Alle mal herhören! Hier! Das, was jetzt kommt, ist eine Kolumne. Da erzähl' ich von spannenden Abenteuern mit verschiedenen Rappern und anderen Gestalten der Rapszene. Doch Achtung: Die Geschichten sind nicht echt, sondern erfunden. Was soll man damit anfangen? Unterhalten werden. Und einen anderen Blick auf bestimmte Themen werfen. Vielleicht noch gut finden. Das reicht dann auch. Jetzt aber Schluss, denn es geht los ...
Neulich im Altenheim mit ein paar echten Rappern ...
Sido versteht die Welt nicht mehr. "Was mache ich denn falsch?", fragt er verzweifelt in die Runde, doch niemand kann ihm helfen. Denn die anderen echten Rapper kämpfen mit eigenen Problemchen. Savas ringt noch mit dem Bettbezug von Opa Erwin. Er hilft eigentlich gerne, versteht aber nicht ganz, warum der noch frisch riechende Bettbezug überhaupt gewechselt werden muss. "Weil mittwochs immer die Bettwäsche gewechselt wird, das ist nun mal so ...", lautet die Antwort. Samy versucht sich derweil den abendlichen Ablauf-Ritus einzuprägen – die Reihenfolge im Bad ist wichtig, niemals Freestyle. Erwin hat eben die Erfahrung gemacht, dass man die Hände zuletzt eincremen sollte, sonst hat man die Schmiere danach nur am Gebiss hängen. Das kriegt Samy schon hin, auch wenn er genervt den Kopf schüttelt. Aber noch ist es nicht so weit, noch muss gegessen werden. Ob es keinen Früchtetee gäbe, mittwochs gebe es sonst immer Früchtetee, hakt Opa Erwin nach. Aber der ist alle, das tut Sido sehr leid. Trotzdem ist er enttäuscht, denn der mitgebrachte Döner scheint dem alten Mann im Sessel nicht besonders gut zu schmecken. Verständlich, findet Opa Erwin, Mittwoch ist eigentlich auch Pfannkuchentag. Mit Früchtetee. Döner ist da anders, das ist schwer zu leugnen. Die echten Rapper, mit denen ich heute im Altenheim aushelfe, sehen ein wenig genervt aus, sie verstehen nicht, warum die Senioren so garstig sind, will man doch nur das Beste für sie. Thomas D versucht die Stimmung ein wenig aufzulockern, er stimmt "Sie ist weg" an. "Ilse ist seit 20 Jahren tot, du Arsch!", unterbricht ihn der alte Mann sehr strikt, dafür aber auch abrupt. Cro diskutiert derweil, denn er soll gefälligst seine Maske im Haus abnehmen, das gehöre sich so. "Das hätte es ja noch nie gegeben", ist das einzige, aber schlagkräftige Argument. Punkt. Da kommt man nicht aus. Aber Spaß macht das nicht. Da will man den Senioren im örtlichen Altenheim etwas Gutes tun und am Ende sind alle nur böse aufeinander. Opa Erwin will nun mal keinen außergewöhnlichen Abend, er möchte einen Mittwochabend haben, wie er ihn kennt, wie er immer ist und immer war. Ausrufezeichen. Torch sieht mich verzweifelt an, ein bisschen vorwurfsvoll, als ob er nun eine Erklärung erwartet.
"Das ist wie mit deutschem Rap", versuche ich zu erklären, "da wollen die Fans doch auch immer nur das, was sie schon kennen". Und das verstehen die echten Rapper ein bisschen, jeder von ihnen ist schließlich schon gegen die Wand aus Fans gelaufen, die vergeblich versuchen, ihre Definition von Rap zu konservieren, zu mumifizieren, für immer haltbar zu machen. Und deshalb auch vor anderen Einflüssen zu schützen. Es ist doch im Endeffekt immer dasselbe: Rap rappt so vor sich hin, dann kommt eine neue Strömung, vor allem junge Leute sind begeistert davon, können sich damit von den alten Fans abgrenzen, die alten Fans finden die neue Strömung blöd, weil das hat es ja noch nie so gegeben. Dann sind die jungen Fans irgendwann alt und die Chose beginnt von vorne. So war das mit den Fantas, so war das mit Samy Deluxe, so war das mit King Kool Savas, so war das mit Aggro Berlin, so ist das mit Cro und der Falk'schen Reimgeneration. Und immer die gleichen Diskussionen und immer die gleichen Argumente von beiden Seiten. Und noch immer ist Rap verdammt nochmal nicht tot! Und wird auch so bald nicht abkratzen, an dieser Stelle ein Königreich für den, der mir eine wirklich tote Musikkultur nennen kann, Deathmetal zählt nicht. Und immer: "Das ist doch keine Musik". Und immer: "Die jungen Leute Schrägstrich Teenies Schrägstrich Kinder feiern das alle." Und immer: "Die falschen Inhalte". Und immer: "Zu viel Pop oder zu wenig Rap".
