Review: Fiva & Das Phantom Orchester – Die Stadt gehört wieder mir



  • 01. Mein Herz tanzt Farben
    02. Die Stadt gehört wieder mir
    03. Zeitloopen
    04. Glotz nicht schüttel dich
    05. Dein Lächeln verdreht Köpfe
    06. Muli oder Mensch
    07. Leuchtturm
    08. Der richtige Moment
    09. Liebe ist Kunst
    10. Raus hier


    Es ist zum Teil fast ekelerregend, welche Aussagen über deutsche Rapmusik in letzter Zeit getätigt wurden, sei es von Seiten der Medien oder nicht weniger der Rapper selbst. So wurden Sätze à la "Ich bin eigentlich kein Rapper, sondern Musiker" so oft ausgesprochen, dass fast der Eindruck entstehen musste, es müsse zwischen Rap und Musik differenziert werden, als sei ersteres die Vorstufe von zweiterem. Beinahe als großen Künstler sieht er sich selbst an, wenn Rapper XY auf "echten Instrumenten" rappt, in Wahrheit jedoch – grob ausgedrückt – einem anderen Musiker aufträgt, statt der MPC Gitarre und Schlagzeug zur Hand zu nehmen. Es soll an dieser Stelle gewiss nicht pauschalisiert werden, sicher gab es auch Ausnahmen, bei der diese Herangehensweise tatsächlich zu guten Ergebnissen führte, doch was ist beispielsweise der Zweck von Akustikalben, die kaum halb so gut klingen wie die originalen? Und wozu eine Liveband mit auf Tour, wenn die ursprünglichen Tracks doch hörbar elektronisch produziert wurden? Wozu unbedingt eine Gitarre, wenn sie eigentlich überhaupt nicht passt? Es gab in letzter Zeit durchaus etliche Beispiele, in denen Rap unnötigerweise mit "traditionelleren" Musikrichtungen gemischt wurde. Halten wir uns aber damit nicht länger auf und kommen zu einem Album, bei dem eben das Angesprochene wunderbar funktioniert, wenn nicht sogar zwingend notwendig für das grandiose Resultat war. Bühne frei für Fiva & Das Phantom Orchester!


    "An Abenden bei dir wird die Welt neu nummeriert/
    Von der Couch aus neu besprochen und am Küchentisch sortiert/
    "
    (Fiva auf "Mein Herz tanzt Farben")


    Typische HipHop-Beats, wie sie auf den vorangegangenen Alben der Rapperin zu hören waren, hätten spätestens jetzt nicht mehr voll und ganz zu den Texten von Fiva gepasst. So setzt sich die Entwicklung von typischeren Raplyrics zur Poesie auch mit "Die Stadt gehört wieder mir" konsequent fort, die Texte verzichten nun voll und ganz auf den Rapkontext. Stattdessen werden vor allem Liebe ("Liebe ist Kunst"), echte Freundschaft ("Dein Lächeln verdreht Köpfe", "Mein Herz tanzt Farben"), eine entspannte Lebensweise ("Zeitloopen") und ein positives Lebensgefühl ("Glotz nicht schüttel dich", "Raus hier") behandelt. Die Vortragsweise ist von Song zu Song unterschiedlich. So rappt Fiva MC zum Beispiel im Titeltrack eher herkömmlich, mit leichtem Hang zum Gesang, "Dein Lächeln verdreht Köpfe" bedient sich mehr dem Spoken Word und "Liebe ist Kunst" weicht am Stärksten von Fivas Ursprüngen ab und ist ausschließlich gesungen. Doch egal ob gesungen, gesprochen oder gerappt: Sehr stark sind die Texte immer. Viele kleine Wortspiele und charmante Formulierungen machen diese aus und erinnern dabei leicht an aktuelle Deutschrock/-popbands. "Raus hier", ein Song über Aufbruchsstimmung und Spaß, überzeugt durch lebensfrohe Texte ("Die Welt fühlt sich unglaublich gut an, wenn du mit mir drüber lachst") und das lebhafte Instrumental. Ähnlich, nur ruhiger und träumerischer das eingangs zitierte "Mein Herz tanzt Farben". Rührend, fast kindlich, fällt die "Beichte" an einen langjährigen Freund in "Dein Lächeln verdreht Köpfe", einem der großen Highlights des Albums, aus:


    "Selbst, wenn wir beide schon alleine viele Jahre schleppen/
    Fühlt sich's an, als wären wir im Sandkasten gesessen/
    Und auch, wenn wir uns alles erzählen, obwohl keiner was fragt/
    Hab' ich in all der Zeit noch nicht alles gesagt, [denn]/
    Es gibt da eine Sache, die ich so sehr an dir schätze/
    Durch dich ändert sich der Blick auf alles, denn dein Lächeln verdreht Köpfe/
    "
    (Fiva auf "Dein Lächeln verdreht Köpfe")


