01. Intro – der Blick in die Crowd
02. Achterbahn
03. Karma
04. Hirngespinst
05. Flutlicht
06. 110%
07. Verwelkte Rosen feat. Seranjo, Para & Skara Mucci
08. Am Nagel geboren
09. Mein Bruder
10. Vorbei der Traum feat. Skara Mucci
11. Resistance
12. Wesenszüge
13. Licht in dir
14. Stiller Westen
15. Durch die Tür
16. Thron aus Stein
17. Abspann
Der Mann ist ein Phänomen. Na ja, eher seine Laufbahn ist eines. Ich wage zu behaupten, dass selbst die jüngere Generation der Raphörer Sentence kennt. Zumindest namentlich. Kein anderer deutscher Rapper wurde so oft unwillentlich ins Rampenlicht gezerrt wie er. Sein Name taucht in der Eko-Savas-Kontroverse auf, er soll "Electro Ghetto" geschrieben haben und steht bei fast jedem nennenswerten Label des letzten Jahrzehnts kurz vorm Signing. Nach zahlreichen Fehlversuchen und Streitigkeiten dauert es letztendlich bis 2006, bis Sentino in der Lage ist, ein Album zu releasen. "Ich bin deutscher HipHop" erscheint allerdings nicht bei einem der angesprochenen zeitgenössischen Label-Urgesteine, sondern bei 5 vor 12 Records, einer deutlich kleineren Variante und verkauft sich – aufgrund schlechter Promotion, sicherlich nicht wegen mangelnder musikalischer Qualität – nicht sonderlich gut. In den vergangenen sechs Jahren kündigte Sentence dann mehrfach sein Karriereende an und verzieht sich schlussendlich nach Polen, um sich in Warschau um sich selbst zu kümmern. Wie aus heiterem Himmel erscheint nun "Stiller Westen" – Sentence scheint neue Kräfte gesammelt zu haben, um einen weiteren 67-minütigen Versuch in Richtung Zenit der Deutschraplandschaft zu unternehmen.
"Jeder wollte nur ein Stück von diesem Freestyler/
Und selbst nichts bieten, aber wie es war, das sieht keiner/
Die Leute hören nur die Storys über mich/
Kein Moment, an dem sich irgendjemand sorry fühlt für mich/
Wie's mir geht – scheißegal, ob ich noch leb' – scheißegal/
So war es immer, von daher hatte ich eh keine Wahl/
Als selbst zu ficken, was mich ficken will/"
(Sentence auf "110%")
Solche Passagen, die reflektiv und melancholisch-wütend über die Erlebnisse der letzten zehn Jahre berichten, sind die große Stärke des Albums ("110%", "Verwelkte Rosen" oder "Vorbei der Traum"). Generell ist "Stiller Westen" teilweise wie ein Rundumschlag mit Styles und Themen, als möchte Sentence zeigen, was er kann: Punches ("Am Nagel geboren", "Hirngespinst"), Storytelling ("Licht in dir"), Reimvariationen und das Zurückgreifen auf einen immensen Wortschatz sowie locker-leichte Stimmeinsätze ("Flutlicht", "110%"). Gleichzeitig ist "Stiller Westen" aber kein reines Protz-Album, was unglaublich schade ist. Denn bei erzwungen ruhigen Tracks wie "Resistance" oder "Durch die Tür" herrscht irgendwie Durchschnittlichkeit. Und Durchschnittlichkeit ist langweilig. An diesen Punkten des Albums macht sich die mangelhafte Konzeption der CD bemerkbar, die oft unspektakulären Instrumentals und die mittelmäßige Produktion ebenso. Sentence gab selbst im Vorfeld zu, dass die finanziellen Mittel für "Stiller Westen" begrenzt waren und der Sound keinesfalls an den von "Ich bin deutscher HipHop" anknüpfen könne. Es gibt allerdings auch Lichtblicke bei Kreativität und Konzeption. Auf "Am Nagel geboren" beendet Sentence beispielsweise seinen zweiten Part mit den folgenden Zeilen, um den dritten und letzten Part auf Polnisch zu rappen – wovon ich wiederum natürlich kein Wort verstehe, trotzdem schön:
"Rot-weiß wie mein Blut, wenn es fließt in mein' Zellen/
Wenn der Beat nicht parieren will, dann gib ihm zwei Schellen/
Dominier', ich hab' jetzt ganz Polen hinter mir/
Kennst du die Grenze dort im Osten? Man, ich wohn' hinter ihr/"
(Sentence auf "Am Nagel geboren")
Wo wir gerade bei durchschnittlich waren, so sind die Features der Platte (Seranjo, Skara Mucci und Para) sicherlich keine musikalische Bereicherung, passen aber zu Sentence und sorgen für Abwechslung. Großes Manko bleiben die Instrumentals, besser gesagt die mangelnde thematische Abstimmung zu den Lyrics. Heißt: Wenn der Künstler pathetische oder deepere Töne anstimmt, empfinde ich die Beats als nicht aussagekräftig genug. Teilweise scheinen Instrumentals und Rapper im Clinch um die Aufmerksamkeit des Hörers zu liegen. Dementsprechend ist die musikalische Untermalung der verantwortlichen Produzenten Monroe, Shusta, Fourtee Beats, Golden Ligue, Puppenspieler, SAD, ZeDe und Sam Beats keineswegs schlecht, aber bilden zusammen mit Sentence oft keine Einheit und wirken austauschbar. Im Gegenteil zu den Vocal-Samples, deren Einsatz mir doch meistens sehr gut gefällt ("Flutlicht"). Doch auch Sentence stößt ein paar Mal unangenehm auf, vor allem wenn er politisch und pauschal wird.
"Sie behandeln dich wie einen Parasit/
Thilo Sarrazin, Propaganda im Spiegel-Magazin/
[...]
Türken haben sich am Band den Arsch aufgerissen/
Deutsche haben Tonnen von Bomben auf Warschau geschmissen/"
(Sentence auf "Stiller Westen")
Zusammenfassend hat das Album genau eine große Stärke und das ist Sentence selbst. Das große Talent, das er zweifelsfrei immer noch ist, kommt nur leider zu selten zum Ausdruck. Die Harmonie mit den Instrumentals ist einfach zu selten vorhanden. Ob letztendlich Zeitmangel in der Produktion oder geringes Budget dazu geführt hat, bleibt reine Spekulation. Fakt ist, dass "Stiller Westen" absolut krass hätte werden können, denn Songs wie "Flutlicht, "110%" oder "Abspann" gefallen doch sehr. So bleibt die Platte allerdings nur eine kleine Vorspeise mit gelegentlichen Delikatessen für den potenziellen Hauptgang "Wilder Osten", bei dem Meisterkoch Sentence hoffentlich nicht beim Abschmecken und den Zutaten spart. Und so fade der Beigeschmack auch manchmal ist, freut man sich doch über die Wiederkehr eines echten Sprachtalents nach Deutschland.
Akk-_- (Philipp Pausewang)
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