01. Intro
02. Prototyp
03. Narkose
04. Repeat
05. Stilles Meer
06. Sandsturm
07. Hochmut kommt vor dem Fall
08. Nicht mit mir feat. MoTrip
09. Lost in Translation
10. Labyrinth
11. O.Z. Interlude
12. 20 Paragraphen
13. Cool & ruhig
14. Hallo Vergangenheit feat. Gary Howard
15. Tristesse feat. Manuellsen
16. Outro
Ach ja, was war das schön, als man noch als Antwort auf jede feindselige Zeile eines Label-Kontrahenten die gesamte Crew inklusive Verwandtschaft vor die Kamera zerrte, um dem disrespektierlichen Eier-Geschaukel Paroli zu bieten. Man erinnere sich nur an das legendäre Selfmade-Aggro-Gezanke oder die Bushido-Sido-Reiberei. Ja, das war was. Doch 2012 haben sich alle lieb. Jeder darf sich anziehen, wie er will und einen zwischenmenschlichen Konflikt auf musikalischer Ebene nach außen zu tragen, hat inzwischen etwas an Brisanz verloren. Gleichwenn Bushidos Daily Soap – zumindest im hauseigenen Forum – kein Ende zu finden scheint, ist es auch für Deutschlands erfolgreichsten Gangsterrapper nicht mehr die Regel, von interpersonellen Differenzen finanziell profitieren zu wollen. Und so trugen auch Nazar und RAF 3.0/Camora ihre persönlichen Ungereimtheiten nicht in die Öffentlichkeit, vielmehr kamen die Anspielungen seitens Moderatoren in Interviews und den dazugehörigen Antworten der Künstler fast schon einer Anpreisung für das Album des jeweils anderen gleich. Leider muss deswegen auch Nazars neuestes Werk "Narkose" so ganz ohne Anfeindungen auskommen ...
"Ich bin der King im Olymp – zum Gewinnen bestimmt/
Lass die Leute reden – das sind alles Stimmen im Wind/
[...]
Kanacken-Rap hinkt hinterher wie ein behindertes Kind/"
(Nazar auf "Lost in Translation")
Ja, da wären wir schon bei den Vergleichen. Ich bin, um ehrlich zu sein, relativ unschlüssig, was diese betrifft. Der Unterhaltungswert ist zwar gegeben, jedoch vor allem durch die – wie bei den Betonungen auch – unbeabsichtigte Komik. Ohne den Fakker hier festzunageln (wie Nutten), kann sich der junge Österreicher auf "Intro" des Vorwurfs des (zumindest unterschwelligen) Frontens gegen seinen ehemaligen Artkore-Partner nicht ganz erwehren. "Plötzlich seid ihr alle kleine, dumme: 'Roboter, Roboter'/ Ich geh' meinen Weg alleine, ohne: 'Promoter, Promoter'." Fernab textlicher Gegebenheiten gibt es wohl kaum einen Independent-Künstler, der einen vergleichbaren Aufwand betreibt, seine Publikation derart hochwertig zu audiovisualisieren. Nicht umsonst besitzt Nazar eine eigene Produktionsfirma (Nazar Films). Seine größtenteils filmreifen Videoproduktionen finden nun in "Lost in Translation" und "Stilles Meer" ihre vorläufigen Höhepunkte. Man sei bis nach Dubai geflogen, um die authentischen Szenen für erstgenannten Track einzufangen, der außergewöhnlichen Qualität bedarf keiner weiteren Erwähnung. Arabisches Sample plus Western-Melodie fraternisiert sich auf "Lost in Translation" mit dem "Schwarzkopf-Sheriff" und dessen technischer Versiertheit. Besagter Track zeigt einen experimentierfreudigeren Nazar, der sich zwar lyrisch auf keinem sonderlich hohen Niveau bewegt, anscheinend jedoch Freude daran gefunden hat, einzelne Silben etwas ausgefallener klingen zu lassen. Was auf "Lost in Translation" noch gekonnt und stellenweise imposant klingt, verliert sich auf "Narkose" und "Cool & ruhig" zunehmend in unbeabsichtigter Witzigkeit. Was jedoch den Entertainment-Faktor nicht schmälert. Doch weiter im Text – auf "Stilles Meer" widerlegt Nazar eindrucksvoll alle Behauptungen, er sei ein lyrischer Minimalist.
