Review: MoTrip – Embryo




  • 01. Kennen
    02. King
    03. Feder im Wind
    04. Schreiben, schreiben
    05. Triptheorie/Meine Rhymes & ich feat. Marsimoto
    06. Die Frage ist wann
    07. Alles was ich wollte
    08. Tagebuch
    09. Kanacke mit Grips
    10. Gorilla feat. El Moussaoui
    11. Kunst feat. RAF 3.0
    12. Albtraum
    13. Wir
    14. Kettenreaktion feat. JokA & Silla
    15. Wie die Zeit verrennt
    16. Embryo
    17. Intro/Ich fang am Ende an


    Zeig mir deine Features und ich sag' dir, wer du bist! Im HipHop wird wie in sonst kaum einem anderen Genre wild rumkollaboriert und so ist es nicht verwunderlich, dass neben den eigenen Skills vor allem namhafte Features dabei helfen, den Sneaker in die Geschäftstür zu zwängen. Je größer der Name der vermeintlichen Gönner, desto größer der Buzz um die eigene Person. Dass dadurch der ein oder andere musikalische Fauxpas seinen Weg in die Gehörgänge der Massen findet, sei mal dahingestellt, denn in der Regel ist es doch Talent, welches sich am Ende des Tages durchsetzt. So auch bei MoTrip, der ohne auch nur einer Vorahnung eines Tapes – geschweige denn eines Albums – über die Optik Youngstars Koryphäen wie Savas, Samy oder Leute wie Fler, Silla und JokA in sein Featureportfolio aufnehmen durfte und quasi im Vorbeigehen Props von Sido und Marteria einheimste. Nicht nur von seinen Kollegen, sondern auch von einschlägigen Magazinen und der Blogosphäre als eines der "Next Big Things" gehandelt, schlägt man natürlich Wellen, die die dicken Fische auf einen aufmerksam machen lassen. Unter den Fittichen von Universal Music fand schließlich die Befruchtung statt und heraus kam "Embryo" mit dem Mohamed El Moussaoui endlich seine dues payen und sich einen festen Status in der A-Liga der Rapperriege erkämpfen will.


    "Ich werd' es schaffen, doch die Frage ist wann/"
    (MoTrip auf "Die Frage ist wann")


    Auf die Eckpfeiler seiner Karriere zurückblickend lässt sich das inhaltliche Spektrum des Albums in groben Zügen folgendermaßen umreißen: Auf der einen Seite wäre da Kool Savas, aus dessen Schule man – platt ausgedrückt – technikfixierten Rap über Rap zu erwarten hat, während auf der anderen Seite Künstler wie Fler stehen oder aber Silla und JokA, mit denen er die Crew Schnelles Geld ins Leben rief. Aufgrund dieses Umfelds rechnet man neben unterhaltsamen Tiraden über den eigenen Status und den Beischlaf mit Frauen mit aller Art von vor allem persönlich gehaltenen Lyrics über den "Everyday-Hustle" in Straßennähe. Scheinbar zwischen den Stühlen sitzend pickt sich der Aachener aus beiden Lagern das Beste und lässt die Straße Straße sein. In der Realität äußert sich das Ganze in Reimketten und -schemata, die sich vor absolut nichts verstecken müssen, einem herausragenden Flow, der durch hundertprozentige Präzision und melodische Variationen besticht, sowie einer Reihe wirklich raffinierter und einer Handvoll mittelprächtiger Punchlines und Vergleiche. Diese werden mit scheinbarer Leichtigkeit in persönliche Tracks eingewoben und verkommen nur bei den battlelastigen Representern zum Selbstzweck, wobei sie dort meist Teil eines wahrhaftigen Reimgewitters sind. Dies verdeutlicht der Opener "Kennen" sehr gut:


    "Könntet ihr das Licht dimmen, jemand sollte die Gesangskabine dämmen/
    Ich steh' auf den Dämmen, um das Land zu überschwemmen/
    Ich verschwende meine Zeit nicht mehr mit Schach oder Backgammon/
    Ich mach' Business, wenn die anderen noch pennen/
    "
    (MoTrip auf "Kennen")


