Special: Buchbesprechung: Massiv – Solange mein Herz schlägt


  • Eine Autobiographie. Jeder deutsche Rapper, der etwas auf sich hält, so scheint es, möchte seinen persönlichen Werdegang in einer solchen Form zu Papier gebracht sehen. Kaum verwunderlich, dass sich nun auch Massiv zu Genrekollegen wie Sido, Bushido und Fler gesellt und alles, was bereits bisher oder noch nicht auf Tracks besprochen wurde, nun in schriftlicher Form niedergelegt wird. Ja, wie wurde denn nun aus dem kleinen Wasiem der selbsternannte Begründer des "Ich schieb' dir 'ne Atombombe in deine Fotze, du Hurentochter"-Battleraps? Darüber soll jetzt "Solange mein Herz schlägt" auf knapp 350 Seiten Auskunft geben.


    "Kann der denn überhaupt schreiben?" oder "Können seine Fans denn überhaupt lesen?", werden mit Sicherheit häufige Reaktionen auf die erste Bekanntgabe zur Veröffentlichung des Schmökers gewesen sein. Beide Fragen können auch einige Wochen nach Release noch nicht mit 100-prozentiger Gewissheit beantwortet werden. Als Autor wird neben Wasiem "Massiv" Taha auch eine gewisse Mariam Noori genannt und ein gewisser Anteil der Schreib- und Formulierungsarbeit geht mit Sicherheit auf ihre Kappe. Und was die Leser angeht: Ob jetzt als Nahkampfwaffe oder Lektüre gedacht, aber über die Ladentheke ging "Solange mein Herz schlägt" des Öfteren. So ließ sich Massiv zum Statement "Wir sind soeben in die Top Ten der SPIEGEL-Bestseller Liste für Bücher reingeknallt, wie damals der Mond in unser Ghetto!" – ganz korrekt wäre gewesen: Platz 10 in der Kategorie Sachbuch als Paperback – hinreißen und erfreute sich seines neuen Titels "Bestseller-Autor".


    Doch worum geht es nun in "Solange mein Herz schlägt" eigentlich? Nun ja, fangen wir mit dem wenig Überraschenden an. Der große inhaltliche Aufhänger des Buchs ist das Attentat auf Massiv, in dem er angeschossen wurde. Bereits als der Prolog mit den Worten "Es ist bitterkalt, so kalt, wie es an einem Januartag in einer Berliner Nacht nur sein kann" beginnt, wird sofort klar, worauf die Autoren hinauswollen. Plausibel, dieses Geschehnis jetzt ins Zentrum zu rücken, mag es durchaus sein. Unmittelbar nach dieser Attacke soll Sony das kostspielige Signing Massiv "zu heiß" geworden sein und diesem wurde laut späterer Aussagen mehr oder weniger Redeverbot erteilt. Ein einschneidender Teil seines Lebenslaufs mag jener 14. Januar 2008 mit Sicherheit gewesen sein. Erwähnung muss er in der Biographie ohnehin finden, weniger plakativ und vorhersehbar hätte die Ausführung aber vielleicht doch gestaltet werden können. Die Endstationen des Wegs "vom Jungen ohne Perspektive bis hin zum gefeierten Star" werden, bereits erwähnt in der Inhaltsbeschreibung auf der Rückseite, ebenso extrem beschrieben. Womöglich war Massiv dann doch nicht der Ärmste unter den Ärmsten der Armen, sein Vater doch nicht der Strengste unter den Strengsten der Strengen – wie im Buch äußerst drastisch beschrieben – und die Bezeichnung "gefeierter Star" auch zu seinen besten Zeiten noch ein wenig zu hoch gegriffen. Nebensächlich, das Hauptaugenmerk sollte bei "Solange mein Herz schlägt" wohl auf dem Motto "Du kannst alles schaffen, wenn du nur daran glaubst" liegen und selbst Massivs härtester Gegensprecher wird ihm zumindest eines nicht absprechen wollen: Ehrgeiz. Der Verkauf etlicher Wertgegenstände zur Finanzierung eines Videos, der plötzliche Umzug mitsamt Familie nach Berlin, lange bevor eine Karriere in Aussicht stand, all das wird auch hier zum Thema und darf selbstverständlich gewürdigt werden.