    Generell ist das Album viel mehr dem alternativen Pop denn dem HipHop zuzuordnen. Viel Wert wurde auf eingängige, meist gesungene Hooks gelegt, wie bereits der zuvor veröffentlichte Titeltrack zeigt. Auf raptypische Arrangements – wie 16 Bars, dann Hook – wurde verzichtet. Die Instrumentals wurden allesamt von Rüdiger Linhof, besser bekannt als Rüde und Mitglied der Sportfreunde Stiller, und Paul Phantom produziert. Sie zeichnen sich neben Gitarre und Klavier vor allem durch viele Streichinstrumente und Synthesizer aus. Insbesondere die häufige Verwendung der Synthesizer legt Vergleiche zu den Anfangstagen der Band Wir sind Helden auch musikalisch nahe. Das Phantom Orchester nimmt einen hohen Stellenwert bei "Die Stadt gehört wieder mir" ein, denn so gut die Texte auch sind, die Melodien bleiben mindestens ebenso lange im Kopf. Zwei längere instrumentale Parts befinden sich auf dem Album, einmal auf "Dein Lächeln verdreht Köpfe", einmal auf "Liebe ist Kunst", den beiden ruhigsten Stücken. Hier stehen beide Male wie so oft die Streichinstrumente stark im Vordergrund, wobei diese im ersten Song eher fröhlich und sehr verspielt ausfallen, im zweiten mehr verträumt und fast traurig. Allgemein unterscheidet sich "Liebe ist Kunst" nicht nur durch den gänzlichen Verzicht auf Rap von dem Rest: Während der Rest der Songs heiter rüberkommt und eine positive Message hat, ist dieser Song im Vergleich dazu melancholisch und fast wehmütig, wenn auch nicht weinerlich. Thematisiert wird im besten Song des Albums die Unmöglichkeit und das daraus folgende Ende einer Beziehung, die Komplikationen, die Liebe mit sich bringt.


    "Ich pack' jetzt meine Sachen, noch bevor du mich was fragen kannst/
    Denn ich weiß doch, dass du ohne mich nachts schlecht schlafen kannst/
    Und ich habe Angst, dass dein Arm ins Leere greift, weil du denkst, ich wär' noch hier/
    [...]
    Ich zieh' dir noch die Decke vom Gesicht, um dich noch einmal zu seh'n/
    Ich werd' nicht mehr zu dir kommen, denn ich will nicht noch einmal von dir geh'n/"

    (Fiva auf "Liebe ist Kunst")


    Fazit:
    Hätte sich Fiva an ein weiteres herkömmliches Rapalbum gewagt, es hätte nicht annähernd so gut werden können. Dazu sind ihre Raptechniken wie die vieler anderer langjähriger RapperInnen viel zu überholt und ihre Stärken doch zu weit weg angesiedelt. Passender als in dieser Form hätte das Album nicht werden können. Charmante, dichterische Texte auf verspielten Instrumentals machen "Die Stadt gehört wieder mir" zu einem herrlich unbeschwerten Album, das sich sowohl nebenbei als auch genauer perfekt hören lässt und sich am Besten als absolut "rundes Ding" bezeichnen lässt, dem es an nichts fehlt. Für meinen persönlichen Geschmack hätten dem Album stellenweise etwas komplexere Reime – Rap hin oder her – und eine stärkere Gewichtung auf ruhigere Tracks gut getan. Doch das ist Meckern auf hohem Niveau, "Die Stadt gehört wieder mir" ist mein bisheriges musikalisches Highlight des Jahres.



    (TonySunshine)

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  • Zitat

    Und wozu eine Liveband mit auf Tour, wenn die ursprünglichen Tracks doch hörbar elektronisch produziert wurden?


    Weils einfach geil klingt. Ich bin ja ein großer Fan von Akustikalben, so pauschalisiert wie der Autor das schreibt kann man das nicht sehen. Zumal er einen Absatz weiter Fivas Orchester in den Himmel lobt.
    Und vorher schreibt er noch dass Künstler Akustikalben nur machen würden um sich besser vorzukommen obwohl es unpassend und schlecht klingend wäre.
    Die Meinung kann ich überhaupt nicht nachvollziehen, ich finds überheblich. Die Rapper/Musiker machen was sie für richtig halten, und die Hörer geben ihnen Recht.


    Nichtsdestotrotz denke ich auch dass es sich hier um ein sehr nettes Album handelt.

  • also. ich finde, der erste absatz ist eine absolute fehlbewertung. z. B. sidos akustikalbum ist bombe. und generell ist die entwicklung hin zu mehr instumenten hin doch eine, die hiphop mal wieder so richtig gut tut, einfach auch weil dadurch, dass mehr leute beteiligt sind, dieser hiphopegotrip ein bisschen im zaune gehalten wird. dass eine band manchmal von wenig vorhanden skills ablenkt etc. stehe mal auf einem anderen blatt.


    dass die gute frau hier so gut weggekommen ist bei der bewertung stimmt mich sehr glücklich. jetzt sollten nur noch die klicks besser dazu passen.

  • ich hab das album eigentlich nur gekauft, weil ich auf einen gig eingeladen bin und mehr als nur "goldfisch" kennen wollte. bin aber höchst positiv überrascht! gute, sinnvolle texte, auch wenn die reime an der ein oder anderen stelle, wie in der review bschrieben, nicht perfekt sind.


    und was mich minimal stört sind die manche hooks, beispielsweise "man schafft nicht alles, alles schafft man nicht"...andere beispiele hab ich jetzt spontan nicht gefunden aber dieses rumdrehen von aussagen kommt mir ein wenig unkreativ vor...ansonsten tip top! freu mich auf den gig, hab 9,5 punkte vergeben!

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