    Für die musikalische Untermalung gebührt Paul Nza, Marek Pompetzki, Cecil, Deflev, Illthinker, DJ Vito, Sinch und Ken Kenay Lob, die MoTrip durchweg hochwertig ausproduzierte Beats zusammenbastelten. Wer aufgrund des Universal-Signings weichgespülte Massenware befürchtete, kann sich kopfnickend zurücklehnen, denn die Produzenten schmiedeten Trip für jeden Text die passende Unterlage. Ob harte, treibende und gerne ein bisschen verrückte Synthiebretter zur traditionellen Kronjuwelenschau oder dezente, organische Nummern, die, obwohl manchmal an der Schwelle zum Kitsch, ein gelungenes Fundament für schwermütigere Themen bilden. Spielereien wie das gepitchte "King", was auf dem gleichnamigen Track die Reimwörter begleitet, lassen auf eine enge Zusammenarbeit zwischen Producer(n) und Rapper schließen. Apropos Zusammenarbeit: Die erwartete/erhoffte ganz lange Liste großer Namen bleibt aus; und so sind neben RAF 3.0 und Marsimoto, der in Form von MoTrips Reimen auf dem wunderbar abstrusen "Triptheorie/Meine Rhymes & ich" vertreten ist, lediglich seine engen Vertrauten Silla und JokA sowie sein Bruder El Moussaoui zu Gast. Obwohl die Stücke mit den letztgenannten Künstlern die beiden schwächsten des Albums sind, erweckt der Move, sein Umfeld zu featuren, trotz und vielleicht gerade wegen des Risikos eines trackinternen Qualitätsabfalls eine gewisse Sympathie. So birgt es doch eine aufrichtige Loyalität in sich, die über kommerzielle Berechnung gestellt wird.


    "Die Triptheorie: Deine Stimme plus die Technik/
    Mal die Flows geteilt durch Skills ist gleich der Inbegriff von Freshness/
    Nimmst du das noch minus Wackness, minus Fake, minus Shit, minus Hate – ergibt Trip/
    "
    (MoTrip und Marsimoto auf "Triptheorie/Meine Rhymes & ich")


    Dass sich die endgültige Qualität eines Rappers niemals nur über sein technisches Können oder seine Beatwahl definieren lässt, dürfte den meisten Lesern klar sein. Nun stellt sich die Frage, ob MoTrip auch textlich brillieren kann. Die Antwort fällt diesmal nicht ganz so eindeutig aus wie zuvor. Positiv ist die Themenvielfalt des Albums, bei der man nicht das Gefühl verspürt, es säße ihm ein Major im Nacken, der noch einen Clubbanger fordert. Denn einen solchen lässt "Embryo" glücklicherweise gänzlich vermissen. Vielmehr präsentiert MoTrip neben Songs über Rap an sich ("Schreiben, schreiben", "Kunst") und klassischer Battlekost vor allem persönlichere Nummern. Auf "Die Frage ist wann" beleuchtet der Libanese die einzelnen Stationen seiner Karriere %– von ersten Talentbekundungen seines Bruders bis zu den Bello-Storys. Auch bei "Alles was ich wollte" geht es um seine Karriere, aber auch um die Unvereinbarkeit dieses Traumes mit seiner Verflossenen. Generell merkt man MoTrip an, dass er seinen Erfolg nicht als selbstverständlich betrachtet, wie sehr er das Erreichte respektiert und wie viel Herzblut er investierte, um da zu stehen, wo er jetzt ist.
    Negativ fallen jedoch Präsentation und der sprachliche/inhaltliche Rahmen auf und bilden die damit einzig wirklichen Kritikpunkte an "Embryo", die die Platte letztendlich des Prädikates "Meisterwerk" berauben. Wenn er gerade bei den deeperen Tracks wie beispielsweise auf "Albtraum" rappt: "Ich bin 22 Jahre alt und sehr schlecht gelaunt", möchte man als Hörer diese schlechte Laune fühlen können, möchte den Künstler sein Innerstes bis zum Äußersten treiben hören. Diese Fähigkeit, dem Zuhörer Emotionen vollkommen authentisch zu vermitteln, fehlt MoTrip bis auf den wirklich ergreifenden Titeltrack, bei dem es um das schwierige Thema "Abtreibung" geht und bei dem eine offenbar wahre Geschichte erzählt wird, leider weitestgehend. Ähnlich verhält es sich bei Themen und Wortwahl: Große Kunst hat immer schon polarisiert, hatte immer schon Reibungs- und dadurch Angriffsfläche. Bei MoTrip hat man das Gefühl, als halte er sich zurück. Vielleicht will er auf Nummer Sicher gehen, weil es sein Debüt ist, vielleicht ist er gehemmt, aus Furcht, zu viel von sich preiszugeben. Weniger Scheu, weniger Kompromisse wären vielleicht angebracht gewesen. Ein bisschen mehr Mut zum Risiko, ein Schuss mehr Chuzpe und das wird noch mal was ganz Großes.
    Auf welchem Niveau hier kritisiert wird, lässt sich an der Bewertung ablesen, denn mit "Embryo" ist MoTrip in jedem Falle eines der erstaunlichsten Debüts der letzten Jahre gelungen, mit dem er seinen Status in der Szene wohl endgültig gefestigt haben dürfte. Nicht nur die Aussicht auf großartige Kollaboration in der Zukunft lassen auf neues Audiomaterial hoffen, denn dass der selbsternannte "Kanacke mit Grips" nicht nur als ewiger Featuregast funktioniert, hat er mit seinem Album bewiesen. Passenderweise heißt es im Intro-Outro dann auch programmatisch: "Mach dich für den Trip bereit, es fängt endlich an!"



    disdi (Christian Weins)

    [REDBEW]787 [/REDBEW]

    Bewerte diese CD:
    [reframe]reviewthread.php?reviewid=787 [/reframe]
    [azlink]MoTrip %96 Embryo [/azlink]

  • Ist wirklich ein gelungenes Album die Review trifft meiner Meinung nach voll ins Schwarze.


