln. An oberster Stelle ist da die nervtötende, schnulzige Electropop-Ballade "Du und ich" zu nennen. Ein kitschiges Liebeslied hat auf einem Konzeptalbum, vollgepackt mit Sarkasmus und mieser Laune, schlicht und einfach nichts verloren. Da kann auch Cassandra Steens exzellenter Gesang nichts dran ändern. Die Featuregäste Flo Mega, Marsimoto, Cassandra Steen und Megaloh sind im Allgemeinen aber positiv hervorzuheben. Auch wenn sie nur kurze Auftritte haben, wissen sie zu überzeugen. Das gilt im Besonderen für Marsimoto, der am stärksten Track des Albums "Feiern gehen (Das Leben is' so schön)" gehörigen Anteil hat. Bedenkt man die oben angesprochene, streckenweise vorhandene Monotonie des Albums, ist die hochgepitchte Stimme des Green Berliners wie ein Adrenalinstoß für den Hörer. Auf einem Uptempo-Beat wird zynisch eine Generation charakterisiert, die jedes Wochenende um des Feierns Willen feiern geht.
"Wir feiern bis zum Ende und diese Wände kommen nah/
Triff meine Ex-Tussi und meinen Kumpel Ben DMA/
Die Fenster sind schwarz und alles weitere Crack/
Die Welt da draußen ist mir so fremd wie mein eigenes Bett/"
(Marsimoto auf "Feiern gehen (Das Leben is' so schön)")
Fazit:
Niemand mag chronische Miesepeter, Nörgler und Jammerlappen. Genau so jemand ist Herr Sorge. Nichtsdestotrotz kommt der Verschwörungstheoretiker doch sehr sympathisch daher. Das mag daran liegen, dass Samy Deluxe schlichtweg ein großartiger Musiker ist, was natürlich auch auf sein Alter Ego abfärbt. Markante Beats, ein Gespür für Melodien und ein stets präsenter Flow machen das Konzeptalbum zu einem gelungenen Projekt – auch wenn die 60 Minuten Spieldauer punktuell sehr monoton wirken. Wer keine Lust auf Sarkasmus und Melancholie hat, lässt lieber die Finger von Herr Sorges Theorien. Alle Anderen machen es sich gemütlich, drehen die Anlage auf und warten auf den Weltuntergang.
Marvin Nix (Woodfellas)
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