Und eigentlich steckt hinter dieser vermeintlich aggressiven Verteidigung des eigenen Genres nur die Angst, seine Kultur zu verlieren. Das kann man sich evolutionär ableiten. Der Mensch hat einen Instinkt in sich, der ihm befiehlt, die eigene Spezies zu erhalten. Das klingt soweit sinnvoll. Der Mensch ist ein Rudeltier, ansonsten nicht überlebensfähig. Ein Rudel beziehungsweise eine Gesellschaft zeichnet sich durch Riten aus, das macht ein Rudel stark, da stimmt der Zusammenhalt. Sind diese Riten in Gefahr, dann auch das Überleben. Deshalb sind wir konservativ. Deshalb versuchen wir, die Kultur genau so zu erhalten, wie wir sie kennengelernt haben. Maximal wie wir sie persönlich mitverändert haben. Wir fühlen uns sonst einfach unsicher. Gewohnheit bedeutet Sicherheit und die brauchen wir, um nicht dauernd zu verrecken wie dieser Rap.
Da zeigt der eine Neandertaler dem anderen Neandertaler eine tolle neue Quelle und wundert sich, denn der Beschenkte hat keinen Bock darauf. Er will lieber seine alte gewohnte Quelle nutzen, da weiß er wenigstens, dass die nicht giftig ist. Was braucht er auch eine neue Quelle, neumodisches Glump, früher hat man auch keine zwei Quellen gebraucht, aber die jungen Leute, ja, die jungen Leute. Man fängt eigentlich schon sehr früh an konservativ zu sein, man nennt es nur noch nicht so, weil man eigentlich noch zu jung für dieses große Wort ist. Aber Gewohnheit geht nun mal vor, Gewohnheit bedeutet Sicherheit, bedeutet Überleben. Die Diskussionen sind ja auch gut und wichtig, ich will mich nicht dagegen aussprechen, ich will verstehen, warum sie geführt werden. So ist jede Diskussion im Endeffekt auch das Überprüfen der neuen Kultureinflüsse. Das gilt es zu kontrollieren, sonst würde ja jeder ein echter Rapper sein dürfen, und wo kämen wir denn da hin.
Deshalb also die schlechte Stimmung im Altenheim. Weil man weiß ja nicht, wie giftig so ein Döner ist, bei Pfannkuchen kennt man sich aus, da ist alles im grünen Bereich. Jedenfalls nichts Neues, das klingt erst mal gefährlich. Verständlich jetzt. Die echten Rapper um mich herum nicken zustimmend, sie kennen das Gefühl, sie wissen auf welche Barrikaden die Fans schon dann springen, wenn das neue Album nur nicht wie das alte klingt. Das ist immer so eine Krux, ja, das ist es. Und sie kennen auch den Gegenwind, der ihnen ins Gesicht blies, als sie versucht haben, das Game zu ändern, als sie es geändert haben als junge Wilde. Das fanden viele scheiße und trotzdem haben sie es getan, trotzdem waren sie daran beteiligt, als sich Rap mal wieder veränderte. Und heute sind es ihre Fans der ersten Stunde, die sich gegen weitere Veränderung im Spiel sträuben. Vielleicht darf man ja nicht mehr mitspielen, wenn man die Regeln nicht kennt, so vielleicht die unterbewusste Angst dieser Fans. Wären sie nicht schon entkulturiert, möglicherweise würde man diese neue Strömung sogar gut finden.
Die alten Leute im Heim wollen jetzt ihre Ruhe. Sie wollen noch ein wenig fernsehen, so wie jeden Mittwoch. Heute kommt Olympia, deshalb sollen wir gehen, meint Opa Erwin. Bei Olympia wird das Feuer auch weitergegeben – und da führt sich niemand so auf, als wäre er Prometheus wenn er die Fackel bekommt. Auch der Überbringer weiß, dass das Feuer in guten Händen ist, dass das Feuer Feuer bleibt. Aber genug jetzt. Wir beschließen zu gehen und schlendern Richtung Ausgang, haben noch Einiges zu tun heute. Schließlich muss man sich noch ums Rudel kümmern, ein bisschen Cyphern, oder Spitten, oder Burnen oder so. Irgendwas Rapmäßiges machen halt, das kennt man ja. Hört sich ungefährlich an, da fühlt man sich sicher ...
(Benedikt Dirschl)
(Titelbild von Jabo Jersey, Facebook)