    Ich bin gespannt wie sich der Junge entwickelt, also was da in 2-3 Jahren noch alles kommt.

  • Zitat

    Original von GMG91
    ich bereue es, dass ich mir den mist gekauft habe 3-4 gute tracks, mehr auch nicht.


    Dein ernst ?! :O
    Kann ich 0 nachvollziehen was hörst du denn sonst für Rapper ?

  • ich hab mich erstmal gewundert warum die review zu dem album jetzt erst kommt. dann hab ich mich über die kritikpunkte gewundert. ich finde dieses album extrem emotional und kann gerade bei tracks wie albtraum den schmerz mitfühlen. und auf welcher lyrischen ebene hier getextet wird ist einfach unfassbar.


    "der teufel kommt und lockt dich immer grad wenn du/
    in diesem schwarz/weißen leben irgendwo nach farbe suchst"


    und das in ner reimkette über 8 takte. diese kombination ist so heftig. und die zeile


    "auch wenn du es mit dem herzen nicht verstehen kannst/
    ich hab narben die man auf den ersten blick nicht sehen kann"


    hab ich seit wochen im kopf. vielleicht ist es auch nur weil motrip mir so aus der seele spricht, dass ich dieses album persönlich als meisterwerk feier. aber tracks wie "wir", "federn im wind" oder "tagebuch" habe ich seit vegas "winter" vermisst. und die spielen in der gleichen liga. 10 punkte von mir.


  • naja das sind jetzt keine ausergewöhnlich krassen lines weder technisch noch von der idee her =P ich mein sind solide lines, aber dass du hier grade sowas anführst find ich eher komisch

  • Also, ich finde das Review recht gelungen. Habe die Platte nun schon ein paar Mal durchgehört, und sie gefällt mir wirklich gut, aber irgendwas fehlte immer noch. So ein kleines Stück "Ich weiß nicht was"... ;)
    Das Review bringt`s eigentlich ganz gut auf den Punkt, und stellt die kritischen Punkte klar und deutlich heraus. Natürlich, ist es trotzdem ein schweinegeiles Album, und auch das wird klar gestellt. Ich denke, wenn ich die Platte nicht kennen würde, würde ich sie mir, nach dem Lesen des Reviews, kaufen.


    Also: Top-Review, Top-Platte (mit kleinen Schwächen ;) )

  • Zitat

    Original von comickelevra


    naja das sind jetzt keine ausergewöhnlich krassen lines weder technisch noch von der idee her =P ich mein sind solide lines, aber dass du hier grade sowas anführst find ich eher komisch


    über inhalt lässt sich auf jeden fall streiten, wobei ich finde, dass hier nicht diese klassischen "kopf hoch" alla azads "alles wird gut" noch durchweg depressives zeugs drauf ist. diese mischung, das erzählen von gefühlen und die transformation in bildliche sprache ohne kitschig zu werden machts für mich bei motrip.


    aber technisch ist das aller aller aller höchste güteklasse. ich mache mir die mühe mal die ersten 8 zeilen vom 2. 16er von "tagebuch aufzuschreiben" (danke booklet:))


    "ich schreib es auf, das hier ist sowas wie mein tagebuch/
    ich hab vor jahren schon nach einem guten plan gesucht


    gott sei mein zeuge, meine träume - ich begrab sie nun/
    jeden tag nur kopfkino stopp diese datenflut


    ich schmeck den smog in meinem block mit jedem atemzug/
    vielen hier bleibt nurnoch ihre hoffnung - was erwartest du?


    der teufel kommt und lockt dich immer grad wenn du/
    in diesem schwarz/weißen leben irgendwo nach farbe suchst"


    tagebuch - plan gesucht - datenflut etc. sind alles klassische dreifachreime. dank der betonung auf kopfkino - smog/block - lockt etc. werden da in manchen zeilen fünffachreime draus. und das ist einfach technisch etxtrem fein. das ist verdammte lyrik. da geht mir teilweise einer ab. lange nicht gehört.

Jetzt mitmachen!

Du hast noch kein Benutzerkonto auf unserer Seite? Registriere dich kostenlos und nimm an unserer Community teil!