    Wesentlich lesenswerter wird es an einigen Stellen durchaus. Für einen gewissen Unterhaltungswert sorgt Massiv schließlich meistens – selbst wenn er dafür in einem Interview ankündigen muss, sich eine Biene zur Mahlzeit zu machen – und hier bleibt auch seine Biografie keine Ausnahme.
    So wird berichtet, wie Massiv seiner Familie am Opferfest angeekelt dabei zusieht, wie diese einen Schafskopf isst, er diesem Martyrium nicht länger standhält und den gekochten Schädel kurzerhand aus dem dritten Stock schleudert und damit zufälligerweise einen Nachbarn – ein alkoholkranker Rassist, der den kleinen Wasiem gerne mit Begriffen wie "Kameltreiber" und "Wüstenratte" tituliert – fast zur Strecke bringt. Dies sah jener Nachbar als Schicksal an und wandelte daraufhin sein Leben urplötzlich zum Besseren.
    Ebenso unterhaltend, aber mäßig glaubwürdig die Geschichte, wie eine Nonne in Massiv den Teufel höchstpersönlich sah und ihn deshalb besonders garstig behandelte. Eine Suppe mit Schweinefleisch veredelt: für Massiv als gläubigen Moslem selbstredend Haram par excellence. Diese Stellvertreterin Gottes jedoch zwang den kleinen Satan, das Fleisch des unreinen Säugetiers zu verspeisen, bis sich dieser übergeben musste. Damit nicht genug, musste der Teller aber auch mit der körpereigenen persönlichen Note durch Nahrungsaufnahme abwechselnd etwas geleert und etwas gefüllt werden, bis irgendwann nichts mehr übrig war. Evil Jared lässt grüßen. Größere Differenzen hatte Wasiem mit einem Mitschüler namens Markus, ein allseits beliebter Junge, dessen Vater ein "Auto mit dem Stern" besaß. Die Hausaufgabe, ein Gedicht über ein beliebiges Thema zu schreiben, nutzte Massiv so, um gewissermaßen seinen ersten Disstrack zu verfassen. Auszüge daraus:


    "Sein Vater hat 'nen Stern, Markus fühlt sich stark,
    dabei ist er ein dummer weicher Hodensack.
    Die Juden haben auch ihren eigenen Stern
    und trotzdem hatte sie keiner gern.
    "


    Ja, mit der Zeit wird einem der kleine Wasiem auf seine Art und Weise ein großes Stück weit sympathisch. Bis er schließlich einen Hund, seinen besten Freund namens Tony, mit einem Backstein abmurkst. Doch dazu sei nicht zu viel verraten.
    Auch die Kontaktaufnahme zu Basstard liest sich sehr interessant. Massiv, der erste Rapversuche als Pitbull auf dem Demo "Zahltag" aufnahm, verschickte diese an jedes nur erdenkliche deutsche Raplabel, von denen sich keines meldete, bis plötzlich Basstard am anderen Ende der Leitung war. Dieser hatte die Absicht, sich mit Massiv zu treffen, allerdings nicht wegen seiner raptechnischen Fähigkeiten, denn das Demo führte er sich nicht einmal zu Gemüte. Vielmehr war er von Massivs Foto begeistert, welches in ihm die Vision auslöste, dass dieser doch in einem Video mit seiner beachtlichen Statur einen Sarg hinter sich herziehen könnte. Insgesamt bleibt nach dem Abschnitt über MC Basstard dann aber doch ein leicht fader Beigeschmack. Etwas herablassend und undankbar wirken manche Formulierungen über den Wegbereiter für Massivs Karriere.


    Alles in allem lässt sich Massivs Autobiographie getrost weiterempfehlen. Hand aufs Herz: Womöglich mehr als jedes einzelne seiner Alben. Von der Geschichte seiner Geburt bis hin zur Palästina-Tour im Jahre 2008 fasst die Biographie die persönlich wichtigsten Haltestellen in Massivs Vita zusammen, ohne dabei zu sehr lediglich auf seine Tätigkeit als Rapper einzugehen. Der Eindruck, das Buch nur zu Promozwecken verfasst haben zu lassen, kommt selten bis nie auf, tatsächlich hat hier jemand durchaus einiges zu erzählen. Sehr offen und ehrlich werden auch große Fehler wie die berühmt-berüchtige Textpassage mit den Schalker Müttern eingestanden, was auch bei Kritikern des Rappers für Sympathien sorgen könnte. Vieles war zwar zu erwarten, vieles überrascht umso mehr. Für seine Zielstrebigkeit verdient Wasiem Taha sowieso jeglichen Respekt. Hier und da wird sicher etwas dramatisiert und eventuell – haltlose Vermutung, kein Vorwurf – auch das ein oder andere dazu erfunden, was jedoch für teils großen Unterhaltungswert sorgt. Der Schreibstil ist angemessen, die Vielzahl an Wie-Vergleichen bewirkt allerdings nicht immer die Vermutung, die Zeilen eines großartigen Rhetorikers zu lesen, auch wirken die Formulierungen von Kapiteln über das junge Alter mehr dümmlich als kindlich, jedoch stört all das den Lesefluss nicht bedeutend. Vielmehr erzählt "Solange mein Herz schlägt" äußerst kurzweilig eine bisher bewegte Lebensgeschichte, der sicher nicht nur Fans des "Ich fick' den Satan höchstpersönlich, er kann meine Eier lecken"-Rappers etwas abgewinnen können.



    (TonySunshine)

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