"Ich will nur ein' Blick aufs stille Meer/
Und würd' alles dafür geben, auch wenn's mein allerletzter Wille wär'/
Ich will nur ein' Blick aufs stille Meer/
Doch bei der Flut an Gedanken herrscht keine Stille mehr/"
(Nazar auf "Stilles Meer")
Jener Track erweist sich durch die entspannende Melodie als erfrischender, nachdenklicher Pausenfüller. Das ebenfalls ruhigere "Sandsturm" zeigt dagegen schon leichte Tendenzen zur Midlife Crisis. Drückende Drums und leichte Gitarrenriffs charakterisieren die größtenteils düsteren, basslastigen Instrumentale, die durch ihre Vielseitigkeit und Verspieltheit nicht nur Nazar auf den Leib geschneidert sind, sondern auf das außergewöhnliche Händchen von O.Z. zurückzuführen sind, der mit merklichen 808-Einflüssen und knallenden Claps "Narkose" seinen Stempel aufdrückt. Seinem Können am Regler verdankt "Narkose" 11 Produktionen. Auf den klassischen Representertracks ("Nicht mit mir", "Repeat", "Prototyp") hält sich der Fakker nicht zurück ("wie Geheimprotokolle") und kann durch überzeugend stotternde Staccatoflows nach vorne gehen. Natürlich ließ man sich auch Gäste ins heimische Studio fahren: Der "Kanacke mit Grips" aka MoTrip erklärt sich wie gewohnt lyrisch stark und lässt dabei N-A-Z etwas alt aussehen. Manuellsen hat seine Gesangsqualitäten schon auf seiner Soul-Edition unter Beweis gestellt und zeigt nun ein weiteres Mal auf "Tristesse", welch begnadeter Sänger er ist. "Labyrinth" wiederum kann durch die peitschende Clap Nazars Rap, der vor allem über Technik kommt, sehr gut zur Geltung bringen. Hier trügen weder skurrile Vergleiche noch Betonungen das Gesamtbild. Mic Night zeichnet für die Produktion von "Labyrinth" verantwortlich – der Refrain weist vor allem durch die eingängige Melodie großes Ohrwurmpotenzial auf. Während man auf "Fakker" überwiegend gebattlet hat, möchte man nun auch Sozialkritik üben. Hier war der gebürtige Iraner gut beraten und wusste, den moralischen Zeigefinger in der Tasche zu lassen. Gegenüber dem Vorgänger haben das inhaltliche Spektrum sowie die Flows mehr Abwechslung erfahren – und das lässt vor allem eins nicht aufkommen: Tristesse.
Fazit:
"Boxerschnitt" und "Rolex am Arm" gehen heute nicht mehr mit Gangster-Allüren einher. Nazar möchte nicht in die Straßenrap-Sparte eingeordnet werden. Und das zurecht, denn eine Genrezuweisung würde einer Entwertung gleichkommen. Wenn auch Wie-Vergleiche und die ein oder andere sinnentleerte Line mir den Schweiß auf die Stirn treiben, überzeugen perfekt ausproduzierte Beats und qualitativ hochwertige Videos, die ihresgleichen suchen. Sicherlich schwebt noch ein bisschen RAF Camora mit. Zugegeben: Die Kollaborationen zwischen den beiden Österreichern waren für mich immer eine ganz besondere musikalische Fusion. Auf diese nun verzichten zu müssen, ist jammerschade, aber wohl unabdingbar. "Narkose" erweist sich somit als solider, überdurchschnittlich gut produzierter Langspieler, dessen Protagonist optisch gerne mal als "Kanackenrapper" abgetan und seine Musik pauschal dem Straßenrap zugeordnet wird. Nazar konnte hoffentlich ein Exempel statuieren und zeigen, dass man mit einem "Boxerschnitt" nicht nur "Para schiebt" und weißen Schnee in unzulässigen Mengen über Grenzen transportiert.
(Die Robbe)
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